Urteil des BFH vom 11.07.2008

BFH: anspruch auf rechtliches gehör, echte rückwirkung, jstg, rüge, verfahrensmangel, einverständnis, bekanntgabe, unterlassen, zivilprozessordnung, bewertungsmethode

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 11.7.2008, II B 53/07
Darlegungsanforderungen bei Berufung auf Verfassungswidrigkeit der Bewertung unbebauter Grundstücke - Verletzung
rechtlichen Gehörs - Anwendung des § 128 Abs. 2 ZPO auf die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2
FGO
Gründe
1
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat keinen der Zulassungsgründe
des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.
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1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist nicht
schlüssig dargelegt. Insoweit bedarf es substantiierter Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend
bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist und deren Beurteilung von der
Beantwortung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtsfrage abhängig ist. Wird die Verfassungswidrigkeit einer
Norm geltend gemacht, so genügt die bloße Behauptung deren Verfassungswidrigkeit nicht. Erforderlich ist vielmehr
die substantiierte, an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) und der einschlägigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs (BFH) orientierte Auseinandersetzung (vgl. z.B. BFH-
Beschlüsse vom 20. März 2006 II B 147/05, BFH/NV 2006, 1320; vom 27. Februar 2008 VI B 59/07, BFH/NV 2008,
981, jeweils m.w.N.).
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a) Die von der Klägerin sinngemäß als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob die Bewertung unbebauter
Grundstücke gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 des im Jahre 1996 anzuwendenden Bewertungsgesetzes i.d.F. des
Jahressteuergesetzes (JStG) 1997 (BewG) unter Zugrundelegung einer einheitlichen Bewertungszone mit einem
einheitlichen Bodenrichtwert gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, ist nicht ordnungsgemäß
dargelegt. Die Beschwerdebegründung setzt sich nicht substantiiert mit der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteile vom
11. Mai 2005 II R 21/02, BFHE 210, 48, BStBl II 2005, 686; vom 18. August 2005 II R 62/03, BFHE 210, 368, BStBl II
2006, 5; vom 12. Juli 2006 II R 1/04, BFHE 213, 387, BStBl II 2006, 742) auseinander, wonach die Bodenrichtwerte i.S.
des § 196 des Baugesetzbuches von den Finanzbehörden und -gerichten ungeprüft und ohne eigenen
Bewertungsspielraum der Ermittlung des Bedarfswerts zugrunde zu legen sind. Soweit die Klägerin geltend macht,
Bodenrichtwerte seien nach dem BFH-Urteil in BFHE 210, 48, BStBl II 2005, 686 lediglich "regelmäßig" einer
gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich und ein insoweit als möglich angesehener Ausnahmefall sei gegeben,
wenn die Wertermittlung dem typisierenden Verfahren nicht entspreche, ist ein Klärungsbedarf ebenfalls nicht
substantiiert geltend gemacht. Es ist nicht schlüssig dargelegt, ob und in welcher Hinsicht eine einheitliche
Bewertungszone der Regelung des § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG widersprechen soll. Zu entsprechenden Darlegungen
hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil sich aus § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG eine verfassungsrechtlich
unbedenkliche typisierende Bewertungsmethode ergibt, die der Vereinfachung der Bedarfsbewertung dient (vgl. z.B.
BFH-Urteil in BFHE 213, 387, BStBl II 2006, 742).
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b) Auch mit dem Hinweis der Klägerin auf den Beschluss des BVerfG vom 7. November 2006 1 BvL 10/02 (BVerfGE
117, 1), wonach die erbschaftsteuerliche Ermittlung der Bemessungsgrundlage schon auf der Bewertungsebene nicht
den Anforderungen des Gleichheitssatzes genügt, ist keine klärungsbedürftige Rechtsfrage bezeichnet. Die Klägerin
lässt gänzlich unberücksichtigt, dass das BVerfG ausdrücklich die Weiteranwendung des bisherigen Rechts bis zu
einer Neuregelung zugelassen hat, die spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu treffen ist. Zudem hat das BVerfG in
seinem Beschluss in BVerfGE 117, 1 hinsichtlich der Bewertung unbebauter Grundstücke lediglich die Festschreibung
der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996 durch § 138 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4, § 145 Abs. 3 Satz 3 BewG
beanstandet.
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c) Schon aus den vorstehenden Gründen ist auch die von der Klägerin behauptete Verfassungswidrigkeit des § 146
Abs. 7 BewG nicht schlüssig dargelegt. Der Hinweis der Klägerin, das BVerfG habe in seinem Beschluss in BVerfGE
117, 1 die Ertragswertmethode als strukturell ungeeignet angesehen, das Grundvermögen in einer
gleichheitsgerechten Annäherung an den gemeinen Wert abzubilden, betrifft lediglich die Bewertung bebauter
Grundstücke und ist daher für den Streitfall nicht entscheidungserheblich.
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d) Schließlich genügt auch die Rüge, aus § 152 BewG i.d.F. des JStG 1997 ergebe sich eine verfassungswidrige
echte Rückwirkung des § 146 Abs. 6 BewG, nicht den Darlegungsanforderungen. Soweit sich die Klägerin zur
Begründung auf den BVerfG-Beschluss in BVerfGE 117, 1 stützt, fehlt jede Auseinandersetzung mit der vom BVerfG in
dieser Entscheidung zugelassenen Weitergeltung des bisherigen Rechts bis zum 31. Dezember 2008 (vgl.
vorstehend 1.b) sowie mit der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 14. Februar 2007 II R 44/01, BFH/NV 2007, 1469,
m.w.N.), die die rückwirkende Anwendung der Bewertungsvorschriften für das Grundvermögen nach § 152 BewG
i.d.F. des JStG 1997 als verfassungsgemäß beurteilt hat. Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich auch keine
neuen Gesichtspunkte, die eine Überprüfung oder Fortentwicklung dieser Rechtsprechung veranlassen könnten.
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2. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) zuzulassen. Insoweit
hätte es substantiierter und konkreter Angaben dazu bedurft, weshalb eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu
einer bestimmten Rechtsfrage aus Gründen der Rechtsklarheit oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse
liegt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; vom 11. September 2007 VI B 5/07,
BFH/NV 2007, 2328) und weshalb die aufgeworfene Rechtsfrage klärungsbedürftig und im zu erwartenden
Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich solches Vorbringen nicht.
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3. Schließlich ist auch der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht schlüssig dargelegt. Eine
ordnungsgemäße Darlegung eines Verfahrensmangels liegt vor, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen
Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, einen Verfahrensmangel ergeben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. September
2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297; vom 29. Februar 2008 IV B 21/07, BFH/NV 2008, 974).
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a) Mit der Rüge der Klägerin, das Finanzgericht (FG) sei nicht auf die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit der
Rückwirkung des JStG 1997 eingegangen, ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2
FGO) nicht substantiiert dargetan.
10 Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Beteiligten, sich zur Sache zu äußern, und für das Gericht
die Pflicht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in
Erwägung zu ziehen, sofern das Vorbringen nicht aus formell- oder materiell-rechtlichen Gründen ausnahmsweise
unberücksichtigt bleiben muss oder bleiben kann (BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 2007 VIII B 8/06, BFH/NV 2007, 2069;
vom 3. Dezember 2007 II S 11/07, BFH/NV 2008, 529, jeweils m.w.N.). Die Begründung der Entscheidung des FG
muss erkennen lassen, dass dieses seiner Pflicht nachgekommen ist. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, sich mit
jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen (BFH-Beschluss vom 26.
November 2007 VIII B 121/07, BFH/NV 2008, 397, m.w.N.). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das
von ihm entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen hat. Deshalb ist der Anspruch auf
rechtliches Gehör erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles eindeutig ergibt, dass das
Gericht ein tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner
Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 12. Juli 2005 X B 37/05, BFH/NV 2005,
1802). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben.
11 b) Mit der Rüge, das FG habe unter Verstoß gegen § 155 FGO i.V.m. § 128 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) die
Mitteilung unterlassen, dass eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bevorstehe, ist ein Verfahrensfehler
ebenfalls nicht hinreichend dargetan. Haben die Beteiligten --wie im Streitfall-- gemäß § 90 Abs. 2 FGO ihr
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt, so findet auf die Entscheidung des FG
ohne mündliche Verhandlung die Regelung des § 128 Abs. 2 ZPO (Schriftsatzfrist, Bestimmung des
Verkündungstermins, Entscheidungsfrist) keine Anwendung (BFH-Entscheidungen vom 4. April 1978 VII R 100/77,
BFHE 125, 228, BStBl II 1978, 511; vom 19. Januar 1995 VII B 158/94, BFH/NV 1995, 807). Für das FG besteht daher
weder die Verpflichtung zur Bestimmung eines Zeitpunkts, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, noch
zur Bekanntgabe des Zeitpunkts seiner bevorstehenden Entscheidung (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6.
Aufl., § 90 Rz 20).