Urteil des BFH vom 11.02.2010

Grundsätzliche Bedeutung - Divergenz - Keine Besteuerung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs nach § 23 ErbStG

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.2.2010, II B 123/09
Grundsätzliche Bedeutung - Divergenz - Keine Besteuerung des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs nach § 23 ErbStG
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Gesamtrechtsnachfolger der 2006 verstorbenen T, die mit notariell
beglaubigter Erklärung die Erbschaft nach ihrem Vater ausgeschlagen hat.
2 Das Landgericht X (LG) stellte aufgrund einer Klage der T mit Urteil vom 5. April 2006 fest, dass T die Erbschaft wirksam
ausgeschlagen hat und den Pflichtteil verlangen kann. Dagegen legten der Bruder der T, der im notariell beurkundeten
Testament des Vaters neben T als Miterbe eingesetzt war, und der Testamentsvollstrecker Berufung ein. Nach dem
Ableben der T verpflichteten sich der Bruder der T und der Testamentsvollstrecker in einer am 31. Mai 2007 zur
Beendigung des Streitverhältnisses abgeschlossenen Vergleichsvereinbarung, an den Kläger u.a. insgesamt 20
Zahlungen in Höhe von jährlich jeweils 80.000 EUR zu erbringen, bis durch diese Ratenzahlungen ein Gesamtbetrag
von 1.600.000 EUR erreicht wird. Eine Wertsicherung oder Verzinsung sollte ausdrücklich nicht gewährt werden. Der
Kläger verzichtete auf die Pflichtteilsansprüche der T und sah sich aufgrund der ihm zufließenden Zahlungen als
abgefunden an.
3 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) setzte gegen den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der T
zuletzt mit Bescheid vom 14. Januar 2009 Erbschaftsteuer fest, wobei die jährlichen Zahlungen an den Kläger mit
einem nach § 13 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes ermittelten Kapitalwert von 982.320 EUR (80.000 EUR x
12,279) angesetzt wurden. Die vom Kläger beantragte Besteuerung der Zahlungen nach dem Jahreswert gemäß § 23
Abs. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) wurde nicht berücksichtigt.
4 Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 ErbStG den
Erwerb eines Stammrechts auf wiederkehrende Leistungen voraussetze. T habe demgegenüber den Pflichtteil geltend
gemacht und damit einen Geldleistungsanspruch erworben. Mit der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs sei die
Erbschaftsteuer entstanden. Die jährlichen Zahlungen an den Kläger stellten ein Erfüllungssurrogat zur Abgeltung des
Pflichtteilsanspruchs der T dar.
5 Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach
§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Erwerb einer Kapitalforderung,
die in jährlichen Raten mit einer Laufzeit von 20 Jahren zu erbringen sei, unter die Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1
ErbStG falle, ist mangels Entscheidungserheblichkeit im Streitfall nicht klärungsfähig.
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Das FG ist im angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass Gegenstand des Erwerbs der T ein geltend gemachter
Pflichtteilsanspruch nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und nicht eine ratenweise zu tilgende Kapitalforderung war, die auf
einem Erbvergleich beruhte oder als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen Pflichtteilsanspruch nach § 3
Abs. 2 Nr. 4 ErbStG zu entrichten war. Es hat hierzu festgestellt, dass T nach dem Ableben ihres Vaters den Pflichtteil
geltend gemacht hat. An diese Feststellung ist der Bundesfinanzhof (BFH) nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden (vgl.
BFH-Urteil vom 19. Juli 2006 II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 2006, 718, unter II.2.). Zulässige und begründete
Revisionsgründe wurden insoweit nicht vorgebracht. Der Kläger ist zwar der Auffassung, es sei zweifelhaft, ob T mit
ihrer Klage vor dem LG den Pflichtteil geltend gemacht habe. Diese der Entscheidung des FG zugrunde liegende
Würdigung des Verhaltens der T ist aber möglich; sie verstößt weder gegen gesetzliche Auslegungsregeln (§§ 137,
157 des Bürgerlichen Gesetzbuches) noch gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
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Soweit der Kläger rügt, der Erwerb der T sei auch im Falle eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs nicht nach §
3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, sondern nach den Regeln des Erbvergleichs zu beurteilen und damit werde die Anwendung
des § 23 Abs. 1 ErbStG eröffnet, wendet er sich gegen eine angeblich fehlerhafte Rechtsanwendung, die eine
Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 28. November 2008 VIII B
206/07, BFH/NV 2009, 601).
10 2. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO wegen Divergenz
liegen ebenfalls nicht vor.
11 Die Vorentscheidung weicht nicht von dem Urteil des FG Hamburg vom 27. September 1977 V 18/77 (Entscheidungen
der Finanzgerichte 1978, 25, 26) ab. Denn diese Entscheidung ist nicht zu einem vergleichbaren Sachverhalt
ergangen. Anders als im Streitfall hatte die Erbin eine bereits vor dem Eintritt des Erbfalls bestehende, in Raten zu
tilgende Entschädigung für ein befristetes Betätigungsverbot ihres verstorbenen Ehemannes, des Erblassers,
erworben. Auf diesen Sachverhalt hat das FG Hamburg die mit § 23 ErbStG vergleichbare Regelung des § 30 ErbStG
1959 entsprechend angewendet. Demgegenüber geht es im Streitfall um den Pflichtteilsanspruch einer die Erbschaft
ausschlagenden Miterbin, bei dem nach der Geltendmachung eine ratenweise Tilgung vereinbart wurde.