Urteil des BFH vom 20.07.2018

Keine Eigenheimzulage für Immobilienobjekt im EU-Ausland

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 20.7.2018, IX R 26/17
ECLI:DE:BFH:2018:U.200718.IXR26.17.0
Keine Eigenheimzulage für Immobilienobjekt im EU-Ausland
Leitsätze
NV: Es ist europarechtlich nicht geboten, einem unbeschränkt
Steuerpflichtigen mit Wohnsitz im Inland Eigenheimzulage für ein
eigengenutztes Immobilienobjekt im EU-Ausland zu gewähren.
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Berlin-
Brandenburg vom 29. Juni 2017 9 K 9157/14 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
I.
1 Streitig ist, ob den Klägern und Revisionsbeklagten (Kläger) ein
Anspruch auf Gewährung einer Eigenheimzulage für die
Herstellung eines selbst bewohnten Hauses auf dem Staatsgebiet
der Republik Polen (Polen) zusteht.
2 Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und von Beruf
Bundesbeamter; er bewohnte im Zeitraum von 1996 bis Ende
2009 mit seiner Ehefrau (Klägerin), einer polnischen
Staatsangehörigen, eine Mietwohnung in X. Mit Wirkung ab
1. November 2009 wurde der Kläger mit seinem Einverständnis
an den neuen Dienstort Y versetzt. Am 30. Oktober 2009 schloss
der Kläger einen Mietvertrag zum 15. Dezember 2009 über eine
im Inland belegene Zwei-Zimmer-Wohnung in Z ab.
3 Der Kläger war bis 20. Oktober 2010, die Klägerin bis 19. Oktober
2010 mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland
(Deutschland) gemeldet, und zwar bis zum 7. Januar 2010 unter
ihrer Wohnanschrift in X und ab 8. Januar 2010 ihrer
Wohnanschrift in Z. Nach diesem Zeitpunkt meldeten sich die
Kläger mit ihrem Hauptwohnsitz nach A (Polen) ab; der Kläger
behielt einen Wohnsitz unter der Wohnanschrift in Z bei.
4 Unter dem 4. April 2001 stellten die Kläger bei der zuständigen
Bauaufsichtsbehörde der Stadt A (Polen) einen Bauantrag für die
Herstellung eines Einfamilienhauses. Das Grundstück, auf dem
das Objekt errichtet werden sollte, wurde der Klägerin --als
Alleineigentümerin-- seitens Ihrer Mutter mit Vertrag vom 9. März
1999 schenkweise zugewandt. Der Kläger wurde unter dem
20. August 2004 als Miteigentümer in das Grundbuch
eingetragen.
5 Nach Erteilung der Baugenehmigung am 6. Juni 2001 haben die
Kläger am 20. Mai 2003 mit den Bauarbeiten begonnen. Mit
Schreiben vom 15. Dezember 2008 zeigten die Kläger der
Bauaufsichtsbehörde die Fertigstellung des Hauses an. Die
Bauaufsichtsbehörde teilte den Klägern unter dem 20. Januar
2009 mit, sie erhebe keine bauaufsichtlichen Einwendungen. Die
Herstellungskosten des Hauses mit einer Nutzfläche von über
300 qm (sechs Zimmer zuzüglich Küche und Bäder) betrugen
rund 156.000 EUR.
6 Seit dem 20. Oktober 2010 werden die Kläger auf Antrag vom
Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt; zuvor lag die Zuständigkeit bei einer
anderen Finanzbehörde. Ausweislich der
Einkommensteuerbescheide 2009 bis 2015 erzielte die Klägerin in
den Streitjahren keinerlei steuerpflichtige Einkünfte, insbesondere
keine Einkünfte aus einer Berufstätigkeit in Deutschland.
7 Die Kläger stellten am 12. Dezember 2012 beim FA einen Antrag
auf Festsetzung der Eigenheimzulage für die Jahre ab 2009 im
Hinblick auf die Herstellung des zu eigenen Wohnzwecken
genutzten Hauses in A (Polen). Mit Bescheid vom 6. Juni 2013
lehnte das FA die Festsetzung einer Eigenheimzulage ab. Zur
Begründung führte es aus, dass die Antragsvoraussetzungen im
Falle der Kläger nicht vorlägen; sie seien insbesondere keine
Grenzpendler, weil sie in Deutschland auf Antrag zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt würden.
8 Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg. Das FA vertrat in
seiner Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2014 die Auffassung,
bei dem streitgegenständlichen Objekt in A (Polen) handele es
sich um ein sog. Zweitobjekt im Ausland, für das keine
Eigenheimzulage zu gewähren sei, weil beide Kläger im Inland
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien.
9 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit seiner in
Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2017, 1781
veröffentlichten Entscheidung statt. Es vertrat die Auffassung, die
Kläger hätten als unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige
Anspruch auf die beantragte Eigenheimzulage: Der Kläger sei in
den Streitjahren 2009 bis 2015 nach § 1 Abs. 1 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig
gewesen; die Klägerin sei zunächst --vom 1. Januar 2009 bis zum
15. Dezember 2009-- ebenfalls nach § 1 Abs. 1 EStG
unbeschränkt steuerpflichtig gewesen, in der Folgezeit --vom
16. Dezember 2009 bis zum 31. Dezember 2015-- sei sie nach
§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Antrag für die Anwendung des § 26
§ 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Antrag für die Anwendung des § 26
Abs. 1 Satz 1 EStG fiktiv als unbeschränkt
einkommensteuerpflichtig zu behandeln gewesen. Die Klägerin
habe nach der vom Gericht gewonnenen Überzeugung in dieser
Folgezeit keinen eigenen Zweitwohnsitz in der vom Kläger allein
als Mieter aus beruflichen Gründen angemieteten Wohnung in Z
innegehabt. Zwar falle die Klägerin nicht unter die
Personengruppe, die nach Auffassung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
20. Oktober 2010 IX R 20/09, BFHE 231, 480, BStBl II 2011, 342;
vom 20. Oktober 2010 IX R 55/09, BFH/NV 2011, 767) mit Blick
auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH)
Kommission/Deutschland vom 17. Januar 2008 C-152/05
(EU:C:2008:17, BStBl II 2008, 326) über den Wortlaut des § 2
Satz 1 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) in der für den
streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Fassung hinaus
eigenheimzulagenberechtigt seien. Eine Beschränkung der
Anwendbarkeit der Eigenheimzulagenförderung auf die in den
Urteilen des BFH genannten Personengruppen sei dem EuGH-
Urteil Kommission/Deutschland (EU:C:2008:17, BStBl II 2008,
326) indes nicht zu entnehmen. Vielmehr sei es entsprechend
den Rechtsgrundsätzen im EuGH-Urteil gemeinschaftsrechtlich
geboten, die Klägerin einer Steuerpflichtigen gleichzustellen, die
gemäß § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag in Deutschland als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird. Denn
beide Kläger hätten, ebenso wie im unmittelbaren Anwendungsfall
des § 1 Abs. 3 EStG, mindestens 90 v.H. ihrer Einkünfte in
Deutschland erzielt, da die Klägerin selbst in den Jahren 2009 bis
2015 unstreitig weder in Deutschland noch in Polen berufstätig
gewesen sei. Die Klägerin sei damit die Ehefrau eines
Grenzpendlers i.S. der Rechtsprechung des EuGH.
10
Das von den Klägern hergestellte Haus in A (Polen) sei überdies
ein i.S. des § 2 Satz 1 EigZulG begünstigtes Objekt. Zwar sei es
nicht im Inland belegen, es handle sich jedoch um ein Erstobjekt,
da es die einzige Wohneinheit darstelle, die von beiden Klägern
als Ehepaar zusammen bewohnt werde und in ihrem
gemeinsamen Eigentum stehe.
11
Entgegen der Auffassung der Kläger habe der Förderzeitraum
jedoch bereits im Jahr 2008 begonnen und mit dem Jahr 2015
geendet. Soweit die Kläger auch für das Jahr 2016
Eigenheimzulage beantragt hätten, sei die Klage unbegründet.
12
Hiergegen wendet sich die Revision des FA, die mit der
Verletzung materiellen Bundesrechts in Gestalt von § 2 Satz 1
EigZulG begründet wird. Das FG habe in seinem Urteil zu Unrecht
das in § 2 Satz 1 EigZulG normierte Tatbestandsmerkmal der
Belegenheit des Förderobjekts im Inland unangewendet
gelassen. Ein Anspruch der Kläger auf Eigenheimzulage lasse
sich nicht aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen ableiten;
denn die Kläger zählten nicht zu den im EuGH-Urteil
Kommission/Deutschland (EU:C:2008:17, BStBl II 2008, 326)
genannten begünstigten Personenkreisen.
13
Der Kläger sei unstreitig in den Jahren 2009 bis 2015
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. des § 1 Abs. 1 EStG
gewesen; denn er habe unstreitig in den Jahren von 2009 bis
einschließlich 2015 neben seinem Wohnsitz in A (Polen) auch
einen Wohnsitz im Inland unterhalten, sodass er weder zum
Personenkreis i.S. des § 1 Abs. 2 EStG noch zum Personenkreis
des § 1 Abs. 3 EStG gehöre. Überdies sei die Klägerin für die Zeit
ab 16. Dezember 2009 nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Antrag
als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt worden.
Vor diesem Hintergrund sei es unionsrechtlich nicht geboten, das
Tatbestandsmerkmal der Inlandsbelegenheit in § 2 Satz 1
EigZulG unangewendet zu lassen. Vielmehr sei einem
unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Wohnsitz im Inland nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung Eigenheimzulage für ein im
Ausland belegenes Zweitobjekt nicht zu gewähren. Dabei sei es
unerheblich, ob die vom Kläger im Inland gemietete Wohnung in Z
als Erstwohnsitz oder als Zweitwohnsitz anzusehen sei. Im
Übrigen sei die Verlegung des Familienwohnsitzes der Kläger
nach A (Polen) keine geeignete Maßnahme zur Entlastung des
deutschen Mietwohnungsmarktes gewesen.
14
Das FA beantragt,
das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom
29. Juni 2017 9 K 9157/14 insoweit aufzuheben, als es der Klage
stattgegeben hat und die Klage insgesamt abzuweisen.
15
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
16
Die Revision ist begründet und führt unter Aufhebung der
Vorentscheidung zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Kläger haben
keinen Anspruch auf Eigenheimzulage für ihr Eigenheim in A
(Polen).
17
1. Die Voraussetzungen der Eigenheimzulage gemäß § 2 Satz 1
EigZulG liegen nicht vor, weil das --im Übrigen förderfähige--
Objekt nicht im Inland belegen ist. Es ist europarechtlich nicht
geboten, dieses Tatbestandsmerkmal --Belegenheit des
Förderobjekts im Inland-- unangewendet zu lassen.
18
a) Das Urteil des EuGH Kommission/Deutschland (EU:C:2008:17,
BStBl II 2008, 326) ist im vorliegenden Fall nicht unmittelbar
einschlägig.
19
Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die Rechtskraft
eines Urteils des EuGH lediglich auf diejenigen Tatsachen- und
Rechtsfragen, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand
der betreffenden gerichtlichen Entscheidung waren. Die
Rechtskraft eines eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats
feststellenden Urteils kann daher nicht über die mit der Klage
geltend gemachten Beanstandungen hinausgehen, die den
Streitgegenstand des Verfahrens bestimmen. Der Senat verweist
zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil in BFHE 231,
480, BStBl II 2011, 342 und die dort angegebenen zahlreichen
weiteren Nachweise.
20
b) Hiernach wird der Fall eines unbeschränkt Steuerpflichtigen mit
Wohnsitz im Inland --hier des Klägers-- ungeachtet des Tenors
von der Rechtskraft des Urteils des EuGH Kommission/
Deutschland (EU:C:2008:17, BStBl II 2008, 326) nicht erfasst.
Aufgrund des vom Kläger im Inland begründeten und über den
gesamten Förderzeitraum beibehaltenen Wohnsitzes in Z gehört
er zur Gruppe der unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Wohnsitz im
Inland, nicht jedoch zur Gruppe der "Grenzpendler", über dessen
Benachteiligung im genannten EuGH-Urteil zu befinden war.
Dementsprechend ist auch die Klägerin, die zu Beginn des
Förderzeitraums noch unbeschränkt steuerpflichtig war und ab
16. Dezember 2009 nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG auf Antrag als
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wurde, nicht
als "Ehegatte eines Grenzpendlers" anzusehen, deren
Benachteiligung durch die Bestimmungen des
Eigenheimzulagengesetzes zu besorgen wäre. Auch ihr Fall wird
von der Rechtskraft des Urteils des EuGH
Kommission/Deutschland (EU:C:2008:17, BStBl II 2008, 326)
nicht erfasst.
21
Nach diesen Grundsätzen gehören der Kläger und die Klägerin --
diese jedenfalls bis zum 15. Dezember 2009-- zwar zu dem i.S.
des § 1 EigZulG eigenheimzulagenberechtigten Personenkreis
der unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S. des
Einkommensteuergesetzes; begünstigt ist indes nur die
Herstellung oder Anschaffung einer Wohnung in einem im Inland
belegenen eigenen Haus oder einer im Inland belegenen eigenen
Eigentumswohnung (§ 2 Satz 1 EigZulG).
22
2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des EuGH
Kommission/Deutschland (EU:C:2008:17, BStBl II 2008, 326).
Eine fehlende finanzielle Unterstützung des Erwerbs von (Zweit-
)Wohnsitzen in anderen Mitgliedstaaten war von der Kommission
in dem genannten Verfahren ausdrücklich nicht beanstandet
worden. Der Senat verweist hierzu auf sein Urteil in BFHE 231,
480, BStBl II 2011, 342.
23
Auch unionsrechtlich ist eine Förderung des Erwerbs von
Wohnsitzen im EU-Ausland nicht geboten. Unerheblich ist
insoweit, ob das maßgebliche, dem Grunde nach förderfähige
Objekt melderechtlich den Erstwohnsitz oder den Zweitwohnsitz
des Steuerpflichtigen darstellt; eine derartige Unterscheidung ist
dem Eigenheimzulagenrecht fremd.
24
Soweit die Versagung der Eigenheimzulage für Wohnsitze im EU-
Ausland Grundfreiheiten der Kläger beschränkt, ist diese
Beschränkung gerechtfertigt. Eine Entlastung des
Mietwohnmarktes im Inland ist durch die Entscheidung der Kläger,
ihren Erstwohnsitz nach Polen zu verlegen, jedoch einen
(angemieteten) Zweitwohnsitz im Inland für den Kläger
beizubehalten, nicht eingetreten. Auch insoweit verweist der
Senat auf sein Urteil in BFHE 231, 480, BStBl II 2011, 342, m.w.N.
25
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.