Urteil des BGH vom 29.05.2009

BGH (abweisung der klage, zpo, patent, bestand, patentanspruch, erweiterung, umfang, auflage, teil, patentregister)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
Xa ZR 68/07
vom
29. September 2010
in der Patentnichtigkeitssache
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Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. September 2010
durch die Richter Keukenschrijver, Dr. Berger, Dr. Grabinski, Dr. Bacher und
Hoffmann
beschlossen:
Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Be-
klagte 80 % und die Klägerin 20 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens und von den in beiden In-
stanzen angefallenen Kosten der Streithilfe tragen der Streithelfer
80 % und die Klägerin 20 %.
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Gründe:
I.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des Patents DD 256 169
(Streitpatents), das einen Windenergiekonverter betrifft. Das Streitpatent ist am
4. Juni 1986 in der Deutschen Demokratischen Republik als Wirtschaftspatent
mit zwölf Patentansprüchen angemeldet und ohne vollständige Prüfung erteilt
worden. Anmelder war der Streithelfer. Mit Ablauf des 4. Juni 2006 ist es nach
Ablauf der Höchstschutzdauer erloschen. Patentanspruch 1 lautet in der zu-
nächst erteilten Fassung (A1-Schrift):
1
"Windenergiekonverter mit verstellbaren Flügeln, gekennzeichnet dadurch, dass
eine Achse (8) in den Lagerstellen (L1, L2) im Abstand (l) gelagert ist und die Flü-
gelarme (3) und Rotoren (7) innerhalb eines maximalen Abstandes (2) angeordnet
und die Rotoren im P/n-Polabstand zueinander versetzt montiert sind und die Profi-
le Pa bis Pe eine Anstellwinkeldifferenz aufweisen, deren Einstellwinkeländerung
zwischen C
A
max und C
A
min liegt."
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Auf einen vom Streithelfer gestellten Prüfungsantrag hat das Deutsche
Patent- und Markenamt das Streitpatent in geänderter Fassung mit 16 Patent-
ansprüchen aufrechterhalten. Patentanspruch 1 lautet in dieser Fassung (B5-
Schrift):
"Getriebeloser Windenergiekonverter mit einem auf einem Mast oder Turm an-
geordneten Elektroenergiegenerator und mit verstellbaren Rotorblättern, wobei
diese mit dem rotierenden Teil des Elektroenergiegenerators verbunden sind, da-
durch gekennzeichnet, dass der Elektroenergiegenerator als ein Vielpolgenerator
mit einer leistungsabhängigen Anzahl von Polen versehen ausgebildet ist und ein
elektrodynamischer Rotor (7) des Vielpolgenerators mit einem aerodynamischen
Rotor, der Rotorblätter (3) trägt, auf einer gemeinsamen Konverterachse (8) ange-
ordnet ist."
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Die weiteren Patentansprüche sind in beiden Fassungen auf den jeweili-
gen Patentanspruch 1 zurückbezogen.
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Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt wegen unzureichender Offen-
barung, unzulässiger Erweiterung, fehlender Patentfähigkeit und Erweiterung
des Schutzbereichs angegriffen. Die Beklagte und der Streithelfer sind der
Klage entgegengetreten.
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Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt.
Dagegen hat der Streithelfer Berufung eingelegt, mit der er weiterhin die Ab-
weisung der Klage angestrebt und das Streitpatent hilfsweise in zuletzt 21 ge-
änderten Fassungen verteidigt hat. Die Klägerin ist dem Rechtsmittel entgegen-
getreten. Für die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren niemand gemeldet.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat sich ergeben, dass
über das Vermögen der Beklagten mit Verfügung des Bezirksgerichts Höfe vom
29. Mai 2009 der Konkurs eröffnet, das Konkursverfahren mit Verfügung vom
5. Juni 2009 mangels Aktiven eingestellt und die Eintragung der Beklagten im
Handelsregister am 7. Oktober 2009 von Amts wegen gelöscht worden ist. Die
Klägerin und der Streithelfer der Beklagten haben daraufhin den Rechtsstreit in
der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitige Kos-
tenanträge gestellt.
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II.
Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 91a ZPO überwiegend
der Beklagtenseite aufzuerlegen.
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1. Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Klägerin
und des Streithelfers der Beklagten ist gemäß § 91a ZPO nur noch über die
Kosten zu entscheiden. Der Streithelfer konnte die Erledigungserklärung auch
mit Wirkung für die Beklagte abgeben.
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a) Gemäß § 67 ZPO, der auch im Patentnichtigkeitsverfahren entspre-
chend heranzuziehen ist, kann ein Streithelfer alle Prozesshandlungen wirksam
vornehmen, soweit nicht seine Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen
und Handlungen der Hauptpartei in Widerspruch stehen. Einen solchen Wider-
spruch hat die Beklagte hier nicht erklärt.
9
b) Ob ein Streithelfer in bestimmten Konstellationen unabhängig von
einem Widerspruch der Hauptpartei daran gehindert ist, den Streitgegenstand
zu verändern (so beispielsweise BAG, Beschluss vom 6. November 1973
- 1 ABR 15/73, BB 1974, 372; MünchKomm./Schultes, 3. Auflage, § 67 ZPO
Rn. 16; Zöller/Vollkommer, 28. Auflage, § 67 ZPO Rn. 9a), bedarf im Streitfall
keiner Entscheidung. Selbst wenn diese Auffassung zuträfe, stünde dies einer
wirksamen Erledigungserklärung in der vorliegenden Konstellation nicht entge-
gen.
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Sofern die Hauptpartei nicht widerspricht, darf ein Streithelfer jedenfalls in
der Weise auf den Streitgegenstand einwirken, dass er ein von ihm selbst ein-
gelegtes Rechtsmittel wieder zurücknimmt (BGH, Beschluss vom 28. Septem-
ber 1998 - II ZB 16/98, NJW-RR 1999, 285, 286 für streitgenössische Neben-
intervention; MünchKomm./Schultes, 3. Auflage, § 67 ZPO Rn. 12; Zöller/
Vollkommer, 28. Auflage, § 67 ZPO Rn. 5). In derselben Konstellation muss es
einem Streithelfer des Beklagten erst recht möglich sein, die Verfahrensbeendi-
gung durch Zustimmung zu einer Erledigungserklärung des Klägers herbeizu-
führen. Diese Art der Erledigung ist für die unterstützte Beklagte günstiger als
eine Rücknahme der Berufung, weil das angefochtene Urteil wirkungslos wird.
Im Streitfall hat lediglich der Streithelfer Berufung gegen das der Klage in
vollem Umfang stattgebende Urteil des Patentgerichts eingelegt. Er war des-
halb befugt, den Rechtsstreit auch mit Wirkung für die im Berufungsverfahren
nicht aktiv gewordene Beklagte in der Hauptsache für erledigt zu erklären.
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2.
Auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes bis zur übereinstim-
menden Erledigungserklärung wäre die Berufung jedenfalls zu einem Teil er-
folglos geblieben. Im Übrigen war der Ausgang des Verfahrens offen.
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a) Die Klage war trotz des Erlöschens des Streitpatents zulässig. Das
nach dem Erlöschen erforderliche Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin ergab
sich daraus, dass sie befürchten muss, von der Beklagten oder vom Streithelfer
wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen zu werden. Dem
steht nicht entgegen, dass die Verletzungsklage des Streithelfers rechtskräftig
abgewiesen worden ist. Die Abweisung wurde darauf gestützt, dass der Streit-
helfer im Patentregister nicht als Inhaber des Streitpatents eingetragen ist. Dies
lässt dem Streithelfer die Möglichkeit, die Klägerin erneut in Anspruch zu neh-
men, falls dieser wieder als Inhaber des Streitpatents in das Patentregister ein-
getragen wird. Ob eine solche Klage im Ergebnis Erfolg hätte, ist im vorliegen-
den Zusammenhang unerheblich.
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b) Das Streitpatent betrifft in der Fassung nach der B5-Schrift einen
Windenergiekonverter zur Umwandlung von Windenergie in elektrische Ener-
gie.
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Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift darf die Umfangs-
geschwindigkeit der Rotorblätter bei solchen Vorrichtungen bestimmte Werte
nicht überschreiten. Mit zunehmender radialer Länge der Rotorblätter nehme
damit die maximal zulässige Drehzahl ab. Dies mache den Einsatz eines Ge-
triebes erforderlich, was einen Betrieb bei niedrigen Windgeschwindigkeiten
wegen der höheren Masse verhindere. Zwar seien auch Windenergiekonverter
bekannt, die ohne ein mechanisches Getriebe arbeiteten. Diese seien jedoch
konstruktiv sehr aufwendig und zeigten aus mechanischer Sicht Probleme.
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Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem,
einen Windenergiekonverter ohne Zwischenschaltung eines mechanischen Ge-
triebes zur Verfügung zu stellen, bei dem ringförmige Wicklungssysteme mit
relativ kleinen Durchmessern eingesetzt werden können und der auch bei ge-
ringer Drehzahl des Rotors eine ausreichende Relativgeschwindigkeit zwischen
dem induzierenden und dem induzierten Wicklungssystem ermöglicht.
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Zur Lösung dieses Problems wird in Patentanspruch 1 in der Fassung der
B5-Schrift ein Windenergiekonverter vorgeschlagen, der folgende Merkmale
aufweist (die abweichende Nummerierung durch das Patentgericht sowie die
vom gerichtlichen Sachverständigen vorgenommene Gliederung mit Buchsta-
ben sind in Klammern wiedergegeben):
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1.
Der Windenergiekonverter [1]
a)
ist getriebelos [2] [a]
b)
und weist einen auf einem Mast oder Turm angeordneten
Elektroenergiegenerator [3] [b]
c)
sowie verstellbare Rotorblätter auf [4] [c].
2. Die Rotorblätter sind mit dem rotierenden Teil des Elektro-
energiegenerators verbunden [4.1] [d].
3.
Der Elektroenergiegenerator
a)
ist ein Vielpolgenerator [e]
b) und mit einer leistungsabhängigen Anzahl von Polen ver-
sehen [5] [f].
4. Ein elektrodynamischer Rotor des Vielpolgenerators ist mit
einem aerodynamischen Rotor, der die Rotorblätter trägt, auf
einer gemeinsamen Konverterachse angeordnet [6] [g].
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c)
Das Streitpatent in der Fassung der B5-Schrift wäre auf der Grund-
lage des bisherigen Sach- und Streitstandes wegen Erweiterung des Schutzbe-
reichs (§ 22 Abs. 1 PatG) für nichtig zu erklären gewesen.
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(1) Ein Patent ist auf entsprechende Klage für nichtig zu erklären, wenn
sein Schutzbereich im Rahmen eines Prüfungsverfahrens gemäß § 12 ErstrG
erweitert worden ist. Zur näheren Begründung wird auf das Senatsurteil vom
9. September 2010 (Xa ZR 14/10 - Windenergiekonverter, zur Veröffentlichung
bestimmt) Bezug genommen, das eine von der hiesigen Klägerin gegen den
hiesigen Streithelfer erhobene Nichtigkeitsklage gegen ein anderes Patent zum
Gegenstand hat.
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(2) Der Schutzbereich des Streitpatents ist im Prüfungsverfahren erwei-
tert worden.
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Nach der Fassung des Streitpatents gemäß der A1-Schrift (K1) weist ein
erfindungsgemäßer Windenergiekonverter folgende Merkmale auf:
1'
Der Windenergiekonverter hat
a'
verstellbare Flügel und
b'
eine Achse (8), die in den Lagerstellen (L1, L2) im Ab-
stand (l) gelagert ist.
2'
Die Flügelarme (3) und Rotoren (7) sind innerhalb eines maxi-
malen Abstandes (2) angeordnet.
3'
Die Rotoren sind im P/n-Polabstand zueinander versetzt mon-
tiert.
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4'
Die Profile Pa bis Pe weisen eine Anstellwinkeldifferenz auf, de-
ren Einstellwinkeländerung zwischen C
A
max und C
A
min liegt.
Die Merkmale 1b', 2', 3' und 4' sind in der Fassung nach der B5-Schrift
nicht enthalten. Der Schutzbereich des Streitpatents umfasst in dieser Fassung
folglich auch Vorrichtungen, die eines oder mehrere dieser Merkmale nicht auf-
weisen. Hierin liegt eine Erweiterung des Schutzbereichs, die nach § 22 Abs. 1
PatG zur Nichtigerklärung geführt hätte.
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d) Ob das Streitpatent in der Fassung nach einem der in der mündli-
chen Verhandlung gestellten Hilfsanträge Bestand gehabt hätte, kann nicht ab-
schließend entschieden werden.
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(1) Nach
allen
diesen
Anträgen sollen in Patentanspruch 1 die Merkmale
aus der A1-Schrift und die Merkmale aus der B5-Schrift miteinander kombiniert
werden. Ob eine solche Antragsfassung zulässig ist und ob der damit definierte
Gegenstand patentfähig ist, kann aufgrund des bisherigen Parteivortrags nicht
abschließend beurteilt werden. Insoweit hätte es einer Befragung des gerichtli-
chen Sachverständigen bedurft, die nach der übereinstimmenden Erledigungs-
erklärung nicht mehr in Betracht kommt.
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(2) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Hilfsanträge des
Streithelfers der Beklagten nicht schon deshalb unbeachtlich, weil dieser mate-
riellrechtlich nicht zu Verfügungen über das Streitpatent befugt ist.
Zwar ist der Streithelfer zu Verfügungen über das Schutzrecht derzeit
schon deshalb nicht berechtigt, weil er nicht als Patentinhaber im Patentregister
eingetragen ist. Dadurch war er aber nicht daran gehindert, aufgrund seiner
verfahrensrechtlichen Stellung (§ 67 ZPO) das Streitpatent für den Fall, dass es
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in der bisherigen Fassung keinen Bestand hat, in eingeschränkter Fassung zu
verteidigen.
Im Streitfall hat der Streithelfer das Streitpatent mit seinem Hauptantrag in
der Fassung nach der B5-Schrift verteidigt und nur für den Fall, dass das
Schutzrecht in dieser Fassung keinen Bestand hat, eingeschränkte Fassungen
zur Entscheidung gestellt. Die prozessuale Lage ist danach nicht anders, als
wenn allein die Beklagte am Berufungsverfahren beteiligt und in diesem keine
Anträge gestellt hätte. Wenn ein Patent in der bisherigen Fassung keinen Be-
stand haben kann, führt dies nicht ohne weiteres dazu, dass das Schutzrecht in
vollem Umfang für nichtig erklärt wird. Ebenso wie im Einspruchsverfahren (da-
zu BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 19 - In-
formationsübermittlungsverfahren II) ist vielmehr auch im Nichtigkeitsverfahren
zu prüfen, ob das Patent teilweise Bestand haben kann. Eine Teilnichtigerklä-
rung ist somit auch ohne darauf gerichteten Antrag möglich. Innerhalb dieses
Rahmens ist der Streithelfer nicht gehindert, durch Stellung von Hilfsanträgen
auf eine zweckmäßige Fassung der Patentansprüche hinzuwirken und so zum
Fortbestand des Streitpatents mit einem möglichst großen Umfang beizutragen.
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3.
Angesichts all dessen erschien es dem Senat angemessen, der Klä-
gerin einen Teil der Kosten aufzuerlegen. Die Beklagtenseite muss jedoch den
Hauptteil der Kosten tragen, weil der Ausgang des Verfahrens nach dem er-
reichten Sach- und Streitstand nur hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstan-
des offen, das Verfahren im Übrigen hingegen zu ihren Ungunsten entschei-
dungsreif war. Insgesamt führt dies zu der aus dem Tenor ersichtlichen Kosten-
verteilung.
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Hinsichtlich des Berufungsverfahrens fallen die von der Beklagtenseite zu
tragenden Kosten in vollem Umfang dem Streithelfer zur Last, weil nur er das
Urteil des Patentgerichts angefochten hat.
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Keukenschrijver
Berger
Grabinski
Bacher
Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.01.2007 - 4 Ni 72/05 -