Urteil des BGH vom 15.12.2003, II ZR 194/01
Leitsatzentscheidung
- Entschieden
- 15.12.2003
- Schlagworte
- Bestätigung, Gesellschaft, Ex tunc, Anfechtungsklage, Milch, Zeitpunkt, 1995, Anfechtung, Sanierung, Sache
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 194/01 Verkündet am: 15. Dezember 2003 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
AktG § 244 Satz 1
a) Durch den Bestätigungsbeschluß nach § 244 Satz 1 AktG erkennt die Hauptversammlung den Erstbeschluß als gültige Regelung der betreffenden Gesellschaftsangelegenheit an und beseitigt mit Wirkung für die Zukunft dessen
behauptete oder tatsächlich bestehende Anfechtbarkeit.
b) Voraussetzung für die Bestätigungswirkung ist allein, daß der Bestätigungsbeschluß die behaupteten oder tatsächlich bestehenden Mängel beseitigt
und seinerseits nicht an Mängeln leidet; einer Neuvornahme des seinerzeit
gefaßten Beschlusses bedarf es nicht, so daß im Zeitpunkt der Bestätigung
auch die materiellen Voraussetzungen für den Erstbeschluß nicht mehr erfüllt
sein müssen.
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2003 - II ZR 194/01 - OLG Dresden
LG Dresden
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Graf und
Dr. Strohn
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 13. Juni 2001 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Über das Vermögen der Beklagten, die ihren Sitz in L. hat, war
am 1. Oktober 1993 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet worden. Im
März 1995 ist dieses Verfahren - nach gerichtlicher Bestätigung eines Vergleichs, aufgrund dessen die Gläubiger der Gemeinschuldnerin für rund 46 %
ihrer Forderungen Befriedigung erlangt haben - unter Anordnung einer Sonderverwaltung - aufgehoben worden. Während des Gesamtvollstreckungsverfahrens hatte der Verwalter mit verschiedenen Interessenten verhandelt und
schließlich das Anlagevermögen der Beklagten an die S.
AG (S.), eine Tochtergesellschaft der Molkerei A. M. GmbH
& Co. KG ("M. Milch"), veräußert. Die S. stellte das im Bau befindliche
Milchwerk in L. fertig und verpachtete es ab 1996 an die Beklagte.
Diese betreibt sog. "Lohnabfüllung" von Milch für die "M. Milch" und vermarktet eigene Milchprodukte. Die Mittel für den Betrieb hat sie ab 1996 von der
"M. Milch" darlehensweise erhalten; auf die Rückzahlung hat die Darlehensgeberin bedingt verzichtet.
Die Hauptversammlung der Beklagten faßte zur Vorbereitung der Beendigung des Gesamtvollstreckungsverfahrens am 10. Oktober 1994 einen
Hauptversammlungsbeschluß, nach dem auf dem Wege der vereinfachten Kapitalherabsetzung das Grundkapital der Beklagten von 75 Mio. DM auf
100.000,00 DM herabgesetzt wurde, "um Wertminderungen auszugleichen und
zur Deckung sonstiger Verluste". Hiergegen haben Minderheitsaktionäre - u.a.
der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 - Anfechtungsklage erhoben; durch Urteil
des erkennenden Senats (v. 9. Februar 1998 - II ZR 278/96, BGHZ 138, 71 ff.)
ist festgestellt worden, daß diese Kapitalmaßnahme - anders als das Berufungsgericht angenommen hatte - zwar keiner sachlichen Rechtfertigung bedurfte, die Anfechtungsklagen aber allein deswegen Erfolg haben und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz nötigen, weil nach dem revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Sachvortrag der Kläger das Informationsrecht der Minderheitsaktionäre verletzt worden ist.
Zwischenzeitlich, nämlich am 28. November 1996, hat die Hauptversammlung der Beklagten die "Fortsetzung" der Gesellschaft als werbendes
Unternehmen beschlossen und den Jahresabschluß 1995 festgestellt. Die hiergegen erhobene Anfechtungsklage hatte Erfolg (Urt. v. 12. November 2001
- II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 ff.), weil der Vorstand bei der Einladung zur
Hauptversammlung fehlerhaft besetzt war.
Die Hauptversammlung der Beklagten hat am 14. Juli 1998, wenige Monate nach Verkündung der Entscheidung des Senats vom 9. Februar 1998,
ihren Beschluß vom 10. Oktober 1994 bestätigt. Auch gegen diesen Beschluß
ist Anfechtungsklage erhoben worden. Der Senat hat - abweichend von dem
Berufungsgericht - ausgesprochen, daß der Vorstand bei der Vorbereitung dieser Hauptversammlung nach den Vorschriften des Gesetzes und der Satzung
ordnungsgemäß besetzt gewesen ist (Sen.Urt. v. 17. Dezember 2001
- II ZR 288/99, ZIP 2002, 216). Zur sachlichen Prüfung der Anfechtungsgründe
ist der Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen worden.
Während die beiden Anfechtungsklageverfahren gegen die Hauptversammlungsbeschlüsse vom 28. November 1996 und 14. Juli 1998 noch anhängig waren, hat die Hauptversammlung der Beklagten am 10. Dezember 1998
einen weiteren Bestätigungsbeschluß gefaßt, der sich nunmehr im Sinne einer
Gesamtbestätigung auf beide angefochtenen Beschlüsse erstreckt. Hiergegen
haben der Kläger zu 1 - bezogen auf die TOP 1 (Bestätigung zum Hauptversammlungsbeschluß vom 10. Oktober 1994), 4 (Bestätigung Jahresabschluß)
und 7 (Bestätigung Fortsetzung der Gesellschaft) - und die Klägerin zu 2
- hinsichtlich der TOP 1 und 3 (Bestätigung zum Zustimmungsbeschluß der Inhaber der Inhaberstammaktien) - abermals Anfechtungsklage erhoben. Mit
Rücksicht darauf sind die beiden früheren an das Oberlandesgericht zurückverwiesenen Anfechtungsverfahren ausgesetzt worden. Die Kläger haben die
Ansicht vertreten, eine Bestätigung sei allein deswegen nicht in Betracht gekommen, weil im Dezember 1998 - unstreitig - die Voraussetzungen für eine
Kapitalherabsetzung nach § 229 AktG nicht erfüllt gewesen seien; auf diesen
Zeitpunkt sei aber abzustellen. Ferner hat der Kläger zu 1 geltend gemacht, der
Beschluß über die Feststellung des Jahresabschlusses 1995 sei nichtig gewesen und habe deswegen nicht "bestätigt" werden können. Da eine vermögens-
lose Aktiengesellschaft nicht fortgesetzt werden könne, habe auch der Beschluß zu TOP 7 nicht zu einer Bestätigung geführt.
Diese Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision
verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß der die beiden nicht nichtigen, sondern allenfalls anfechtbaren Beschlüsse vom 10. Oktober 1994 und 28. November 1996 bestätigende Hauptversammlungsbeschluß der Beklagten vom 10. Dezember 1998
rechtmäßig ergangen ist.
1. Die Kläger gehen fehl, wenn sie dem § 244 Satz 1 AktG entnehmen
wollen, im Zeitpunkt der Bestätigung müßten alle Voraussetzungen des Ausgangsbeschlusses vorhanden sein. Das hätte zur Folge, daß die Bestätigung
der Sache nach allein in Form einer Neuvornahme vonstatten gehen könnte.
Dem widerspricht nicht nur der Wortlaut, sondern vor allem der Sinn des Gesetzes.
a) Wie schon die Rechtsfolge - "die Anfechtung kann nicht mehr geltend
gemacht werden" - nahelegt, bedarf es nicht der Neuvornahme des seinerzeit
gefaßten Beschlusses. Indem die Hauptversammlung den seinerzeit gefaßten
Beschluß als gültige Regelung der betreffenden Gesellschaftsangelegenheit
anerkennt (so schon Ballerstedt, ZHR 124 [1962], 233, 235;
MünchKomm.z.AktG/Hüffer, 2. Aufl. § 244 Rdn. 4; GK AktG/Karsten Schmidt,
4. Aufl. § 244 Rdn. 5), beseitigt sie die Anfechtbarkeit. Damit werden einerseits
die möglichen Zweifel über die Gültigkeit des Beschlossenen im Interesse der
Gesellschaft wie des Rechtsverkehrs ausgeräumt, andererseits bleibt für die
Gesellschaft die gerade bei Strukturmaßnahmen überragend wichtige Möglichkeit erhalten, daß der gefaßte Beschluß nach dem seinerzeit geltenden Gesetzes- und Satzungsrecht beurteilt wird. Unerläßliche Voraussetzung für diese in
der Bestätigung liegende Anerkennung des Beschlusses als für die Gesellschaft gültig und verbindlich ist jedoch, daß die Mängel, welche den Erstbeschluß anfechtbar gemacht haben, beseitigt und nicht etwa bei der Bestätigung
wiederholt werden; wird hiergegen verstoßen, ist die Anfechtung des Bestätigungsbeschlusses erfolgreich. Eine wirksame Bestätigung dagegen hat materiell-rechtliche Wirkung (heute allg. M. vgl. z.B. Hüffer aaO, Rdn. 11; Karsten
Schmidt aaO, Rdn. 13), indem sie die gegen den Erstbeschluß gerichtete Anfechtungsklage unbegründet macht und nicht - wie bei einem wiederholenden
Beschluß (s. dazu Volhard in Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, II U
Rdn. 67) - lediglich das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entfallen läßt.
b) Dieses aus dem Wortlaut des Gesetzes gewonnene Ergebnis wird
durch den Sinn der Regelung, wie er sich aus der Entstehungsgeschichte des
§ 244 AktG erschließt, nachdrücklich bestätigt. Vor dem Inkrafttreten des AktG
1965 enthielt das Gesetz keine entsprechende Regelung. Wollte man das Anfechtungsverfahren abkürzen, blieb einzig der Weg, den angefochtenen Beschluß erneut - unter Vermeidung der zur Anfechtbarkeit führenden Mängel - zu
fassen (vgl. BGHZ 21, 354, 356; v. Caemmerer, FS A. Hueck [1959], S. 281 ff.;
Kropff, Reg.Begr., S. 331; weitergehend aber schon Ballerstedt, ZHR aaO).
Eben dies sollte den Gesellschaften nach dem auf Grund einer Interessenabwägung gebildeten Willen des Gesetzgebers erspart werden (vgl. Kropff aaO,
S. 331): Dem betroffenen Aktionär sollte nicht angesonnen werden, einen mit
Fehlern behafteten Beschluß der Hauptversammlung gegen sich gelten zu las-
sen. Weiter als daß dieser Fehler beseitigt wird, kann sein Interesse indessen
nicht gehen. Wird deswegen der Mangel im Zuge der Bestätigung behoben,
bedarf es einer weitergehenden Prüfung - etwa der Zulässigkeit der Maßnahme
im Zeitpunkt der Bestätigung - nicht. Auf diese Weise wird die Gesellschaft vor
Zeitverlusten durch die Anfechtung und Beseitigung des Fehlers geschützt, und
es müssen vollzogene - wegen des Fortschreitens der Entwicklung nicht wiederholbare - Maßnahmen nicht rückgängig gemacht werden.
c) Zu einer anderen Auslegung nötigt - anders als die Kläger meinen -
auch nicht die Tatsache, daß nach heute allgemeiner Meinung (Karsten
Schmidt aaO, Rdn. 16; Hüffer aaO, Rdn. 12 f.; Semler in Münch.Handb.z.AktG,
2. Aufl. § 45 Rdn. 45; anders mit einer nicht passenden Parallele zu § 144 BGB
v. Caemmerer aaO, S. 281, 285; ähnlich Kropff aaO, S. 331 f.) der wirksam
gefaßte Bestätigungsbeschluß seine Wirkung nicht ex tunc entfaltet, sondern
die Anfechtungsklage gegen den Erstbeschluß erst mit der wirksam beschlossenen Bestätigung unbegründet wird. Die fehlende Rückwirkung der Bestätigung zwingt nicht zu der Annahme, es müßten auch im Zeitpunkt der Beschlußfassung (noch) sämtliche Voraussetzungen für den Erstbeschluß vorliegen. Abgesehen davon, daß - wie ausgeführt - der Wortlaut des Gesetzes dies
nicht erfordert und die Auffassung der Kläger zu sinnwidrigen Ergebnissen führen würde, zeigt gerade die Sondervorschrift des § 244 Satz 2 AktG, nach welcher der Aktionär unter besonderen Umständen ausnahmsweise für den Zwischenzeitraum zwischen Erst- und Bestätigungsbeschluß sein Anfechtungsrecht behält, daß für die inhaltliche Prüfung des Beschlossenen die Rechtslage
im Zeitpunkt des Erstbeschlusses maßgeblich und eine Neuvornahme nicht
erforderlich ist.
2. Der angefochtene Bestätigungsbeschluß ist - anders als die Kläger
geltend machen - nicht fehlerhaft ergangen, insbesondere ist das Informationsrecht der Minderheitsaktionäre nicht verletzt worden (unten a); die Bestätigungswirkung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Erstbeschluß
vom 28. November 1996 nicht nur anfechtbar, sondern - wie der Kläger zu 1
geltend macht - von vornherein nichtig war (unten b).
a) Zu Unrecht macht die Klägerin zu 2 geltend, das Berufungsgericht habe ihr Vorbringen zur Mißachtung ihres Informationsrechts in der Diskussion vor
der Fassung des Bestätigungsbeschlusses nicht ordnungsgemäß beschieden.
Die Frage
"Aufgrund welcher Tatsache wird in der Stellungnahme der Verwaltung zu den Gegenanträgen behauptet, der vorgeschlagene Kapitalschnitt stehe anstelle der Zerschlagung der Gesellschaft und sei unabdingbarer Bestandteil einer erfolgreichen Sanierung, wenn gleichzeitig eine Kapitalerhöhung gar nicht erfolgt?"
hat das Landgericht in seiner Entscheidung (S. 14 unter cc) ohne Rechtsfehler
als beantwortet behandelt. Das Berufungsgericht durfte hierauf Bezug nehmen
und die von der Klägerin zu 2 in der Berufungsbegründungsschrift erhobene
Rüge der Sache nach als nicht hinreichend substantiiert werten. Es war offenkundig, daß kein Investor außer "M. Milch" bereit war, sich an der Beklagten
zu beteiligen (vgl. BGHZ 138, 71, 76), und daß diese Gesellschaft den Kapitalschnitt zur Voraussetzung der Sanierung gemacht hat. Die in der Frage der
Klägerin zu 2 zum Ausdruck kommende Ansicht, eine Sanierung setze stets
eine Kapitalerhöhung voraus, ist in der Hauptversammlung diskutiert und als
unzutreffend zurückgewiesen worden. Weil die Beklagte nur als Betriebsgesellschaft aktiv wurde und das Anlagevermögen der S. nutzte, konnte das her-
abgesetzte Kapital von 100.000,00 DM bei gleichzeitiger Gewährung von Darlehensmitteln der "M. Milch" ausreichen.
b) Vergeblich macht der Kläger zu 1 ferner geltend, der am
28. November 1996 gefaßte und am 10. Dezember 1998 von der Hauptversammlung der Beklagten bestätigte Beschluß über die Feststellung des Jahresabschlusses 1995 sei wegen nur unvollständiger Auslegung und eines sich
daraus ergebenden Verstoßes gegen § 256 Abs. 4 AktG (Klarheit und Übersichtlichkeit) und gegen die Gliederungsvorschriften (§ 264 Abs. 2 HGB) nichtig
und einer Bestätigung nicht zugänglich.
Unstreitig hat der Jahresabschluß in der Hauptversammlung ausgelegen.
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß die von dem Kläger zu 1 als fehlend
bemängelten Anlagen nicht vorhanden gewesen und erst nachträglich zu Prozeßzwecken angefertigt worden sind. Dann liegt - wenn man den Vortrag des
Klägers zu 1 wie das Berufungsgericht als zutreffend unterstellen will - allenfalls
ein zur Anfechtung des Hauptversammlungbeschlusses berechtigender Fehler
bei der Auslegung des Jahresabschlusses, nicht aber ein zur Nichtigkeit führender Mangel vor.
Schließlich hat das Berufungsgericht mit Recht und in Übereinstimmung
mit dem erstinstanzlichen Urteil entschieden, daß gegen den Fortsetzungsbeschluß vom 28. November 1996 keine inhaltlichen Bedenken bestehen, weil er
sich auf die Sondervorschrift des hier entsprechend anwendbaren § 274 Abs. 2
Nr. 1 AktG a.F. stützen konnte. Der Kläger zu 1 verkennt die durch die genannte Vorschrift geregelte Sondersituation (vgl. dazu Hüffer in Geßler/
Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG § 274 Rdn. 8), die einen Fortsetzungsbeschluß,
wie er hier gefaßt worden ist, zur Durchführung des gerichtlich bestätigten Vergleichs zuläßt und die von dem Kläger zu 1 gezogenen Parallelen zu anderen
Fallgestaltungen verbietet.
Röhricht Goette Kraemer
Graf Strohn