Urteil des BFH vom 07.10.2008

BFH: rüge, rechtliches gehör, akteneinsicht, vertagung, verfahrensmangel, wiedergabe, vertreter, anwendungsbereich, sachverständiger, zivilprozessordnung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 7.10.2008, VIII B 219/07
Verfahrensmängel - Nichterhebung von Beweisen - Verletzung der Amtsermittlungspflicht - Verletzung des rechtlichen
Gehörs
Gründe
1
Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 FGO).
2
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die geltend gemachten Verfahrensrügen nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO
nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend schlüssig
bezeichnet.
3
1. a) Soweit das Finanzgericht (FG) im angefochtenen Urteil begründet, weshalb es von der Erhebung vom Kläger
angebotener Beweise abgesehen hat, genügt an sich für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des § 76 Abs. 1
Satz 1 FGO die schlichte Rüge der Nichtbefolgung der Beweisantritte. Ebenso sind Ausführungen dazu, dass die
Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden sei oder weshalb
eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (vgl. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 155 FGO), dann
entbehrlich, wenn sich diese Rüge aus dem Urteil selbst ergibt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juli
2008 VIII B 189/07, juris, m.w.N.).
4
Zur Bezeichnung des Verfahrensmangels eines übergangenen Beweisantrages wird ansonsten grundsätzlich, trotz
der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung eingeräumten Begründungserleichterung, der zusätzliche Vortrag
verlangt, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden
ist oder weshalb eine solche Rüge nicht möglich gewesen sein soll. Von einem Rügeverzicht ist bereits dann
auszugehen, wenn zur mündlichen Verhandlung kein Zeuge geladen worden ist und damit für den Kläger erkennbar
ist, dass das FG die beantragte Zeugenvernehmung nicht durchzuführen beabsichtigt. Wird dies in der mündlichen
Verhandlung nicht gerügt, so liegt darin ein Verzicht auf die Geltendmachung des Verfahrensmangels des
Übergehens eines Beweisantrages (BFH-Beschluss vom 28. Juli 2008 VIII B 189/07, juris, m.w.N.).
5
b) Der Kläger hat innerhalb der Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO
dazu nichts vorgetragen. Auch aus der Sitzungsniederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2007
ergibt sich keine entsprechende Rüge.
6
2. a) Auch die ordnungsgemäße Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO
erfordert, dass der Kläger vorträgt, weshalb er, obwohl er im finanzgerichtlichen Verfahren fachkundig vertreten
gewesen ist, nicht von sich aus die von ihm als entscheidungserheblich angesehenen Tatsachen vorgetragen und
entsprechende Beweise vorgelegt bzw. ordnungsgemäße Beweisanträge gestellt hat (vgl. § 295 ZPO i.V.m. § 155
FGO; BFH-Beschluss vom 27. Mai 2008 VIII B 123/07, juris, m.w.N.).
7
Nach ständiger Rechtsprechung kann ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht und damit ein Verfahrensfehler
i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch dann vorliegen, wenn das FG auf die Einholung eines
Sachverständigengutachtens verzichtet, sofern ihm die erforderliche eigene Sachkunde fehlt (BFH-Beschluss vom 18.
Juli 2007 VIII B 204/06, BFH/NV 2007, 2264, m.w.N.).
8
b) Indes war Gegenstand des gesamten Klageverfahrens gerade auch die vom Kläger im Streitjahr 1996 entfaltete
Tätigkeit und deren steuerrechtliche Einordnung als freiberuflich oder gewerblich. Andernfalls hätte er, der Kläger,
nicht bereits im Schriftsatz vom 13. April 2006 zu seiner praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet eines Katalogberufs oder
ähnlichen Berufs derart umfangreiche Beweisangebote unterbreitet und noch im Schriftsatz vom 25. April 2007
umfänglich zu der in einem für einen Betriebswirt typischen Anwendungsbereich entfalteten Berufstätigkeit
vorgetragen. Vor diesem Hintergrund muss der auch in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene Kläger
vortragen, warum er nicht von sich aus die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur Beurteilung seiner praktischen
Tätigkeit beantragt hat oder weshalb ihm das nicht möglich gewesen sein soll (vgl. auch BFH-Beschluss vom 24. Mai
2007 XI B 171/06, BFH/NV 2007, 1531).
9
Im Übrigen handelt es sich bei der Würdigung des FG um eine dem Gericht obliegende rechtliche Beurteilung und
nicht um die Feststellung von Tatsachen, für die ein Sachverständiger wegen dessen besonderer Sachkunde
heranzuziehen wäre.
10 3. a) Eine Gehörsverletzung gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 FGO scheidet dann aus,
wenn es nach dem formellen oder materiellen Recht auf die Erhebung angebotener Beweise nicht ankommt.
Rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 GG wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten,
sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden soll. Das Gericht
seinerseits ist verpflichtet, den Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Indes liegt allein in dem
Umstand, dass das FG sich mit dem aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblichen Vorbringen nicht
auseinandergesetzt hat, noch keine Gehörsverletzung; denn das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vortrag in
den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen,
dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat
(BFH-Urteil vom 12. Dezember 2007 XI R 25/07, BFH/NV 2008, 339, ständige Rechtsprechung).
11 b) Die Beanstandung, das FG habe ihm, dem Kläger, nicht die beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --
FA--) vom Berichterstatter initiierte Vorlage weiterer Akten mitgeteilt, wird durch die protokollierte Einbeziehung dieser
in der mündlichen Verhandlung vom Vertreter des beklagten FA vorgelegten Akten und insbesondere auch den
eigenen Vortrag des Klägers, dass der Vorsitzende Richter beim FG auf diesen Sachverhalt in der mündlichen
Verhandlung hingewiesen habe, widerlegt.
12 Nicht nachvollziehbar ist die Behauptung, er, der Kläger, habe sich nicht ausreichend zu den
entscheidungserheblichen Tatsachen äußern können. Die mündliche Verhandlung hat immerhin ausweislich der
Sitzungsniederschrift von 9.50 bis 11.11 Uhr gedauert und nach dem Protokoll haben die Beteiligten ausdrücklich
Gelegenheit erhalten, sich zur Sach- und Rechtslage zu äußern. Dass dies tatsächlich auch erfolgt ist, kann überdies
der protokollierten längeren Erklärung des Klägers entnommen werden.
13 Darüber hinaus hat der Kläger keine besonderen Umstände vorgetragen, die auch nur nahelegen könnten, das FG
hätte die klägerischen Äußerungen nicht zur Kenntnis genommen oder in Erwägung gezogen. Eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs liegt indes nicht schon darin, dass das FG die Rechtsauffassung des Klägers nicht geteilt und aus
dessen Vortrag abweichende rechtliche Folgerungen gezogen hat.
14 c) Wenn der fachkundig vertretene Kläger glaubte, Akteneinsicht nehmen und sich ggf. zusätzlich zum Inhalt dieser in
der mündlichen Verhandlung vorgelegten Akten äußern zu müssen, so hätte er ohne weiteres gemäß § 78 Abs. 1 FGO
Akteneinsicht und ggf. eine Vertagung der mündlichen Verhandlung gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 155 FGO
beantragen können oder sich einen ergänzenden Sachvortrag im Rahmen eines nachzulassenden Schriftsatzes nach
§ 283 ZPO i.V.m. § 155 FGO einräumen lassen müssen (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 2007 VIII B 211/06,
BFH/NV 2007, 2312).
15 Dass der Klägervertreter von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht hätte, ist der Sitzungsniederschrift vom 25.
Oktober 2007 nicht zu entnehmen. Ebenso wenig hat der Kläger auch nur vorgetragen, dass er eine Protokollrüge
erhoben hätte (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 164 Abs. 1, § 160 Abs. 4 Satz 1 ZPO; vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 2007
VIII B 210/06, BFH/NV 2007, 2286, m.w.N.).
16 Soweit der Kläger die Ausführungen des FG beanstandet, nach dessen eigener Darstellung sei darunter
schwerpunktmäßig keine betriebswirtschaftliche Arbeit zu verstehen, handelt es sich erkennbar um eine dem FG
obliegende rechtliche Würdigung des klägerischen Vortrags, hingegen nicht um eine unzutreffende Wiedergabe von
Aussagen des Klägers.
17 Soweit der Kläger schließlich beanstandet, die tatsächlichen Feststellungen des FG seien unzureichend, um seine
Tätigkeit steuerrechtlich zu beurteilen, handelt es sich allenfalls um eine Rüge der Verletzung des materiellen Rechts,
nicht aber um einen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensmangel (vgl. Gräber/Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 81, m.w.N.).