Urteil des BFH vom 09.07.2018

Anforderungen an eine wirksame Fristsetzung gemäß § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 9.7.2018, VI B 113/17
ECLI:DE:BFH:2018:B.090718.VIB113.17.0
Anforderungen an eine wirksame Fristsetzung gemäß § 79b Abs. 1 und
Abs. 2 FGO
Leitsätze
1. NV: Eine wirksame Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO
erfordert, dass die die Frist anordnende Verfügung des Vorsitzenden oder
des Berichterstatters von diesem unterschrieben worden ist, so dass ein
Namenskürzel (Paraphe) nicht ausreicht.
2. NV: Soll einem Beteiligten nach § 79b Abs. 2 FGO aufgegeben werden,
zu bestimmten Vorgängen entweder Tatsachen anzugeben oder
Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden oder andere bewegliche
Sachen vorzulegen, muss der Vorsitzende oder der Berichterstatter zum
einen die bestimmten Vorgänge und zum anderen die Tatsachen und
Beweismittel oder die vorzulegenden Sachen in der Verfügung über die
Fristsetzung möglichst genau bezeichnen, um es dem Beteiligten zu
ermöglichen, die Anordnung zu befolgen und so eine Präklusion zu
vermeiden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision wird
das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 19. Mai 2017 9 K
1624/16 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg
zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des
Beschwerdeverfahrens übertragen.
Gründe
1 Die Beschwerde ist wegen eines Verfahrensfehlers des
Finanzgerichts (FG) i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Das angefochtene Urteil
wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die
Vorinstanz zurückverwiesen.
2 1. Das FG hat § 79b Abs. 3 FGO und damit zugleich den
Anspruch des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf
rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt,
indem es die vom Kläger vorgelegten Beweismittel zu Unrecht
zurückgewiesen hat. Die Voraussetzungen des § 79b Abs. 3 FGO
für die Zurückweisung lagen nicht vor, wie der Kläger mit seiner
Beschwerde zu Recht gerügt hat.
3 a) § 79b FGO lässt es zu, dem Kläger eine Frist zu setzen zur
Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder
Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert
fühlt (Abs. 1 Satz 1), und einem Beteiligten unter Fristsetzung
aufzugeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben
oder Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden oder andere
bewegliche Sachen vorzulegen, soweit der Beteiligte dazu
verpflichtet ist (Abs. 2).
4 Gemäß § 79b Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht Erklärungen
und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1
und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und
ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn (1.) ihre Zulassung
nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des
Rechtsstreits verzögern würde und (2.) der Beteiligte die
Verspätung nicht genügend entschuldigt und (3.) der Beteiligte
über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
5 b) Der Senat kann bereits nicht feststellen, dass das Schreiben
des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 in formeller Hinsicht den
Anforderungen an eine wirksame Fristsetzung nach § 79b Abs. 1
und Abs. 2 FGO genügt.
6 § 79b FGO erfordert insoweit nach allgemeiner Meinung
insbesondere, dass die eine Frist anordnende Verfügung des
Vorsitzenden oder des Berichterstatters (§ 79 FGO)
unterschrieben worden ist, so dass ein Namenskürzel (Paraphe)
nicht ausreicht (s. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
26. August 1982 IV R 31/82, BFHE 136, 351, BStBl II 1983, 23;
vom 16. März 1983 IV R 147/80, BFHE 138, 143, BStBl II 1983,
476, und vom 30. Juni 1983 IV R 23/81, juris; BFH-Beschluss vom
25. Januar 2016 VII B 97/15, BFH/NV 2016, 764; Stalbold in
Gosch, FGO § 79b Rz 38; Seer und Brandis in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 79b FGO Rz 11 und
§ 65 FGO Rz 26; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 79b
FGO Rz 115).
7 Die sich in der FG-Akte befindliche Verfügung vom 4. Januar 2017
über die Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2 FGO trägt
jedoch keine Unterschrift des Berichterstatters. Allenfalls ist das
Namenszeichen des Berichterstatters im oberen rechten Bereich
der Verfügung erkennbar. Das Namenszeichen deckt darüber
hinaus auch räumlich nicht, wie es eine Unterschrift erfordert, die
vollständige Anordnung über die Fristsetzung ab (s. dazu auch
Stalbold in Gosch, FGO § 79b Rz 38).
8 Die Zurückweisung des Vorbringens des Klägers gemäß § 79b
Abs. 3 FGO erweist sich damit schon wegen des Fehlens einer
formell wirksamen Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und Abs. 2
FGO als verfahrensfehlerhaft.
9 c) Das FG durfte die vom Kläger vorgelegten Beweismittel aber
auch dann nicht --wie geschehen-- gemäß § 79b Abs. 3 FGO
zurückweisen, wenn die Fristsetzung nach § 79b Abs. 1 und
Abs. 2 FGO formell wirksam gewesen wäre.
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Die Verfügung des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 enthält
ihrem Wortlaut nach sowohl eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 1
FGO als auch eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO.
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aa) Die Fristsetzung konnte inhaltlich indessen allenfalls auf § 79b
Abs. 1 FGO gestützt werden, nicht jedoch auch auf § 79b Abs. 2
FGO.
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Soll einem Beteiligten nach § 79b Abs. 2 FGO aufgegeben
werden, zu bestimmten Vorgängen entweder Tatsachen
anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen oder aber Urkunden
oder andere bewegliche Sachen vorzulegen, muss der
Vorsitzende oder der Berichterstatter zum einen die bestimmten
Vorgänge und zum anderen die Tatsachen und Beweismittel oder
die vorzulegenden Sachen in der Verfügung über die Fristsetzung
möglichst genau bezeichnen, um es dem Beteiligten zu
ermöglichen, die Anordnung ohne weiteres zu befolgen und so
eine Präklusion zu vermeiden (s. BFH-Urteil vom 25. April 1995
IX R 6/94, BFHE 177, 233, BStBl II 1995, 545, unter 2.b, m.w.N.).
Es ist insoweit Aufgabe des Richters, aufgrund des bisherigen
Vorbringens der Beteiligten und seiner Einschätzung der
Rechtslage die seiner Ansicht nach noch aufklärungs- und/oder
beweisbedürftigen Punkte zu ermitteln und in der
Aufklärungsverfügung gemäß § 79b Abs. 2 FGO genau
anzugeben (BFH-Urteil vom 23. April 2003 IX R 22/00, BFH/NV
2003, 1198).
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Der Berichterstatter hat in seiner Verfügung vom 4. Januar 2017
aber keine näheren Angaben zu den Beweismitteln, Urkunden
und sonstigen Dokumenten gemacht, die der Kläger nach der
Verfügung dem Gericht hätte übermitteln sollen. Deshalb war die
Verfügung des Berichterstatters vom 4. Januar 2017 auch aus
diesem Grund nicht geeignet, gegenüber dem Kläger wirksam
eine Frist nach § 79b Abs. 2 FGO zu setzen.
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bb) Konnte die Verfügung des Berichterstatters hiernach allenfalls
auf § 79b Abs. 1 FGO gestützt werden, hat der Kläger mit seinem
Schreiben vom 15. Mai 2017 und der gleichzeitigen Vorlage der
Belege, deren (steuermindernde) Berücksichtigung er hiernach
begehrte, innerhalb der vom Berichterstatter bis zum 15. Mai 2017
verlängerten Frist die Tatsachen angegeben, durch deren
Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert
fühlte. Sowohl das Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2017 als
auch der Ordner mit den Belegen gingen dem FG vor Ablauf der
verlängerten Frist am 15. Mai 2017 zu. Damit wurden die
entsprechenden Tatsachen nicht "nach Ablauf" einer nach § 79b
Abs. 1 FGO gesetzten Frist vorgebracht, was
Grundvoraussetzung einer Zurückweisung gemäß § 79b Abs. 3
Satz 1 FGO ist.
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Das FG hätte sich daher mit der Frage beschäftigen müssen, ob
sich aus den vorgelegten Unterlagen steuermindernd zu
berücksichtigende Aufwendungen des Klägers ergaben.
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2. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren
Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2
Halbsatz 2 FGO ab.
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3. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG ergibt
sich aus § 143 Abs. 2 FGO.