Urteil des BFH vom 24.07.2018

Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG bei Streit um Bildung einer Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 24.7.2018, VI S 12/17
ECLI:DE:BFH:2018:B.240718.VIS12.17.0
Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG bei Streit um Bildung
einer Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG
Leitsätze
1. NV: Ist Streitgegenstand die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkend zu
bildenden Rücklage nach § 6c Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3
EStG, wirkt sich die Beantwortung der Frage regelmäßig nicht nur auf das
Streitjahr, sondern i.S. des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auch auf die
Folgejahre aus.
2. NV: Die Streitwerterhöhung nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG kommt auch
zur Anwendung, wenn die Berechnung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3
Satz 1 GKG zum Ansatz des Mindeststreitwerts (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG)
führt.
Tenor
Der Streitwert für das Revisionsverfahren IV R 41/13 wird auf 4.500 EUR
festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
1 1. Der Antrag auf Streitwertfestsetzung ist zulässig.
2 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
setzt der Antrag eines Beteiligten auf förmliche Festsetzung des
Streitwerts ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Daran fehlt es,
wenn der Streitwert eindeutig aus dem gestellten Sachantrag und
der bisherigen BFH-Rechtsprechung ermittelt werden kann (BFH-
Beschlüsse vom 17. November 1987 VIII R 346/83, BFHE 152, 5,
BStBl II 1988, 287, unter II., und vom 18. Januar 2017 X S 22/16,
BFH/NV 2017, 615, Rz 12).
3 b) Demgegenüber besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die
Höhe des Streitwerts nicht nur auf der Grundlage eines einfachen
Rechenvorgangs ermittelt werden kann und zwischen den
Beteiligten umstritten ist oder Fälle der vorliegenden Art in der
Rechtsprechung noch nicht entschieden sind (BFH-Beschluss
vom 11. Dezember 1974 I B 46/74, BFHE 115, 1, BStBl II 1975,
385; vgl. auch BFH-Beschluss vom 17. August 2015 XI S 1/15,
BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 9).
4 Dies ist hier der Fall. Die Höhe des Streitwerts ist zwischen den
Beteiligten umstritten. Auch im Hinblick auf die streitige Vorschrift
des § 52 Abs. 3 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) kann
noch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung ausgegangen
werden (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 250, 327, BStBl II 2015,
906, Rz 9, und in BFH/NV 2017, 615, Rz 14).
5 2. Der Streitwert bestimmt sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3
Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GKG. § 52 Abs. 3 GKG wurde
durch Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a des
2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes --2. KostRMoG-- (BGBl I
2013, 2586) mit Wirkung vom 1. August 2013 neu gefasst. Da die
Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Kläger) die Revision
am 5. Dezember 2013 und damit nach der Änderung von § 52
Abs. 3 GKG zum 1. August 2013 eingelegt haben (vgl. § 71 Abs. 1
Satz 2 GKG; Art. 3 Abs. 1 Nr. 18 Buchst. a und
Art. 50 2. KostRMoG), sind die Vorschriften für das
Revisionsverfahren anwendbar.
6 3. Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GKG wäre im
Streitfall für das Revisionsverfahren der Mindeststreitwert von
1.500 EUR festzusetzen.
7 a) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den
Anträgen des Rechtsmittelführers im Zeitpunkt der Einlegung der
Revision (§ 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 40 GKG).
8 b) Mit der von den Klägern eingelegten Revision verfolgen diese
das Ziel, eine im Nachhinein im Jahr 2010 gezahlte
"Entschädigungsprovision" als nachträgliche Kaufpreiszahlung
einer zum .... ... 2008 veräußerten Landwirtschaftsfläche zu
qualifizieren, um hierfür entsprechend § 6c Abs. 1 Satz 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG
rückwirkend für das Wirtschaftsjahr 2007/2008 eine Rücklage zu
bilden (zu den Einzelheiten vgl. BFH-Urteil vom 10. März 2016
IV R 41/13, BFHE 253, 337, BStBl II 2016, 984). Über diese Frage
war erstmals und ausschließlich im Streitjahr (2009) zu
entscheiden, da sich die Bildung, Auflösung oder teilweise
Übertragung der Rücklage erstmalig gewinnwirksam im
Einkommensteuerbescheid 2009 auswirkte (BFH-Urteil in BFHE
253, 337, BStBl II 2016, 984, Rz 21 und 40).
9 Da die Einkommensteuer für das Streitjahr aufgrund der
gewinnwirksamen teilweisen Auflösung allerdings unverändert
blieb (0 EUR), war bei Anwendung von § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG
der Mindeststreitwert von 1.500 EUR (§ 52 Abs. 4 Nr. 1 GKG)
anzusetzen.
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4. Der Streitwert ist nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG um das
Dreifache zu erhöhen. Danach ist, wenn der Antrag des Klägers
offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige
Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige
Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, die Höhe des sich
aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der
offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den
Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts
nach Satz 1 nicht übersteigen darf. Unschädlich ist, dass im
Streitfall nach den vorstehenden Ausführungen der
Mindeststreitwert zum Ansatz kommt. Denn insoweit handelt es
sich lediglich um eine Untergrenze des ansonsten nach § 52
Abs. 3 Satz 1 GKG ermittelten Streitwerts.
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a) Im finanzgerichtlichen Verfahren liegen offensichtlich
absehbare zukünftige Auswirkungen in diesem Sinne vor, wenn
ohne umfangreiche Prüfung oder aufwändige Überlegungen, also
auf den ersten Blick, erkennbar ist, dass der konkret verwirklichte
Sachverhalt auch die Höhe zukünftiger Steuerfestsetzungen
beeinflusst. Es reicht nicht aus, wenn dieselbe rechtliche
Problematik zwar in zukünftigen Zeiträumen auftritt, die
Verwirklichung des entsprechenden konkreten Sachverhalts aber
nicht hinreichend sicher absehbar ist. Es muss zum Zeitpunkt der
die Instanz einleitenden Antragstellung eindeutig bestimmbar sein,
ob solche zukünftigen Auswirkungen bestehen. Ist anhand der
dem Finanzgericht (FG) vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig
bestimmbar, dass die Entscheidung Auswirkungen für zukünftige
Steuerjahre haben wird, so scheidet eine Erhöhung des
Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG aus (vgl. im Einzelnen
BFH-Beschlüsse in BFHE 250, 327, BStBl II 2015, 906, Rz 17 f.,
und vom 21. Juli 2017 X S 15/17, BFH/NV 2017, 1460, Rz 19).
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Es reicht dabei grundsätzlich aus, wenn eindeutig bestimmbar ist,
dass solche Auswirkungen dem Grunde nach eintreten werden.
Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Betrag der offensichtlich
absehbaren Auswirkungen der Höhe nach offensichtlich und
genau bestimmt ist. Es genügt vielmehr, wenn dieser ohne
Schwierigkeiten anhand der Steuerakten für die Folgejahre
ermittelbar ist (Beschluss des FG Köln vom 16. März
2016 10 Ko 2520/15, Entscheidungen der Finanzgerichte 2016,
836, unter II.1.b cc (2), und BFH-Beschluss in BFH/NV 2017,
1460, Rz 20) bzw. wenn die Höhe der offensichtlich feststehenden
Auswirkungen einigermaßen zuverlässig geschätzt werden kann
(BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 1460, Rz 21).
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b) Nach diesen Maßstäben stand im Streitfall mit hinreichender
Sicherheit fest, dass die steuerliche Auswirkung der Frage der
Zulässigkeit der rückwirkenden Bildung der Rücklage nach § 6c
Abs. 1 Satz 2 EStG i.V.m. § 6b Abs. 3 EStG nicht nur das
Streitjahr, sondern auch die Folgejahre betraf. Denn zum einen
musste die im Wirtschaftsjahr 2007/2008 gebildete Rücklage
wieder gewinnerhöhend aufgelöst werden. Zum anderen hing
hiervon der Zeitpunkt der Versteuerung der nachträglich
vereinnahmten Zahlung ab (im Wirtschaftsjahr des Zuflusses
2010/2011 oder entgegen dem Zuflussprinzip fiktiv im
Wirtschaftsjahr der Veräußerung 2007/2008, vgl. BFH-Urteil in
BFHE 253, 337, BStBl II 2016, 984, Rz 39).
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Nach den nicht bestrittenen Ausführungen der Kläger führte die
Bildung der Rücklage im Einkommensteuerbescheid 2010 zu
einer Minderung der Einkommensteuer in Höhe von 10.990 EUR
und für das Jahr 2011 zu einer vergleichbaren Minderung. Die
Anhebung des Streitwerts nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist
allerdings auf das Dreifache des Mindeststreitwerts begrenzt.
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5. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, da es an einem
entsprechenden Gebührentatbestand im GKG fehlt (vgl. z.B. BFH-
Beschlüsse vom 14. Juli 2009 VI S 10/09, Zeitschrift für Steuern
und Recht 2009, R866; vom 18. November 2014 V S 30/14,
BFH/NV 2015, 346, Rz 24, m.w.N.).
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m.
§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).