Urteil des BGH vom 14.05.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V I I Z R 3 2 8 / 1 2
Verkündet am:
14. Mai 2014
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Richtlinie 86/653/EWG Art. 17 Abs. 2 Buchst. a; HGB § 89b Abs. 1
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV folgende Frage zur
Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom
18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betref-
fend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382, Seite 17 ff.) vorgelegt:
Ist Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a) erster Gedankenstrich dahin auszulegen, dass er der An-
wendung einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach "neue Kunden" auch solche
vom Handelsvertreter geworbene Kunden sein können, die zwar bereits Geschäftsverbin-
dungen mit dem Unternehmer wegen von ihm vertriebener Produkte aus einem Pro-
duktsortiment unterhalten, jedoch nicht wegen solcher Produkte, mit deren alleiniger Ver-
mittlung der Unternehmer den Handelsvertreter beauftragt hat?
BGH, Beschluss vom 14. Mai 2014 - VII ZR 328/12 - OLG München
LG München I
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, die
Richterin Safari Chabestari, die Richter Dr. Eick und Dr. Kartzke und die Richte-
rin Graßnack
beschlossen:
Die Entscheidung über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Oktober 2012
wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird nach Art. 267 AEUV fol-
gende Frage zur Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a) der Richt-
linie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinie-
rung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selb-
ständigen Handelsvertreter (ABl. EG Nr. L 382, Seite 17 ff.) vorgelegt:
Ist Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a) erster Gedankenstrich dahin auszule-
gen, dass er der Anwendung einer nationalen Regelung entgegensteht,
wonach "neue Kunden" auch solche vom Handelsvertreter geworbene
Kunden sein können, die zwar bereits Geschäftsverbindungen mit dem
Unternehmer wegen von ihm vertriebener Produkte aus einem Pro-
duktsortiment unterhalten, jedoch nicht wegen solcher Produkte, mit de-
ren alleiniger Vermittlung der Unternehmer den Handelsvertreter beauf-
tragt hat?
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Gründe:
I.
Die Klägerin war von September 2008 bis Juni 2009 als Bezirksvertrete-
rin für die Beklagte tätig. Diese betreibt einen Großhandel mit Brillengestellen
verschiedener Kollektionen und Marken und veräußert diese an Optiker.
Die Beklagte weist ihren Handelsvertretern nicht den Vertrieb ihrer ge-
samten Produktpalette zu, sondern lediglich Brillenkollektionen bestimmter
Marken. Der Klägerin wurde der Vertrieb der Brillenkollektionen C. K. und F.
anvertraut. Sie stand dabei im Wettbewerb zu anderen Gebietsvertretern der
Beklagten, denen der Vertrieb anderer Brillenkollektionen übertragen worden
war. Die Beklagte stellte der Klägerin eine Kundenliste mit Optikern zur Verfü-
gung, die bereits andere Brillenkollektionen der Beklagten erworben hatten. Die
Klägerin vermittelte überwiegend Geschäfte mit Optikern, die bereits zuvor an-
dere Brillenkollektionen der Beklagten erworben hatten.
Nach Beendigung des Handelsvertretervertrages hat die Klägerin, soweit
für das Revisionsverfahren von Interesse, einen Anspruch auf Handelsvertre-
terausgleich geltend gemacht. Ihre Forderung hat sie unter anderem damit be-
gründet, dass die von ihr geworbenen Optiker, auch wenn sie bereits auf der ihr
überlassenen Kundenliste verzeichnet gewesen seien, als Neukunden anzuse-
hen seien, weil sie erstmalig Brillen der Kollektionen C. K. und F. bezogen hät-
ten.
Die Klage hat dem Grunde nach Erfolg gehabt. Das Landgericht hat auch
diejenigen von der Klägerin geworbenen Kunden, die vorher andere Kollektio-
nen von der Beklagten erworben hatten, als Neukunden angesehen. Es hat je-
doch einen Billigkeitsabschlag in Höhe von 50 % vorgenommen, weil dem Han-
delsvertreter der Vertrieb der Brillen erleichtert werde, wenn der Kunde seinen
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Vertragspartner bereits kenne. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Be-
klagten zurückgewiesen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Kla-
geabweisungsbegehren in Bezug auf den Handelsvertreterausgleich weiter.
II.
Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 17 Abs. 2
Buchstabe a) erster Gedankenstrich der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom
18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaa-
ten
betreffend
die
selbständigen
Handelsvertreter
(ABl. EG Nr. L 382,
Seite 17 ff. - Handelsvertreterrichtlinie) ab. Vor der Entscheidung über das
Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1
Buchstabe b), Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Eu-
ropäischen Union einzuholen.
1. Das Berufungsgericht meint, der Ausgleichsanspruch der Klägerin
hänge davon ab, ob die Klägerin Neukunden geworben habe. Neu seien grund-
sätzlich solche Kunden, die bisher noch keine Geschäfte mit dem Unternehmer
getätigt hätten. Grundsätzlich sei der Begriff des neuen Kunden branchenbezo-
gen zu verstehen. Aufgrund der besonderen Vertragsgestaltung und der von
der Beklagten aufgebauten Vertriebsstruktur sei hier bei der Abgrenzung von
Neu- und Altkunden jedoch keine rein branchenbezogene Betrachtung anzu-
stellen. Der Klägerin sei lediglich der Vertrieb von Brillenkollektionen zweier
Marken übertragen worden. Der Handelsvertreter, dem von vornherein nicht die
gesamte Produktpalette des Unternehmers einer Branche (hier: Brillen) zum
Vertrieb anvertraut worden sei, sondern nur einzelne Produkte, nämlich die Kol-
lektionen bestimmter Marken, werbe auch dann Optiker als Neukunden, wenn
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diese zuvor bereits Kollektionen anderer Marken des Unternehmers erworben
hätten. Der Handelsvertreter sei in diesem Fall der Repräsentant des Unter-
nehmers in Bezug auf die Produkte einer bestimmten Marke. Die Klägerin habe
die Optiker für die von ihr vertriebenen Produkte der ihr zugewiesenen Brillen-
marken als neue Vertragspartner gewinnen müssen und sei hierbei in Konkur-
renz zu anderen Handelsvertretern der Beklagten getreten, die Produkte ande-
rer Brillenmarken vertrieben hätten. Dem Umstand, dass die Klägerin eine Kun-
denliste erhalten habe, sei durch einen Billigkeitsabschlag Rechnung zu tragen.
2. Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es maßgeblich darauf
an, ob die von der Klägerin für die Brillenkollektionen C. K. und F. erstmals ge-
worbenen Kunden rechtlich als "neue Kunden" im Sinne des § 89b Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 HGB anzusehen sind.
a) Nach nationalem deutschen Recht kann der Handelsvertreter gemäß
§ 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB von dem Unternehmer nach Beendigung des
Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und
soweit der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die
der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsver-
hältnisses erhebliche Vorteile hat. Gemäß § 89b Abs. 1 Satz 2 HGB steht es
der Werbung eines neuen Kunden gleich, wenn der Handelsvertreter die Ge-
schäftsverbindung mit einem Kunden so wesentlich erweitert hat, dass dies
wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Danach ist nicht
jede Erweiterung des Kundenstamms ausgleichspflichtig. Es sind aber sowohl
Erweiterungen quantitativer Art als auch qualitativer Art zu berücksichtigen (vgl.
BGH, Urteil vom 3. Juni 1971 - VII ZR 23/70, BGHZ 56, 242, 245; Münch-
KommHGB/von Hoyningen-Huene, 3. Aufl., § 89b Rn. 63; Semler in: Marti-
nek/Semler/Habermeier/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, 3. Aufl., § 20
Rn. 18).
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b) Die Klägerin hat die streitgegenständliche Ausgleichsforderung auf der
Basis der entgangenen Provisionen für Vertragsabschlüsse mit den Optikern
berechnet, die sie für die ihr zugewiesenen Brillenmarken geworben hat. Sie hat
die Klage danach darauf gestützt, dass es sich bei den geworbenen Optikern
um neue Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB handelt. Der Se-
nat neigt in Übereinstimmung mit der vom Berufungsgericht vertretenen
Rechtsauffassung (vgl. auch Thume in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas,
HGB, 4. Aufl., § 89b Rn. 68; Thume in: Küstner/Thume, Handbuch des gesam-
ten Vertriebsrechts, Band 2, 9. Aufl., Kap. VI Rn. 52; Baumbach/Hopt, HGB,
36. Aufl., § 89b Rn. 12; Wauschkuhn in: Flohr/Wauschkuhn, Vertriebsrecht,
§ 89b Rn. 66; ähnlich Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB,
2. Aufl., Band 1, § 89b Rn. 76) dazu, im Hinblick auf die gegebene Vertriebs-
struktur auch die von der Klägerin für die ihr zugewiesenen Brillenkollektionen
geworbenen Kunden als neue Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
HGB anzusehen, die bereits Brillenkollektionen anderer Marken von der Be-
klagten erworben hatten. Wenn dies anzunehmen ist, ist die Revision der Be-
klagten zurückzuweisen.
Ist hingegen davon auszugehen, dass den von der Klägerin geworbenen
Optikern nicht die Eigenschaft als Neukunde zukommt, ist der Rechtsstreit auf
der Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen
Feststellungen nicht entscheidungsreif. Dass die Geschäftsverbindungen der
Beklagten mit diesen Kunden im Umfang der von der Klägerin bewirkten Ver-
tragsabschlüsse mit diesen Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 2 HGB we-
sentlich erweitert worden sind, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die
Sache wäre in diesem Fall an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung
und Entscheidung zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die
erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
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3. Zweifelhaft ist, ob die vom Senat in Aussicht genommene Auslegung
des Begriffs des "neuen Kunden" in § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB mit Art. 17
Abs. 2 Buchstabe a) erster Gedankenstrich der Handelsvertreterrichtlinie in
Einklang steht. Insoweit bedarf es einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs.
a) Nach dem Wortlaut der Richtlinie könnte es allein darauf ankommen,
ob der Kunde "für den Unternehmer" neu ist. Ausgehend vom Wortlaut sind
auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neue Kunden im Sinne
des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB im Ausgangspunkt solche Kunden, die mit
dem Unternehmer vor dem vertragsgemäßen Tätigwerden des Handelsvertre-
ters noch kein Umsatzgeschäft getätigt haben, sondern erstmals unter Ein-
schaltung des Handelsvertreters ein Geschäft mit dem Unternehmer abge-
schlossen haben (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2011 - VIII ZR 222/10, NJW
2012, 304, Rn. 21; so auch Thume in: Küstner/Thume, aaO, Kap. VI Rn. 7;
Emde, Vertriebsrecht, 2. Aufl., § 89b HGB Rn. 68; MünchKommHGB/
von Hoyningen-Huene, aaO, § 89b Rn. 57; Löwisch in: Ebenroth/Boujong/Joost/
Strohn, aaO, § 89b Rn. 76; Wauschkuhn in: Flohr/Wauschkuhn, aaO, § 89b
Rn. 66; Oetker/Busche, HGB, 3. Aufl., § 89b Rn. 12 m.w.N.). Dementsprechend
ist in der Literatur anerkannt, dass ein neuer Kunde nicht anzunehmen ist, wenn
der Unternehmer lediglich das Sortiment erweitert und der mit dem Vertrieb des
gesamten Sortiments beauftragte Handelsvertreter Kunden auch für Artikel des
erweiterten Sortiments wirbt (vgl. MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene,
aaO, § 89b Rn. 59; Thume in: Küstner/Thume, aaO, Kap. VI Rn. 53;
Wauschkuhn in: Flohr/Wauschkuhn, aaO, § 89b Rn. 66; Emde, aaO, § 89b
HGB Rn. 68).
b) Der Sinn und Zweck der Richtlinie könnte hingegen eine andere Aus-
legung nahelegen, wenn nach der Vertriebsstruktur des Unternehmers der
Handelsvertreter lediglich den Vertrieb eines Produktsegments übernommen
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hat. Die Richtlinie soll insbesondere die nach Beendigung des Vertrags beste-
henden Interessen der Handelsvertreter gegenüber den Unternehmern schüt-
zen (vgl. EuGH, Slg. 2009, I-2341 Rn. 14 - Turgay Semen/Deutsche Tamoil
GmbH; Slg. 2006, I-2879 Rn. 22 - Honyvem Informazioni Commerciali; Slg.
2000, I-9305 Rn. 21 - Ingmar). Dem Handelsvertreter soll ein Ausgleich für den
Wert des für den Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit dem Kunden
erwachsenen "goodwill" gewährt werden (vgl. Bericht der Kommission über die
Anwendung von Art. 17 der Richtlinie, KOM [96] 364 endg. vom 23. Juli 1996;
vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Juli 2002 - VIII ZR 58/00, NJW-RR 2002, 1548,
1549; Urteil vom 16. Juni 2010 - VIII ZR 259/09, NJW 2010, 3226, Rn. 15
m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieses Zwecks muss die Abgrenzung zwi-
schen neuen Kunden (in der englischen Sprachfassung der Richtlinie: "new
customers"; in der französischen Sprachfassung: "nouveaux clients") und vor-
handenen Kunden ("existing customers"; "clients existants") nicht allein danach
vorzunehmen sein, ob der geworbene Kunde bereits Geschäftsverbindungen
mit dem Unternehmer hatte. Es kann vielmehr auch die vom Unternehmer ge-
schaffene Vertriebsstruktur eine Rolle spielen. Ist der Handelsvertreter ver-
tragsgemäß auf den Vertrieb eines bestimmten Produktsegments beschränkt,
ist es ihm nach der Vertragsgestaltung verwehrt, die bestehenden Geschäfts-
verbindungen zwischen Unternehmer und Kunden umfassend zu bearbeiten. Er
kann vielmehr nur die Geschäftsverbindung zu den einzelnen Kunden in dem
ihm übertragenen Produktsegment begründen oder intensivieren. Es erscheint
mit dem Zweck des Ausgleichsanspruchs nach Art. 17 Abs. 2 der Handelsver-
treterrichtlinie daher nicht vereinbar, ihm lediglich dann einen Ausgleichsan-
spruch zuzubilligen, wenn sich die Geschäftsverbindung zu dem von ihm für
diese Produkte geworbenen Kunden unter Berücksichtigung der insgesamt zu
diesem Kunden bestehenden Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat. Es
spricht viel dafür, in diesem Fall als "neue Kunden" im Sinne des Art. 17 Abs. 2
Buchstabe a) erster Gedankenstrich der Handelsvertreterrichtlinie auch diejeni-
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gen Kunden anzusehen, die bislang noch kein vom Handelsvertreter vertriebe-
nes Produkt des ihm zugewiesenen Produktsegments bezogen haben. Dies
bedeutet, dass der Begriff des neuen Kunden im Rahmen des Handelsvertre-
terausgleichs für diese Fallkonstellation produktbezogen zu beurteilen wäre.
Zwar ist der Unternehmer in seiner Entscheidung frei, welche Produkte
vom Handelsvertreter vermittelt werden sollen. Die Handelsvertreterrichtlinie
stellt in Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) aber auch auf das dem Handelsvertreter
"anvertraute Geschäft" ab (in der englischen Sprachfassung der Richtlinie: "the
transactions he is instructed to take care of"; in der französischen Sprachfas-
sung: "opérations dont il est chargé"). Vertraut der Unternehmer dem Handels-
vertreter nur einzelne Produkte seines Gesamtsortiments zum Vertrieb an, gibt
er damit zu erkennen, dass Geschäftsverbindungen für jedes dieser Produkte
geschaffen werden müssen und gesonderte Verkaufsbemühungen erfordern.
Daran muss sich der Unternehmer festhalten lassen, wenn der Handelsvertreter
für das ihm zugewiesene Produktsegment Kunden gewinnt, auch wenn diese
bereits zuvor andere, ihm nicht zum Vertrieb übertragene Produkte des Unter-
nehmers erworben hatten. Für diese Sicht spricht auch, dass dem Vertrieb ver-
schiedener Produkte - wie hier - regelmäßig unterschiedliche Vertriebsvorgaben
etwa bezüglich Grundsortiment, Werbung und Präsentation zugrunde gelegt
werden und der Handelsvertreter in solchen Fällen in Konkurrenz mit anderen
Handelsvertretern des Unternehmers tritt, denen der Vertrieb von Produkten
anderer Marken übertragen worden ist. Der durch die Tätigkeit des Handelsver-
treters im Hinblick auf das ihm zugewiesene Produktsegment für den Unter-
nehmer begründete Vorteil, für den dieser nach Beendigung des Vertrags dem
Handelsvertreter einen Ausgleich schuldet, liegt in diesem Fall daher in den im
Verhältnis zu diesen Kunden im Hinblick auf die Produkte dieses Segments ge-
schaffenen neuen Geschäftsverbindungen.
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c) Auf die von der Revision für erheblich gehaltene Frage, ob es dem
Kunden des Unternehmers infolge der Erweiterung des Sortiments auf Produkte
des dem Handelsvertreter übertragenen Produktsegments ermöglicht wird, ei-
nen anderen als den bisherigen Kundenkreis anzusprechen, dürfte es nicht an-
kommen. Gleiches gilt für die Frage, welche Motive auf Seiten des Kunden für
die Erweiterung seines Sortiments bestehen und ob insoweit die bereits beste-
hende Geschäftsverbindung mit dem Unternehmer eine entscheidende Rolle
spielt oder nicht. Unerheblich dürfte ferner sein, ob durch die Werbung von
Kunden für die neuen Produkte eines bestimmten Produktsegments im Hinblick
auf andere Produkte des Unternehmers, die vom Kunden in der Vergangenheit
bezogen worden sind, ein Umsatzrückgang eintritt. Dem für die Höhe des Aus-
gleichsanspruchs relevanten Umstand, dass Kunden, die bereits Produkte des
Unternehmers bezogen haben, leichter auch andere Produkte des Unter-
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nehmers vermittelt werden können, kann durch einen Abschlag im Rahmen der
Billigkeitsprüfung (Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a) zweiter Gedankenstrich der
Handelsvertreterrichtlinie) Rechnung getragen werden.
Kniffka
Safari Chabestari
Eick
Kartzke
Graßnack
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 29.06.2010 - 13 HK O 20686/09 -
OLG München, Entscheidung vom 24.10.2012 - 7 U 4103/10 -