Urteil des BFH vom 24.02.1998

BFH (treu und glauben, kläger, vorschrift, steuerfestsetzung, erlass, veranlagung, einspruch, antrag, höhe, bruder)

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 28.1.2009, X R 27/07
Änderung eines Steuerbescheides nach § 174 Abs. 4 AO bei zwischenzeitlichem Ergehen eines Erstbescheids für den
zutreffenden Zeitraum - Zweck des § 174 AO
Leitsätze
Ein Steuerbescheid kann auch dann nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden, wenn die Änderungsmöglichkeit vor Erlass des
erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist .
Tatbestand
1
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte aus dem Betrieb eines Restaurants Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Mit Vertrag vom 24. Februar 1998 veräußerte er das Unternehmen an seinen Bruder gegen einen festen Barpreis (33
000 DM), eine Leibrente mit Wertsicherungsklausel (anfänglich 7 000 DM monatlich), Übernahme der betrieblichen
Verbindlichkeiten (167 000 DM) sowie der auf den Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuern (175 320
DM). Besitz, Nutzen und Lasten gingen zum 1. Februar 1998 über.
2
In der am 21. Juli 1998 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) eingegangenen Steuererklärung
1997 erklärte der damalige Berater des Klägers einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 809 992 DM. Nachdem das
FA die Veranlagung zur Einkommensteuer 1997 im Wesentlichen antragsgemäß durchgeführt hatte, legte der Berater
des Klägers gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 6. August 1998 am 1. September 1998 Einspruch mit
der Begründung ein, der Veräußerungsgewinn sei erst im Jahr 1998 entstanden und daher auch erst in diesem Jahr
zu versteuern. Das FA half dem Einspruch ab.
3
Mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 erhöhte das FA im Hinblick auf den erzielten Veräußerungsgewinn
entsprechend den Angaben des Beraters die Vorauszahlungen für die Einkommensteuer 1998. Gegen diesen
Bescheid legte der Kläger --insoweit vertreten durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten-- Einspruch mit der
Begründung ein, ein Steuerpflichtiger, der seinen Betrieb gegen einen festen Barpreis und eine Leibrente veräußere,
habe bezogen auf die Leibrente ein Wahlrecht, den entstandenen Gewinn sofort zu versteuern oder stattdessen die
Rentenzahlung als nachträgliche Betriebseinnahme zu behandeln. In diesem Fall entstehe der Gewinn erst dann,
wenn die Rentenzahlung das steuerliche Kapitalkonto des Veräußerers zuzüglich etwaiger Veräußerungskosten
übersteige. Daraufhin setzte das FA mit Bescheid vom 27. April 1999 die Vorauszahlungen 1998 auf 0 DM herab.
4
In der Einkommensteuererklärung 1998 vom 7. Dezember 1999, die der frühere Berater des Klägers erstellt hatte,
wurde eine ab 1. Februar 1998 laufende Leibrente in Höhe von 77 000 DM mit einem Ertragsanteil von 31 % als
sonstige Einkünfte erklärt. Angaben zum Rechtsgrund des Rentenanspruchs fehlen in Zeile 36 der Anlage KSO. Eine
Anlage GSE war der Einkommensteuererklärung nicht beigefügt. Einen Veräußerungsgewinn erklärte der Kläger
nicht.
5
Das FA führte die Veranlagung 1998 mit Bescheid vom 10. Februar 2000 erklärungsgemäß durch. In den
Erläuterungen wurde die Aufgabebilanz zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe angefordert. Diese wurde nicht
nachgereicht.
6
Im Jahr 2003 führte das FA beim Erwerber des Betriebs, dem Bruder des Klägers, eine Außenprüfung durch. Es
gelangte zu der Erkenntnis, dass eine sofortige Versteuerung des Veräußerungsgewinns des Klägers im Jahr 1998
gewollt gewesen sei.
7
Mit Änderungsbescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO) vom 2. Juni 2003 wurde
die Einkommensteuer 1998 unter Ansatz eines Veräußerungsgewinns von 809 992 DM neu ermittelt. Dabei ging das
FA davon aus, der damalige Berater des Klägers habe am 1. September 1998 einen entsprechenden Antrag gestellt.
8
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, im Schreiben des früheren
Beraters vom 1. September 1998 sei der grundsätzliche Wille ausgedrückt worden, den Veräußerungsgewinn sofort in
1998 zu versteuern. Deshalb hätte das FA ihn im Bescheid vom 10. Februar 2000 ansetzen müssen. Eine Zustimmung
zu einer späteren Änderung sei nicht erteilt worden.
9
Das Finanzgericht (FG) hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit in Entscheidungen der
Finanzgerichte (EFG) 2007, 1304 veröffentlichtem Urteil abgewiesen. Zwar könne die Änderung des angefochtenen
Steuerbescheids nicht auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gestützt werden. Diese Vorschrift setze eine
Zustimmung voraus und weder der Kläger noch sein früherer Berater hätten der Änderung zugestimmt. Der
Einkommensteuerbescheid 1998 vom 10. Februar 2000 könne jedoch nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden. § 174
Abs. 4 AO verlange lediglich, dass aufgrund eines Rechtsbehelfs oder eines Antrags des Steuerpflichtigen ein bereits
ergangener Steuerbescheid zugunsten des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert werde. Die eine Korrektur
nach § 174 Abs. 4 AO ermöglichende Änderung eines (anderen) Bescheids müsse nach dem Gesetzeswortlaut
lediglich durch einen Rechtsbehelf oder Antrag des Steuerpflichtigen ausgelöst worden sein (Urteil des
Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 2005 IV R 17/02, BFHE 209, 384, BStBl II 2005, 637). Diese Voraussetzung
liege vor. Der Einkommensteuerbescheid 1997 sei aufgrund des Rechtsbehelfs des Klägers zu dessen Gunsten
geändert worden. Damit habe zwischen den Beteiligten festgestanden, dass der Veräußerungsgewinn im Jahr 1998
zu erfassen sei. Auf ein Verschulden komme es im Rahmen einer Änderung nach § 174 Abs. 4 AO nicht an (BFH-
Urteil vom 4. April 2001 XI R 59/00, BFHE 195, 286, BStBl II 2001, 564).
10 Die Änderung nach § 174 Abs. 4 AO müsse auch nicht deshalb unterbleiben, weil das FA zunächst im Erstbescheid
für 1998 den Veräußerungsgewinn nicht erfasst habe. Eine Berichtigung nach § 174 Abs. 4 AO sei nicht auf die
Korrektur solcher Rechtsüberlegungen beschränkt, die das FA erkennbar angestellt habe (BFH-Beschluss vom 14.
Dezember 1990 VI B 98/88, BFH/NV 1991, 503). Der Wortlaut des § 174 Abs. 4 AO stelle ausschließlich auf eine irrige
Beurteilung in einem früheren Bescheid ab, der aufgrund eines Einspruchs geändert worden sei. In derartigen Fällen
sei es auf die Initiative des Steuerpflichtigen zurückzuführen, dass nunmehr der negative Widerstreit entstanden sei.
Der Steuerpflichtige, der eine Änderung zu seinen Gunsten erreicht habe, solle nicht auf "halbem Wege" stehen
bleiben können mit der Folge, dass er lediglich die Wohltaten --die Änderung zu seinen Gunsten-- mitnehme, die für
ihn ungünstigen Folgerungen --die konsequente Änderung zu seinen Ungunsten-- aber verhindere. Er dürfe sich
daher nicht auf die Bestandskraft eines Steuerbescheids berufen, um zu verhindern, dass der durch seinen Einspruch
oder Antrag entstandene Widerstreit durch entsprechende Änderung zu seinen Ungunsten beseitigt werde. Dieses
Verhalten wäre treuwidrig.
11 Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 174 AO. Angesichts der Kenntnis des FA über den
tatsächlichen Sachverhalt bei Erlass des Einkommensteuerbescheids 1998 vom 10. Februar 2000 komme eine
Änderung nach § 174 Abs. 4 AO nicht in Betracht.
12 Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 2. Juni 2003 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung aufzuheben.
13 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
14 II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht ist
das FG davon ausgegangen, dass der Einkommensteuerbescheid des Klägers für das Jahr 1998 nach § 174 Abs. 4
AO geändert werden konnte.
15 1. Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines
Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so
können nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines
Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben prägt
§ 174 Abs. 4 AO in besonderem Maße (v.Wedelstädt, Der Betrieb --DB-- 1994, 2469). Durch § 174 AO soll die
Finanzbehörde die Möglichkeit erhalten, in bestimmten Fällen der materiellen Richtigkeit Vorrang einzuräumen,
indem vermieden wird, dass Steuerfestsetzungen bestehen bleiben, die inhaltlich zueinander im Widerspruch stehen
(FG Berlin, Urteil vom 2. Dezember 1986 V 84/85, EFG 1987, 441; im Ergebnis ebenso BFH-Urteil vom 24. November
1987 IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404). Die Regelung bezweckt den Ausgleich einer zugunsten des
Steuerpflichtigen eingetretenen Änderung; derjenige, der erfolgreich für seine Rechtsansicht gestritten hat, muss auch
die damit verbundenen Nachteile hinnehmen (BFH-Urteil vom 10. März 1999 XI R 28/98, BFHE 188, 409, BStBl II
1999, 475, unter II.2. der Gründe; Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 174 AO Nr. 5). Wie der Große Senat
des BFH entschieden hat, regelt die Vorschrift die verfahrensrechtlichen (inhaltlichen) Folgerungen aus einer
vorherigen Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids auf Antrag des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten.
Diese Aufhebung oder Änderung löst sodann --"nachträglich"-- die Rechtsfolge des § 174 Abs. 4 AO aus, dass ein
anderer Bescheid erlassen oder geändert werden kann. Die Vorschrift zieht somit die verfahrensrechtliche
Konsequenz daraus, dass der andere Bescheid nunmehr eine "widerstreitende Steuerfestsetzung" enthält, wie sie das
Gesetz nach seiner amtlichen Überschrift zu § 174 AO voraussetzt (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 10.
November 1997 GrS 1/96, BFHE 184, 1, BStBl II 1998, 83, unter C.II.1. der Gründe; Loose in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 174 AO Rz 48).
16 § 174 Abs. 4 Satz 1 AO schafft nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine gegenüber den Regelungen des § 174
Abs. 1 bis Abs. 3 AO eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines
bestimmten Sachverhalts beschränkt ist. Der BFH ist unter Hinweis auf den Wortlaut des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht
der Auffassung gefolgt, die Vorschrift setze zwingend ein wechselseitiges Ausschließlichkeitsverhältnis voraus, das
nur die alternative Berücksichtigung desselben Sachverhalts erlaube (vgl. BFH-Urteile in 152, 203, BStBl II 1988, 404;
vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BFHE 175, 500, BStBl II 1995, 264; vom 18. Februar 1997 VIII R 54/95, BFHE 183, 6,
BStBl II 1997, 647).
17 2. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist --wie auch der Kläger in der Revisionsbegründung einräumt-- nicht
entscheidend, in welcher Reihenfolge die Steuerbescheide ergehen, die auf Betreiben des Steuerpflichtigen zu
seinen Gunsten geändert oder aufgehoben werden bzw. nach § 174 Abs. 4 AO geändert werden sollen. Auf die
Frage, ob die Änderungsmöglichkeit "nachträglich" nach Erlass des erstmaligen Einkommensteuerbescheids für das
Jahr 1998 eingetreten ist, kommt es --anders als für die Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO hinsichtlich
nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel-- für § 174 Abs. 4 AO nicht an, wie sich der Vorschrift
selbst entnehmen lässt (so auch BFH-Beschluss vom 11. März 2008 IV B 49/07, BFH/NV 2008, 1106, zur
nachträglichen Änderung eines Änderungsbescheids). Für eine einschränkende Auslegung der Vorschrift, die auf
dem Grundsatz von Treu und Glauben beruht (vgl. oben II.1.), besteht --wie gerade der Streitfall zeigt-- kein Anlass.
18 Zweck des § 174 Abs. 4 AO ist, nach antragsgemäßer Änderung eines Steuerbescheids zu Gunsten des
Steuerpflichtigen die in einem anderen Steuerbescheid gezogenen, unzutreffenden steuerlichen Folgerungen unter
Durchbrechung der Bestandskraft richtig zu stellen. Die Einheitlichkeit des Lebenssachverhalts und das Interesse an
seiner übereinstimmenden steuerrechtlichen Beurteilung erlauben es, einer zutreffenden Besteuerung den Vorrang
vor dem Schutz des Vertrauens auf die Bestandskraft der Steuerfestsetzung zu geben (Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., §
174 Rz 4). Der Steuerpflichtige weiß aufgrund der positiven Verbescheidung seines Einspruchs bzw. Antrags, dass
Folgerungen in einem oder mehreren anderen Steuerbescheiden für andere Veranlagungszeiträume bzw.
Steuerarten zu ziehen sind. Der Steuerpflichtige ist daher nicht schutzbedürftig.
19 3. Im Streitfall stehen der aufgrund des Einspruchsverfahrens für 1997 erlassene Einkommensteuerbescheid und der
Bescheid für das Jahr 1998 in unvereinbarem Widerspruch zueinander. Die Veräußerung des Restaurationsbetriebs
des Klägers an seinen Bruder und der daraus resultierende Veräußerungsgewinn sind --wie unter den Beteiligten
unstreitig ist-- ursprünglich rechtsirrig im Einkommensteuerbescheid 1997 erfasst worden. Aufgrund des Einspruchs
des Klägers wurde die Einkommensteuerfestsetzung 1997 zugunsten des Klägers geändert und die Steuer ohne
Berücksichtigung eines Veräußerungsgewinns festgesetzt. Da die Korrektur des Einkommensteuerbescheids 1997
durch den Rechtsbehelf des Klägers ausgelöst worden ist, sind die Voraussetzungen für die Änderung des
Einkommensteuerbescheids 1998, in dem der Veräußerungsgewinn --zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig--
anzusetzen ist, gegeben.
20 Sein Wahlrecht zwischen der Versteuerung eines nach §§ 16, 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigten
Veräußerungsgewinns im Zeitpunkt der Veräußerung oder einer Versteuerung nichtbegünstigter nachträglicher
Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Zuflusszeitpunkt nach § 15 Abs. 1 EStG i.V.m. § 24 Nr. 2 EStG (in voller Höhe und
nicht etwa nur mit dem Ertragsanteil) hat der Kläger nicht ausdrücklich (BFH-Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 8/01, BFHE
199, 198, BStBl II 2002, 532) zugunsten der laufenden Besteuerung und spätestens mit Abgabe der
Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1998 (Schmidt/ Wacker, EStG, 27. Aufl., § 16 Rz 226) bzw.
Bestandskraft der Veranlagung 1998 (vgl. Reiß, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 16 Rz B 170) ausgeübt.
21 Zwar ist dieser Widerstreit erst durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids für das Jahr 1998 und damit zeitlich
nach der Änderung der Steuerfestsetzung für 1997 aufgrund des Einspruchs des Klägers eingetreten (vgl. hierzu
Adamek, EFG 2007, 1305). Gleichwohl liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerfestsetzung 1998
vor, weil § 174 Abs. 4 AO nicht darauf abstellt, ob die Änderungsmöglichkeit "nachträglich" nach Erlass des
erstmaligen Steuerbescheids eingetreten ist. § 174 Abs. 4 AO stellt nach seinem eindeutigen Wortlaut auch nicht
darauf ab, wer den Widerstreit der Steuerfestsetzungen verursacht hat. Vielmehr stehen Vertrauensschutzgedanken
einer Änderung der Veranlagung auch dann nicht entgegen, wenn das FA die Fehlerhaftigkeit der Veranlagung selbst
herbeigeführt hätte (v.Wedelstädt, DB 1988, 2228). Entscheidend ist --wie oben ausgeführt-- ausschließlich, dass eine
Steuerfestsetzung aufgrund eines Einspruchs oder Antrags des Steuerpflichtigen zu dessen Gunsten geändert
worden ist.
22 Im Übrigen dürfte der Umstand, dass das FA im ursprünglichen Steuerbescheid für das Jahr 1998 keinen
Veräußerungsgewinn des Klägers erfasst hat, auf der unvollständigen Steuererklärung und nicht darauf beruhen,
dass das FA einem anderen, neuen Irrtum über ein vermeintlich ausgeübtes Wahlrecht unterlegen ist, das nur
ausdrücklich ausgeübt werden kann und das zur Folge hat, dass die wiederkehrenden Leistungen in voller Höhe und
nicht --wie erklärt-- nur mit dem Ertragsanteil der Besteuerung unterliegen. Der Kläger hat keinen
Veräußerungsgewinn erklärt --neben den wiederkehrenden Leistungen hat der Bruder auch einen Barpreis bezahlt,
die betrieblichen Verbindlichkeiten und die aus der Veräußerung resultierenden Steuerschulden übernommen--, hat
keine Anlage GSE eingereicht und den Rechtsgrund seiner Renteneinkünfte nicht benannt.
23 4. Ob die Anwendung des § 174 Abs. 4 AO ggf. in extrem gelagerten Ausnahmefällen ausgeschlossen sein kann,
wenn etwa die Möglichkeit besteht, dass die Finanzbehörde ihr Änderungsrecht aufgrund eines
vertrauensbegründenden Vorverhaltens verwirkt hat, kann offenbleiben. Für ein solches Verhalten des FA bestehen
im Streitfall keine Anhaltspunkte.
24 5. Zutreffend hat das FG im Übrigen auch die Parallelen der Korrekturvorschrift § 174 Abs. 4 AO zu § 175 Abs. 1 Nr. 1
AO aufgezeigt. Auch diese ist ebenfalls nach objektiven Grundsätzen ausgestaltet; es ist in der Rechtsprechung
anerkannt, dass aufgrund der Bindungswirkung eines Grundlagenbescheids dieser auch dann in vollem Umfang
auszuwerten ist, wenn die Finanzbehörde zuvor die Auswertung eines Grundlagenbescheids im Folgebescheid
unterlassen hat (vgl. z.B. Senatsurteil vom 29. Juni 2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749).
25 6. Da die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO greift, lässt der Senat --ebenso wie das FG-- dahinstehen, ob der
Kläger nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen wäre, die Zustimmung zur Änderung der
Steuerfestsetzung 1998 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO zu erteilen.