Urteil des BFH vom 17.04.2008

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BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.4.2008, III R 9/07
ABM-Kräfte als Arbeitnehmer im Sinne des Investitionszulagenrechts
Leitsätze
Personen, die im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz in einem Betrieb tätig
werden, sind Arbeitnehmer im Sinne des Investitionszulagenrechts und deshalb miteinzubeziehen, soweit es für die erhöhte
Investitionszulage auf die Zahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer ankommt.
Tatbestand
1 I. Der Revisionskläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormaligen Klägerin und Revisionsklägerin, einer
GmbH & Co. KG (KG), in deren Betrieb im Streitjahr 1995 neben 240 "regulären" Arbeitnehmern auch 12 im Rahmen
von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) beschäftigte Personen arbeiteten.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) lehnte im geänderten Investitionszulagenbescheid für
1995 die Festsetzung erhöhter Investitionszulage ab, weil die KG mehr als 250 Arbeitnehmer in einem gegenwärtigen
Dienstverhältnis beschäftigt habe. Der Einspruch der KG blieb erfolglos.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es war der Auffassung, bei den 12 ABM-Kräften handele es sich nach der
auch für das Investitionszulagenrecht maßgeblichen Norm des § 1 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV)
ebenfalls um Arbeitnehmer.
4 Zur Begründung der Revision wird vorgetragen, die Steuerverwaltung beziehe Auszubildende nicht in den
Schwellenwert ein und halte sich insoweit selbst nicht an § 1 LStDV. ABM hätten vorrangig arbeitsmarkt- und
sozialpolitische Ausrichtung. Sie dienten vornehmlich der Erhaltung oder Wiedererlangung der Beschäftigungsfähigkeit
arbeitsloser Arbeitnehmer. Auf die nach Abstimmung mit der EU für die Bestimmung des zulagenrechtlichen
Schwellenwertes maßgebenden Kriterien wie Umsatz, Marktposition, Managementstrukturen und
Wertschöpfungsprozesse im Unternehmen hätten ABM-Kräfte keinen Einfluss. ABM würden nach den §§ 260 bis 271
des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III) nur gefördert, wenn die zu verrichtenden Arbeiten zusätzlich anfielen und
im öffentlichen Interesse lägen. ABM-Kräfte würden nicht vom Unternehmen eingestellt und entlassen, sondern vom
Arbeitsamt zugewiesen und abberufen; das Unternehmen habe nach den Vorschriften des SGB III die Funktion des
Trägers der ABM. Eine Einbeziehung der ABM-Kräfte in den Schwellenwert stände dem Förderzweck der ABM-
Maßnahme entgegen.
5 Der Revisionskläger beantragt, das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des
geänderten Investitionszulagenbescheids für 1995 eine weitere Investitionszulage in Höhe von ... EUR festzusetzen.
6 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet.
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Nach zutreffender Entscheidung des FG steht dem Revisionskläger die erhöhte Investitionszulage nicht zu, weil auch
die ABM-Kräfte Arbeitnehmer im Sinne des Investitionszulagenrechts sind und durch sie die für erhöhte
Investitionszulage maßgebende Arbeitnehmerzahl überschritten wurde.
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Die hier beanspruchte erhöhte Investitionszulage setzt nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 des Investitionszulagengesetzes
(InvZulG) 1996, das auf das Streitjahr 1995 anzuwenden ist (§ 11 Abs. 1 InvZulG 1996), voraus, dass der Betrieb zu
Beginn des Wirtschaftsjahrs, in dem die Investitionen vorgenommen werden, nicht mehr als 250 Arbeitnehmer in
einem gegenwärtigen Dienstverhältnis beschäftigte, die Arbeitslohn, Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld oder
Winterausfallgeld bezogen.
10 a) Das InvZulG 1996 definiert den Begriff des Arbeitnehmers nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind
die im Investitionszulagenrecht verwendeten Begriffe nach den für die Einkommensbesteuerung maßgebenden
Grundsätzen auszulegen, soweit sich nicht aus dem InvZulG, seinem Zweck und seiner Entstehungsgeschichte etwas
anderes entnehmen lässt (Senatsurteil vom 26. Januar 2006 III R 5/04, BFHE 212, 381, BStBl II 2006, 771, m.w.N.).
11 Auch nach der Gesetzesbegründung soll der Begriff des Arbeitnehmers nach steuerlichen Grundsätzen auszulegen
sein (BTDrucks 12/7427, S. 34). Maßgeblich ist die in § 1 LStDV enthaltene Begriffsbestimmung (Rosarius,
Investitionsförderung Handbuch, § 2 InvZulG 1999 Rz 189). Arbeitnehmer sind danach u.a. Personen, die in privatem
Dienst angestellt oder beschäftigt sind und dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft schulden; dies ist der Fall, wenn die
Personen in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers stehen oder im
geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet sind.
12 b) Die ABM-Kräfte sind Arbeitnehmer in diesem Sinne. Das FG hat festgestellt, dass sie ihre Arbeitskraft der insolvent
gewordenen KG aufgrund eines mit dieser geschlossenen Vertrages schuldeten, dass sie unter deren Leitung
standen und von ihr den Arbeitslohn bezogen. Daraus hat das FG zutreffend gefolgert, dass die Voraussetzungen des
§ 1 LStDV erfüllt seien.
13 c) Die tatsächlichen und arbeitsrechtlichen Besonderheiten der ABM, bei denen der Arbeitgeber als Träger im Sinne
des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) Förderungsleistungen der Arbeitsverwaltung erhält, um Arbeitsgelegenheiten
für arbeitslose Arbeitnehmer zu schaffen, führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Weder die Tatsache, dass
die Arbeitnehmer von der Agentur für Arbeit zugewiesen werden müssen (§ 267a SGB III), noch die besonderen
Kündigungsrechte und Befristungsmöglichkeiten (vgl. ErfK/Müller-Glöge § 14 TzBfG Rz 64) widersprechen den
maßgeblichen Tatbestandsmerkmalen des § 1 LStDV. Dies gilt auch für die Bezuschussung der Lohnkosten (§ 260, §
264 SGB III) und die Einschränkungen hinsichtlich der förderbaren Maßnahmen (§ 261 SGB III) und der
förderungsbedürftigen Arbeitnehmer (§ 263 SGB III).
14 Gegenüber den "regulären" Arbeitnehmern deutlich herabgesetzte Einsatzmöglichkeiten und eine niedrigere
Wertschöpfung rechtfertigen es nicht, ABM-Kräfte trotz Vorliegens der Merkmale des § 1 LStDV bei der Prüfung des
Schwellenwertes des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 InvZulG 1996 nicht mitzuzählen. Eine Differenzierung nach der
Leistungsfähigkeit und Einsatzbreite der Arbeitnehmer lässt sich mit dem nur auf die Zahl abstellenden
Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren.
15 d) Der Revisionskläger kann sich nicht auf die Behandlung der Auszubildenden durch die Steuerverwaltung berufen.
Darüber, ob Auszubildende als Arbeitnehmer i.S. des § 1 LStDV zu beurteilen sind, ist im Streitfall nicht zu
entscheiden. Dass die Steuerverwaltung Auszubildende bei der Ermittlung des Schwellenwerts anscheinend nicht als
Arbeitnehmer einbezieht (vgl. Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern vom 2. Juli 1998 IV 300-InvZ 1260-30/98,
juris; dagegen Rosarius, Die Information für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 1998, 555), bindet den Senat nicht
bei der Auslegung, ob ABM-Kräfte die Tatbestandsmerkmale des § 1 LStDV erfüllen.