Urteil des BFH vom 11.07.2013

Werbungskosten bei beruflich veranlassten Krankheiten

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 11.7.2013, VI R 37/12
Werbungskosten bei beruflich veranlassten Krankheiten
Leitsätze
Aufwendungen zur Wiederherstellung der Gesundheit können dann betrieblich oder beruflich
veranlasst sein, wenn es sich um eine typische Berufskrankheit handelt oder der Zusammenhang
zwischen der Erkrankung und dem Beruf eindeutig feststeht.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob Aufwendungen für krankengymnastische Behandlungen einer als Geigerin
tätigen Berufsmusikerin als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionskläger (Kläger), zusammenveranlagte Eheleute, machten mit ihrer
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2009) Werbungskosten der als
Orchestermusikerin nichtselbstständig tätigen Klägerin in Höhe von 2.516,65 EUR geltend,
nämlich Aufwendungen für Krankengymnastik und für eine Bewegungsschulung
(Dispokinese).
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--), berücksichtigte zunächst die
Kosten für Dispokinese (1.075 EUR) als Werbungskosten und die für Krankengymnastik als
außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nachdem die
Klägerin sich dagegen mit Einspruch gewandt hatte, änderte das FA die
Einkommensteuerfestsetzung zum Nachteil der Klägerin, indem es die Kosten für
Dispokinese nicht mehr als Werbungskosten berücksichtigte, die Einkommensteuer
dementsprechend erhöhte und im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurückwies.
4 Mit der dagegen gerichteten Klage begehrten die Kläger weiter den Abzug dieser
Aufwendungen als Werbungskosten, weil die Klägerin durch akute Einschränkungen im
Schulterbereich ihrer Erwerbstätigkeit als Berufsmusikerin nicht habe nachgehen können. Die
Dispokinese sei eine Fortbildungsmaßnahme, sie diene der ganzheitlich orientierten
Schulung zur Verbesserung der Haltung, Atmung und Bewegung sowie der Erfahrungs- und
Bewusstseinsdenkprozesse und der Spiel- und Ausdrucksfähigkeit professioneller Musiker.
Musiker erlernten so zahlreiche Übungen, um bei Auftritten bessere Leistungen zu erbringen.
Diese Maßnahmen dienten insoweit der Erhaltung und Sicherung der Einnahmen, sie seien
Werbungskosten, keine Krankheitskosten.
5 Das Finanzgericht (FG) hat die Klage aus den in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst
2013, 261 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die Aufwendungen der Klägerin dienten der
Förderung und Erhaltung der Gesundheit, seien mithin keine Werbungskosten, sondern
außergewöhnliche Belastungen.
6 Die Kläger rügen mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts.
7 Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des Hessischen FG vom 13. Dezember 2011 12 K 2569/10 aufzuheben und den
Einkommensteuerbescheid des FA i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 10. September
2010 dahingehend abzuändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 1.876 EUR
berücksichtigt werden und die Einkommensteuer dementsprechend herabgesetzt wird.
8 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die bisherigen
Feststellungen des FG tragen nicht dessen Entscheidung, dass die Aufwendungen der
Klägerin für die Dispokinese keine Werbungskosten sind.
10 1. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der
Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch
die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst,
wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv
zur Förderung des Berufs getätigt werden. Auch Aufwendungen für berufsbezogene
Fortbildungsmaßnahmen können als Werbungskosten abziehbar sein, wenn die
Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren
Veranlassungszusammenhang mit den einkommensteuerbaren Einnahmen stehen. Diese
Voraussetzungen können sogar bei Aufwendungen für berufsbezogene
Bildungsmaßnahmen erfüllt sein, die zur Erlangung eines künftigen Berufs getätigt werden
(zuletzt Senatsurteile vom 9. Februar 2012 VI R 42/11, BFHE 236, 439, BStBl II 2013, 236;
vom 27. Oktober 2011 VI R 52/10, BFHE 235, 444, BStBl II 2012, 825). Dies gilt erst recht bei
Aufwendungen für einen schon gegenwärtig ausgeübten Beruf.
11 Gemessen daran ist nicht ersichtlich, auf Grundlage welcher gesicherten Erkenntnisse das
FA und das FG die Dispokinese nicht als beruflich veranlasste Fortbildungsmaßnahme
beurteilen konnten. Die Klägerin hatte schon im Rahmen ihrer
Einkommensteuerveranlagung geltend gemacht, dass die Aufwendungen dafür
Fortbildungsmaßnahmen seien. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin dies
ebenfalls vorgebracht, es auch nicht bei der schlichten Behauptung belassen, sondern
umfassend zu Sinn, Zweck und Ziel der Dispokinese vorgetragen und ergänzend auch eine
Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt. Das FG hat
indessen den Sachverhalt dahingehend nicht weiter ermittelt und auch kein
Sachverständigengutachten eingeholt.
12 2. Ungeachtet der Frage, ob die in ihrer einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung
streitigen Aufwendungen als Fortbildungsmaßnahmen zu Werbungskosten führen können,
entspricht es auch der ständigen und unverändert fortgeltenden Rechtsprechung des
erkennenden Senats, dass Aufwendungen zur Verminderung oder Behebung
gesundheitlicher Störungen, die typischerweise mit der betreffenden Berufstätigkeit
verbunden sind, Werbungskosten sein können, wenn es sich um typische Berufskrankheiten
handelt oder der Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Beruf eindeutig
feststeht (vgl. Senatsentscheidungen vom 17. Juli 1992 VI R 96/88, BFH/NV 1993, 19; vom
23. Oktober 1992 VI R 31/92, BFHE 169, 350, BStBl II 1993, 193; vom 9. Februar 1962 VI
10/61 U, BFHE 74, 632, BStBl III 1962, 235; vom 22. April 2003 VI B 275/00, BFH/NV 2003,
1052). Diese Rechtsgrundsätze hat etwa das Sächsische FG in einem Urteil vom
26. Oktober 2010 5 K 435/06 (juris, mit umfassenden Nachweisen zur
Senatsrechtsprechung) in einem vergleichbaren Fall angewandt, in dem eine Geigerin
ebenfalls Aufwendungen für berufliche Gymnastik als Werbungskosten mit der Begründung
geltend gemacht hatte, dass bei ihr eine musikerspezifische Erkrankung vorgelegen habe.
13 3. Angesichts dieser vorgenannten Rechtsgrundsätze wird das FG im zweiten Rechtsgang
gegebenenfalls durch Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens zu
prüfen haben, ob die von der Klägerin in Anspruch genommene Unterrichtung in
Dispokinese als Fortbildungsmaßnahme zu berücksichtigen ist. Gegebenenfalls wird auch
zu prüfen sein, ob ein Werbungskostenabzug unter dem Gesichtspunkt der typischen
Berufskrankheit oder eines eindeutig feststehenden Zusammenhangs zwischen Erkrankung
und Beruf in Betracht kommt.