Urteil des BGH vom 21.02.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 276/98
Verkündet am:
21. Februar 2001
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
ZPO § 323 Abs. 1 und Abs. 2
Zu den Grenzen für die Durchbrechung der Rechtskraft des Ersturteils, die in einem
Abänderungsverfahren nach § 323 Abs. 1 ZPO zu beachten sind.
BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - XII ZR 276/98 - OLG Dresden
AG Dresden
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Dr. Hahne, Gerber, Sprick und Weber-Monecke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats
- Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden vom
14. September 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als das Familiengericht den Beklagten in Abänderung des Urteils
des Kreisgerichts Dresden-Nord vom 27. August 1984 verurteilt
hat, an die Klägerin ab dem 1. September 1998 einen erhöhten
Unterhalt zu zahlen, und das Berufungsgericht die Berufung des
Beklagten insofern zurückgewiesen hat.
Die Revision des Beklagten im übrigen wird zurückgewiesen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Zur Urkunde des Rates des Kreises Freital vom 5. Mai 1981 erkannte
der Beklagte an, der Vater der am 2. Februar 1981 geborenen Beklagten zu
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sein und verpflichtete sich, Unterhalt zu zahlen. Am 18. September 1981 hei-
ratete er die Mutter der Klägerin. Eine am 5. Februar 1982 eingereichte Schei-
dungsklage nahm er am 13. Januar 1983 in der Berufungsinstanz zurück. Mit
Urteil vom 22. Juli 1982, das rechtskräftig wurde, stellte das Kreisgericht Dres-
den-Nord auf eine Klage des Beklagten hin fest, daß die Vaterschaftsanerken-
nung rechtsunwirksam sei. Es sei erwiesen, daß die Mutter der Klägerin
schwanger gewesen sei, bevor sie den Beklagten kennengelernt habe. Wegen
der Legitimierung der Klägerin als eheliches Kind erhob der Beklagte am
1. Februar 1983 eine Ehelichkeitsanfechtungsklage, die er am 1. März 1983
zurücknahm.
Die Ehe des Beklagten mit der Mutter der Klägerin wurde durch Urteil
des Kreisgerichts Dresden-Nord vom 27. August 1984 geschieden und der Be-
klagte verurteilt, für die Klägerin bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres mo-
natlich einen Unterhaltsbetrag von 120 M und anschließend bis zur wirtschaftli-
chen Selbständigkeit von 140 M zu zahlen. Gegen die Verurteilung zur Zah-
lung von Unterhalt an die Klägerin legte der Beklagte Berufung ein mit der Be-
gründung, er sei nicht ihr Vater. Mit Beschluß des Bezirksgerichts Dresden vom
29. Oktober 1984 wurde diese Berufung zurückgewiesen.
Eine nach dem Beitritt der DDR von dem Beklagten erhobene Vater-
schaftsanfechtungsklage wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom 10. Dezem-
ber 1993 abgewiesen mit der Begründung, die Frist zur Anfechtung der Vater-
schaft sei abgelaufen.
Seit April 1993 zahlte der Beklagte den in dem Urteil des Kreisgerichts
Dresden-Nord vom 27. August 1984 festgesetzten Unterhalt nicht mehr. Mit
einer am 10. März 1995 eingegangenen Stufenklage begehrte die Klägerin die
Erhöhung der ausgeurteilten Unterhaltsbeträge.
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Das Familiengericht hat den Beklagten - unter Abweisung der Klage im
übrigen - in Abänderung des Urteils des Kreisgerichts Dresden-Nord vom
27. August 1984 verurteilt, an die Klägerin monatlich vom 1. Juli 1995 bis zum
31. Dezember 1995 410 DM, vom 1. Januar 1996 bis zum 31. Dezember 1996
402 DM und ab dem 1. Januar 1997 392 DM an Unterhalt zu zahlen.
Die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin geltend machte, nicht
der Vater der Klägerin zu sein, blieb erfolglos. Dagegen richtet sich seine zu-
gelassene Revision, mit der er den Antrag auf Abweisung der Klage weiterver-
folgt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit der
Beklagte in erster Instanz verurteilt worden ist, an die Klägerin Unterhalt zu
zahlen für die Zeit ab 1. September 1998, und soweit die Berufung des Be-
klagten in diesem Punkt zurückgewiesen worden ist. Im übrigen ist die Revision
des Beklagten unbegründet.
1. Die statusrechtliche Frage, ob der Beklagte nach wie vor als Vater der
Klägerin anzusehen ist, ist in dem vorliegenden Abänderungsverfahren (§ 323
Abs. 1 ZPO) nicht erneut zu prüfen. Es ist deshalb auch nicht zu prüfen, ob die
statusrechtliche Stellung als eheliches Kind des Beklagten, die die Klägerin
nach dem damals maßgeblichen Recht der DDR erlangt hat, weil der Beklagte
die Vaterschaft anerkannt und anschließend die Mutter der Klägerin geheiratet
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hat, nur durch eine (nicht erfolgte) Vaterschaftsanfechtung nach den §§ 61 ff.
FGB hätte beseitigt werden können - so das Berufungsgericht - oder ob der
Beklagte statt dessen - bzw. auch - durch die (erfolgte) Anfechtung des Vater-
schaftsanerkenntnisses dieses Ergebnis erreichen konnte (der Senat hat diese
Frage bisher offengelassen: vgl. Senatsurteil vom 24. März 1999 - XII ZR
190/97 - FamRZ 1999, 778, 779).
Der Beklagte ist mit dem Einwand, er sei nicht der Vater der Klägerin
und ihr deshalb nicht zur Unterhaltsleistung verpflichtet, ausgeschlossen we-
gen der Bindungswirkung des Urteils des Kreisgerichts Dresden-Nord vom
27. August 1984, in dem der Beklagte verurteilt worden ist, Unterhalt an die
Klägerin zu zahlen. Dieses Urteil ist rechtskräftig, weil die Berufung des Be-
klagten vom Bezirksgericht Dresden mit Beschluß vom 29. Oktober 1984 zu-
rückgewiesen worden ist. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 des Einigungsvertrages
bleiben rechtskräftige Urteile der Gerichte der DDR nach dem Beitritt der DDR
grundsätzlich wirksam.
2. Die in § 323 Abs. 1 ZPO geschaffene Möglichkeit, bei einer Verurtei-
lung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen wegen einer
nachträglich eingetretenen Veränderung der Verhältnisse eine Abänderungs-
klage zu erheben, ist ein prozessualer Anwendungsfall der clausula rebus sic
stantibus (so schon BGHZ 34, 110, 115 ff.). Daraus ergibt sich, daß die Abän-
derung des Urteils nicht weiter gehen darf, als es aus Gründen der veränderten
Verhältnisse notwendig erscheint. Die Vorschrift soll weder eine Möglichkeit
zur neuerlichen Wertung des alten Sachverhalts noch einen Weg eröffnen,
diesen bei Gelegenheit einer - gerechtfertigterweise erfolgenden - Abänderung
abweichend zu beurteilen. Erst recht kann sie nicht die Gelegenheit bieten,
gegen den Grund des Anspruchs Einwendungen zu erheben oder diesen neu
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zur Nachprüfung zu stellen (so BGH, Urteil vom 16. Mai 1979 - IV ZR 57/78 -
NJW 1979, 1656, 1657 = FamRZ 1979, 694 ff.).
§ 323 Abs. 1 ZPO enthält eine Ausnahme von den allgemeinen Regeln
über die Rechtskraft. Aus der Zielsetzung der Vorschrift, unvorhersehbare Ver-
änderungen der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse nachträglich berück-
sichtigen zu können, ergeben sich die Grenzen für den Einbruch in die Rechts-
kraft, den die Abänderungsklage zu bewirken vermag. Die sich aus der
Rechtskraft ergebende Bindungswirkung des Ersturteils darf auf die Abände-
rungsklage hin nur insoweit beseitigt werden, als das Ersturteil auf Verhältnis-
sen beruht, die sich nachträglich geändert haben. Soweit die tatsächlichen
Grundlagen des Ersturteils unverändert geblieben sind, bleibt die Bindung be-
stehen und hindert den Abänderungsrichter daran, die diesbezüglichen Tat-
und Rechtsfragen erneut zu prüfen. Daß diese Fragen möglicherweise unrich-
tig beurteilt worden sind, kann den Umfang der rechtlichen Bindung nicht be-
einflussen, auch nicht aus Gründen der Billigkeit. Insoweit kann nichts anderes
gelten als bei allen anderen Urteilen, deren Rechtskraft durch ihre etwaige Un-
richtigkeit gleichfalls nicht berührt wird (so BGH aaO NJW 1979; vgl. auch Se-
natsurteil vom 8. Dezember 1982 - IVb ZR 338/81 - FamRZ 1983, 260 ff.
m.w.N.).
3. Bezüglich der Verpflichtung des Beklagten dem Grunde nach, der
Klägerin Unterhalt zu leisten, hat sich seit Erlaß des Ersturteils nichts geändert.
Der Beklagte hat schon damals - jedenfalls in der Berufungsinstanz - geltend
gemacht, er sei nicht der biologische Vater der Klägerin und er habe das von
ihm abgegebene Vaterschaftsanerkenntnis wirksam angefochten. Das Bezirks-
gericht hat sich mit diesem Vortrag des Beklagten befaßt und ist zu dem Er-
gebnis gekommen, die Klägerin sei dennoch statusrechtlich als eheliches Kind
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des Beklagten anzusehen und der Beklagte sei ihr deshalb zur Unterhaltszah-
lung verpflichtet. Unabhängig davon, ob diese Beurteilung richtig war oder
nicht, ist es dem Beklagten verwehrt, sie in dem vorliegenden Abänderungs-
verfahren erneut anzugreifen.
4. Diese Ausführungen stehen nicht etwa im Widerspruch zu den in dem
Senatsurteil BGHZ 98, 353, 360 ff. zu § 323 Abs. 2 ZPO aufgestellten Grund-
sätzen. Der Senat hat dort entschieden, daß die in § 323 Abs. 2 ZPO für den
Kläger des Abänderungsverfahrens angeordnete Präklusion von Abände-
rungsgründen für den Beklagten des Abänderungsverfahrens nicht uneinge-
schränkt entsprechend gilt. Der Beklagte kann vielmehr zur Verteidigung des
Ersturteils gegen das Abänderungsbegehren des Klägers auch solche Tatsa-
chen in den Prozeß einführen, die bereits während des Erstprozesses vorgele-
gen haben, dort aber nicht vorgetragen wurden und infolgedessen unberück-
sichtigt geblieben sind.
Auf diese Entscheidung kann sich der Beklagte schon rein formal des-
halb nicht berufen, weil die Gründe, mit denen er sich gegen seine Unterhalts-
pflicht verteidigen will, Gegenstand des Erstprozesses waren.
Im übrigen enthält das Senatsurteil BGHZ 98 aaO keine Abweichung
von den oben dargelegten Grenzen, die im Abänderungsverfahren für die
Durchbrechung der Rechtskraft des Ersturteils zu beachten sind.
Wenn der Kläger des Abänderungsverfahrens eine Veränderung der
maßgeblichen Verhältnisse dargelegt und eventuell bewiesen hat, die an sich
eine Erhöhung (oder Herabsetzung) der in dem Ersturteil festgesetzten Unter-
haltsrente rechtfertigen würde, kann der Beklagte dem andere, bisher nicht be-
rücksichtigte Gründe entgegenhalten, die gegen die Notwendigkeit einer An-
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passung sprechen und es rechtfertigen, es bei dem Ersturteil zu belassen. In
diesem Zusammenhang ist der Beklagte nicht gehindert, auch solche Gründe
geltend zu machen, die schon bei Erlaß des Ersturteils vorgelegen haben,
wenn sie bisher nicht vorgetragen und berücksichtigt worden sind.
Auf diese Weise verteidigt der Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits
das Ersturteil jedoch nicht. Er räumt im Gegenteil ausdrücklich ein, daß die von
dem Familiengericht vorgenommene Anpassung der Unterhaltsrente an die
veränderten Verhältnisse jedenfalls für die Zeit bis zum 31. August 1998 an
sich gerechtfertigt ist. Er meint lediglich, das Ersturteil sei falsch und er sei dem
Grunde nach nicht verpflichtet, der Klägerin Unterhalt zu leisten. Das bedeutet,
daß der Beklagte sich gegen die Abänderungsklage wehrt, indem er eine Kor-
rektur des Ersturteils, eine abweichende rechtliche Beurteilung erreichen will.
Daß eine solche Verteidigung des Beklagten gegen das Abänderungsbegehren
zulässig wäre, ergibt sich aus der Senatsentscheidung BGHZ 98 aaO gerade
nicht.
5. Die von dem Familiengericht vorgenommene und vom Berufungsge-
richt bestätigte Anpassung der Unterhaltsrente für die Zeit bis einschließlich
August 1998 ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit erhebt auch
die Revision - zu Recht - keine Einwendungen. Soweit das Rechtsmittel des
Beklagten diesen Zeitraum betrifft, ist es unbegründet.
6. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe am 1. September 1998 ein
Lehrverhältnis begonnen und erhalte im ersten Ausbildungsjahr eine monatli-
che Ausbildungsvergütung von 575 DM, im zweiten Ausbildungsjahr von
775 DM und im dritten Ausbildungsjahr von 875 DM. Das Berufungsgericht hat
diesen Vortrag nicht berücksichtigt mit der Begründung, der Beklagte habe
"dies nicht aufgegriffen und seinem Vortrag zu eigen gemacht". Diese Ausfüh-
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rungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin, die we-
gen veränderter Verhältnisse eine Erhöhung der in dem Ersturteil festgesetzten
Unterhaltsrente begehrt, muß darlegen, daß sie in Höhe der geltend gemach-
ten Erhöhung bedürftig ist (§ 1602 Abs. 1 BGB). Die Frage, ob sie trotz des von
ihr eingeräumten Einkommens in Höhe des geltend gemachten Anspruchs be-
dürftig ist, betrifft somit die Schlüssigkeit ihrer Klage. Das Vorbringen ist des-
halb bei der Entscheidung in jedem Fall zu berücksichtigen, unabhängig davon,
ob sich der Beklagte den Vortrag zu eigen macht oder nicht. Im übrigen wäre
es lebensfremd anzunehmen, daß sich der Beklagte, der die Abweisung der
Klage begehrt, diesen Vortrag der Klägerin nicht stillschweigend zu eigen ma-
chen wollte.
Die Ausbildungsvergütung, die die Klägerin erhält, ist auf ihren Unter-
haltsanspruch grundsätzlich bedarfsmindernd anzurechnen (Senatsurteil vom
8. April 1981 - IVb ZR 559/80 - FamRZ 1981, 541, 542 f. = NJW 1981, 2462 ff.
m.N.). In diesem Punkt kann das angefochtene Urteil mit der gegebenen Be-
gründung deshalb keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage,
selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3 ZPO). Es steht zunächst
zumindest nicht fest, daß die Ausbildungsvergütung der Klägerin in voller Höhe
anzurechnen ist. Berufsbedingte Aufwendungen und sonstiger Mehrbedarf sind
vorweg abzuziehen (Senatsurteil vom 8. April 1981 aaO). Außerdem ist zu
prüfen, in welchem Umfang bis zur Volljährigkeit der Klägerin der anrechenbare
Teil der Ausbildungsvergütung dem barunterhaltspflichtigen Beklagten zugute
kommt oder eventuell der Mutter der Klägerin, wenn sie der Klägerin Natura-
lunterhalt
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geleistet hat (vgl. Senatsurteil aaO). Für die Zeit nach der Volljährigkeit der
Klägerin ist ihr Unterhaltsanspruch ohnehin neu zu berechnen. Hierzu hat das
Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus zu Recht, keine Feststellungen
getroffen. Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden,
damit es die notwendigen Feststellungen nachholen kann.
Blumenröhr Hahne Gerber
Sprick Weber-Monecke