Urteil des BFH vom 05.07.2018

Feststellung zur Insolvenztabelle wirkt wie ein entsprechender Steuerbescheid; Anfechtungsmöglichkeiten

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.7.2018, XI B 17/18
ECLI:DE:BFH:2018:B.050718.XIB17.18.0
Feststellung zur Insolvenztabelle wirkt wie ein entsprechender
Steuerbescheid; Anfechtungsmöglichkeiten
Leitsätze
NV: Wenn weder der Insolvenzverwalter noch einer der
Insolvenzgläubiger noch der Schuldner der Feststellung einer
Umsatzsteuerforderung zur Insolvenztabelle widersprochen haben, ist die
Feststellung zur Insolvenztabelle, die als Steuerfestsetzung wirkt, mit
einem förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch, Klage,
Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) nicht mehr anfechtbar.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen
das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 24. November 2017 1 K
3807/15 U wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb im
Streitjahr (2007) einen Einzelhandel. Diesen Betrieb meldete sie
Ende Februar 2008 wegen Betriebsaufgabe ab.
2 Durch Beschluss vom 31. März 2008 ... eröffnete das Amtsgericht
(AG) X das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin
und bestellte Herrn ... (A) zum Insolvenzverwalter.
3 Das damals für die Umsatzsteuer der Klägerin zuständige
Finanzamt Z (FA Z) meldete im April 2008 die Umsatzsteuer für
das Streitjahr in Höhe von ... EUR zur Tabelle an und übersandte
A eine "Berechnung für 2007 über Umsatzsteuer", die es durch
manuelle Änderung eines maschinell erstellten, nicht versandten
Umsatzsteuerbescheids hergestellt hatte. In den Erläuterungen
wurde darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine
Steuerfestsetzung, sondern um eine Steuerberechnung als
Grundlage für die Anmeldung zur Tabelle handele.
4 Die angemeldete Forderung wurde im Prüfungstermin weder vom
Insolvenzverwalter noch von der Klägerin bestritten und deshalb
wie angemeldet in die Insolvenztabelle eingetragen.
5 Infolge Organisationsakts der Finanzverwaltung wurde zum
1. April 2011 der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt --FA--) für die Umsatzsteuer der Klägerin zuständig.
6 Durch Beschluss vom 2. Juni 2014 erteilte das AG X der Klägerin
Restschuldbefreiung.
7 Am 17. November 2014 bat der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin das FA u.a. um Übersendung des
Umsatzsteuerbescheids für das Jahr 2007. Das FA übersandte
ihm am selben Tag einen computergenerierten, auf jeder Seite als
"Doppel" gekennzeichneten Ausdruck des an A adressierten,
nicht versandten Umsatzsteuerbescheids des FA Z für das Jahr
2007 vom 29. April 2008 mit dem o.g. Erläuterungstext.
8 Die Klägerin nahm an, ihr sei am 17. November 2014 ein
Umsatzsteuerbescheid des FA Z vom 29. April 2008
bekanntgegeben worden, und legte dagegen am 18. Dezember
2014 Einspruch ein. In der Folgezeit reichte die Klägerin eine
Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2007 (nebst
Abtretungsanzeige für das sich ergebende Guthaben) ein. Den
Einspruch wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom
5. November 2015 als unbegründet mit der Begründung zurück,
dem FA habe bei der Übersendung des genannten
Computerausdrucks am 17. November 2014 der
Bekanntgabewille gefehlt. Dies sei durch den Aufdruck "Doppel",
das Datum aus dem Jahr 2008 und die Angabe des durch
Organisationsakt untergegangenen FA Z als erlassender Behörde
nach außen dokumentiert.
9 Die sich anschließende Klage wies das Finanzgericht (FG) ab und
ließ die Revision nicht zu. Es entschied, das FA habe den
Einspruch im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Einspruch
sei unzulässig, weil das übersandte Doppel der
Umsatzsteuerberechnung kein Verwaltungsakt gewesen sei. Der
Umsatzsteuerberechnung für das Jahr 2007 vom 29. April 2008
fehle der Regelungsgehalt. Sie sei lediglich eine Information für
den Insolvenzverwalter. Das am 14. November 2014 übersandte
Doppel sei ebenfalls kein gegenüber der Klägerin erlassener
Verwaltungsakt, wie sich aus der Adressierung an A und dem
Erläuterungstext ergebe. Außerdem fehle der Bekanntgabewille.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde wegen Nichtzulassung der
Revision, mit der die Klägerin geltend macht, die Revision sei
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie wegen
Verfahrensfehlern zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II.
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Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls
unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind
überwiegend nicht hinreichend dargelegt und liegen im Übrigen
nicht vor.
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1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht
hinreichend dargelegt.
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a) Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache muss der Beschwerdeführer eine konkrete
Rechtsfrage formulieren und substantiiert auf ihre
Klärungsbedürftigkeit, ihre über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung sowie darauf eingehen, weshalb von der
Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die
Rechtssache abhängt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 17. November 2015 XI B 52/15, BFH/NV 2016, 431,
Rz 24; vom 25. Juli 2017 IX B 50/17, BFH/NV 2017, 1457, Rz 3).
Ist zu einer Rechtsfrage bereits Rechtsprechung vorhanden, hat
sich der Beschwerdeführer damit auseinanderzusetzen und zu
erörtern, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage
noch nicht als geklärt anzusehen ist bzw. weshalb sie ggf. einer
weiteren oder erneuten Klärung bedarf (vgl. BFH-Beschlüsse vom
21. Januar 2015 XI B 88/14, BFH/NV 2015, 864, Rz 15; vom
7. Februar 2018 V B 119/17, BFH/NV 2018, 544, Rz 3).
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b) Dies hat die Klägerin nicht getan.
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aa) Die Klägerin wirft folgende Rechtsfrage auf: "Was ist das für
ein Akt, der Rechtskraftwirkungen eines sonstigen
Verwaltungsaktes entfaltet, der nach einer Vorschrift, die für
Verwaltungsakte gilt, zurückgenommen werden kann und dabei
angeblich selbst kein Verwaltungsakt ist, von dem der Beklagte
und Beschwerdegegner selbst annimmt, dass es sich dabei um
eine Steuerfestsetzung handelt?" Daran schließen sich mehrere
weitere Fragen zur Rechtsnatur des Tabelleneintrags, zur
Forderungsanmeldung und zum Zeitpunkt der Bestandskraft an.
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bb) Es fehlt aber die Darlegung, warum diese Rechtsfragen im
vorliegenden Verfahren XI B 17/18 klärbar sein sollen, in dem es
um die Frage geht, ob das am 14. November 2014 vom FA
übersandte Doppel ein von der Klägerin gegenüber dem FA mit
dem Einspruch anfechtbarer Verwaltungsakt ist, obwohl es nicht
vom FA, sondern vom FA Z stammt und nicht an die Klägerin,
sondern an A adressiert ist. Inwiefern hierfür von Bedeutung ist,
welche Rechtsnatur die Forderungsanmeldung und der
Tabelleneintrag haben und wann sie "bestandskräftig" werden,
ergibt sich aus der Beschwerdebegründung nicht hinreichend.
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cc) Außerdem fehlt jegliche Auseinandersetzung mit der dazu
vorhandenen Rechtsprechung. Die Feststellung der Forderung in
der Insolvenztabelle stellt das insolvenzrechtliche Äquivalent zur
Steuerfestsetzung durch Verwaltungsakt dar; sie hat grundsätzlich
die gleichen Rechtswirkungen wie ein entsprechender
Steuerbescheid (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 2008 VII R 36/07,
BFHE 222, 205, BStBl II 2009, 90, unter II.1.b dd, Rz 15). Die
widerspruchslose Eintragung in die Tabelle wirkt gegenüber dem
Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern gemäß § 178
Abs. 3 der Insolvenzordnung (InsO) wie ein rechtskräftiges Urteil.
Gegenüber dem Schuldner, der --wie die Klägerin-- der
Forderungsanmeldung nicht widersprochen hat, hat sie die
Wirkung eines vollstreckbaren Titels, aus dem die
Insolvenzgläubiger wie aus einem vollstreckbaren Urteil die
Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben können
(vgl. BFH-Urteil vom 27. September 2017 XI R 9/16, BFHE 259,
221, BFH/NV 2018, 75, Rz 33; Urteil des Bundesgerichtshofs --
BGH-- vom 11. Juli 2013 IX ZR 286/12, Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR--
2013, 1268, Rz 8; BGH-Beschluss vom 3. April 2014 IX ZB 83/13,
NJW-RR 2014, 1390, Rz 8). Allenfalls unter den Voraussetzungen
des § 130 der Abgabenordnung (AO) entfällt die Urteilswirkung
des § 178 Abs. 3 InsO (vgl. BFH-Urteile vom 24. November 2011
V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, Rz 42 und 46; vom
24. November 2011 V R 20/10, BFH/NV 2012, 711, Rz 11; vom
6. Dezember 2012 V R 1/12, BFH/NV 2013, 906, Rz 10; bei
Insolvenzplan Änderungsmöglichkeit verneinend BFH-Urteil vom
22. Oktober 2014 I R 39/13, BFHE 247, 300, BStBl II 2015, 577).
Weitergehenden Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht dar.
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2. Mit ihrem Vortrag, das Urteil des FG stehe in Widerspruch zu
den BFH-Urteilen in BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298 und in
BFH/NV 2013, 906, hat die Klägerin den Zulassungsgrund der
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2
Alternative 2 FGO) wegen Divergenz nicht hinreichend dargelegt.
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a) Zur schlüssigen Darlegung dieses Zulassungsgrundes muss
der Beschwerdeführer tragende abstrakte Rechtssätze aus dem
angefochtenen Urteil einerseits und aus den behaupteten
Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeiten und
einander so gegenüberstellen, dass die behauptete Abweichung
erkennbar wird (z.B. BFH-Beschlüsse vom 11. Dezember 2014
XI B 49/14, BFH/NV 2015, 363, Rz 14; in BFH/NV 2016, 431,
Rz 28).
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b) Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Klägerin hat zwar in
der Beschwerdebegründung angebliche
Divergenzentscheidungen benannt, aber keine voneinander
abweichenden Rechtssätze der angeblichen
Divergenzentscheidungen und der Vorinstanz derart
gegenübergestellt, dass eine Abweichung erkennbar wird.
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c) Außerdem ist nicht dargelegt, dass ein tragender Rechtssatz im
Streitfall entscheidungserheblich wäre. Ob der Tabelleneintrag
nach § 130 AO geändert werden kann, ist nicht Gegenstand des
Verfahrens XI B 17/18.
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3. Das Urteil des FG ist auch nicht --wie die Klägerin meint--
greifbar gesetzeswidrig, weil zur Umsatzsteuer 2007 noch gar
kein Verwaltungsakt ergangen sei und nach Auffassung des FG
auch kein Bescheid ergehen müsse.
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a) Zur Insolvenztabelle festgestellte Steueransprüche werden von
der rechtskraftähnlichen Wirkung des Tabelleneintrages erfasst,
so dass sie ohne Steuerbescheid durchgesetzt werden können
(vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2015 V R 39/14, BFHE 251, 125,
BStBl II 2017, 755, Rz 20; BFH-Beschluss vom 13. Dezember
2016 V B 36/16, BFH/NV 2017, 437, Rz 8).
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b) Der Hinweis der Klägerin auf die Unterbrechung des
Verwaltungsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung führt zu
keiner anderen Beurteilung; denn der Umstand, dass weder der
Insolvenzverwalter noch einer der Insolvenzgläubiger noch der
Schuldner der Feststellung einer Umsatzsteuerforderung zur
Insolvenztabelle widersprochen hat (Feststellung zur Tabelle nach
§ 178 Abs. 1 InsO), bewirkt die Erledigung der Hauptsache (vgl.
BFH-Beschluss vom 23. September 2015 V B 159/14, BFH/NV
2016, 60, Rz 12, m.w.N.). Die Feststellung zur Insolvenztabelle,
die als Steuerfestsetzung wirkt, ist in einem solchen Fall mit einem
förmlichen Rechtsbehelf (Einspruch, Klage,
Nichtzulassungsbeschwerde, Revision) nicht mehr anfechtbar
(vgl. BFH-Urteil in BFHE 259, 221, BFH/NV 2018, 75, Rz 35).
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c) Die Klägerin wird hierdurch auch nicht rechtsschutzlos gestellt;
denn sie konnte als Insolvenzschuldnerin der
Forderungsanmeldung des FA im Prüfungstermin widersprechen
und dadurch den Eintritt der Wirkung des § 201 InsO verhindern
(vgl. BFH-Urteile vom 16. Mai 2017 VII R 25/16, BFHE 257, 515,
BStBl II 2017, 934; in BFHE 259, 221, BFH/NV 2018, 75). Diese
Möglichkeit hat sie nicht genutzt. Dies geht auch insoweit zu ihren
Lasten.
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d) Auf die Frage, ob der von der Klägerin geltend gemachte
Zulassungsgrund ebenfalls nicht hinreichend dargelegt ist (zu den
Anforderungen hieran BFH-Beschluss vom 20. Februar 2018
XI B 129/17, BFH/NV 2018, 641, Rz 12, m.w.N.), kommt es
deshalb nicht mehr an.
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4. Soweit die Beschwerde (auch) als Verfahrensfehler rügt, die
Begründung des FG sei widersprüchlich und die
Beweiswürdigung des FG sei falsch bzw. unvollständig, wendet
sich die Klägerin gegen die sachliche Richtigkeit des Urteils. Die
Sachverhalts- und Beweiswürdigung gehört revisionsrechtlich
dem materiellen Recht an. Die Klägerin macht daher einen
materiellen Fehler geltend, der --so er denn vorläge--
grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen
würde; auch läge kein Verfahrensfehler vor (vgl. BFH-Beschlüsse
vom 24. Juni 2014 XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 47; vom
2. März 2017 XI B 81/16, BFH/NV 2017, 748, Rz 30, 34).
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5. Der Senat sieht gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO
von einer weiteren Begründung ab.