Urteil des BFH vom 04.05.2010

Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Umfang der Hinweispflicht des Gerichts nach § 76 Abs. 2 FGO

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 4.5.2010, X B 16/10
Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Umfang der Hinweispflicht des Gerichts nach § 76 Abs. 2 FGO
Gründe
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben bzw. wurden nicht
schlüssig dargelegt.
2 1. a) Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--) verlangt eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend
bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist. Dazu ist auszuführen, dass die
Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage
abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH),
den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (vgl. BFH-
Beschluss vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217, m.w.N.).
3 b) Der Vortrag der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Zwar formulieren sie die
Rechtsfrage, ob eine mittelbare Schenkung im steuerlichen Sinne nur eine Schenkung unter Auflage i.S. von § 516 ff.
des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) oder auch ein Auftragsverhältnis i.S. von § 662 ff. BGB mit einem anschließenden
Verzicht auf den Herausgabeanspruch gemäß § 667 BGB sein kann, und tragen fallbezogen vor, im letztgenannten Fall
könnte rechtstechnisch für die dauernde Last nur auf die Vereinbarung des Klägers mit seinem Vater vom 7. Januar
2002 abgestellt werden. Sie tragen jedoch nicht vor, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen
die Beantwortung der Rechtsfrage streitig ist, sondern führen lediglich an, die Rechtsfrage werde in der Literatur
diskutiert, und verweisen in diesem Zusammenhang ohne weitere Erläuterungen auf eine Dissertation mit dem Titel
"Mittelbare Schenkung im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht". Daneben lässt ihr Vortrag nicht erkennen, warum die
Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage --wie von ihnen behauptet-- im allgemeinen Interesse liegen soll.
4 2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO)
zuzulassen. Die Kläger haben es versäumt, dem angegriffenen Urteil tragende und entscheidungserhebliche abstrakte
Rechtssätze zu entnehmen und diese solchen aus den Urteilen des Niedersächsischen Finanzgericht (FG) vom 10.
Juni 2008 8 K 437/07 (Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst --DStRE-- 2009, 1052; Revision eingelegt X R
10/09) und vom 28. August 2008 3 K 219/06 (DStRE 2009, 1050; Revision eingelegt X R 13/09) gegenüberzustellen,
um so die Abweichung zu verdeutlichen. Im Übrigen liegt die von den Klägern behauptete Abweichung des
angefochtenen FG-Urteils von den Entscheidungen in DStRE 2009, 1052 und in DStRE 2009, 1050 schon deshalb
nicht vor, weil in den Verfahren unterschiedliche Sachverhalte zu beurteilen waren. In den den Verfahren in DStRE
2009, 1052 und in DStRE 2009, 1050 zugrunde liegenden Streitfällen haben die Beteiligten eindeutige
Vermögensübergabeverträge geschlossen, die jedoch nicht wie vereinbart durchgeführt worden sind. Im Streitfall der
Kläger kam das FG hingegen zu dem Ergebnis, die Anerkennung der zwischen dem Kläger und seinem Vater
getroffenen Vereinbarung scheitere bereits an klaren und eindeutigen Regelungen zum Beginn des
Rechtsverhältnisses und für das behauptete Auftragsverhältnis könnten keine ausreichenden tatsächlichen
Feststellungen getroffen werden.
5 3. Zu Unrecht machen die Kläger auch geltend, das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103
Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO, § 76 Abs. 2 FGO). Eine sog. Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn
das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit
dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter
Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen
musste (BFH-Beschluss vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren,
verpflichtet das Gericht indes nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten
umfassend zu erörtern oder sie ihnen im Voraus anzudeuten (BFH-Beschluss vom 25. Mai 2000 VI B 100/00, BFH/NV
2000, 1235). Danach liegt im Streitfall keine Überraschungsentscheidung vor; denn die im Streitfall maßgebliche Frage,
ob die wiederkehrenden Leistungen des Klägers an seinen Vater auf klaren und eindeutigen Vereinbarungen beruhen,
war zentraler Diskussionspunkt im Einspruchs- und im finanzgerichtlichen Verfahren. Der Beklagte und
Beschwerdegegner (das Finanzamt) hat bereits in dem Einspruchsbescheid vom 12. September 2006 (Bl. 5 der FG-
Akte) darauf hingewiesen, dass keine klaren und eindeutigen Vereinbarungen vorliegen. Auch das FG hat im
Schreiben vom 22. Oktober 2007 Zweifel daran geäußert, ob die Vereinbarung des Klägers mit seinem Vater die
strengen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an Verträge zwischen nahen Angehörigen erfülle, die
klar und eindeutig vereinbart sein müssten. Eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) liegt
nicht vor, auch wenn berücksichtigt wird, dass der im finanzgerichtlichen Verfahren selbst als Prozessbevollmächtigter
tätig gewordene Kläger im Schriftsatz vom 27. November 2007 um einen konkreten richterlichen Hinweis bat, da er der
Auffassung war, die Meinung des Gerichts, die Vereinbarung mit dem Vater genüge nicht den Anforderungen an
Verträge zwischen nahen Angehörigen, sei nicht voll nachvollziehbar. Das Gericht ist zwar im Rahmen des § 76 Abs. 2
FGO gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten
erreicht werden kann; es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichts, im gerichtlichen Verfahren fachkundig vertretenen
Beteiligten Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben (BFH-Urteil vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992,
609).