Urteil des BFH vom 04.07.2018

Fortbildung des Rechts - Verfahrensfehler wegen unterlassener Aussetzung nach § 74 FGO - Fall geringer Bedeutung i.S. von § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.7.2018, IX B 114/17
ECLI:DE:BFH:2018:B.040718.IXB114.17.0
Fortbildung des Rechts - Verfahrensfehler wegen unterlassener
Aussetzung nach § 74 FGO - Fall geringer Bedeutung i.S. von § 180 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 AO
Leitsätze
1. NV: In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass bei einer teilweise
selbstgenutzten Ferienwohnung im Hinblick auf für die Prüfung der
Überschusserzielungsabsicht durchzuführende Totalüberschussprognose
auf einen Zeitraum von 30 Jahren abzustellen ist.
2. NV: Ein Fall geringer Bedeutung i.S. von § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO
liegt nach übereinstimmender Auffassung von Rechtsprechung und
Finanzverwaltung vor, wenn es sich um Mieteinkünfte von
zusammenveranlagten Eheleuten handelt, die Einkünfte verhältnismäßig
einfach zu ermitteln sind und die Aufteilung feststeht.
Tenor
Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen
das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 2. August 2017 4 K
137/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
2 Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß
§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind nicht
gegeben. Die Revision ist weder zur Fortbildung des Rechts
(§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO, dazu unter 1.) noch
wegen eines Verfahrensfehlers (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu
unter 2.) zuzulassen.
3 1. Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2
Nr. 2 1. Alternative FGO) zuzulassen.
4 a) Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn
davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht,
Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von
Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des
Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken
rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. z.B. Beschlüsse des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Juni 2014 XI B 45/13, BFH/NV
2014, 1584, unter II.2.a, und vom 24. Juli 2017 XI B 25/17,
BFH/NV 2017, 1591). Dieser Zulassungsgrund setzt eine
klärungsbedürftige und klärbare Rechtsfrage voraus (BFH-
Beschluss vom 13. November 2012 II B 123/11, BFH/NV 2013,
255, m.w.N.). Es gelten die zur Darlegung der grundsätzlichen
Bedeutung entwickelten Anforderungen entsprechend (vgl. z.B.
BFH-Beschluss vom 3. Februar 2016 XI B 53/15, BFH/NV 2016,
954, unter II.1.c).
5 b) Ausgehend davon sind die von den Klägern und
Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen geklärt
und lassen sich aus der bisherigen Rechtsprechung herleiten.
6 So ist in der Rechtsprechung des BFH unstreitig, dass in die für
die Prüfung der Überschusserzielungsabsicht bei den Einkünften
aus Vermietung und Verpachtung durchzuführende
Totalüberschussprognose auf einen typisierten Zeitraum von
30 Jahren abzustellen ist (vgl. BFH-Urteile vom 6. November 2001
IX R 97/00, BFHE 197, 151, BStBl II 2002, 726, unter II.1.e cc, und
IX R 34/97, BFH/NV 2002, 768, unter II.2.; Schallmoser in
Spiegelberger/Schallmoser, Immobilien im Zivil- und Steuerrecht,
3. Aufl., Rz 1.422). Liegt der Anschaffungszeitpunkt im streitigen
Veranlagungsjahr bereits einige Zeit zurück, sind damit auch
Einkünfte vergangener Jahre in die Berechnung einzubeziehen.
Selbst wenn sich aus Sicht des streitigen Veranlagungszeitraums
in zukünftigen Jahren positive Einkünfte ergeben, führen diese
nicht zu einer Aufteilung oder Änderung des Zeitraums für die
Totalüberschussprognose und damit einer gesonderten
Prognoseberechnung beginnend ab dem Streitjahr.
7 Soweit die Kläger vorbringen, dass dies anders zu handhaben
sei, wenn --wie dies bei ihnen der Fall gewesen sei-- bei
Anschaffung der Immobilie aufgrund der geplanten schnellen
Rückführung der Darlehensverbindlichkeiten mit einem
Überschuss zu rechnen gewesen sei, führt dies zu keinem
anderen Ergebnis. Insoweit ist es in der Rechtsprechung des BFH
geklärt, dass die Überschussprognose aus der Sicht ex ante und
auf den Schluss des jeweils streitigen Veranlagungszeitraums
aufzustellen ist (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juli 2016 IX R 21/15,
BFH/NV 2016, 1695, unter II.3.d, und vom 31. Januar 2017
IX R 23/16, BFH/NV 2017, 897, unter II.1.d). Im Übrigen hat das
Finanzgericht (FG) bei seiner Berechnung im Rahmen der
Überschussprognose berücksichtigt, dass die Kläger zunächst
eine frühzeitige vollständige Tilgung der
Darlehensverbindlichkeiten bis zum Jahr 2006 und damit eine
Reduzierung der Schuldzinsen beabsichtigt hatten. Im Einklang
mit der vorgenannten BFH-Rechtsprechung hat das FG jedoch
die im Streitjahr vorliegenden geänderten tatsächlichen
Umstände, nämlich die aufgrund der geänderten
Einkunftsverhältnisse im Jahr 2004 erfolgte Umfinanzierung mit
einer Verlängerung der Laufzeit der Finanzierung bis zum Jahr
2014, berücksichtigt und auf dieser Grundlage das Vorliegen
eines Totalüberschusses verneint.
8 Auch die Frage, ob und in welchem Umfang im Rahmen der
Prognose Sicherheitszuschläge und -abschläge für Einnahmen
und Werbungskosten anzusetzen sind, ist in der Rechtsprechung
des BFH geklärt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 197, 151, BStBl II 2002,
726, unter II.1.f; zur Berechnung vgl. Schreiben des
Bundesministerium der Finanzen vom 8. Oktober 2004, BStBl I
2004, 933, Rz 33 f.; Thiele, Finanz-Rundschau 2017, 904, 907 f.).
Daher bedarf es insoweit keiner höchstrichterlichen Entscheidung.
Soweit die Kläger unter Verweis auf die Entscheidung des FG
Münster vom 8. März 2012 9 K 1889/09 F, Entscheidungen der
Finanzgerichte 2012, 1661 rügen, dass auch hinsichtlich der
Einnahmen und Werbungskosten der vergangenen Jahre 1996
bis 2009 Sicherheitszuschläge und -abschläge anzusetzen seien,
fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit dieses Vorbringens.
Denn die Kläger legen nicht konkret dar, dass sich bei
Berücksichtigung der Zu- und Abschläge auf der Grundlage der
Feststellungen des FG ein Totalüberschuss ergibt.
9 2. Der von den Klägern behauptete Verfahrensfehler (§ 115
Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen die
Grundordnung des Verfahrens liegt nicht vor. Das FG hat nicht
gegen die Verpflichtung verstoßen, das Verfahren gemäß § 74
FGO auszusetzen, bis eine bestands- oder rechtskräftige
Entscheidung in einem positiven oder negativen
Feststellungsbescheid vorliegt. Denn die Einkünfte der Kläger aus
der Vermietung der Immobilie ... waren nicht gesondert und
einheitlich festzustellen.
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a) Gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der
Abgabenordnung (AO) werden die einkommensteuerpflichtigen
Einkünfte gesondert festgestellt, wenn an den Einkünften mehrere
Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen zuzurechnen
sind. Die vorstehende Regelung gilt nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
Satz 1 der Vorschrift nicht, wenn es sich lediglich um einen Fall
von geringfügiger Bedeutung handelt. Ein Fall geringer Bedeutung
liegt nach übereinstimmender Auffassung von Rechtsprechung
und Finanzverwaltung vor, wenn es sich um Mieteinkünfte von
zusammenveranlagten Eheleuten handelt, wenn die Einkünfte
verhältnismäßig einfach zu ermitteln sind und die Aufteilung
feststeht (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1971 VIII R 137/70,
BFHE 104, 67, BStBl II 1972, 215; vom 20. Januar 1976
VIII R 253/71, BFHE 117, 437, BStBl II 1976, 305, unter 3.a, und
vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984,
290, unter 1.c; vom 17. Mai 1995 X R 64/92, BFHE 177, 478,
BStBl II 1995, 640, unter II.2.; Nr. 4 des Anwendungserlasses zur
Abgabenordnung zu § 180; H 26b des Amtlichen
Einkommensteuer-Handbuchs "Feststellung gemeinsamer
Einkünfte"; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 180 AO Rz 50).
11
b) Dies ist vorliegend der Fall. Es handelt sich bezogen auf das
Streitjahr um der Höhe nach feststehende Einkünfte, deren
Aufteilung unstreitig ist. Dass allein die Frage der
Überschusserzielungsabsicht streitig ist, führt nicht zur
Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung.
Im Übrigen haben die Kläger weder im Veranlagungs- und
Einspruchsverfahren noch im erstinstanzlichen Verfahren die
unterlassene gesonderte und einheitliche Feststellung der
Vermietungseinkünfte gerügt.
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3. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß
§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.