Urteil des BFH vom 21.07.1959

BFH (juristische person, frankreich, abweisung der klage, bundesrepublik deutschland, oecd, öffentliche aufgabe, restriktive auslegung, person, tätigkeit, aufgaben)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 23.9.2008, I R 57/07
Geltung des Kassenstaatsprinzips für Gehälter der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder - Anwendungsbereich
des Kassenstaatsprinzips - Gegenüber OECD-Musterabkommen erweitertes Besteuerungsrecht nach DBA - Zulässigkeit der
gegen den Widerruf einer Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 EStG gerichteten Fortsetzungsfeststellungsklage
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine deutsche Staatsangehörige, ist Angestellte der
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in Karlsruhe. Seit 1991 hat sie ihren Wohnsitz im Elsass. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) bestätigte ihren sog. Grenzgängerstatus in widerruflichen und
befristeten Freistellungsbescheinigungen nach § 39b Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Einkünfte der
Klägerin aus nichtselbständiger Tätigkeit wurden daher von der VBL nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen, sondern
in Frankreich besteuert (Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf
dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom
21. Juli 1959, BGBl II 1961, 398, mit späteren Änderungen --DBA-Frankreich--).
2 Mit Bescheid vom 25. Juli 2003 widerrief das FA die zuletzt erteilte Freistellungsbescheinigung vom 4. Januar 2001 mit
Wirkung zum 1. Januar 2003. Es war der Auffassung, aufgrund des Kassenstaatsprinzips nach Art. 14 Abs. 1 DBA-
Frankreich stehe Deutschland das Besteuerungsrecht für die Lohneinkünfte der Klägerin zu, weil sie bei der VBL und
damit einer Anstalt des öffentlichen Rechts beschäftigt sei, die keine Gewinnerzielungsabsicht habe (Art. 14 Abs. 3
DBA-Frankreich). Die sog. Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich könne daher nicht auf die Klägerin
angewandt werden.
3 Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg, Außensenate Karlsruhe, hat der deswegen erhobenen, in ihrem
Hauptantrag auf Aufhebung des Widerrufsbescheids gerichteten Klage mit Urteil vom 26. Juni 2007 1 K 421/04,
veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1401, soweit sie hilfsweise als
Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführt wurde, stattgegeben und festgestellt, dass der Widerruf der
Freistellungsbescheinigung rechtswidrig gewesen sei.
4 Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und
die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
5 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
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1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO),
weil die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs der
Freistellungsbescheinigung hat. Das FA hat auch in der Folgezeit der Klägerin keine Freistellungsbescheinigung nach
§ 39b Abs. 6 EStG erteilt und ferner die Lohnsteuer nachgefordert. Das berechtigte Interesse der Klägerin besteht
daher sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr als auch unter dem der Prozessökonomie (vgl. Urteil
des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Juni 1989 X R 12/84, BFHE 157, 370, BStBl II 1989, 976).
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2. Das FG hat aber zu Unrecht angenommen, dass der Widerruf der Freistellungsbescheinigung rechtswidrig
gewesen sei. Die Klägerin kann für die von der VBL erhaltenen Bezüge keine Freistellungsbescheinigung gemäß §
39b Abs. 6 EStG i.V.m. Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich beanspruchen. Das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte steht
nicht Frankreich, sondern Deutschland zu.
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a) Die in Frankreich wohnende Klägerin ist in Deutschland mit ihren inländischen Einkünften aus ihrer hier
ausgeübten nichtselbständigen Arbeit gemäß § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG beschränkt
einkommensteuerpflichtig. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zu. Abweichend hiervon bestimmt Art. 13 Abs. 5 DBA-
Frankreich, dass Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaates
arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen
Vertragsstaates haben, nur in diesem anderen Staat besteuert werden. Die Klägerin erfüllt zwar diese
Voraussetzungen. Die sog. Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich ist aber durch die
Sonderregelung des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 5. September 2001 I R
88/00, BFH/NV 2002, 623).
10 b) Nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen sowie Ruhegehälter, die
einer der Vertragsstaaten, ein Land oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes
an in dem anderen Staat ansässige natürliche Personen für gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen in der
Verwaltung oder in den Streitkräften zahlt, grundsätzlich nur in dem erstgenannten Staat besteuert werden. Diese
Regelung greift im Streitfall ein.
11 aa) Die VBL ist nach § 1 ihrer Satzung (VBLS) eine Anstalt des öffentlichen Rechts und damit eine juristische Person
des öffentlichen Rechts.
12 bb) Die Klägerin erhält ihren Lohn von der VBL für "Dienstleistungen in der Verwaltung".
13 aaa) Das Merkmal "in der Verwaltung" erfordert eine gewisse Einbindung des Dienstleistenden in eine
Gebietskörperschaft oder juristische Person des öffentlichen Rechts und grenzt einmalige oder gelegentliche
Leistungen von selbständig oder gewerblich Tätigen für die Verwaltung aus dem Anwendungsbereich des Art. 14 Abs.
1 DBA-Frankreich aus (vgl. Kramer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 14 Frankreich Rz 11). Ferner
fordert es eine Dienstleistung für die Gebietskörperschaft oder juristische Person des öffentlichen Rechts. Allein die
Besoldung durch Bund, Länder oder sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts reicht demnach nicht aus,
wenn der Bedienstete --wie im Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 17. Dezember 1997 I R 60-61/97 (BFHE 185,
376, BStBl II 1999, 13) zugrunde lag-- mittels Dienstleistungsüberlassungsvertrag einem privaten Steuersubjekt
überlassen wird und diesem das Weisungs- und Direktionsrecht zusteht. Ebenso wenig fallen --wie sich aus Art. 14
Abs. 3 DBA-Frankreich ergibt-- auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeiten eines Vertragsstaates, eines
Landes oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes unter Art. 14 Abs. 1 DBA-
Frankreich.
14 bbb) Eine weitere Abgrenzung danach, ob mit den Dienstleistungen unmittelbar öffentliche Aufgaben verwirklicht
werden, ist entgegen der Auffassung des FG nicht vorzunehmen. Vielmehr können auch Dienstleistungen, die z.B. im
Bereich der Vermögensverwaltung oder auf privatrechtlicher Grundlage erbracht werden, unter Art. 14 Abs. 1 DBA-
Frankreich fallen. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmung, der mehrere
Deutungsmöglichkeiten zulässt; es ergibt sich jedoch aus dem Aufbau des Art. 14 DBA-Frankreich. Die Regelung in
Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich, nach der Zahlungen für Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit einer auf
Gewinnerzielung gerichteten gewerblichen Tätigkeit eines der beiden Vertragsstaaten, eines Landes oder einer
juristischen Person des öffentlichen Rechts dieses Staates oder Landes stehen, nicht unter Art. 14 Abs. 1 DBA-
Frankreich fallen, wäre überflüssig, wenn bereits nach Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich alle Tätigkeiten, die nicht der
unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienten, von der Geltung des Kassenstaatsprinzips ausgeschlossen
wären. Dies spricht dafür, dass Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich allein an die öffentlich-rechtliche Rechtsform des
Dienstherrn anknüpft und alle Aufwendungen für Arbeitnehmer oder Personen mit arbeitnehmerähnlicher Einbindung
in die Verwaltung der juristischen Personen erfassen will. Nur dann, wenn die juristischen Personen des öffentlichen
Rechts wie Privatrechtssubjekte eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit ausüben, wird das
Kassenstaatsprinzip durch Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich weiter eingeschränkt.
15 Die Auffassung, nur hoheitliche Tätigkeiten fielen unter Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich, führte darüber hinaus zu
erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten, weil es weitgehend in das Belieben des Staates gestellt ist, welche
Aufgaben er sich als öffentliche Aufgabe zu Eigen macht. Ebenso steht es ihm grundsätzlich frei, ob er seine Aufgaben
in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form erfüllt.
16 Ferner kann es sich --wie der Streitfall zeigt-- auch bei Leistungen, die nicht unmittelbar dem hoheitlichen Bereich
zuzurechnen sind, wirtschaftlich betrachtet gleichwohl um Aufwendungen für Dienstleistungen im öffentlichen Dienst
handeln. Die VBL gewährt den bei ihren Mitgliedern (§ 19 VBLS) Beschäftigten eine im Umlageverfahren finanzierte
zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung. Diese Versorgung wird überwiegend von
den öffentlichen Arbeitgebern finanziert (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, Bundesangestelltentarif, Kommentar § 16
ATV Rz 6), die hierzu tarifvertraglich verpflichtet sind (§ 46 des Bundesangestelltentarifvertrags). Aus Sicht der
Arbeitgeber handelt es sich bei den Umlagen zur Finanzierung der zusätzlichen Altersversorgung um
Lohnaufwendungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und damit um Kosten, die im Zusammenhang mit der
Erfüllung öffentlicher Aufgaben anfallen. Die Erfassung dieser Gehälter entspricht demnach auch dem Zweck des
Kassenstaatsprinzips, die Vertragsstaaten durch die Ausübung der Besteuerungsrechte nicht bei der Wahrnehmung
öffentlicher Aufgaben zu behindern.
17 ccc) Der Auffassung des FG, aus Art. 19 des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf
dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (OECD-MustAbk), der nur Bund und Länder, nicht
dagegen sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts nenne, folge, dass das Merkmal "in der Verwaltung" in
Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich restriktiv auszulegen sei, ist nicht zu folgen. Es gibt keinen Grundsatz, dass
Bestimmungen in DBA, die das Besteuerungsrecht hinsichtlich bestimmter Einkünfte gegenüber den entsprechenden
Regelungen im OECD-Musterabkommen erweitern, im Interesse einer möglichst geringen Abweichung vom OECD-
Musterabkommen einschränkend auszulegen sind. Die Vertragsstaaten haben in Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich nicht
nur Vergütungen der Vertragsstaaten oder einer ihrer Gebietskörperschaften, sondern ausdrücklich auch
Vergütungen, die von sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts bezahlt werden, einbezogen. Diese
Entscheidung ist nicht durch restriktive Auslegung anderer Merkmale des Art. 14 Abs. 1 DBA-Frankreich zu
konterkarieren. Zwar ist zu vermuten, dass die Vertragsstaaten die Bestimmung eines DBA, die ihrem Wortlaut nach
mit einer Bestimmung des OECD-Musterabkommens übereinstimmt, auch im Sinne des Musterkommentars
verstanden haben. Diese Vermutung greift jedoch bei einer vom Wortlaut des OECD-Musterabkommens
abweichenden Regelung nicht ein und gilt erst recht nicht, wenn die Bestimmung --wie hier-- in einem DBA bereits vor
Schaffung des ersten Musterabkommens im Jahr 1963 zwischenstaatlich vereinbart wurde. Im Übrigen wird auch zu
Art. 19 OECD-MustAbk die Auffassung vertreten, maßgeblich sei nicht die Ausübung einer hoheitlichen Tätigkeit,
sondern allein die öffentlich-rechtliche Rechtsform des Dienstherrn (Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O.,
Art. 19 MA Rz 40).
18 ddd) Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb angezeigt, weil die Klägerin in den Streitjahren als … von ihrer
eigentlichen Tätigkeit freigestellt war. Eine Abgrenzung nach der Art der ausgeübten Tätigkeit ist allenfalls dann
erforderlich, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts auch Tätigkeiten mit Gewinnerzielungsabsicht ausübt
(vgl. Senatsbeschluss vom 7. April 2004 I B 196/03, BFH/NV 2004, 1377). Denn insoweit ist die Anwendung des Art.
14 Abs. 1 DBA-Frankreich ausgeschlossen (Art. 14 Abs. 3 DBA-Frankreich). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die VBL
entfaltet keine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit. Die Klägerin fällt danach nicht unter die
Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich.
19 3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben und die Klage ist insgesamt
abzuweisen.