Urteil des BGH vom 19.12.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 7/07
Verkündet
am:
11. März 2008
Holmes,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Abs. 1 Ah, BGB § 1004; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 12
Zur Zulässigkeit der Bezeichnung von Milchprodukten als "Gen-Milch".
BGH, Urteil vom 11. März 2008 - VI ZR 7/07 - OLG Köln
LG Köln
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. März 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesge-
richts Köln vom 19. Dezember 2006 wird auf Kosten der Klägerin zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, einem eingetragenen Verein,
die Unterlassung, die von ihren Unternehmen vertriebenen Produkte ohne auf-
klärenden Zusatz als "Gen-Milch" zu bezeichnen.
1
Die Klägerin ist die Konzernobergesellschaft einer international tätigen
Unternehmensgruppe für Milch- und Molkereiprodukte, die sie u.a. unter den
Marken "Müller", "Weihenstephan", "Sachsenmilch" und "Loose" vertreibt. Die
zum Konzernverband der Klägerin gehörenden Unternehmen verarbeiten in
ihren Produkten Milch, die von Kühen stammt, die auch gentechnisch veränder-
te Futtermittel erhalten haben.
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Der Beklagte befasst sich mit Umwelt- und Tierschutz sowie der Ver-
braucheraufklärung, u.a. über Gefahren und Risiken des Einsatzes gentechni-
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scher Verfahren in der Lebensmittelproduktion. Er hält die Regelung der im Jahr
2004 in Kraft getretenen EG-Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und
Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen und über die Rückver-
folgbarkeit von aus genetisch veränderten Organismen hergestellten Lebens-
mitteln und Futtermitteln (VO [EG] Nr. 1830/2003 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 22. September 2003, ABl. L 268, S. 24 ff.) für unzurei-
chend, weil sie nicht zur Kennzeichnung solcher tierischer Produkte wie Milch
verpflichte, deren Erzeugertiere gentechnisch verändertes Futter erhalten ha-
ben. Darin sieht der Beklagte eine Verbraucherinformationslücke. Um diese
auszugleichen, trat er u.a. an die Klägerin mit der Forderung heran, den Milch-
lieferanten zur Auflage zu machen, auf gentechnisch veränderte Futtermittel zu
verzichten. Dieser Forderung kam die Klägerin nicht nach. Der Beklagte nahm
dies zum Anlass, auf sein Anliegen in Publikationen sowie bei diversen öffentli-
chen Aktionen unter Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" als Überschrift bzw.
Plakataufschrift aufmerksam zu machen.
Zwischen dem 28. April 2004 und dem 17. Mai 2004 stellte der Beklagte
mehrere Beiträge auf seinen Internetseiten ein, die unter Überschriften wie
"Gen-Milch, … oder was?", "Gen-Milch-Skandal bei der Müller-Partei?" oder
"Bundesweiter Protest gegen Gen-Milch" Kritik an der Weigerung der Klägerin
übten, auf die Verwendung gentechnisch veränderter Futtermittel bei der Pro-
duktion der verarbeiteten Milch zu verzichten. Am 30. April 2004 demonstrierten
Anhänger des Beklagten unter Verwendung von Schildern mit Parolen gegen
"Gen-Milch" vor einem zur Unternehmensgruppe der Klägerin gehörenden Ge-
bäude in A.. Am 3. Mai 2004 veranstaltete der Beklagte in M. unter dem Banner
"Echt lecker - geht nur ohne Gen-Milch, Herr Müller" ein öffentliches Milchreis-
kochen. Am 10. Mai 2004 demonstrierten Anhänger des Beklagten vor dem zur
Unternehmensgruppe der Klägerin gehörenden Werk in L. u.a. unter Verwen-
dung von Plakaten mit der Aufschrift "Stoppt Gen-Milch von Müller". Am 27. No-
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vember 2004 räumten Aktivisten des Beklagten in mehr als 100 Supermärkten
Produkte der Klägerin aus den Regalen und legten sie in Einkaufswagen, an
denen sich Hinweisschilder mit der Aufschrift "Müller-Milch = Gen-Milch*" und
dem Zusatz "*Mit genmanipuliertem Tierfutter hergestellt" befanden. Ab Mitte
Januar 2005 fuhren Mitarbeiter des Beklagten mit einer mobilen Milchbar durch
Deutschland, an der sie Passanten Milch zum Verzehr anboten und Protest-
schilder mit Texten wie "Ich will keine Gen-Milch von Müller" verwendeten. In
einem auf seine Internetseiten eingestellten Aufruf "Müller gegen Müller" lud der
Beklagte zum "Protest gegen die Gen-Milch" ein. Außerdem vertreibt er einen
Einkaufsratgeber "Essen ohne Gentechnik", in dem er u.a. auflistet, ob die darin
genannten Firmen garantieren, keine tierischen Rohstoffe zur Herstellung ihrer
Produkte zu verwenden, die von Tieren stammen, die mit gentechnisch verän-
derten Pflanzen gefüttert wurden. In der - inzwischen überholten - 6. Auflage
dieses Ratgebers hieß es dort u.a.: "Müller-Milch ist Gen-Milch".
Die Klägerin ist der Auffassung, in dem Begriff "Gen-Milch" liege die un-
wahre Tatsachenbehauptung, die von ihren Unternehmen verarbeitete Milch sei
"genbehandelt". Dafür beruft sie sich u.a. auf Meinungsumfragen zum Verbrau-
cherverständnis. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und
dem Beklagten unter Klagabweisung im Übrigen untersagt, die Produkte der
Klägerin, gegebenenfalls unter Hinweis auf den Einsatz gentechnisch veränder-
ter Futtermittel, als "Gen-Milch" zu bezeichnen, sofern nicht gleichzeitig darauf
hingewiesen werde, dass die Produkte selbst nicht gentechnisch verändert sei-
en bzw. dass sich nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand in den Produkten
auch keine Komponenten aus der gentechnischen Veränderung der Futtermittel
nachweisen ließen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht
die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zuge-
lassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils des
Landgerichts.
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Entscheidungsgründe:
I.
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Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in NJW-RR 2007, 698
abgedruckt ist, verneint Unterlassungsansprüche der Klägerin. In der Ver-
wendung des Begriffs "Gen-Milch" durch den Beklagten liege eine von Art. 5
Abs. 1 GG gedeckte Meinungsäußerung. Sie überschreite nicht die Grenze der
Schmähkritik und sei unter Abwägung zwischen der Schwere der damit verbun-
denen Beeinträchtigung der Klägerin und dem Gewicht der Meinungsäuße-
rungsfreiheit des Beklagten als rechtmäßig einzustufen. Der Begriff "Gen-Milch"
sei isoliert betrachtet substanzarm und ohne Tatsachengehalt. Bei der gebote-
nen Einbeziehung des Kontextes, in dem der Beklagte diesen Begriff verwendet
habe, lasse sich der beanstandeten Äußerung keine unwahre Tatsachenbe-
hauptung entnehmen. Aus Meinungsumfragen zum Verbraucherverständnis er-
gebe sich nichts anderes, weil in diesen der relevante Kontext unberücksichtigt
geblieben sei. Abgesehen davon erfasse ein unvoreingenommener und ver-
ständiger Bürger die Neuschaffung des Begriffs "Gen-Milch" und wisse, dass
Aktionen des Beklagten von Informationen und Presseerklärungen begleitet
würden, die vor Ort und im Internet zur Verfügung ständen.
Die Verwendung des beanstandeten Begriffs in Pressemitteilungen und
Kampagnen des Beklagten entfalte trotz deren Intensität und Dauer keine un-
verhältnismäßige Prangerwirkung. Eine Verurteilung zur Unterlassung der Ver-
wendung des Begriffs "Gen-Milch" ohne die von der Klägerin gewünschten er-
klärenden Zusätze komme auch deshalb nicht in Betracht, weil diese inhaltlich
nicht gerechtfertigt seien. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts zur Verneinung der "Günstigkeitsregel" bei Unterlassungsansprüchen
im Falle mehrdeutiger Äußerungen (BVerfGE 114, 339 = NJW 2006, 207;
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BVerfG, NJW 2006, 3769) gelte nur, wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht
betroffen sei, nicht aber bei einer Beeinträchtigung des Unternehmenspersön-
lichkeitsrechts. Diesem komme in der Wechselwirkung gegenüber anderen
Grundrechten wie dem der Meinungsäußerungsfreiheit ein geringeres Gewicht
zu. Im Übrigen sei der Begriff "Gen-Milch" nicht mehrdeutig. Er enthalte auch
unter Berücksichtigung des Kontextes, in dem der Beklagte ihn verwendet ha-
be, keine Tatsachenbehauptung.
II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung im Ergebnis
stand. Der Klägerin stehen Unterlassungsansprüche entsprechend § 1004
Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 823 Abs. 1, 824 BGB nicht zu.
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1. Durch die Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" für Produkte der Un-
ternehmen der Klägerin sind allerdings deren unternehmensbezogene Interes-
sen betroffen, die sowohl durch ihr Persönlichkeitsrecht als auch das Recht am
eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb geschützt sind. Wie die Revisi-
on mit Recht geltend macht, ist die Verwendung des beanstandeten Begriffs
geeignet, das unternehmerische wie das betriebliche Ansehen der Klägerin in
der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen und ihr damit auch wirtschaftlichen Scha-
den zuzufügen, denn mit der Bezeichnung "Gen-Milch" werden die so beschrie-
benen Produkte mit dem Einsatz gentechnischer Verfahren in Verbindung ge-
bracht, die von Teilen der Bevölkerung als gesundheitlich bedenklich angese-
hen werden und deshalb teilweise auf Ablehnung stoßen. Die Bezeichnung von
Produkten als "Gen-Milch" erweist sich deshalb zumindest für einen Teil der
Verbraucher als abwertend. Die dadurch hervorgerufene Betroffenheit der un-
ternehmensbezogenen Interessen der Klägerin besteht unabhängig davon, ob
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der beanstandete Begriff vorliegend als Meinungsäußerung oder Tatsachenbe-
hauptung einzustufen ist.
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2. Der Gebrauch des Begriffs "Gen-Milch" durch den Beklagten genießt
jedoch den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Nach den von der Revision
unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts verwendete der Be-
klagte den Begriff "Gen-Milch" im Rahmen einer gegen die Unternehmen der
Klägerin gerichteten Kampagne, die sich dagegen wandte, dass diese Unter-
nehmen bei der Herstellung ihrer Produkte u.a. Milch von Kühen verwenden,
die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert werden, was der Be-
klagte aus verschiedenen Gründen ablehnt. "Gen-Milch" bringt als Oberbegriff
der Kampagne plakativ und schlagwortartig diese Ablehnung zum Ausdruck.
Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG greift unabhängig davon ein, inwieweit der Begriff zu-
gleich einen tatsächlichen Kern aufweist. Denn der Schutzbereich des Grund-
rechts erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie Dritten
zur Meinungsbildung dienen können (vgl. Senatsurteil vom 5. Dezember 2006
- VI ZR 45/05 - VersR 2007, 249, 250 m.w.N.; BVerfG, NJW 2003, 1109; NJW
2004, 1942). Gleiches gilt, wenn es um eine Äußerung geht, in der sich Tat-
sachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der
Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt wird (vgl. Senatsurteile
BGHZ 132, 13, 21; vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR 2002, 445, 446
und vom 5. Dezember 2006 - VI ZR 45/05 - VersR 2007, 249, 250; BVerfGE 61,
1, 9 = NJW 1983, 1415, 1416; 85, 1, 15 = NJW 1992, 1439, 1440; BVerfG, NJW
2008, 358, 359). Beides ist hier der Fall.
3. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist allerdings nicht vor-
behaltlos gewährleistet, sondern findet seine Grenze nach Art. 5 Abs. 2 GG an
den allgemeinen Gesetzen, zu denen auch §§ 823 Abs. 1, 824, 1004 Abs. 1
Satz 2 BGB gehören. Den durch diese Vorschriften geschützten unterneh-
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mensbezogenen Interessen der Klägerin kommt über Art. 2 Abs. 1 GG und
Art. 12 GG zugleich verfassungsrechtlicher Schutz zu (vgl. BVerfGE 105, 252,
272 = NJW 2002, 2621, 2622; BVerfG, NJW 1994, 1784; NJW-RR 2004, 1710,
1711; NJW 2008, 358, 359).
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a) Um die Zulässigkeit einer Äußerung zu beurteilen, sind die betroffenen
Interessen einander in einer umfassenden Abwägung zuzuordnen, bei der alle
wesentlichen Umstände zu berücksichtigen sind (BVerfG, NJW 2008, 358,
359). Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen
offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interes-
sen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interes-
sensphäre anderer ergeben (Senatsurteil BGHZ 138, 311, 318; BGH, BGHZ
166, 84, 109). Gleiches gilt für das Persönlichkeitsrecht des Unternehmens (vgl.
Senatsurteil vom 8. Februar 1994 - VI ZR 286/93 - VersR 1994, 570, 572; BGH,
BGHZ 166, 84, 111). Bei dieser Abwägung sind die betroffenen Grundrechte
interpretationsleitend zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 114, 339, 348 = NJW
2006, 207, 208 m.w.N.).
b) Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung in erster Linie vom
Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen wer-
den, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht
(BVerfGE 99, 185, 196 = NJW 1999, 1322, 1324; BVerfG, NJW 2003, 1856,
1857; NJW-RR 2006, 1130, 1131). Auch wenn sich wertende und tatsächliche
Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese insgesamt als Werturteil
anzusehen ist, kann die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile im Rahmen
der Abwägung eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen fal-
sche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, so wird regelmäßig das
Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter dem durch das grundrechtsbeschrän-
kende Gesetz geschützten Rechtsgut zurücktreten (BVerfGE 85, 1, 17, 20 f. =
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NJW 1992, 1439, 1440; 90, 241, 248 f. = NJW 1994, 1779; Senatsurteil vom
20. November 2007 - VI ZR 144/07 - Rn. 12, juris). Jedenfalls fällt die Richtig-
keit des tatsächlichen Äußerungsgehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, bei
der Abwägung ins Gewicht (BVerfGE 94, 1, 8 = NJW 1996, 1529, 1530;
BVerfG, NJW 2008, 358, 359; vgl. auch BVerfG, NJW 2003, 1856, 1857; NJW
2004, 277, 278; NJW-RR 2006, 1130, 1131; Senatsurteil vom 20. November
2007 - VI ZR 144/07 - aaO).
c) Der von der Klägerin beanstandete Begriff ist demgemäß darauf zu
überprüfen, ob mit ihm unwahre Tatsachen behauptet werden (vgl. Senatsurteil
vom 25. November 2003 - VI ZR 226/02 - VersR 2004, 343, 345). Eine Äuße-
rung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erwei-
sen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkre-
ten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird (Senatsurteile
BGHZ 132, 13, 21; vom 22. Juni 1982 - VI ZR 251/80 - VersR 1982, 904, 905
und vom 17. Dezember 1991 - VI ZR 169/91 - NJW 1992, 1314, 1316; vgl. auch
Senatsurteil vom 20. November 2007 - VI ZR 144/07 - Rn. 7 ff., juris). Auch die
schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts kann selbst dann,
wenn sie sich wertender Schlagworte bedient, unrichtige Tatsachenbehauptun-
gen enthalten (vgl. Senatsurteile vom 17. November 1992 - VI ZR 352/91 -
VersR 1993, 364, 365 und vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR
1993, 193, 194). Anders liegt es jedoch, wenn der tatsächliche Gehalt der Äu-
ßerung so substanzarm ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz
zurücktritt (Senatsurteile BGHZ 45, 296, 304; 139, 95, 103; vom 30. Mai 1974
- VI ZR 174/72 - MDR 1974, 921 und vom 22. Juni 1982 - VI ZR 251/80 - VersR
1982, 904, 905), insbesondere wenn eine unternehmensbezogene Kritik im we-
sentlichen Kern keine auf ihre Richtigkeit überprüfbare substantiierte Aussage
enthält, sondern lediglich eine pauschale subjektive Bewertung des geschäftli-
chen Verhaltens (Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR
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2002, 445, 446; vgl. auch Senatsurteil vom 20. Mai 1969 - VI ZR 256/67 -
GRUR 1969, 555, 557 f.). Ist eine Äußerung derart substanzarm, dass sich ihr
eine konkret greifbare Tatsache nicht entnehmen lässt und sie ein bloß pau-
schales Urteil enthält, tritt der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung zu-
rück und beeinflusst die Abwägung nicht (BVerfGE 61, 1, 9 f. = NJW 1983,
1415, 1416; BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1711).
4. Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme des Berufungsgerichts, in
der Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" durch den Beklagten im Zusammen-
hang mit Produkten der Klägerin liege keine unzulässige Tatsachenbehaup-
tung, nicht zu beanstanden. Die Sinndeutung des Begriffs unterliegt in vollem
Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteil vom
22. November 2005 - VI ZR 204/04 - VersR 2006, 382 m.w.N.), insbesondere
darauf, ob der Tatrichter rechtlich einwandfrei zwischen Tatsachenbehauptun-
gen und Meinungsäußerungen unterschieden hat (Senatsurteile BGHZ 132, 13,
21 und vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - VersR 2005, 277, 278
m.w.N.). Da es auf die Ermittlung des objektiven Sinns des Begriffs ankommt,
ist entscheidend weder die subjektive Absicht des Beklagten noch das subjekti-
ve Verständnis der betroffenen Klägerin und ihrer Unternehmen, sondern das
Verständnis, das ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum dem
Begriff ausgehend von seinem Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschlie-
ßend festlegen kann, unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachge-
brauchs und des sprachlichen Kontextes sowie der erkennbaren Begleitum-
stände, die den Sinn des Begriffs mitbestimmen, zumisst (vgl. Senatsurteil vom
22. November 2005 - VI ZR 204/04 - VersR 2006, 382 f. m.w.N.; BGH, BGHZ
166, 84, 101; BVerfGE 93, 266, 295 = NJW 1995, 3303, 3305).
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a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Beru-
fungsgerichts, der Begriff "Gen-Milch" sei als solcher substanzarm und weise
deshalb keinen greifbaren Bedeutungsgehalt auf, der über die Herstellung eines
unbestimmten Zusammenhangs zwischen der so bezeichneten Milch und der
Anwendung eines Verfahrens zur gentechnischen Veränderung im Lebensmit-
telbereich hinausgehe.
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aa) Aus der Vorsilbe "Gen" und einem Hauptwort zusammengesetzte
Begriffe wie etwa "Gen-Tomate", "Gen-Mais", "Gen-Soja", "Gen-Schaf" oder
"Gen-Food" haben sich zwar als Bezeichnungen eines nicht weiter konkretisier-
ten Zusammenhangs zwischen dem der Vorsilbe "Gen" angefügten Begriff und
bestimmten Verfahren zur gentechnischen Veränderung von Organismen ein-
gebürgert. Sie bezeichnen aber bereits diesen Zusammenhang insofern verkür-
zend und sachlich nicht treffend, als unter "Gen" lediglich der Träger der Erbin-
formation von Lebewesen zu verstehen ist. Schon deshalb liegt es fern, ihnen
einen weitergehenden konkreten Bedeutungsgehalt beizumessen.
17
bb) Darüber hinaus verunklart der Begriff "Gen-Milch" insofern den damit
möglicherweise bezeichneten Zusammenhang und deutet ihn somit allenfalls
undifferenziert an, als eine gentechnische Veränderung allein an Lebewesen in
Betracht kommt. "Gen-Milch" kann ebenso wie etwa "Gen-Food" eine mehr
oder weniger große Vielfalt von Zusammenhängen bezeichnen, in denen das
Produkt mit einem genveränderten Organismus steht. Einen darüber hinausge-
henden greifbaren Tatsachenkern weisen derartige Begriffe aus sich heraus
nicht auf; anderes zeigt auch die Revision nicht auf. Mit Bezeichnungen wie
"Gen-Mais", "Gen-Soja" oder "Gen-Schaf" ist "Gen-Milch" schon deswegen
nicht auf eine Stufe zu stellen, weil Pflanzen und Tiere als Lebewesen im
Unterschied zur Milch gentechnischer Veränderung ihres Erbguts zugänglich
sind
.
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cc) Wenn der Beklagte mit dem Begriff "Gen-Milch" einen nicht weiter
konkretisierten Zusammenhang herstellt zwischen den bezeichneten Produkten
und der Anwendung eines Verfahrens zur gentechnischen Veränderung im Le-
bensmittelbereich, so liegt darin keine unwahre konkrete Tatsachenbehaup-
tung. Dass Produkte der Unternehmen der Klägerin u.a. aus Milch von mit
genmanipulierten Pflanzen gefütterten Tieren hergestellt werden, ist zwischen
den Parteien unstreitig. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob sich die
betroffene Milch in ihrer Beschaffenheit von Milch unterscheidet, bei deren Her-
stellungsprozess auf den Einsatz von Verfahren zur gentechnischen Verände-
rung verzichtet wurde und ob genmanipulierte Desoxyribonukleinsäure (deoxy-
ribonucleic acid, im Folgenden: DNA) aus Futtermitteln nach wissenschaftlicher
Erkenntnis in die Milch übergehen kann. Denn selbst wenn ein Einfluss der an-
gewandten Verfahren auf die Beschaffenheit von Milch und Milchprodukten
nicht besteht oder nicht nachweisbar ist, weist der Begriff "Gen-Milch" aus sich
heraus schon deshalb keinen unwahren konkreten Tatsachenkern auf, weil ein
- allerdings weit verstandener - Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Ver-
fahren zur gentechnischen Veränderung und Produkt schon darin gesehen
werden kann, dass ein solches Verfahren im Produktionsprozess zur Anwen-
dung kommt. Ob diese Sicht angemessen oder gar überzeugend ist, berührt
den Bereich der Meinungsäußerung, die vom Element der Stellungnahme und
des Dafürhaltens gekennzeichnet wird und sich deshalb nicht als wahr oder
unwahr erweisen lässt (vgl. Senatsurteil vom 16. November 2004 - VI ZR
298/03 - VersR 2005, 277, 278 m.w.N.).
19
b) Allerdings erschließt sich allein aus dieser Betrachtung des Begriffs
"Gen-Milch" als solchem noch nicht abschließend der rechtlich relevante Be-
deutungsgehalt. Denn eine Äußerung ist nicht isoliert zu würdigen, sondern in
dem Gesamtzusammenhang, in dem sie gefallen ist (vgl. Senatsurteile vom
16. November 2004 - VI ZR 298/03 - VersR 2005, 277, 279 und vom 5. Dezem-
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- 14 -
ber 2006 - VI ZR 45/05 - VersR 2007, 249, 251, jeweils m.w.N.). Daran ändert
auch die Bedeutung des Begriffs als schlagwortartiger, kennzeichnender Ober-
begriff der Kampagne des Beklagten nichts. Gerade schlagwortartige Begriffe
sind in ihrem Kontext zu beurteilen (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2013, 2014; Prinz/
Peters, Medienrecht, 1999, Rn. 18; Seelmann-Eggebert, AfP 2007, 86, 90).
Zwar mag im Ausnahmefall anderes gelten, etwa wenn nahe liegt, dass der
Durchschnittsrezipient das herausgestellte Schlagwort isoliert wahrnimmt und
es zu einer neuen eigenständigen Information verarbeitet (vgl. KG, AfP 1999,
369, 370; OLG Hamburg, AfP 1988, 247). Dies ergeben die Feststellungen des
Berufungsgerichts aber nicht. Insbesondere ist seine Auffassung zutreffend, es
seien auch die Internetbeiträge des Beklagten in ihrem Gesamtzusammenhang
zu betrachten, weil eine Wahrnehmung nur der Schlagworte und Überschriften
anders als beim "Kioskleser" (vgl. BVerfGE 97, 125, 152 = VersR 1998, 774,
777 = NJW 1998, 1381, 1384; OLG Hamburg, aaO) bei dem hier in Betracht
kommenden Durchschnittsrezipienten, der die Internetbeiträge erst eigens auf-
rufen muss, ausscheide (vgl. BVerfGE 43, 130, 140 = NJW 1977, 799, 800; KG,
aaO). Soweit, wie etwa bei der "Milchbaraktion" des Beklagten, bei der ein Pro-
testschild mit dem Text "Ich will keine Gen-Milch von Müller" verwendet wurde,
die Möglichkeit bestanden haben mag, dass einzelne Empfänger von den Akti-
onen nur die Schlagworte wahrnahmen, ergibt sich daraus nichts anderes.
Denn insoweit handelte es sich erkennbar um den plakativen und für sich ge-
nommen substanzarmen Ausdruck von Protest, mit dem der Beklagte sein An-
liegen öffentlichkeitswirksam zusammenfassen, Interesse daran wecken und
Aufmerksamkeit erregen wollte. Die Schlagworte waren ersichtlich aus dem
Kontext ergänzungsbedürftig, um überhaupt zu einer verwertbaren Information
zu gelangen (vgl. OLG Köln, AfP 1985, 295, 296; KG, aaO, S. 371 f.).
- 15 -
c) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass sich bei der gebote-
nen Einbeziehung des Kontextes der objektive Sinngehalt des Begriffs "Gen-
Milch" bei allen zu beurteilenden Aktionen aus dem festgestellten Gesamtzu-
sammenhang erschloss, in den ihn der Beklagte stellte, und dass der Begriff
danach keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthielt.
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22
aa) In den Beiträgen, die er auf seine Internetseiten eingestellt hatte und
in deren Text bzw. Überschriften er den Begriff "Gen-Milch" verwendete, brach-
te der Beklagte erkennbar seine Ablehnung gegen die Verwendung von Futter-
mitteln aus genveränderten Pflanzen bei Kühen, deren Milch u.a. die Unter-
nehmen der Klägerin verarbeiten, sowie seine Kritik daran zum Ausdruck, dass
insofern eine Kennzeichnungspflicht nicht besteht. Bei den Demonstrationen
am 30. April 2004 in A. sowie am 10. Mai 2004 in L. und bei der Veranstaltung
am 3. Mai 2004 in M. ging nach den Feststellungen des Berufungsgerichts aus
mitgeführten Plakaten und Fahrzeugen unzweideutig das Anliegen des Beklag-
ten hervor, seine Ablehnung gegen die Verwendung von gentechnisch verän-
derten Futtermitteln bei der Milchproduktion u.a. der Klägerin zum Ausdruck zu
bringen. Gleiches gilt für die Protestaktion "Müller gegen Müller" sowie den Ge-
samtzusammenhang des Textes in dem von dem Beklagten vertriebenen Ein-
kaufsratgeber. Die mit ihm verbundenen textlichen und sonstigen Erläuterungen
verleihen dem schlagwortartig in Bezug auf die Klägerin verwendeten Begriff
"Gen-Milch" einen im jeweiligen Kontext ersichtlichen Bedeutungsgehalt als
Oberbegriff der Kampagne und plakative Zusammenfassung der von dem Be-
klagten geübten Kritik. Einen unwahren Tatsachenkern enthält der Begriff je-
denfalls bei Einbeziehung des Gesamtzusammenhangs nicht.
bb) Gleiches gilt für die Verwendung des Begriffs unter unmittelbarem
Hinweis auf den Einsatz von Futtermitteln aus gentechnisch veränderten Pflan-
zen, insbesondere mit dem Zusatz "*Mit genmanipuliertem Tierfutter herge-
23
- 16 -
stellt".
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass derartige Hinwei-
se lediglich die von dem Beklagten geübte Kritik verdeutlichen. Dass sich diese
Kritik nicht außerdem aus dem jeweiligen Gesamtzusammenhang ergeben hät-
te, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und zeigt die Revision nicht auf.
Eine Aussage darüber, ob sich genmanipulierte DNA aus Futtermitteln in der
Milch befinde bzw. in die Milch übergehe, enthält die Begriffskombination gera-
de nicht. Der Hinweis auf "genmanipuliertes Tierfutter" erschöpft sich in der
Konkretisierung, dass gentechnische Verfahren im Herstellungsprozess der
Milchprodukte insofern zur Anwendung kommen, als die Tiere mit genveränder-
ten Pflanzen gefüttert werden.
cc) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist auch nicht deshalb
begründet, weil der Beklagte in dem den Begriff "Gen-Milch" erläuternden Kon-
text zugleich auch unwahre Tatsachen behauptet hätte. Zwar kann selbst eine
schlagwortartig verkürzte Wiedergabe oder Zusammenfassung eines Sachver-
halts, die für sich betrachtet eine bloß subjektive Wertung darstellt, durch die
Behauptung konkreter und einem Beweis zugänglicher Vorgänge im Kontext
inhaltlich ausgefüllt werden und dadurch die Qualität einer - ggf. unrichtigen -
Tatsachenbehauptung gewinnen (vgl. Senatsurteile vom 17. November 1992
- VI ZR 352/91 - VersR 1993, 364, 365; vom 13. Januar 1987 - VI ZR 45/86 -
NJW 1987, 1403; vom 11. Juli 1989 - VI ZR 255/88 - VersR 1989, 1048 und
vom 17. November 1992 - VI ZR 344/91 - VersR 1993, 193, 194). Doch lässt
sich unabhängig davon, ob unter dieser Voraussetzung die Verwendung des
Schlagworts selbst oder nur die Äußerung der im Kontext aufgestellten unzu-
treffenden Behauptungen zu untersagen wäre, solange das Schlagwort nicht
jeder sachlichen Grundlage entbehrt (vgl. OLG Hamburg, NJW 1992, 2035),
den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen,
dass der Beklagte konkrete unrichtige Tatsachen behauptet hätte. Insbesonde-
re findet sich nach diesen Feststellungen im entscheidenden Gesamtzusam-
24
- 17 -
menhang nicht die Behauptung, die Milchprodukte enthielten Milch, die selbst
gentechnisch verändert sei, oder DNA gentechnisch veränderter Organismen
aus Futtermitteln. Auch in über Internet verbreiteten Äußerungen wie es werde
versucht, den Verbrauchern "Gentechnik unterzuschieben",
oder es habe "Gen-
technik im Essen" nichts zu suchen, liegt eine solche Behauptung nicht. Diese
Äußerungen sind für sich betrachtet schon wegen der Vielzahl an Sachverhal-
ten, die der Begriff "Gentechnik" bezeichnen kann, wenig greifbar. Bei Würdi-
gung des Gesamtzusammenhangs liegt ihr Bedeutungsgehalt erkennbar in der
kritischen Einstufung des keiner Kennzeichnungspflicht unterliegenden Ver-
triebs von Produkten aus Milch, die von mit genmanipulierten Pflanzen gefütter-
ten Tieren stammt, als "Unterschieben von Gentechnik"; sie bringen die Wer-
tung zum Ausdruck, es befinde sich schon dadurch "Gentechnik im Essen". Ei-
nen unzutreffenden Tatsachenkern enthalten diese Meinungsäußerungen nicht.
Eine Aussage zur Frage des Übergangs genmanipulierter Bestandteile von Fut-
termitteln in Milch ist ihnen nicht zu entnehmen, vielmehr enthält sich der Be-
klagte im relevanten Kontext erkennbar einer konkreten Stellungnahme dazu.
Unerheblich ist, welche Auffassung der Beklagte hierzu andernorts vertritt oder
vertreten hat und ob die im Zusammenhang mit den in der Presseerklärung
vom 21. Juni 2004 berichteten Vorgängen über einen Fund von transgenen Be-
standteilen von Futtermitteln in Milch geäußerten Einschätzungen des Beklag-
ten zutrafen. Denn es ist weder vom Berufungsgericht festgestellt noch macht
die Revision geltend, dass diese Äußerungen in einer Beziehung zu der in Be-
zug auf die Klägerin gebrauchten Bezeichnung "Gen-Milch" standen und da-
durch deren Bedeutungsgehalt beeinflussten.
dd) Auf die äußeren Umstände der Verwendung des Begriffs "Gen-Milch"
im Zusammenhang mit dem Versehen von Produkten mit Banderolen und Auf-
klebern in diversen Geschäften am 15. Mai 2004, mit der Verfremdung der Zei-
chentrickfolge, mit der "Supermarkt-Absperrband-Aktion" vom 18. Dezember
25
- 18 -
2004 sowie mit der Diaprojektion in L. am 25. November 2004 kann die Klägerin
Ansprüche nicht stützen. Zu entscheiden ist lediglich über die Zulässigkeit der
Verwendung des Begriffs "Gen-Milch" im Rahmen der Kampagne, nicht über
die Rechtmäßigkeit der Aktionen auf Grund der äußeren Umstände als solche
(vgl. OLG Stuttgart, NJW-RR 2006, 765). Dass die äußeren Umstände, unter
denen die Verwendung der beanstandeten Begriffe anlässlich der "Supermarkt-
Absperrband-Aktion" vom 18. Dezember 2004 erfolgte, diesen Begriffen einen
rechtswidrigen Inhalt gaben, ist nicht ersichtlich und macht die Revision nicht
geltend. Hinsichtlich der übrigen Aktionen hat das Berufungsgericht bereits die
erforderliche (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. §§ 823 Abs. 1, 824 BGB)
Wiederholungsgefahr verneint, was die Revision nicht beanstandet und was
Rechtsfehler nicht erkennen lässt.
d) Im Ergebnis zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass sich auch
aus den Meinungsumfragen zum Verbraucherverständnis des Begriffs "Gen-
Milch" nicht dessen Unzulässigkeit ergibt. Verbraucherbefragungen zum Ver-
ständnis des Durchschnittsrezipienten sind zwar grundsätzlich in die rechtliche
Würdigung von Äußerungen einzubeziehen, doch kommt ihnen jedenfalls dann
keine entscheidende Bedeutung zu, wenn es Gründe gibt, die gegen ihre Stich-
haltigkeit oder Verwertung als Beweismittel sprechen (vgl. BVerfG, NJW 1993,
1461 f.). So liegt es hier, ohne dass es darauf ankommt, ob die durchgeführten
Umfragen die von dem Beklagten behaupteten Mängel aufweisen. Die Befrag-
ten verbanden mit dem isoliert betrachteten Begriff "Gen-Milch" bzw. mit einem
Plakat, als dessen Urheber der Beklagte ausgewiesen war und das den Text
"Müller-Milch = Gen-Milch*, *Mit genmanipuliertem Tierfutter hergestellt" ent-
hielt, sehr unterschiedliche Vorstellungen. Dies belegt lediglich die Substanz-
armut des Begriffs als solchem, dass mit ihm eine Vielfalt von Zusammenhän-
gen bezeichnet sein kann, in denen das bezeichnete Produkt mit einem gen-
veränderten Organismus steht, und dass die Bedeutung des Begriffs in der von
26
- 19 -
dem Beklagten vertretenen Interpretation selbst bei ausschließlich isolierter Be-
trachtung nicht fern liegt. Darüber hinausgehende Bedeutung für die hier zu
treffende Entscheidung kommt den Umfragen schon deshalb nicht zu, weil dort
der für die Ermittlung des objektiven Sinngehalts entscheidende Gesamtzu-
sammenhang keine Berücksichtigung gefunden hat.
27
e) Demnach kommt dem beanstandeten Begriff bei Anlegung der zur
Sinnermittlung geltenden rechtlichen Maßstäbe, insbesondere bei Einbeziehung
des vom Berufungsgericht unbeanstandet festgestellten Gesamtzusammen-
hangs und bei Ausscheidung von fern liegenden Deutungen (vgl. BVerfGE 93,
266, 296 = NJW 1995, 3303, 3305; 114, 339, 348 = NJW 2006, 207, 208;
BVerfG, NJW 2006, 3769, 3771; BVerfGK 7, 1, 9 f.), kein mehrdeutiger Inhalt
zu. Die etwaige bloße Möglichkeit, dass einzelne Rezipienten den Begriff "Gen-
Milch" missverstehen, weil sie in ihn von seinem objektiven Sinngehalt nicht
gedeckte subjektive Vorstellungen "hineininterpretieren", könnte die geltend
gemachten Ansprüche nicht begründen (vgl. Senatsurteile BGHZ 78, 9, 14 ff.;
vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 53/91 - VersR 1992, 363, 365 und vom
17. Dezember 1991 - VI ZR 169/91 - NJW 1992, 1314, 1315; BVerfG, NJW
1993, 1463; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung,
5. Aufl., Kap. 4 Rn. 94). Bei dieser Sachlage kommt es weder darauf an, dass
bei der Entscheidung über die Pflicht zur Unterlassung künftiger Äußerungen
mit mehrdeutigem Inhalt der Abwägung mit dem durch die Äußerung betroffe-
nen Persönlichkeitsrecht natürlicher Personen alle nicht entfernt liegenden Deu-
tungsvarianten zu Grunde zu legen sind und kein verfassungsrechtlich tragfähi-
ger Grund besteht, von einer Verurteilung zum Unterlassen nur deshalb abzu-
sehen, weil die Äußerung mehrere Deutungsvarianten zulässt, darunter auch
solche, die zu keiner oder nur einer geringeren Persönlichkeitsverletzung führen
(BVerfGE 114, 339, 349 f. = NJW 2006, 207, 208 f.; BVerfG, NJW 2006, 3769,
3773; AfP 2006, 550, 552), noch ist entscheidend, ob diese Grundsätze auch
- 20 -
auf Äußerungen anzuwenden sind, die den Gewerbebetrieb und das Persön-
lichkeitsrecht von Unternehmen beeinträchtigen, und ob sie mit dieser Begrün-
dung auch vorliegend heranzuziehen wären
.
28
5. Zu Recht gelangt das Berufungsgericht zu der Auffassung, die mit
dem Begriff "Gen-Milch" verbundene Kritik greife auch im Übrigen nicht rechts-
widrig in unternehmensbezogene Interessen der Klägerin ein. Ihr stehen die
geltend gemachten Ansprüche deshalb unabhängig davon nicht zu, ob, wie das
Berufungsgericht meint, eine Verurteilung entsprechend den Klaganträgen be-
reits deshalb ausscheidet, weil die aufklärenden Zusätze allgemein anerkannte
Tatsachen zum Gegenstand haben oder inhaltlich unzutreffend sind.
a) Ein Gewerbetreibender muss eine der Wahrheit entsprechende Kritik
an seinen Leistungen grundsätzlich hinnehmen (Senatsurteile BGHZ 138, 311,
320; vom 25. November 1986 - VI ZR 269/85 - VersR 1987, 184, 185 und vom
29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 - VersR 2002, 445, 446). Sie ist in der Regel
auch dann vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1
GG gedeckt, wenn sie scharf, überzogen oder gar ausfällig formuliert ist, und
kann nur unter engen Voraussetzungen als unzulässige Schmähkritik angese-
hen werden (Senatsurteil vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - VersR
2005, 277, 279; vgl. auch Senatsurteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 20/01 -
VersR 2002, 445, 446). Einen solchen Charakter nimmt sie erst an, wenn in ihr
nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des
Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter
Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (vgl. Se-
natsurteile BGHZ 143, 199, 209 und vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03 -
VersR 2005, 277, 279; BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303, 3304). Dies
ist, was auch die Revision nicht bezweifelt, bei der unter Verwendung des Beg-
riffs "Gen-Milch" an der Klägerin geübten Kritik nicht der Fall.
29
- 21 -
b) Die erforderliche Abwägung (vgl. BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1712;
NJW 2008, 358, 359) fällt, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend er-
kennt, zugunsten des Beklagten aus.
30
31
aa) Handelt es sich wie hier um einen Beitrag zum geistigen Meinungs-
kampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine
Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (vgl. Senatsurteil vom 12. Ok-
tober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 59; BGH, BGHZ 166, 84, 110;
BVerfGE 93, 266, 294 = NJW 1995, 3303, 3304). In der öffentlichen Diskussion
von Themen wie der Anwendung gentechnischer Verfahren bei der Lebensmit-
telproduktion und der Reichweite der Kennzeichnungspflicht, die für breite Be-
völkerungskreise von erheblicher Bedeutung sind, dürfen - angesichts der heu-
tigen Reizüberflutung - auch einprägsame, starke Formulierungen verwendet
werden, selbst wenn sie eine scharfe und abwertende Kritik zum Inhalt haben
und mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden; ob andere diese Kritik für
"falsch" oder "ungerecht" halten, ist nicht von Bedeutung (vgl. Senatsurteile
vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 59; vom 30. Mai 2000
- VI ZR 276/99 - VersR 2000, 1162, 1163 und vom 29. Januar 2002 - VI ZR
20/01 - VersR 2002, 445, 446). Die Abwertung der Produkte als "Gen-Milch"
überschreitet diese Grenzen nicht, auch wenn der nicht generell einem Sach-
lichkeitsgebot unterliegende (vgl. BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1712) Beklagte
seine Kritik hätte weniger scharf oder sachlicher formulieren können. Diese Kri-
tik muss die Klägerin auch dann hinnehmen, wenn sie die gegen den Einsatz
gentechnischer Verfahren in der Lebensmittelproduktion vorgebrachten Ein-
wände für haltlos, die behaupteten Risiken für nicht gegeben und die geübte
Kritik deshalb für einseitig und tendenziell hält, denn Art. 5 Abs. 1 GG erlaubt
dem Beklagten, seinen Standpunkt auch überpointiert zur Geltung zu bringen
und beschränkt ihn nicht auf eine ausgewogene oder gar schonende Darstel-
lung (vgl. Senatsurteil BGHZ 91, 117, 121). Die Schranken, denen die Aufklä-
- 22 -
rung der Verbraucher über die Güte von Konsumgütern insbesondere durch
vergleichende Warentests (Senatsurteil BGHZ 65, 325, 333 f.) unterliegt, gelten
für die hier streitigen Schlagworte nicht. Denn mit ihnen nimmt der Beklagte
Stellung im politischen Meinungskampf; Neutralität nimmt er dabei ebenso we-
nig für sich in Anspruch wie er Vertrauen in die Objektivität seiner Bewertung
schafft (vgl. BVerfG, NJW-RR 2004, 1710, 1712; Senatsurteil BGHZ 91, 117,
122).
bb) Obwohl dem Beklagten auch in der Darstellungsweise seiner Kritik
ein breiter Gestaltungsraum eingeräumt werden, ihm vor allem erlaubt sein
muss, seinen Standpunkt möglichst wirkungsvoll zu vertreten, indem er durch
die Wahl der Ausdrucksform Aufmerksamkeit auslöst (vgl. BVerfGK 7, 1, 11),
muss er seine Äußerungen auch in der Form noch in einem vertretbaren Ver-
hältnis zu seinem sachlichen Anliegen und zu den belastenden Auswirkungen
für die Klägerin halten (vgl. Senatsurteile BGHZ 91, 117, 122 und 161, 266,
269; Wenzel/Burkhardt aaO, Kap. 5 Rn. 150). Dass das Berufungsgericht diese
Grenze trotz der Intensität und Dauer der Kampagne für nicht überschritten hält,
ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die gewählte Kundgabeform war in
besonderer Weise geeignet, das mit der Meinungsäußerung verbundene Anlie-
gen zu erreichen (vgl. BVerfGK 7, 1, 11). Zwar weckt die Bezeichnung "Gen-
Milch" negative Assoziationen gegen die Klägerin und ihre Produkte, die ange-
sichts der Substanzarmut des Begriffs in der Lage sein mögen, bei die Kritik nur
oberflächlich wahrnehmenden Teilen des Publikums unbestimmte subjektive
Fehlvorstellungen über den Zusammenhang zwischen gentechnischen Verfah-
ren und den Produkten der Klägerin hervorzurufen, ohne dass diese Vorstellun-
gen vom objektiven Bedeutungsgehalt des Begriffs im Gesamtzusammenhang
gedeckt sind. Indes ergibt sich das darin liegende Schädigungspotential der
Kritik maßgeblich aus in der Bevölkerung bereits vorhandenen Befürchtungen
und Vorbehalten gegen die Anwendung gentechnischer Verfahren im Lebens-
32
- 23 -
mittelbereich. Wenn der Beklagte diese Grundeinstellung mit Hilfe von Schlag-
worten aufnimmt und zur Förderung seiner Ziele verstärkt, steht dies trotz der
möglicherweise erheblichen Folgen für die Klägerin jedenfalls solange nicht au-
ßer Verhältnis zu dem sachlichen Anliegen, wie dieses aus dem Kontext aus-
reichend deutlich wird und sich daraus die Bedeutung des Schlagworts zutref-
fend erschließt, was hier der Fall war.
cc) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass in der
Bezeichnung der Produkte als "Gen-Milch" auch keine unzulässige Anprange-
rung der Klägerin liegt. Anprangernde Wirkungen können von der Verbreitung
zutreffender, aber allgemein als negativ bewerteter Tatsachen ausgehen, aber
auch mit Werturteilen verbunden sein, wenn ein allgemeines Sachanliegen
durch identifizierende Herausstellung einzelner Personen und damit durch Per-
sonalisierung eines als negativ bewerteten Geschehens verdeutlicht werden
soll. Die damit verbundene Wirkungssteigerung der Meinungsäußerung muss
der Betroffene nur hinnehmen, wenn eine Abwägung mit den Belangen der
Meinungsfreiheit ergibt, dass der Schutz des beeinträchtigten Rechts zurückzu-
treten hat (vgl. BVerfG, AfP 2006, 550, 552; NJW-RR 2008, 200, 202; Senatsur-
teile BGHZ 161, 266, 269; vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994,
57, 59 und vom 12. Juli 1994 - VI ZR 1/94 - VersR 1994, 1116, 1117 f.). Eine
unzulässige Anprangerung wäre hier insbesondere anzunehmen, wenn der Be-
klagte die Produkte der Unternehmen der Klägerin ohne jeden sachlichen An-
lass in der geschehenen Weise herausgestellt hätte (vgl. Senatsurteil vom
25. November 1986 - VI ZR 269/85 - VersR 1987, 184, 185). Das war nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts aber nicht der Fall. Die Konzentration der
Kampagne auf die Klägerin machte das Vorgehen nicht unzulässig, auch wenn
sich das von dem Beklagten kritisierte Verhalten der Klägerin mit dem anderer
Unternehmen der Branche deckte. Die Klägerin als einflussreiches und bekann-
tes Unternehmen herauszugreifen, diente der nicht generell unzulässigen Ver-
33
- 24 -
deutlichung eines sachlichen Anliegens durch Personalisierung (vgl. Senatsur-
teile vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 58 f.; vom 12. Juli
1994 - VI ZR 1/94 - VersR 1994, 1116, 1118; BVerfG, NJW 1999, 2358, 2359;
AfP 2006, 550, 552; NJW-RR 2008, 200, 202) und beruhte nach den Feststel-
lungen des Berufungsgerichts maßgeblich auf der vertretbaren Überlegung,
durch eine Verhaltensänderung bei der Klägerin eine Sogwirkung in der Bran-
che auszulösen und die Effektivität der Kampagne dadurch zu erhöhen. Dass
der Beklagte seine Kritik, die sich nicht eigentlich gegen die Klägerin als solche,
sondern gegen jegliche Verwendung gentechnischer Verfahren in der Lebens-
mittelproduktion richtete, in unzulässiger Weise allein deshalb in der Klägerin
"personalisierte", um deren Bekanntheitsgrad und Werbekraft auf seine Kosten
für sich auszunutzen (vgl. Senatsurteil BGHZ 91, 117, 122), ergeben die Fest-
stellungen des Berufungsgerichts nicht und zeigt die Revision nicht auf, zumal
der Beklagte nicht in Wettbewerbsabsicht handelte. Aus der teilweisen Einbe-
ziehung des Herrn Theo Müller in die Kampagne, auf die die Revision hinweist,
ergibt sich nichts anderes. Unabhängig davon, ob sich die Klägerin selbst dar-
auf berufen könnte, ist Herr Theo Müller als Verantwortungsträger der Unter-
nehmen der Klägerin, nicht als Privatperson betroffen, was jedenfalls die Kläge-
rin selbst im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG hinzunehmen hat (vgl. Senatsurteil
vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 59).
- 25 -
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
34
Müller
Greiner
Wellner
Pauge
Stöhr
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 24.05.2006 - 28 O 358/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 19.12.2006 - 15 U 110/06 -