Urteil des BFH vom 02.04.2017

Werbungskosten bei Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise - Aufwendungen für eine Fortbildungsreise für Englischlehrer nach Dublin - Abgrenzbarkeit beruflicher und privater Veranlassungsbeiträge - Zeitanteile als sachgerechter Aufteilungsmaßstab

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.4.2010, VI R 5/07
Werbungskosten bei Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise - Aufwendungen für eine Fortbildungsreise für
Englischlehrer nach Dublin - Abgrenzbarkeit beruflicher und privater Veranlassungsbeiträge - Zeitanteile als sachgerechter
Aufteilungsmaßstab
Leitsätze
1. Zur Klärung der Veranlassungsbeiträge bei Teilnahme an einer Auslandsgruppenreise gelten auch nach der Entscheidung
des Großen Senats des BFH vom 21. September 2009 GrS 1/06 die früher von ihm entwickelten Abgrenzungsmerkmale
grundsätzlich weiter .
2. Haben nicht nur berufliche Gründe den Steuerpflichtigen bewogen, die Reisekosten zu tragen, ist zu prüfen, ob die
beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge voneinander abgrenzbar sind .
3. Im Fall der Abgrenzbarkeit sind die Reisekosten in Werbungskosten und Aufwendungen für die private Lebensführung
aufzuteilen. Als sachgerechter Aufteilungsmaßstab kommt vor allem das Verhältnis der beruflich und privat veranlassten
Zeitanteile in Betracht .
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erzielte im Streitjahr 1998 als Lehrerin für Englisch und Religion an
einem Gymnasium Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In der Zeit vom 5. bis 13. September 1998 nahm sie
zusammen mit anderen Englischlehrern an einer Fortbildungsreise für Englischlehrer nach Dublin teil. Die Reise wurde
von der Englischlehrervereinigung angeboten und durchgeführt. Für den Reisezeitraum gewährte der Arbeitgeber
Dienstbefreiung.
2 Das Programm der Reise
gestaltete sich wie folgt:
Samstag, 5. September
Ankunft in Dublin
Sonntag, 6. September
Stadtrundfahrt in Dublin, Freizeit
Montag, 7. September
10:00 Uhr bis 13:00 Uhr
Keltisches Gälisch und Irisch: eine Einführung in die irische Kultur (Seminar)
14:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Teilung und Entwicklung des modernen Irlands (Seminar)
abends
Dublin Literary Pub Crawl
Dienstag, 8. September
10:00 Uhr bis 13:00 Uhr
Besichtigung des Kilmainham Gefängnisses
14:30 Uhr bis 17:30 Uhr
Sozialpolitische Themen und Besuch der Dail Eireann (Seminar)
Mittwoch, 9. September
10:00 Uhr bis 13:00 Uhr
Die irische dramaturgische Tradition: Politik und Sprache in O'Casey's, The Plough and
the stars (Seminar)
15:30 Uhr bis 18:30 Uhr
Neugeschaffenes Irland: zeitgenössische irische Literatur (Seminar)
20:00 Uhr
Aufführung von The Colleen Bawn von Dion Boucicault am Abbey Theatre
Donnerstag, 10. September
Tagesausflug nach Belfast: Stadtführung u.a. zu Falls Road, Skanhill, Rathaus und
Stormont; Seminar mit einheimischen Historikern/Führern
Freitag, 11. September
10:30 Uhr bis 13:30 Uhr
Die Rolle der Kirchen im modernen Irland (Seminar)
14:00 Uhr bis 17:00 Uhr
Besichtigung einer Schule
21:00 Uhr
Ceili: Abend mit traditioneller Musik und Tanz
Samstag, 12. September
Zeitgenössisches Kino und Kultur (Seminar)
abends
Abschiedsessen
Sonntag, 13. September
Abreise
3 Die Klägerin machte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr Aufwendungen für die Reise in Höhe von
2.328,50 DM als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ die
Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für 1998 unberücksichtigt, da die Reise nicht ausschließlich beruflichen
Zwecken gedient habe.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab. Die Sprachreise sei nicht
ausschließlich beruflich veranlasst gewesen. Ein unmittelbarer beruflicher Anlass für die Reise habe nicht bestanden.
Neben der beruflichen Veranlassung sei die Reise in nicht unerheblichem Umfang auch von privaten Motiven
beeinflusst worden. Dies ergebe sich daraus, dass während der insgesamt neuntägigen Reise jeweils ein kompletter
Tag für eine Stadtrundfahrt und anschließende Freizeit in Dublin sowie einen Tagesausflug nach Belfast vorgesehen
gewesen sei. Zudem hätten auch der Besuch des Parlamentsgebäudes (Dail Eireann) sowie zwei
Abendveranstaltungen (Abbey Theatre, Abend mit traditioneller Musik und Tanz) allgemeinen touristischen Charakter
gehabt. Darüber hinaus hätten auch die Seminarthemen nicht nur auf die speziellen beruflichen Bedürfnisse von
Englischlehrern zugeschnittene Inhalte aufgewiesen und seien auch für andere am Land interessierte Personen von
Interesse gewesen.
5 Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid dahin abzuändern, dass die Einkommensteuer für 1998 unter Berücksichtigung weiterer
Werbungskosten in Höhe von 2.329 DM herabgesetzt wird.
7 Das FA beantragt sinngemäß, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das FG
zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --
FGO--). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz können Aufwendungen für eine gemischt veranlasste Reise in
abziehbare Werbungskosten und nicht abziehbare Aufwendungen für die private Lebensführung aufgeteilt werden.
Die tatsächlichen Feststellungen des FG ermöglichen allerdings noch keine abschließende Beurteilung, in welchem
Umfang die geltend gemachten Kosten als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
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1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1
des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gehören
hierzu auch Bildungsaufwendungen, sofern sie beruflich veranlasst sind (BFH-Urteil vom 17. Dezember 2002 VI R
137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407). Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn die Aufwendungen
objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen Förderung getätigt werden (BFH-Urteil vom 1.
Februar 2007 VI R 25/03, BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459, m.w.N.).
10 a) Auch Aufwendungen für der beruflichen Fortbildung dienende Reisen sind demnach dann als Werbungskosten
abziehbar, wenn sie durch den Beruf bzw. den Betrieb veranlasst sind. Ob dies zutrifft, ist durch die Würdigung aller
Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Der Abzug der Reisekosten setzt nach der bisherigen Rechtsprechung des
BFH voraus, dass die Reise ausschließlich oder nahezu ausschließlich der beruflichen/betrieblichen Sphäre
zuzuordnen ist. Das ist zum einen der Fall, wenn der Reise ein unmittelbarer beruflicher bzw. betrieblicher Anlass
zugrunde liegt (z.B. das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Vortrages auf einem Fachkongress, die
Durchführung eines Forschungsauftrages) und die Verfolgung privater Reiseinteressen nicht den Schwerpunkt der
Reise bildet. Gleiches gilt, wenn die berufliche bzw. betriebliche Veranlassung bei weitem überwiegt und die
Befriedigung privater Interessen, wie z.B. Erholung, Bildung und Erweiterung des allgemeinen Gesichtskreises, nach
dem Anlass der Reise, dem vorgesehenen Programm und der tatsächlichen Durchführung nicht ins Gewicht fällt und
nur von untergeordneter Bedeutung ist. Anderenfalls sind die gesamten Reisekosten nicht abziehbar, soweit sich nicht
ein durch den Beruf/Betrieb veranlasster Teil nach objektiven Maßstäben sicher und leicht abgrenzen lässt
(Senatsentscheidung vom 20. Juli 2006 VI R 94/01, BFHE 214, 354, BStBl II 2007, 121, m.w.N.).
11 b) Zur Begründung hat sich die bisherige Rechtsprechung im Wesentlichen auf § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG berufen.
Danach verbietet diese Vorschrift zur Wahrung der steuerlichen Gerechtigkeit die Aufteilung und damit den Abzug von
Aufwendungen, die sowohl der privaten Lebensführung dienen als auch den Beruf fördern. Mit Beschluss vom 21.
September 2009 GrS 1/06 (BFHE 227, 1) hat der Große Senat des BFH diese Rechtsprechung aufgegeben. Nach
seiner Auffassung normiert § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot. Die Vorschrift
steht somit einer Aufteilung von gemischt veranlassten, aber anhand ihrer beruflichen und privaten Anteile trennbaren
Reisekosten nicht entgegen. Enthält eine Reise abgrenzbare berufliche und private Veranlassungsbeiträge, die
jeweils nicht von völlig untergeordneter Bedeutung sind, so erfordert es das objektive Nettoprinzip grundsätzlich, den
beruflich veranlassten Teil der Reisekosten zum Abzug zuzulassen. Reisekosten, die sowohl den beruflichen als auch
den privaten Reiseteil betreffen (z.B. Kosten der Hin- und Rückreise zu einem Auslandsaufenthalt, der berufliche und
private Teile umfasst), sind zur Umsetzung des Nettoprinzips ebenfalls aufzuteilen. Als sachgerechter
Aufteilungsmaßstab kommt das Verhältnis der beruflichen und privaten Zeitanteile der Reise in Betracht. Das
unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es jedoch im Einzelfall erfordern, einen
anderen Aufteilungsmaßstab heranzuziehen oder von einer Aufteilung ganz abzusehen.
12 2. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen; die Vorentscheidung ist daher aufzuheben. Die Sache ist nicht
spruchreif.
13 a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang zunächst die Gründe festzustellen haben, aus denen die Klägerin die Reise
unternommen hat. Die Gründe bilden das "auslösende Moment", das den Steuerpflichtigen bewogen hat, die
Reisekosten zu tragen (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1). Die Gründe sind anhand der
Umstände des Falls zu ermitteln. Dabei kommt dem Steuerpflichtigen eine umfassende Darlegungs- und
Nachweispflicht zu (Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1). Für eine Auslandsgruppenreise gelten
auch nach der Entscheidung des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1 die in seinem Beschluss vom 27. November
1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213) entwickelten Abgrenzungsmerkmale grundsätzlich fort. Für eine
berufliche Veranlassung ist daher neben einer fachlichen Organisation vor allem maßgebend, dass das Programm auf
die besonderen beruflichen Bedürfnisse der Teilnehmer zugeschnitten und der Teilnehmerkreis im Wesentlichen
gleichartig (homogen) ist. Einer (ausschließlich) beruflichen Veranlassung steht nicht schon entgegen, dass die im
beruflichen Interesse gewonnenen Erkenntnisse auch im privaten Bereich angewendet werden können
(Senatsentscheidungen vom 17. Juli 1992 VI R 12/91, BFHE 168, 567, BStBl II 1992, 1036; vom 28. August 2008 VI R
35/05, BFHE 223, 1, BStBl II 2009, 108). Die berufliche Veranlassung kann auch nicht mit der Begründung
abgesprochen werden, der Beruf erfordere Aufwendungen, die für andere Steuerpflichtige Privataufwendungen sind
(Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 227, 1).
14 b) Kommt das FG zu dem Ergebnis, dass nicht nur berufliche, sondern auch beachtliche private Gründe die Klägerin
bewogen haben, an der Reise teilzunehmen und die Reisekosten zu tragen, ist zu prüfen, ob die beruflichen und
privaten Veranlassungsbeiträge nach objektiven Kriterien abgrenzbar sind. Davon ist auszugehen, wenn
Reiseabschnitte bzw. Reisebestandteile (s. dazu BFH-Urteil vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II
2006, 30) unterschiedlich beruflich oder privat veranlasst sind. In diesem Fall sind, wie dargestellt, die Aufwendungen
für die Reise aufzuteilen. Dabei sind die Grundsätze, die der Senat für die Einnahmenseite gemischt veranlasster
Reisen mit Urteil in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 aufgestellt hat, auf die Aufteilbarkeit in Werbungskosten und
Aufwendungen für die Lebensführung zu übertragen (Senatsbeschluss in BFHE 214, 354, BStBl II 2007, 121). Danach
sind bei einer gemischt veranlassten Reise, sofern es sich nicht um eine Pauschalreise handelt, zunächst die
Kostenbestandteile der Reise zu trennen, die sich leicht und eindeutig dem beruflichen und privaten Bereich
zuordnen lassen. Für die Aufwendungen, die sowohl den beruflichen als auch den privaten Reiseteil betreffen --das
sind insbesondere die Kosten für die Beförderung, die Hotelunterbringung und Verpflegung (Senatsentscheidung in
BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30)--, hat der Große Senat des BFH in BFHE 227, 1, dem erkennenden Senat insoweit
folgend (Urteil in BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30), als sachgerechten Aufteilungsmaßstab das Verhältnis der
beruflich und privat veranlassten Zeitanteile herangezogen. Bei der Bemessung der Zeitanteile sind der An- und/oder
Abreisetag nur zu berücksichtigen, wenn diese Tage zumindest teilweise für touristische bzw. berufliche
Unternehmungen zur Verfügung standen. Ansonsten sind diese Tage bei der Aufteilung als neutral zu behandeln.