Urteil des BFH vom 17.05.1977

Umsatzsteuerbefreite Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug - Einheitlichkeit der Leistung - Wertsteigernde Zusatzleistungen - Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche als Teil der grunderwerbsteuerlichen Gegenleistung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 24.1.2008, V R 42/05
Umsatzsteuerbefreite Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen vor dem Erstbezug - Einheitlichkeit der Leistung -
Wertsteigernde Zusatzleistungen - Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche als Teil der
grunderwerbsteuerlichen Gegenleistung
Leitsätze
1. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 von der gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr.
16 der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchst. a von der
Steuerbefreiung des Art. 13 Teil B Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommene Lieferung von Gebäuden oder
Gebäudeteilen vor dem Erstbezug weiterhin von der Umsatzsteuer zu befreien .
2. Beim Verkauf eines neu errichteten Gebäudes ist der über eine einfache "Grundausstattung" hinausgehende Einbau von
zusätzlichen Treppen, Wänden, Fenstern, Duschen sowie die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen durch den
Verkäufer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn das Gebäude dem Erwerber in dem
gegenüber der "Grundausstattung" höherwertigen Zustand übergeben wird .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Organträgerin der Firma T, Gesellschaft mit beschränkter Haftung
(GmbH). Die GmbH schloss mit Erwerbern notariell beurkundete Kauf- und Bauwerkverträge über den Verkauf eines
Grundstückes oder Erbbaurechts bzw. Wohnungseigentumsrechts an einem Grundstück einschließlich eines gemäß
der vereinbarten Baubeschreibung zu errichtenden Gebäudes bzw. einer zu errichtenden Wohnung. Der in jedem
Vertrag vereinbarte einheitliche Festpreis für das Grundstück und das Gebäude lag zwischen 257 250 DM und 603
100 DM. Mit Ausnahme eines Vertrages enthielten die Verträge die Klausel, dass auf Wunsch der Käufer
Abweichungen gegenüber der Baubeschreibung möglich und die dadurch eintretenden Preisänderungen schriftlich
zu vereinbaren seien.
2
Nach Abschluss der notariell beurkundeten Verträge vereinbarte die GmbH mit den Erwerbern, die das erworbene
Eigentum nach Fertigstellung des Objektes zumindest teilweise selber bezogen, die Ausführung von
Zusatzleistungen, die vom zusätzlichen Einbau von Wänden, Treppen, Fenstern und Duschen bis zur zusätzlichen
Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen sowie der Verwendung höherwertigen Materials reichten. Die
Entgelte für die Sonderleistungen betrugen zwischen 6 690 DM und 42 900 DM.
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Nach Abschluss der Arbeiten einschließlich der Zusatzleistungen erteilte die GmbH den Erwerbern im Streitjahr
(1999) Schlussrechnungen, in denen sie den vereinbarten Festpreis und das Entgelt für die jeweiligen
Zusatzleistungen sowie die Preisabzüge für Minderkosten und Eigenleistungen der Erwerber abrechnete und dabei
keine Umsatzsteuer offen auswies. In ihrer Umsatzsteuererklärung behandelte die Klägerin auch die Zusatzleistungen
als nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) steuerbefreite Umsätze.
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Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die
Sonderleistungen seien nicht umsatzsteuerbefreit, weil sie nicht der Grunderwerbsteuer unterlägen. Für die eventuelle
Steuerbarkeit des Vorgangs nach dem Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) sei allein das notarielle
Verpflichtungsgeschäft maßgeblich. Nachträgliche Änderungen des Umfangs des Bauauftrages hätten aber nur dann
grunderwerbsteuerrechtliche Auswirkung, wenn auch der notarielle Vertrag geändert werde, was vorliegend nicht
geschehen sei. Folglich unterlägen die Zusatzleistungen der Umsatzsteuer und dementsprechend sei auch der
Vorsteuerabzug aus den zugehörigen Vorbezügen zu gewähren.
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Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Auffassung und änderte den
Umsatzsteuerbescheid 1999, indem es die Zusatzleistungen der Umsatzsteuer unterwarf. Der Einspruch hatte keinen
Erfolg.
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Mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2005, 1387 veröffentlichten Urteil gab das Finanzgericht
(FG) der Klage statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:
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Das FA habe die von der GmbH erbrachten Zusatzleistungen zu Unrecht als umsatzsteuerpflichtig behandelt, weil sie
gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 steuerfrei seien.
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Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 seien die Umsätze umsatzsteuerbefreit, die unter das GrEStG fielen. Diese
Regelung stelle nicht darauf ab, ob ein Entgelt beim Leistungsempfänger in die grunderwerbsteuerrechtliche
Bemessungsgrundlage einzubeziehen sei. Die laut den Schlussrechnungen von der GmbH erbrachten
Zusatzleistungen seien jedenfalls umsatzsteuerlich Nebenleistungen zu der steuerfreien Hauptleistung, bestehend
aus der Grundstückslieferung und der Bauleistung laut dem Kauf- und Bauwerksvertrag mit der Folge, dass sie
umsatzsteuerrechtlich das Schicksal der Hauptleistung teilten, selbst wenn --wie vorliegend-- für die Nebenleistungen
ein besonderes Entgelt verlangt und entrichtet worden sei.
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Biete ein Unternehmer ein Grundstück mit einem noch zu errichtenden Gebäude, das nach der Baubeschreibung
"ohne Komfort" nur eine "Grundnutzung" für Wohnzwecke ermögliche, zu einem Festpreis an, so gehe der
Unternehmer regelmäßig als selbstverständlich davon aus, dass jedenfalls der Erwerber, der die Selbstnutzung des
Gebäudes plane und den Erwerb nicht nur als reine Kapitalanlage etwa durch Fremdvermietung ansehe,
Zusatzleistungen mit dem Ziel der Steigerung des Wohnwertes und der Nutzungsmöglichkeit des erworbenen
Objektes beauftrage. Selbstnutzer entsprächen im Regelfall dieser Erwartung und beauftragten, nur begrenzt durch
ihre finanziellen Möglichkeiten und durch den für das Grundstück bauplanungsrechtlich vorgegebenen Rahmen,
Sonderleistungen, die teilweise bereits bei Abschluss des notariellen Vertrages feststünden, spätestens aber in der
Bauphase angefragt und in Auftrag gegeben würden, und die, wie gerichtsbekannt sei, vom Einbau besserer
Materialien über Veränderungen im Zuschnitt der Räume bis zur Schaffung zusätzlicher Wohn- und Abstellflächen
reichen könnten. In allen Erwerbsfällen habe die GmbH Zusatzleistungen erbracht, die allein dazu dienten, eine nach
den Vorstellungen des jeweiligen Erwerbers im Vergleich zum Nutzungswert laut Baubeschreibung "verbesserten
Wohnwert" des erworbenen Objektes zu ermöglichen.
10 Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Es trägt vor, das FG habe den Begriff der
Nebenleistung unzutreffend ausgelegt. Gegenstand und Umfang der Werklieferung seien durch den notariell
beurkundeten Kauf- und Bauwerkvertrag und die dazu gehörende Baubeschreibung abschließend geregelt.
Nachträglich vereinbarte Leistungen, die darüber hinausgingen, stellten weitere selbständige Lieferungen dar.
11 Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
12 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision ist unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat die von der Klägerin erbrachten sog. Zusatzleistungen zutreffend als gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999
umsatzsteuerfrei behandelt.
14 Von den unter § 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 UStG 1999 fallenden Umsätzen sind gemäß § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999
steuerfrei die Umsätze, die unter das GrEStG fallen. Zu den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1999 fallenden Umsätzen
gehören die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland im Rahmen seines Unternehmens
ausführt.
15 a) Die Steuerbefreiung in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 weicht von Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) ab. Danach befreien die Mitgliedstaaten
16 "g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme
der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;".
17 In Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist bezeichnet die "Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen
und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt".
18 Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet somit zwischen Neubauten und Baugrundstücken einerseits sowie Altbauten
und sonstigen Grundstücken andererseits. Werden --wie hier-- Neubauten von einem Unternehmer verkauft, unterliegt
dies der Umsatzsteuer, weil die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen, die vor dem Erstbezug erfolgt, von der
Befreiung durch Art. 13 Teil B Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG ausgenommen ist.
19 Gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. b i.V.m. Anhang F Nr. 16 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten diese
Umsätze aber während der noch nicht abgelaufenen Übergangszeit aus Art. 28 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG
weiterhin befreien. Deutschland hat von dieser Möglichkeit in den Grenzen der in § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999
getroffenen Regelung Gebrauch gemacht.
20 b) Der zu beurteilende Sachverhalt ist zunächst umsatzsteuerrechtlich zu erfassen und erst danach
grunderwerbsteuerrechtlich zu würdigen (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Oktober 1992 V R 17/89,
BFH/NV 1994, 198; vom 10. September 1992 V R 99/88, BFHE 169, 255, BStBl II 1993, 316; vom 29. August 1991 V R
87/86, BFHE 166, 185, BStBl II 1992, 206; vom 7. Februar 1991 V R 53/85, BFHE 164, 482, BStBl II 1991, 737; vgl.
BFH-Beschluss vom 20. Juni 1994 V B 12/94, BFH/NV 1995, 456).
21 aa) Die streitigen Zusatzleistungen sind Bestandteil der ausgeführten Grundstückslieferungen. Der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften hat zur einheitlichen Leistung sowie zum Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung im
Urteil vom 21. Juni 2007 C-453/05, Ludwig (Umsatzsteuer-Rundschau 2007, 617 Randnrn. 17, 18) Folgendes
ausgeführt:
22 "Aus Art. 2 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie, der den Anwendungsbereich dieser Richtlinie definiert, ergibt sich, dass
jede Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist und dass eine wirtschaftlich
einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten
werden darf, so dass das Wesen des fraglichen Umsatzes zu ermitteln ist, um festzustellen, ob der Steuerpflichtige
dem Verbraucher mehrere selbständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, wobei auf die Sicht
des Durchschnittsverbrauchers abzustellen ist (Urteil vom 25. Februar 1999, CPP, C-349/96, Slg. 1999, I-973, Randnr.
29).
23 Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder
mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen darstellen, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen.
Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kundschaft keinen eigenen
Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in
Anspruch zu nehmen (Urteile vom 22. Oktober 1998, Madgett und Baldwin, C-308/96 und C-94/97, Slg. 1998, I-6229,
Randnr. 24, und CPP, Randnr. 30)."
24 bb) Das entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (BFH-Urteil vom 11. November 2004 V R 30/04, BFHE 207,
560, BStBl II 2005, 802; BFH-Beschluss vom 22. August 2006 V B 59/04, BFH/NV 2007, 116).
25 cc) Danach hat das FG im Ergebnis zu Recht die Lieferung der neu errichteten Gebäude und Wohnungen und die
damit in unmittelbarem Zusammenhang erbrachten Zusatzleistungen als eine einheitliche steuerfreie
Grundstückslieferung beurteilt.
26 Bei den Zusatzleistungen hat es sich zwar nicht um Nebenleistungen gehandelt, weil sie nicht lediglich dazu dienten,
die Hauptleistung "Lieferung eines bebauten Grundstücks bzw. einer Wohnung" unter optimalen Bedingungen in
Anspruch zu nehmen. Aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers ist aber beim Erwerb eines neu errichteten
Gebäudes der über eine "Grundausstattung" hinausgehende Einbau von zusätzlichen Wänden, Treppen, Fenstern
und Duschen, die Errichtung von Garagen und Freisitzüberdachungen sowie die Verwendung höherwertigen
Materials durch den Veräußerer jedenfalls dann ein Bestandteil der steuerfreien Grundstückslieferung, wenn diese
Zusatzleistungen --wie hier-- mit der Grundstückslieferung insoweit in unmittelbarem Zusammenhang stehen, als die
Immobilie dem Erwerber vom Veräußerer in gegenüber der "Grundausstattung" höherwertigem, umfangreicherem
oder verbessertem Zustand übergeben wird. Ob die Zusatzleistungen dabei in den notariell beurkundeten
Grundstückskaufvertrag aufgenommen oder in einem gesonderten Vertrag vereinbart worden sind, ist für die
umsatzsteuerrechtliche Beurteilung unerheblich. Über die Frage, inwieweit spätere, d.h. nach Übergabe des
Gebäudes/der Wohnung erbrachte Bauleistungen unter den Befreiungstatbestand fallen können, brauchte der Senat
nicht zu entscheiden.
27 c) Da die von der Klägerin ausgeführten Zusatzleistungen umsatzsteuerrechtlich unselbständiger Teil der
Grundstückslieferung sind, "fallen sie" i.S. des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1999 wie diese unter das GrEStG und werden
von dieser Steuerbefreiung umfasst.
28 Im Übrigen sind auch grunderwerbsteuerrechtlich Vergütungen für nachträglich vereinbarte Sonderwünsche gemäß §
9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG der Gegenleistung zuzurechnen (BFH-Urteil vom 26. April 2006 II R 3/05, BFHE 213, 239, BStBl
II 2006, 604).