Urteil des BFH vom 21.06.2007

BFH (rechtliches gehör, anspruch auf rechtliches gehör, faires verfahren, gkg, beschwerde, rechtsbehelf, begründung, umdeutung, rechtsmittel, rechtskraft)

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 2.1.2009, V S 1/08
Gegenvorstellung - Beteiligter im Verfahren gegen den Kostenansatz
Tatbestand
1 I. Die Antragstellerin und Kostenschuldnerin (Antragstellerin) hat durch ihren Prozessbevollmächtigten gegen
Kostenrechnungen der Gerichtskasse des Finanzgerichts (FG) vom 21. Juni 2007 "Beschwerde" eingelegt. Zur
Begründung hat sie ausgeführt, die betreffenden Verfahren seien ohne von ihr gestellte Anträge in Gang gesetzt
worden.
2 Das FG hat den Beschwerden nicht abgeholfen, weil gemäß § 66 des Gerichtskostengesetzes (GKG) gegen den
Kostenansatz allein die Erinnerung, nicht aber die Beschwerde statthaft sei. Von einer Umdeutung hat es unter
Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Dezember 2006 VII B 289/06 (juris) abgesehen.
Danach könne die als Beschwerde bezeichnete Eingabe regelmäßig nicht in einen anderen Rechtsbehelf umgedeutet
werden, wenn sie von einem rechtskundig vertretenen Beteiligten abgegeben worden sei. Hinzu komme, dass sich die
Antragstellerin in anderen Verfahren ausdrücklich gegen eine vom FG vorgenommene Umdeutung unzulässiger
Rechtsmittel gewandt habe.
3 Die entsprechenden Beschwerden der Antragstellerin gegen die Kostenrechnungen der Gerichtskasse vom 21. Juni
2007 1 K 471/02, 1 K 1222/05, 1 K 1228/05, 1 K 1229/05 und 1 K 1231/05 hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober
2007 V B 144-148/07 (juris) als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass er die
Rechtsbehelfe der Antragstellerin gegen die Kostenrechnungen vom 21. Juni 2007 entsprechend deren
ausdrücklichen Bezeichnung als "Beschwerde" verstehe. Das FG habe zu Recht eine Umdeutung der
Rechtsbehelfsbegehren in eine Erinnerung nach § 66 Abs. 1 GKG abgelehnt. Umdeutungen von Prozesserklärungen
in einen anderen Rechtsbehelf, wenn sie --wie im Streitfall-- von einem rechtskundig vertretenen Beteiligten
abgegeben worden seien, seien regelmäßig nicht in Betracht zu ziehen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. September 1970
II B 28/70, BFHE 100, 83, BStBl II 1970, 813; vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; vom 25. Februar 1999 V
B 156/98, BFH/NV 1999, 1119, und vom 15. Dezember 2006 VII B 289/06, juris).
4 Gegen den Senatsbeschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Gegenvorstellung. Zu deren Begründung macht
sie u.a. geltend, der BFH habe bei der Bearbeitung der Beschwerden ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es
handele sich um eine Überraschungsentscheidung. Der BFH hätte der Antragstellerin rechtliches Gehör gewähren
müssen, insbesondere in Form eines Hinweises auf die Anwendung des § 66 GKG. Der V. Senat des BFH sei
irrigerweise davon ausgegangen, dass die Verfahren nur mit dem Rechtsbehelf des § 66 Abs. 1 GKG angefochten
werden könnten. Die Verfahren seien nicht mehr anhängig gewesen; diesbezüglich begehrt die Antragstellerin die
Beiziehung von Verfahrensakten der jeweiligen Verfahren 1 K 412/03, 1 K 409/02, 1 K 277/02, 1 K 388/02, 1 K 164/03,
1 K 163/03, 1 K 344/02, 1 K 408/02, 1 K 472/02, 1 K 387/02, 1 K 256/01, 1 K 471/02, 1 V 13/05 und 1 V 14/05. Ohne
Antrag der Antragstellerin seien die Aktenzeichen 1 K 221/05-234/05 erteilt worden. Anfang 2007 seien in diesen
Verfahren abermals neue Aktenzeichen (1 K 1221/05-1234/05) erteilt worden. Aufgrund der Mitteilung ihres
Prozessbevollmächtigten seien sodann die Verfahren eingestellt worden, die nie anhängig gewesen seien. Mit der
Einstellung der Verfahren sei keine Kostengrundentscheidung ergangen und auch die Voraussetzungen des § 22 GKG
lägen nicht vor, da die Antragstellerin aufgrund fehlender Veranlassung nicht Veranlassungsschuldnerin sei. Die
Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit sei einzig verbliebenes Rechtsmittel, welche sich gleichzeitig gegen
die angeblich nicht ergangene Kostengrundentscheidung richte und umdeutungsfähig im Sinne einer Erinnerung sei.
Auch Einwendungen gegen den Kostenansatz seien in diesem Verfahren zu berücksichtigen. Darüber hinaus rügt die
Antragstellerin einen "nicht durchgeführten Beteiligtenwechsel" auf Seiten des Finanzamts (FA), wodurch rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--), das Recht auf ein willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG), auf ein
faires Verfahren beim Zugang zur Rechtsmittelinstanz (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG), das Gebot effektiven
Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG), der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz
2 GG) sowie auf ein faires Verfahren i.S. des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten des Europarates (EMRK) verletzt worden seien. Des Weiteren rügt sie "willkürliche Behandlung" durch
FA und FG.
5 Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss vom 11. Oktober 2007 V B 144-148/07 aufzuheben und die Verfahren
fortzuführen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Gegenvorstellung ist als unzulässig zu verwerfen.
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1. Soweit die Antragstellerin "Gegenvorstellungen" gegen den Beschluss vom 11. Oktober 2007 V B 144-148/07
erhoben hat, ist nach Auffassung des Senats eine Gegenvorstellung gegen Gerichtsentscheidungen in materieller
Rechtskraft neben der gesetzlich geregelten Anhörungsrüge (§ 133a Finanzgerichtsordnung) nicht mehr statthaft (vgl.
BFH-Beschluss vom 26. September 2007 V S 10/07, BFHE 219, 27, BStBl II 2008, 60).
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Geht man dagegen von der Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung aus, beschränkt die vorrangige, kodifizierte
Anhörungsrüge den Anwendungsbereich der Gegenvorstellung von vornherein auf Ausnahmefälle. Davon ist
auszugehen bei schwerwiegenden Grundrechtsverstößen, wenn die angegriffene Entscheidung unter keinem
denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt oder gegen das Gebot des
gesetzlichen Richters ergangen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. November 2006 IX S 14/06, BFH/NV 2007, 474;
vom 31. Januar 2007 V S 26/06, BFH/NV 2007, 953; vom 11. Juni 2007 IX S 4/07, BFH/NV 2007, 1535).
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Die Gegenvorstellung ist hiernach zu verwerfen, denn dass dem BFH-Beschluss vom 11. Oktober 2007 V B 144-
148/07 derart schwerwiegende Verstöße anhaften sollen, hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt. Sie hat
nicht hinreichend deutlich gemacht, warum dieser unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar sein soll. Dies gilt
insbesondere für den Vortrag der Antragstellerin zum gesetzlichen Beteiligtenwechsel, denn im Verfahren des
Kostenschuldners gegen den Kostenansatz der Gerichtskasse ist die Staatskasse und nicht der Prozessgegner des
Kostenschuldners aus dem Gerichtsverfahren, das dem Kostenansatz zugrunde lag, als eigentlicher
Beschwerdegegner anzusehen (BFH-Beschluss vom 29. April 2008 I K 9-15/08, juris).
10 Dass der Senat auch im Übrigen den rechtlichen Schlussfolgerungen der Antragstellerin im Beschluss vom 11.
Oktober 2007 V B 144-148/07 nicht gefolgt ist, führt nicht dazu, dass dem Beschluss schwerwiegende
Grundrechtsverstöße anhaften oder die Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint und
jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt. Zudem ist nicht erkennbar, inwieweit die Ausführungen der Antragstellerin zur
materiellen Rechtslage, zum Vorgehen des FA und FG und zum Erfordernis einer Beiziehung von Akten erheblich
sein können; zumal der Vortrag, dass es an einer Kostengrundentscheidung fehle, im Widerspruch zum Vorbringen in
der Beschwerdebegründung steht und ebenso wie ihr Vortrag, die Voraussetzungen des § 22 GKG lägen nicht vor,
erstmalig in ihrer Gegenvorstellung vorgebracht wird.
11 Soweit darüber hinaus die Antragstellerin die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht, kann sie damit im
Rahmen der Gegenvorstellung nicht gehört werden, da insoweit die Anhörungsrüge gemäß § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
FGO statthafter Rechtsbehelf ist.
12 2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, weil für das Verfahren im Rahmen einer Gegenvorstellung kein
Gebührentatbestand vorgesehen ist (BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 2005 IV S 10/05, BFHE 211, 13, BStBl II 2006,
76; vom 25. August 2006 V S 3/06, BFH/NV 2006, 2292, m.w.N.).