Urteil des BGH vom 12.10.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 191/05
vom
12. Oktober 2006
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsVV § 13 Abs. 1 Satz 2
Die Herabsetzung der Vergütung des Treuhänders wegen vorzeitiger Beendigung
des vereinfachten Insolvenzverfahrens setzt nicht eine vergleichsweise kurze Verfah-
rensdauer voraus.
BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2006 - IX ZB 191/05 - LG Landau in der Pfalz
AG Landau in der Pfalz
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Detlev Fischer
am 12. Oktober 2006
beschlossen:
Dem Schuldner wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Begrün-
dung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivil-
kammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 23. Juni 2005
gewährt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird dieser Beschluss
des Landgerichts Landau in der Pfalz aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückver-
wiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
21.134,64 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
Auf Antrag des Rechtsbeschwerdeführers wurde am 10. November 2003
über sein Vermögen das vereinfachte Insolvenzverfahren wegen Zahlungsun-
fähigkeit eröffnet und der weitere Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Mit
Schreiben vom 12. Januar 2004 und 27. April 2004 beantragte der Schuldner
die Einstellung des Verfahrens nach § 212 InsO, da er Inhaber eines erbrechtli-
chen Pflichtteilsanspruchs in Höhe von mindestens 89.500 € geworden sei.
Sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Stu-
fenklage zur Durchsetzung des Pflichtteilsanspruchs wurde wegen fehlender
Aktivlegitimation zurückgewiesen. In der Folge wurde die Klage im Namen des
Treuhänders durch den Rechtsanwalt des Schuldners erhoben. Zugunsten des
Treuhänders erging zunächst am 7. April 2004 ein Anerkenntnisurteil über
92.032,54 €. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, wonach an den Treu-
händer 115.000 € zu zahlen waren. Nachdem der Schuldner Befriedigungser-
klärungen aller Insolvenzgläubiger vorgelegt hatte, wurde das Insolvenzverfah-
ren am 7. Oktober 2004 eingestellt.
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Der Treuhänder beantragte, ausgehend von einer Insolvenzmasse
in Höhe von 116.300 €, die Festsetzung einer Treuhändervergütung von
22.556,20 € (Vergütung 17.445 €, Auslagenpauschale 2.000 €, Umsatzsteuer
3.111,20 €).
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Das Amtsgericht hat die Vergütung auf insgesamt 21.634,64 € fest-
gesetzt (Vergütung 16.650,55 €, Auslagenpauschale 2.000 €, Umsatzsteuer
2.984,09 €). Es ist von einer Insolvenzmasse von 115.000 € ausgegangen, von
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dem es das Honorar von Rechtsanwalt R. in Höhe von 3.996,34 € ab-
gezogen hat, so dass als Berechnungsgrundlage 111.003,66 € verblieben.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter, die
Vergütung auf 500 € herabzusetzen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6,
7, 64 Abs. 3 Satz 1 InsO) und zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 4 InsO). Dem
Beschwerdeführer war Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der
Rechtsbeschwerde zu gewähren, weil er rechtzeitig Prozesskostenhilfe und
nach deren Gewährung Wiedereinsetzung beantragt hat, §§ 233, 234 ZPO.
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Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
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Der Treuhänder erhält als Vergütung in der Regel 15 % der Insolvenz-
masse, die sich nach § 1 InsVV berechnet, § 13 Abs. 1 Satz 1, § 10 InsVV
(BGH, Beschl. v. 24. Mai 2005 - IX ZB 6/03, WM 2005, 1663). Da das Verfahren
am 7. Oktober 2004 gemäß § 212 InsO wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes
eingestellt wurde, berechnet sich die maßgebliche Insolvenzmasse nach dem
Schätzwert der Masse zur Zeit der Beendigung des Verfahrens, § 1 Abs. 1
Satz 2 InsVV.
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1. Die Vordergerichte haben entgegen der Rechtsbeschwerde zutreffend
gesehen, dass eine Berechnungsgrundlage von 111.003,66 € für die Berech-
nung der Treuhändervergütung zugrunde zu legen ist.
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a) Der Pflichtteilsanspruch des Schuldners war mit Rechtshängigkeit
pfändbar (§ 852 Abs. 1 ZPO) und gehörte ab diesem Zeitpunkt zur Insolvenz-
masse, §§ 35, 36 Abs. 1 InsO (MünchKomm-InsO/Peters, § 36 Rn. 53; HK-
InsO/Eickmann, 4. Aufl. § 36 Rn. 44). Da bereits der Anspruch zur Insolvenz-
masse gehörte und voll werthaltig war, ist unerheblich, in welchem Umfang der
Treuhänder in Besitz des ausgezahlten Geldes gelangt ist.
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Sollte der ausgezahlte Betrag von 115.000 € hinsichtlich des 92.032,56 €
übersteigenden Betrages aus anderen Gründen als dem Pflichtteil an den
Treuhänder bezahlt worden sein, ist dies unerheblich, weil es sich jedenfalls um
Vermögen handelt, das der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erlangt
hat, § 36 InsO.
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b) In der Wohlverhaltensperiode hätte der Schuldner zwar nur die Hälfte
des Pflichtteils an den Treuhänder herausgeben müssen, § 295 Abs. 1 Nr. 2
InsO. Das ändert indessen nichts daran, dass ein noch während des Insolvenz-
verfahrens geltend gemachter Pflichtteilsanspruch mit Rechtshängigkeit in vol-
lem Umfang zur Masse gehört (FK-InsO/Ahrens, 4. Aufl. § 295 Rn. 36).
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c) Im Insolvenzverfahren kann ein Vermögensgegenstand vom Insol-
venzverwalter oder Treuhänder freigegeben werden (BGHZ 163, 32, 35).
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Das Beschwerdegericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass
eine solche Freigabe nicht vorlag. Der Schuldner will sie daraus ableiten, dass
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der Treuhänder es abgelehnt habe, den vom Schuldner zunächst im eigenen
Namen (als PKH-Antrag) begonnenen Prozess gegen den Erben aufzunehmen.
Der Treuhänder bestreitet eine solche Ablehnung. Der Schuldner sei lediglich
darauf hingewiesen worden, dass die Entscheidung, ob der Pflichtteil geltend
gemacht werden soll, höchstpersönlich sei. Fest steht, dass der Treuhänder
Rechtsanwalt R. Prozessvollmacht erteilt hat und der Anspruch sodann im
Namen des Treuhänders eingeklagt wurde. Das Teilanerkenntnisurteil erging
demgemäß zugunsten des Treuhänders. Dies wäre nicht zulässig gewesen,
wenn der Treuhänder den Pflichtteilsanspruch freigegeben hätte. Von einer
Freigabe kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Daran ändert auch nichts der Umstand, dass sich der Treuhänder vor
Vollmachterteilung zusichern ließ, dass Rechtsanwalt R. im Falle des Pro-
zessverlustes keine Ansprüche an ihn oder die Masse stellen würde. Die Betei-
ligten erklären diese Vereinbarung unterschiedlich. Der Treuhänder meint,
Rechtsanwalt R. habe den Prozess führen wollen, da er die Klage bereits
fertig gehabt habe. Er habe den Rechtsstreit auch selbst führen können. Ihm
hätten jedoch ausreichende Unterlagen gefehlt, weshalb er nicht bereit gewe-
sen sei, Haftungsrisiken zu übernehmen. § 85 Abs. 2 InsO ist, wie das Landge-
richt zutreffend ausgeführt hat, nicht anwendbar. Verbleibende Zweifel gehen
im Hinblick auf die Art der Prozessführung zu Lasten des Schuldners.
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2. Das Beschwerdegericht hat aber eine Herabsetzung der Vergütung
gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsVV mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt.
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Das Beschwerdegericht hat zwar nicht verkannt, dass der Vergütungs-
satz von 15 % der Masse gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 InsVV herabgesetzt wer-
den kann. Es hat aber gemeint, dies erfordere als weitere zwingende Voraus-
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setzung, dass gleichzeitig eine zumindest vergleichsweise kurze Verfahrens-
dauer vorliege. Diese Voraussetzung hat es verneint. Dabei hat es einen von
ihm angenommenen Streit in der Literatur unentschieden gelassen, wonach
einerseits ausschließlich auf eine vergleichsweise kurze Verfahrensdauer abzu-
stellen sei (unter Berufung auf MünchKomm-InsO/Nowak, § 13 InsVV Rn. 9)
oder die Möglichkeit der Kürzung nur bei außergewöhnlich kurzer Verfahrens-
dauer und gleichzeitig außergewöhnlich einfachen Fällen möglich sei (unter Be-
zugnahme auf FK-InsO/Lorenz, 3. Aufl. § 13 InsVV Rn. 11).
Diese vom Wortlaut der Verordnung nicht vorgesehene zusätzliche Vor-
aussetzung einer zumindest vergleichsweise kurzen Verfahrensdauer wird von
der herrschenden Meinung nicht gefordert (vgl. Hess/Weis/Wienberg, InsO
2. Aufl. § 13 InsVV Rn. 4 ff; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 3. Aufl. § 13
Rn. 14). Sie ist nicht gerechtfertigt. Bei vorzeitiger Verfahrensbeendigung ist
nach der Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 2 InsVV eine Kürzung des Regelsat-
zes regelmäßig angezeigt - selbstverständlich unter Würdigung aller Umstände.
Dabei ist zu berücksichtigen, welche Arbeiten dem Treuhänder infolge der vor-
zeitigen Verfahrensbeendigung erspart geblieben sind, und welchen Umfang
diese Arbeiten im Verhältnis zu allen erforderlichen Arbeiten eingenommen hät-
ten, wenn das Verfahren zu Ende geführt worden wäre (vgl. für den vergleich-
baren Fall des § 3 Abs. 2 Buchst. c InsVV BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004
- IX ZB 301/03, ZIP 2005, 180; v. 11. Mai 2006 - IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204,
1206, Rn. 25). Es obliegt dem Treuhänder darzulegen, aus welchen Gründen
im Einzelfall entgegen der gesetzlichen Vermutung eine erhebliche Abweichung
im Arbeitsaufwand gegenüber einem voll durchgeführten vereinfachten Insol-
venzverfahren nicht vorgelegen hat (BGH, Beschl. v. 11. Mai 2006, aaO).
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Liegt eine außergewöhnlich kurze Verfahrensdauer oder ein außerge-
wöhnlich einfacher Fall vor, sind dies vielmehr Gründe, die über den Regelfall
der vorzeitigen Verfahrensbeendigung hinaus selbständig eine Herabsetzung
der Vergütung rechtfertigen können. § 13 Abs. 1 Satz 2 InsVV nennt ausdrück-
lich nur ein Regelbeispiel für eine Kürzung. Liegt dieses Regelbeispiel nicht vor,
ist im Einzelnen zu prüfen, ob eine Abweichung vom Regelsatz in Höhe von
15 % gleichwohl geboten ist. Für die Vergütung des Treuhänders ist zwar ge-
mäß § 13 Abs. 2 InsVV § 3 InsVV nicht anwendbar. Der Regelsatz für die Ver-
gütung des Treuhänders kann aber gleichwohl herabgesetzt oder erhöht wer-
den, wenn erhebliche Abweichungen vom typischen Tätigkeitsumfang des
Treuhänders vorliegen (BGH, Beschl. v. 24. Mai 2005 - IX ZB 6/03, WM 2005,
1663, 1664 f). Dies kann bei überdurchschnittlich umfangreicher Tätigkeit auch
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dazu führen, dass trotz vorzeitiger Verfahrensbeendigung ein Zurückbleiben
hinter dem Regelsatz abzulehnen ist.
Dr.
Gero
Fischer
Dr.
Ganter
Vill
Lohmann
Dr.
Detlev
Fischer
Vorinstanzen:
AG Landau i.d. Pfalz, Entscheidung vom 20.07.2004 - 3 IK 127/03 -
LG Landau, Entscheidung vom 23.06.2005 - 3 T 233/04 -