Urteil des BFH vom 06.11.2007

Doppelte Haushaltsführung eines Ledigen - Wechselwirkung zwischen Mitwirkungspflicht und Sachaufklärungspflicht

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 2.2.2010, VI B 117/09
Doppelte Haushaltsführung eines Ledigen - Wechselwirkung zwischen Mitwirkungspflicht und Sachaufklärungspflicht
Gründe
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Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
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1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert. Eine die
Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem
Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als u.a. der BFH. Das
abweichende Gericht muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zu Grunde gelegt haben, der mit
tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschlüsse vom 6.
November 2007 VI B 70/07, BFH/NV 2008, 216; vom 12. Oktober 2006 VI B 154/05, BFH/NV 2007, 51). Hat das FG
sein Urteil kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, ist die Revision nicht zuzulassen, wenn auch
nur eine tragende Begründung besteht, gegen die die Nichtzulassungsbeschwerde nicht durchgreift (BFH-Beschluss
vom 12. Oktober 2006 V B 160/05, BFH/NV 2007, 92; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 123). Die
Rechtsfrage ist dann nicht klärungsfähig. Davon ist im Streitfall auszugehen.
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Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes sind notwendige Mehraufwendungen, die einem
Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen,
Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor, wenn der Arbeitnehmer
außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort
wohnt. Auch ein alleinstehender Arbeitnehmer kann einen doppelten Haushalt führen (BFH-Urteile vom 5. Oktober
1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430, BStBl II 1995, 180; vom 14. Oktober 2004 VI R 82/02, BFHE 207, 292, BStBl II 2005,
98; vom 14. Juni 2007 VI R 60/05, BFHE 218, 229, BStBl II 2007, 890; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380,
BStBl II 2007, 820; vom 5. März 2009 VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016).
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Hausstand im Sinn der Vorschrift ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst-
oder Haupthaushalt. Ein eigener Hausstand erfordert, dass er vom Arbeitnehmer aus eigenem oder abgeleitetem
Recht genutzt wird. Sofern der Arbeitnehmer nicht alleiniger Eigentümer oder Mieter der Wohnung ist, muss anhand
einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Falles untersucht werden, ob der Hausstand jedenfalls auch ihm als
eigener zugerechnet werden kann. Wesentlich ist, dass das Verbleiben des Steuerpflichtigen in der Wohnung
sichergestellt ist. Nutzt der Arbeitnehmer die Wohnung nicht allein, muss er sie aber zumindest gleichberechtigt
mitbenutzen können.
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Der eigene Hausstand muss vom Arbeitnehmer unterhalten werden. Unterhalten bedeutet die Führung eines
Haushalts. Dazu gehört auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt. Im Übrigen kommt es
darauf an, dass der ledige Arbeitnehmer sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die
arbeitsbedingte Abwesenheit und ggf. Urlaubsfahrten, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für
gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu bewerten.
Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest
mitbestimmt, sondern in einen fremden Haushalt (z.B. in den der Eltern oder als Gast) eingegliedert ist, so dass von
einer eigenen Haushaltsführung nicht gesprochen werden kann. Es ist nicht allein ausschlaggebend, ob die
überlassene Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich überlassen wird (Senatsentscheidung in BFHE 218, 229, BStBl II
2007, 890).
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Das FG hat diese Grundsätze beachtet. Zu seiner Überzeugung stand jedoch nicht fest, dass der Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger) im Streitjahr in X einen eigenen Hausstand unterhielt. Gegen diese Tatsachenwürdigung
hat der Kläger keine durchgreifenden Gründe vorgetragen. Die Ausführungen unter 3. der Entscheidungsgründe
stellen allenfalls eine kumulative Begründung dar.
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2. Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
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Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO gewährleisten den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit,
sich zu den der Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für
wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen. Entscheidet das Gericht, bevor eine von ihm gesetzte Frist zur
Stellungnahme verstrichen ist, verletzt es das rechtliche Gehör. Die Gelegenheit zu schriftlicher Stellungnahme ist von
besonderer Bedeutung, wenn das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet
(BFH-Urteil vom 19. März 2002 IX R 100/00, BFH/NV 2002, 945, m.w.N.).
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Gemessen daran hat das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
10 Das FG hat dem Kläger am 30. Juni 2009 entsprechend § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FGO die Möglichkeit eröffnet, bis zum
22. Juli 2009 "geeignete Nachweise" beizubringen. Darüber hinaus hat das FG die Beteiligten nach Ablauf der Frist
am 23. Juli 2009 zu einer mündlichen Verhandlung am 10. August 2009 geladen. Der Kläger, der am 30. Juli 2009
ebenfalls den Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärte, musste deshalb davon ausgehen, dass das FG am 10.
August 2009 den Rechtsstreit durch Urteil entscheiden werde und dass er seinen Anspruch auf rechtliches Gehör
allenfalls bis zu diesem Zeitpunkt werde ausüben können. Das Urteil vom 10. August 2009, das ihm am 13. August
2009 bekanntgegeben wurde, konnte ihn daher nicht überraschen. Soweit der Kläger geltend macht, dass er die
Einzelrichterin vor dem 10. August 2009 über die Verzögerung der Übersendung der Unterlagen informiert habe, wird
dies durch die Aktenlage nicht belegt.
11 3. Mit der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) hat
der Kläger gleichfalls keinen Erfolg. Zwar muss das FG nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen
und so vollständig wie möglich aufklären. Dieser Pflicht ist das FG jedoch in ausreichendem Maße nachgekommen,
wie das erwähnte Schreiben des Gerichts vom 30. Juni 2009 beweist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass
zwischen der Mitwirkungspflicht der Beteiligten und der Intensität der richterlichen Sachaufklärungspflicht eine
Wechselwirkung besteht (BFH-Urteil vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201; Seer in Tipke/ Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 77 ff.).