Urteil des BFH vom 25.06.2018

Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; Verfahrensmangel wegen unterlassener Hinzuziehung eines Sachverständigen; Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.6.2018, IX B 138/17
ECLI:DE:BFH:2018:B.250618.IXB138.17.0
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung; Verfahrensmangel wegen
unterlassener Hinzuziehung eines Sachverständigen; Verstoß gegen den
klaren Inhalt der Akten
Leitsätze
1. NV: Das FG verstößt bei der Festlegung des Zeitpunkts für die
Berücksichtigung eines Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 EStG nicht
gegen die Grundsätze der Rechtsprechung des BFH, wenn es den Verlust
in dem Jahr berücksichtigen will, in dem der gemeine Wert des dem
Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits
und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters
andererseits im Wesentlichen feststehen.
2. NV: Wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht als (verzichtbarer)
Verfahrensmangel in Gestalt des Übergehens von Beweisanträgen gerügt,
verliert der --fachkundig vertretene-- Kläger sein Rügerecht schon durch
rügelose Verhandlung zur Sache.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen
das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 19. Oktober 2017 15 K 3894/13
wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß
§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht
gegeben. Die Revision ist weder wegen einer Divergenz zur
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (§ 115 Abs. 2
Nr. 2 2. Alternative FGO, dazu unter 1.) noch wegen eines
Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu unter 2.)
zuzulassen.
3 1. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger)
vorgebrachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung (Divergenz, § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative
FGO) liegt nicht vor.
4 a) Die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung setzt voraus, dass das Finanzgericht (FG) in
einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Gerichts
abgewichen ist, dass dabei über dieselbe Rechtsfrage
entschieden wurde und diese für beide Entscheidungen
rechtserheblich war, dass die Entscheidungen zu gleichen oder
vergleichbaren Sachverhalten ergangen sind, dass die
abweichend beantwortete Rechtsfrage im Revisionsverfahren
geklärt werden kann und dass eine Entscheidung des BFH zur
Wahrung der Rechtseinheit erforderlich ist (vgl. u.a. BFH-
Beschluss vom 8. Mai 2013 III B 140/12, BFH/NV 2013, 1248).
5 b) Die Frage des Zeitpunkts der Berücksichtigung eines
Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) hat in der Rechtsprechung des
BFH vielfach ihren Niederschlag gefunden (vgl. u.a. zuletzt BFH-
Urteile vom 1. Juli 2014 IX R 47/13, BFHE 246, 188, BStBl II 2014,
786; vom 2. Dezember 2014 IX R 9/14, BFH/NV 2015, 666; vom
13. Oktober 2015 IX R 41/14, BFH/NV 2016, 385, und vom
10. Mai 2016 IX R 16/15, BFH/NV 2016, 1681). Ein
Auflösungsverlust steht danach fest und ist damit steuerlich zu
berücksichtigen, wenn der gemeine Wert des dem
Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens
einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die Liquidations- und
Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17
Abs. 2 Satz 1 EStG) im Wesentlichen feststehen. Gleiches gilt,
wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Rückzahlung von
Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und
die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen
(vgl. BFH-Urteile in BFHE 246, 188, BStBl II 2014, 786, unter
II.1.d; in BFH/NV 2015, 666, unter II.2.; in BFH/NV 2016, 385,
unter II.2.c, und in BFH/NV 2016, 1681, unter II.2.a).
6 Die angefochtene Entscheidung folgt den Grundsätzen dieser
Rechtsprechung. So nimmt die Entscheidung auf die tragenden
Rechtsätze der vorgenannten Entscheidungen Bezug und wendet
diese auf den entschiedenen Fall an. Nach den Feststellungen
des FG stand im Jahr 2010 noch nicht fest, ob Vermögen an den
Kläger zurückgezahlt werden kann. Zudem war das FG zu dem
Ergebnis gekommen, dass im Veranlagungszeitraum 2010 die
nachträglichen Anschaffungskosten des Klägers und damit die
durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen noch nicht im
Wesentlichen feststanden.
7 2. Die von den Klägern gerügten Verfahrensmängel liegen nicht
vor.
8 a) Der gerügte Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76
Abs. 1 Satz 1 FGO) durch Nichteinholung eines
Sachverständigengutachtens liegt nicht vor. Ausweislich des
Sitzungsprotokolls der mündlichen Verhandlung (zu dessen
Beweiskraft s. § 94 FGO i.V.m. § 165 der Zivilprozessordnung --
ZPO--) wurde kein Beweisantrag auf Einholung eines
Sachverständigengutachtens gestellt oder seitens der Kläger auf
ihn oder andere Aufklärungsmaßnahmen hingewirkt, obwohl im
Lauf des Verfahrens eindeutig erkennbar war, dass das FG eine
mögliche Beweiserhebung durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens nicht durchzuführen beabsichtigte.
Zudem hat der an der mündlichen Verhandlung teilnehmende
Prozessbevollmächtigte der Kläger sich zu weiteren
Aufklärungsmaßnahmen nicht geäußert, sondern rügelos zur
Sache verhandelt. Damit haben die Kläger ihr Rügerecht durch
bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO
i.V.m. § 295 ZPO).
9 b) Auch der gerügte Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist
nicht gegeben. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten
liegt u.a. dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage
feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung
hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner
Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem
protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (ständige
Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 28. April 2016
IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173, unter 4.b, m.w.N.;
Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 115 Rz 80).
Das FG hat den von den Klägern angeführten Schlussbericht des
Insolvenzverwalters vom 20. Dezember 2010 als Akteninhalt zur
Kenntnis genommen und ausweislich der umfangreichen
Ausführungen dazu in Tatbestand und Gründen der Entscheidung
auch in die rechtliche Würdigung einbezogen. Auch die
angeführten Bestandteile der Insolvenzakte (Bl. 89, 150, 186, 216,
238, 254, 259, 319 und Bl. 334 der Insolvenzakte) wurden vom
FG gewürdigt. Das Gleiche gilt für den von den Klägern
angeführten Umstand der Reduzierung der Forderung des
Kreditinstituts X und dem Umstand, dass doch noch
Auszahlungen an die Gläubiger erfolgt waren. Dass es aufgrund
der Würdigung dieser Unterlagen dennoch zu einem für die Kläger
nachteiligen Ergebnis kam, kann einen Verstoß gegen den Inhalt
der Akten nicht begründen.
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3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116
Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.