Urteil des BFH vom 02.04.2017

BFH (beschwerdeführer, egv, inland, eugh, dienstleistung, hilfeleistung, dienstleistungsfreiheit, tätigkeit, mitgliedstaat, vorübergehend)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 13.11.2008, X B 82/08
Zurückweisung eines nicht im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten ohne Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit
- Keine Änderung der Begrifflichkeit durch Neuregelung in § 3a StBerG - Vereinbarkeit von § 3 StBerG mit der Berufsfreiheit
Tatbestand
1 I. In dem Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) Köln 11 K 3305/07 hat das FG den Prozessbevollmächtigten der
Kläger (Beschwerdeführer) gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- (in der bis 30. Juni 2008
geltenden Fassung) zurückgewiesen. Zur Begründung hat das FG im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
2 Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO seien Bevollmächtigte und Beistände zurückzuweisen, die geschäftsmäßig Hilfe in
Steuersachen leisteten, ohne dazu nach den Vorschriften des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) befugt zu sein. Diese
Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Die Bestellung des Beschwerdeführers sei endgültig widerrufen worden (vgl.
Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 2002 VII B 35/02, BFH/NV 2002, 1499).
3 Der Beschwerdeführer sei nicht nach § 3 Nr. 4 StBerG (in der bis 11. April 2008 geltenden Fassung) zur
geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt. Er sei nicht nur vorübergehend im Inland tätig, wie seine
vielfältigen Tätigkeiten für mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten vor verschiedenen Finanzämtern und
Finanzgerichten im Inland zeigen würden. Vom Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 des Vertrags zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft (EGV) seien aber nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften (EuGH) und des BFH nur vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistungen erfasst. Daran
habe weder die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die
Anerkennung von Berufsqualifikationen --Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie-- (Amtsblatt der Europäischen Union --
ABlEU-- Nr. L 255/22) noch die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.
Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt --Dienstleistungsrichtlinie-- (ABlEU Nr. L 376/36) etwas
geändert. Eine Vorlage an den EuGH scheide aus, weil an der Übereinstimmung des § 3 Nr. 4 StBerG mit dem
Europäischen Recht wegen der unstreitigen Auslegung des Begriffs der Dienstleistung keine Zweifel bestünden.
4 Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluss des FG Köln aufzuheben. Er macht geltend, er sei aufgrund der im
EG-Vertrag statuierten Dienstleistungsfreiheit in Verbindung mit der Qualifikations-Anerkennungsrichtlinie und der
Dienstleistungsrichtlinie zur grenzüberschreitenden Dienstleistung befugt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den Beschwerdeführer zu Recht gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 FGO
zurückgewiesen. Der Beschwerdeführer ist im Inland nicht zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt.
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1. Der Beschwerdeführer kann eine dahingehende Befugnis nicht aus § 3 Nr. 1 StBerG herleiten. Seine frühere
Bestellung zum Steuerberater ist wirksam widerrufen worden.
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2. Die Befugnis des Beschwerdeführers zur geschäftsmäßigen Hilfe in Steuersachen folgt auch nicht aus § 3 Nr. 4
StBerG.
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Danach sind zu solchen Dienstleistungen Personen oder Vereinigungen berechtigt, "die in einem anderen
Mitgliedstaat der Europäischen Union als Deutschland oder in der Schweiz beruflich niedergelassen sind und dort
befugt geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen nach dem Recht des Niederlassungsstaats leisten, soweit sie mit der
Hilfeleistung in Steuersachen eine Dienstleistung nach Art. 50 EGV erbringen".
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a) Es kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer nach dem Recht der Staaten, in denen er nach seiner Behauptung
niedergelassen ist, zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugt ist. Ebenso kann unentschieden
bleiben, ob das zum Schutz der Steuerpflichtigen in § 3 Nr. 4 Sätze 2 und 3 StBerG enthaltene Transparenzgebot (vgl.
Gehre/v. Borstel, Steuerberatungsgesetz, 5. Aufl., § 3 Rz 18) und dessen Missachtung durch den Beschwerdeführer
seine Zurückweisung rechtfertigen würden.
10 b) Der Beschwerdeführer ist aufgrund folgender Überlegungen vom FG zu Recht als Prozessbevollmächtigter
zurückgewiesen worden.
11 aa) Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 7. Steuerberatungsänderungsgesetz (BGBl I
2000, 874) zu § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG ist mit der Beschränkung dieses Erlaubnistatbestandes auf die Erbringer von
Dienstleistungen in Steuersachen den Anforderungen des EGV im Bereich der Dienstleistungsfreiheit bei
grenzüberschreitenden Hilfeleistungen in Steuersachen Rechnung getragen (BTDrucks 14/2667, S. 27).
12 bb) Von dem für § 3 Nr. 4 Satz 1 StBerG somit maßgebenden Begriff der Dienstleistung i.S. des Art. 50 EGV werden
nur grenzüberschreitende vorübergehende Hilfeleistungen in Steuersachen erfasst. Darunter fallen solche zeitlich
begrenzten Leistungen, die ohne dauerhafte Niederlassung (nach Art. 50 Satz 3 EGV: "vorübergehend") in dem
betreffenden Mitgliedstaat erbracht werden (EuGH-Urteile vom 4. Dezember 1986 Rs. 205/84, Slg. 1986, 3755, 3801;
vom 11. Dezember 2003 Rs. C-215/01, Slg. 2003, I-14847; BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S
41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, m.w.N.; vom 21. Januar 2004 VII B 99/03, BFH/NV 2004, 827). An dieser
Begriffsbestimmung hält der seit dem 12. April 2008 im StBerG an die Stelle des im Zeitpunkt der Entscheidung des
FG geltenden § 3 Abs. 4 StBerG getretene § 3a StBerG fest.
13 Der vorübergehende Charakter einer grenzüberschreitenden Dienstleistung ist nicht nur unter Berücksichtigung der
Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen. Er
schließt zwar nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer i.S. des Art. 50 EGV aus, sich im
Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei)
auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist. Wer jedoch in
"stabiler" und kontinuierlicher Weise eine Berufstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, fällt unter die
Vorschriften des Kapitels über das Niederlassungsrecht und nicht unter die des Kapitels über die Dienstleistungen.
Dies ist in den einführenden Erwägungen zur genannten Dienstleistungsrichtlinie in Tz 77 ausdrücklich klargestellt
und wird entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers von den Entscheidungen des EuGH vom 11. September 2007
Rs. C-76/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 5) und Rs. C-318/05 (BFH/NV 2008, Beilage 1, S. 14) in keiner Weise
berührt.
14 cc) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG den vorübergehenden Charakter der Tätigkeit des
Beschwerdeführers im Inland zutreffend verneint. Wer, wie der Beschwerdeführer, im Inland nicht nur einzelne,
sondern mehrere Steuerpflichtige an verschiedenen Orten berät und vor verschiedenen Finanzämtern und
Finanzgerichten in einer Vielzahl von Verfahren vertritt, ist nicht nur vorübergehend im Inland tätig, sondern erbringt
seine Leistungen in "stabiler" und kontinuierlicher Weise. Er überschreitet damit den durch die Dienstleistungsfreiheit
gezogenen Rahmen.
15 Eine solche nicht nur vorübergehende Tätigkeit setzt nach der Rechtsprechung des EuGH und des BFH unter den im
Streitfall gegebenen Umständen nicht als unerlässliches Erfordernis voraus, dass der Beschwerdeführer im Inland
über (äußerlich als solche erkennbare und für potenzielle Mandanten zugängliche) Praxis- oder Kanzleiräume verfügt.
Das Vorhandensein solcher Räumlichkeiten deutet zwar als (gewichtiges) Indiz auf eine nicht nur vorübergehende
Tätigkeit im Inland i.S. von Art. 50 EGV hin, begründet aber für sich allein genommen eine solche Annahme nicht
zwingend. Umgekehrt gilt Entsprechendes: Das Fehlen derartiger Räumlichkeiten mag zwar als Indiz für eine nur
vorübergehende Tätigkeit im Inland sprechen, kann indessen --wie dies im vorliegenden Fall vom FG zu Recht
angenommen wurde-- durch gewichtige gegenläufige Umstände widerlegt sein.
16 3. Die diesen Überlegungen zugrunde liegenden Grundsätze beruhen auf einer gefestigten Rechtsprechung des
EuGH und des BFH. Der angerufene Senat hat daher keine Zweifel daran, dass durch § 3 Nr. 4 StBerG (im Zeitpunkt
des Beschlusses des FG einschlägig) bzw. --seit 12. April 2008-- durch § 3a StBerG die in Art. 43 ff. EGV
gewährleistete Niederlassungsfreiheit und die in Art. 49, 50 EGV garantierte Dienstleistungsfreiheit nicht unzulässig
beeinträchtigt werden (vgl. auch BFH-Beschlüsse in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422; in BFH/NV 2004, 827; vom 12.
März 2007 X B 179/05, BFH/NV 2007, 1197). Zu einer Vorabentscheidung über die Auslegung der für den Streitfall
maßgeblichen Vorschriften des EGV besteht folglich kein Raum.
17 4. § 3 StBerG, der die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen dem dort bezeichneten Personenkreis
vorbehält, steht mit der nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierten Berufsfreiheit in Einklang (vgl. BFH-Urteile
vom 28. Juli 1981 VII R 14/79, BFHE 134, 206, BStBl II 1982, 43, und vom 1. März 1983 VII R 27/82, BFHE 138, 129,
BStBl II 1983, 318). Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht besteht daher kein Anlass.