Urteil des BGH vom 23.05.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 275/08 Verkündet
am:
16. September 2009
Ring,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 536 Abs. 1 Satz 1
a) Öffentlich-rechtliche Nutzungsbeschränkungen vermieteter Wohnräume berechti-
gen den Mieter nicht zur Mietminderung, wenn deren Nutzbarkeit mangels Ein-
schreitens der zuständigen Behörden nicht eingeschränkt ist.
b) Haben die Parteien eine bestimmte Wohnfläche als Beschaffenheit der Mietsache
vereinbart, sind die Flächen von Räumen, die nach dem Vertrag zu Wohnzwecken
vermietet sind (hier: ausgebautes Dachgeschoss), bei der Wohnflächenermittlung
unabhängig davon mit einzurechnen, ob sie bei einer Flächenberechnung nach
den Bestimmungen der Zweiten Berechnungsverordnung als Wohnraum anzure-
chen sind (Fortführung von BGH, Urteil vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 231/06, NJW
2007, 2624, Tz. 13).
BGH, Urteil vom 16. September 2009 - VIII ZR 275/08 - LG München I
AG
München
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Achilles und die Richterin
Dr. Fetzer
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Mün-
chen I, 14. Zivilkammer, vom 8. Oktober 2008 wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger haben die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger waren von Januar 1989 bis Dezember 2007 Mieter eines Ein-
familienhauses der Beklagten in M. . Nach § 1 des Mietvertrages beträgt
die Wohnfläche 129,4 qm. Im Haus befinden sich Dachgeschossräume, die von
den Klägern bis etwa 2005 als Wohnraum genutzt wurden. Die Kläger machen
geltend, dass diese Räume wegen öffentlich-rechtlicher Nutzungsbeschränkun-
gen bei der Berechnung der Wohnfläche nicht zu berücksichtigen seien, so
dass die tatsächliche Wohnfläche nur 108,6 qm betrage und somit um mehr als
10 % von der vereinbarten Wohnfläche abweiche.
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Die Kläger haben Rückzahlung ihrer Auffassung nach überzahlter Miete
in Höhe von 3.384 € nebst Zinsen, Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Hö-
he von 543,59 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass sie ab No-
vember 2007 nur zur Zahlung einer Miete in Höhe von 372,13 € zuzüglich Be-
triebskosten verpflichtet sind. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das
Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt: Es könne offen bleiben, ob die Wohnfläche im vorliegenden Fall nach der
Wohnflächenverordnung oder nach der Zweiten Berechnungsverordnung zu
berechnen sei, denn die von den Klägern behauptete verminderte Wohnfläche
ergebe sich nur vor dem Hintergrund öffentlich-rechtlicher Nutzungsbeschrän-
kungen. Darin liege jedoch kein Mangel im Sinne des § 536 BGB. Beschrän-
kungen wegen vornehmlich feuerpolizeilicher Gründe berührten die Nutzbarkeit
der Dachgeschossräume nicht unmittelbar. Aus dem Mietvertrag ergäben sich
keine Hinweise darauf, dass das Dachgeschoss nicht zu Wohnzwecken genutzt
werden könne. Da es ausgebaut gewesen sei, habe es nahe gelegen, dass es
den Klägern zu Wohnzwecken zur Verfügung stehe, zumal sie es auch über
einen sehr langen Zeitraum so genutzt hätten. Dass die Kläger von dieser ge-
gebenen vertraglichen Nutzungsmöglichkeit im streitgegenständlichen Zeitraum
keinen Gebrauch mehr gemacht hätten, berühre ihre Verpflichtung zur Entrich-
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tung der Miete nicht. Soweit die Kläger ferner geltend gemacht hätten, dass die
Dachgeschossräume schlechter beheizbar seien, Leitungen über Putz lägen
und kein Wohnbelag vorhanden sei, handele es sich um offensichtliche Mängel,
die von den Klägern bei der Anmietung nicht gerügt worden seien und deshalb
nach § 536b BGB nicht mehr geltend gemacht werden könnten.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand, so dass die Revi-
sion zurückzuweisen ist.
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1. Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen,
dass etwaige öffentlich-rechtliche Nutzungsbeschränkungen der Räume im
Dachgeschoss die Kläger nicht zur Minderung der Miete berechtigen, weil die
Nutzbarkeit dieser Räume mangels Einschreiten der zuständigen Behörden
nicht eingeschränkt war (vgl. OLG Köln, WuM 1998, 152, 153; OLG Düsseldorf,
DWW 2005, 20 und 2006, 286; MünchKommBGB/Häublein, 5. Aufl., § 536
Rdnr. 20; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 9. Aufl., § 536 BGB
Rdnr. 76).
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2. Zu Recht und von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsge-
richt ferner angenommen, dass die Kläger die Miete auch nicht wegen der
verminderten Wohnqualität des Dachgeschosses (fehlender Wohnbelag, auf
Putz verlegte Leitungen) mindern können, denn diese offensichtlichen Mängel
waren den Klägern bei der Anmietung bekannt, so dass ihnen die Rechte aus
§§ 536 und 536a BGB gemäß § 536b Satz 1 BGB nicht zustehen.
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3. Schließlich ist dem Berufungsgericht auch darin beizupflichten, dass
die Kläger nicht wegen einer zu geringen Wohnfläche des angemieteten Einfa-
milienhauses zur Mietminderung berechtigt sind. Die ausgebauten Räume im
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Dachgeschoss sind den Klägern als Wohnraum vermietet worden und sind des-
halb - unabhängig davon, ob sie bei einer Flächenermittlung nach den Bestim-
mungen der Zweiten Berechnungsverordnung als Wohnraum anzurechnen
sind - bei der Ermittlung der tatsächlichen Wohnfläche des von den Klägern
gemieteten Einfamilienhauses zu berücksichtigen.
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a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Angabe der
Wohnfläche im Mietvertrag regelmäßig nicht als unverbindliche Beschreibung,
sondern als Beschaffenheitsvereinbarung anzusehen ist, die bei einer Abwei-
chung von mehr als 10 % zum Nachteil des Mieters zu einem Mangel der Miet-
sache führt (Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 295/03, NJW 2004,
1947, unter II 2 a, sowie vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 138/06, NJW 2007, 2626
Tz. 13 f., 17). Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung haben die Parteien mit
der Angabe der Wohnfläche von 129,4 qm im Mietvertrag auch getroffen.
b) Der Begriff der Wohnfläche ist auslegungsbedürftig, denn er hat kei-
nen feststehenden Inhalt, und eine verbindliche Regelung zur Berechnung von
Flächen bei preisfreiem Wohnraum fehlt. Nach der Rechtsprechung des Senats
können für die Auslegung des Begriffs der Wohnfläche grundsätzlich auch beim
frei finanzierten Wohnraum die für den preisgebundenen Wohnraum geltenden
Bestimmungen herangezogen werden, es sei denn, die Parteien haben dem
Begriff der Wohnfläche im Einzelfall eine abweichende Bedeutung beigemes-
sen oder ein anderer Berechnungsmodus ist ortsüblich oder nach der Art der
Wohnung nahe liegender (Senatsurteile vom 24. März 2004 - VIII ZR 44/03,
NJW 2004, 2230, unter II 1 b aa, cc, sowie vom 23. Mai 2007 - VIII ZR 231/06,
NJW 2007, 2624, Tz. 13). Nach der Rechtsprechung des Senats kommt somit
einer Vereinbarung der Parteien darüber, welche Flächen in die Berechnung
der Wohnfläche einzubeziehen sind, Vorrang zu. Eine solche Vereinbarung liegt
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hier nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
vor.
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Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Räume im Dachge-
schoss nach dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrag zu Wohn-
zwecken, also als Wohnraum vermietet wurden. Es hat einen solchen vertragli-
chen Nutzungszweck mit der Begründung bejaht, der Ausbau der - von den
Klägern über lange Zeit auch tatsächlich zu Wohnzwecken genutzten - Räume
habe eine Wohnnutzung nahe gelegt und der Mietvertrag enthalte keinen Hin-
weis darauf, dass sie nicht zu Wohnzwecken hätten genutzt werden sollen. Die-
se Auslegung ist als tatrichterliche Würdigung einer Individualvereinbarung nur
beschränkt darauf überprüfbar, ob gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte
Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvor-
schriften verletzt worden sind (BGHZ 135, 269, 273; 154, 132, 133). Ein derarti-
ger Auslegungsfehler wird von der Revision nicht aufgezeigt und ist auch nicht
ersichtlich. Die Auslegung des Berufungsgerichts ist möglich und daher für die
Revisionsinstanz bindend (vgl. BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90,
NJW 1992, 1967, unter II 3 a).
Das Berufungsgericht hat die ausgebauten Räume des Dachgeschosses
deshalb bei der Berechnung der Wohnfläche zu Recht berücksichtigt. Da die
tatsächliche Wohnfläche - unter Berücksichtigung der einzubeziehenden Flä-
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chen des Dachgeschosses - den Angaben im Mietvertrag entspricht, sind die
Kläger nicht zur Minderung der Miete wegen eines in einer Wohnflächenabwei-
chung liegenden Sachmangels berechtigt.
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 12.03.2008 - 414 C 28869/07 -
LG München I, Entscheidung vom 08.10.2008 - 14 S 5934/08 -