Urteil des BFH vom 05.07.2018

Änderung des Tabelleneintrags darf versagt werden, wenn Insolvenzschuldner keinen Widerspruch gegen Forderungsanmeldung erhoben hat

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.7.2018, XI B 18/18
ECLI:DE:BFH:2018:B.050718.XIB18.18.0
Änderung des Tabelleneintrags darf versagt werden, wenn
Insolvenzschuldner keinen Widerspruch gegen Forderungsanmeldung
erhoben hat
Leitsätze
1. NV: Wenn für den Steuerpflichtigen im Insolvenzverfahren die
Möglichkeit bestand, durch einen Widerspruch gemäß § 178 Abs. 2 i.V.m.
§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO den Eintritt der Urteilswirkung des
Tabelleneintrags zu verhindern, ist es grundsätzlich ermessensfehlerfrei,
wenn das FA einen auf § 130 AO gestützten Antrag auf Änderung des
Tabelleneintrags ablehnt.
2. NV: Die Feststellung zur Insolvenztabelle kann weder nach § 164 Abs.
2 AO noch nach den §§ 172 ff. AO geändert werden.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen
das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 24. November 2017 1 K
3808/15 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb im
Streitjahr (2007) einen Einzelhandel. Diesen Betrieb meldete sie
Ende Februar 2008 wegen Betriebsaufgabe ab.
2 Durch Beschluss vom 31. März 2008 ... eröffnete das Amtsgericht
(AG) X das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin
und bestellte Herrn ... (A) zum Insolvenzverwalter.
3 Das damals für die Umsatzsteuer der Klägerin zuständige
Finanzamt Z (FA Z) meldete im April 2008 die Umsatzsteuer für
das Streitjahr in Höhe von ... EUR zur Tabelle an und übersandte
A eine "Berechnung für Umsatzsteuer 2007", die es durch
manuelle Änderung eines maschinell erstellten, nicht versandten
Umsatzsteuerbescheids hergestellt hatte. In den Erläuterungen
wurde darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine
Steuerfestsetzung, sondern um eine Steuerberechnung als
Grundlage für die Anmeldung zur Tabelle handele.
4 Die angemeldete Forderung wurde im Prüfungstermin weder vom
Insolvenzverwalter noch von der Klägerin bestritten und deshalb
wie angemeldet in die Insolvenztabelle eingetragen.
5 Infolge Organisationsakts der Finanzverwaltung wurde zum
1. April 2011 der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt --FA--) für die Umsatzsteuer der Klägerin zuständig.
6 Durch Beschluss vom 2. Juni 2014 erteilte das AG X der Klägerin
Restschuldbefreiung.
7 Am 17. November 2014 bat der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin das FA u.a. um Übersendung des
Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2007. Das FA übersandte
ihm am selben Tag einen computergenerierten, auf jeder Seite als
"Doppel" gekennzeichneten Ausdruck des an A adressierten,
nicht versandten Umsatzsteuerbescheids des FA Z für das Jahr
2007 vom 29. April 2008 mit dem o.g. Erläuterungstext.
8 Die Klägerin nahm an, ihr sei am 17. November 2014 ein
Umsatzsteuerbescheid des FA Z vom 29. April 2008
bekanntgegeben worden, und legte dagegen am 18. Dezember
2014 Einspruch ein. In der Folgezeit reichte die Klägerin eine
Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2007 (nebst
Abtretungsanzeige für das sich ergebende Guthaben) ein. Den
Einspruch wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom
5. November 2015 als unbegründet mit der Begründung zurück,
dem FA habe bei der Übersendung des genannten
Computerausdrucks am 17. November 2014 der
Bekanntgabewille gefehlt. Dies sei durch den Aufdruck "Doppel",
das Datum aus dem Jahr 2008 und die Angabe des durch
Organisationsakt untergegangenen FA Z als erlassender Behörde
nach außen dokumentiert. Die sich anschließende Klage
1 K 3807/15 U wies das Finanzgericht (FG) ab und ließ die
Revision nicht zu. Dies ist Gegenstand des Verfahrens XI B 17/18.
9 Daneben wurde von der Klägerin am 18. Dezember 2014 ein
"Widerruf" des Tabelleneintrags gemäß den §§ 130 bis 132 der
Abgabenordnung (AO) beantragt. Diesen lehnte das FA mit
Bescheid vom 29. April 2015 ab. Die Umsatzsteuer 2007 sei
widerspruchslos zur Tabelle festgestellt worden und damit
bestandskräftig. Eine Änderung des Tabelleneintrags nach § 130
AO scheide im Streitfall aus. Dem FA stehe insoweit ein Ermessen
zu. Dieses sei ermessensfehlerfrei ausgeübt, wenn die Gründe,
die eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht
eingelegten Einspruch hätten vorgebracht werden können und
keine besonderen Umstände vorliegen, nach denen die
Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren nicht hätte erwartet
werden können. Eine Änderung der Umsatzsteuer 2007 komme
daher nicht in Betracht.
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Den Einspruch der Klägerin vom 2. Juni 2015 gegen den
Ablehnungsbescheid vom 29. April 2015 wies das FA durch
Einspruchsentscheidung vom 5. November 2015 als unbegründet
zurück. Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO aufgrund der im
Dezember 2014 eingereichten Umsatzsteuererklärung für das
Jahr 2007 sei nicht möglich. Da der Insolvenzverwalter die
Forderungen des FA im Prüfungstermin nicht bestritten habe, sei
kein Bescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO ergangen, so dass sich
die Beantwortung der Frage erübrige, ob dieser nach § 130 AO
geändert werden könne. Der Tabelleneintrag wirke deshalb als
rechtskräftiges Urteil. Dieser könne zwar ebenfalls nach § 130 AO
geändert werden. Dies dürfe jedoch nicht dazu führen, dass die
Rechtsbehelfsfristen in Teilbereichen unterlaufen würden. Mit dem
Bestreiten des Tabelleneintrags habe der Insolvenzverwalter
Einwendungen gegen die Umsatzsteuer 2007 vorbringen können.
Auch eine Änderung nach anderen Vorschriften der AO,
insbesondere § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, sei nicht möglich.
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Das FG wies die dagegen gerichtete Klage 1 K 3808/15 U ab und
ließ die Revision nicht zu. Es entschied, das FA habe es zu Recht
abgelehnt, den von der Klägerin begehrten Verwaltungsakt zu
erlassen. Die Eintragung in die Insolvenztabelle wirke wie ein
rechtskräftiges Urteil, könne allerdings nach § 130 AO geändert
werden. Die Ermessensentscheidung des FA, ob es einen
rechtswidrigen Verwaltungsakt ändert, sei gerichtlich nur
eingeschränkt überprüfbar. Im Streitfall sei die
Ermessensentscheidung des FA, die Feststellung zur Tabelle
nicht zu ändern, nicht zu beanstanden. Das FA habe sein
Ermessen erkannt und fehlerfrei ausgeübt, weil weder die Klägerin
noch der Insolvenzverwalter der Forderungsanmeldung des FA
widersprochen hätten. Besondere Umstände, die eine
abweichende Beurteilung erfordern würden, seien nicht
vorgetragen worden. Außerdem habe das FA zu Recht
berücksichtigt, dass der Klägerin Restschuldbefreiung erteilt
worden sei und die Steuerforderung sie nicht mehr belaste. Auch
eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO habe das FA zu Recht
abgelehnt.
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Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht
die Klägerin geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher
Bedeutung der Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung sowie wegen Verfahrensfehlern zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls
unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind
überwiegend nicht hinreichend dargelegt und liegen im Übrigen
nicht vor.
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1. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache im Verfahren XI B 18/18 bereits deshalb nicht
hinreichend dargelegt, weil sie keine für die Beurteilung des
Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage aufgeworfen hat, die das
(abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt,
klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. zu diesem
Erfordernis Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
26. September 2017 XI B 65/17, BFH/NV 2018, 240, Rz 12 f.; vom
2. Januar 2018 XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457, Rz 15). Dazu
muss ausgeführt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite
und aus welchem Grund die Beantwortung der Frage zweifelhaft
und streitig ist (vgl. BFH-Beschluss vom 27. November 2017
III B 179/16, BFH/NV 2018, 350, Rz 8, m.w.N.).
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2. Mit ihrem Vortrag, das Urteil des FG stehe in Widerspruch zu
den BFH-Urteilen vom 24. November 2011 V R 13/11 (BFHE 235,
137, BStBl II 2012, 298) und vom 6. Dezember 2012 V R 1/12
(BFH/NV 2013, 906), hat die Klägerin den Zulassungsgrund der
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2
Alternative 2 FGO) wegen Divergenz nicht hinreichend dargelegt.
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a) Zur schlüssigen Darlegung dieses Zulassungsgrundes muss
der Beschwerdeführer tragende abstrakte Rechtssätze aus dem
angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten
Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und
einander so gegenüberstellen, dass die behauptete Abweichung
erkennbar wird (z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 2014
XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 14; vom 17. November 2015
XI B 52/15, BFH/NV 2016, 431, Rz 28).
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b) Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Klägerin hat zwar in
der Beschwerdebegründung angebliche
Divergenzentscheidungen benannt, aber keine voneinander
abweichenden Rechtssätze der angeblichen
Divergenzentscheidungen und der Vorinstanz derart
gegenübergestellt, dass eine Abweichung erkennbar wird.
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c) Eine zur Zulassung wegen Divergenz führende
Nichtübereinstimmung im Rechtsgrundsätzlichen läge außerdem
selbst dann nicht vor, wenn das FG von den Rechtsgrundsätzen
der BFH-Rechtsprechung ausgegangen und diese lediglich
unzutreffend auf den Einzelfall angewendet hätte (vgl. BFH-
Beschlüsse vom 7. Februar 2017 V B 48/16, BFH/NV 2017, 629,
Rz 11; vom 27. Februar 2018 XI B 97/17, BFH/NV 2018, 738,
Rz 9).
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d) Im Streitfall steht das Urteil der Vorinstanz aber ohnehin in
Einklang mit der Rechtsprechung des BFH.
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aa) Entgegen der Annahme der Beschwerde hat das FG im
Streitfall zu Recht angenommen, das FA habe sein Ermessen im
Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung
erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt. Das FA habe zu
Recht berücksichtigt, dass weder die Klägerin noch der
Insolvenzverwalter der Forderungsanmeldung des FA
widersprochen hätten, obwohl die Möglichkeit bestanden habe,
mit dem Bestreiten des Tabelleneintrags Einwendungen gegen
die vom FA zur Tabelle angemeldete Umsatzsteuer vorzubringen.
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bb) Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Da für die
Klägerin nach der Rechtsprechung des BFH die Möglichkeit
bestand, durch einen Widerspruch gemäß § 178 Abs. 2 i.V.m.
§ 201 Abs. 2 Satz 1 der Insolvenzordnung (InsO) den Eintritt der
Urteilswirkung des Tabelleneintrags zu verhindern (vgl. BFH-
Urteile vom 16. Mai 2017 VII R 25/16, BFHE 257, 515, BStBl II
2017, 934; vom 27. September 2017 XI R 9/16, BFHE 259, 221,
BFH/NV 2018, 75), durfte das FA den auf § 130 AO gestützten
Änderungsantrag der Klägerin nach der Rechtsprechung des BFH
(vgl. BFH-Urteile in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 50; in
BFH/NV 2012, 711, Rz 13; in BFH/NV 2013, 906, Rz 13; vom
11. Dezember 2013 XI R 22/11, BFHE 244, 209, BStBl II 2014,
332, Rz 31 und 32; vom 22. Oktober 2014 I R 39/13, BFHE 247,
300, BStBl II 2015, 577, Rz 27) ermessensfehlerfrei ablehnen.
Das Versäumnis der Klägerin, der Forderungsanmeldung im
Prüfungstermin nicht widersprochen zu haben, geht auch insoweit
zu ihren Lasten.
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cc) Eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO (vgl. BFH-Urteil in BFHE
247, 300, BStBl II 2015, 577, Rz 18 ff.) oder § 172 ff. AO (vgl.
BFH-Urteil in BFHE 259, 221, BFH/NV 2018, 75, Rz 42) ist
ebenfalls nicht möglich. Einwendungen des Steuerpflichtigen
gegen die Steuerforderungen des FA sind durch den Widerspruch
im Prüfungstermin geltend zu machen.
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3. Da die Vorentscheidung zutreffend ist, ist die Revision auch
nicht wegen eines schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers
des FG i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen.
Auf die Frage, ob dieser Zulassungsgrund ebenfalls nicht
hinreichend dargelegt ist (zu den Anforderungen hieran BFH-
Beschluss vom 20. Februar 2018 XI B 129/17, BFH/NV 2018,
641, Rz 12, m.w.N.), kommt es deshalb nicht mehr an.
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4. Soweit die Beschwerde rügt, die Begründung des FG sei
widersprüchlich und stehe nicht in Einklang mit der
Rechtsprechung des BFH wendet sich die Klägerin im Übrigen
gegen die sachliche Richtigkeit des Urteils. Die Sachverhalts- und
Beweiswürdigung gehört jedoch revisionsrechtlich dem
materiellen Recht an. Die Klägerin macht daher einen materiellen
Fehler geltend, der --so er denn vorläge-- grundsätzlich nicht die
Zulassung der Revision rechtfertigen würde, aber keinen
Verfahrensfehler (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Juni 2014
XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 47; vom 2. März 2017
XI B 81/16, BFH/NV 2017, 748, Rz 30, 34).
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5. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO
von einer weiteren Begründung ab.