Urteil des BFH vom 29.10.2013

Zinsen auf nachträgliche Anschaffungskosten einer aufgegebenen GmbH-Beteiligung - Anwendbarkeit der Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 29.10.2013, VIII R 13/11
Zinsen auf nachträgliche Anschaffungskosten einer aufgegebenen GmbH-Beteiligung -
Anwendbarkeit der Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG
Leitsätze
Schuldzinsen für die Finanzierung nachträglicher Anschaffungskosten einer aufgegebenen
Beteiligung i.S. von § 17 EStG sind auch dann Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen, wenn der Zeitpunkt der Aufgabe vor dem Veranlagungszeitraum 1999 lag.
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob bei der Festsetzung der Einkommensteuer für 2001 nachträgliche
Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen sind.
2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt werden. Der Kläger war zu 99 % am Stammkapital der 1990
gegründeten X-GmbH (GmbH) beteiligt, die Klägerin zu 1 %.
3 Im April 1995 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Bereits
im März 1994 hatte sich der Kläger gegenüber der Bank Y (Bank) selbstschuldnerisch und
zeitlich unbegrenzt für die Schulden der GmbH bis zu einer Höhe von annähernd
350.000 DM verbürgt. Das Finanzgericht (FG) hat hierzu in einem anderen Verfahren
rechtskräftig entschieden, dass diese Bürgschaft eigenkapitalersetzenden Charakter hatte,
was zwischen den Beteiligten nunmehr unstreitig ist. Anfang 1998 nahm die Bank den
Kläger aus dieser Bürgschaft in Anspruch, sodass ihm nachträgliche Anschaffungskosten
der Beteiligung in Höhe der zum 16. Juni 1997 bestehenden Verbindlichkeiten der GmbH
gegenüber der Bank von 249.791,67 DM entstanden. In einem anderen Verfahren erzielten
die Beteiligten in diesem Zusammenhang Einigkeit darüber, dass die GmbH bereits 1995
vermögenslos und eine Auskehrung von Restvermögen an den Kläger ausgeschlossen war.
Um seine Bürgschaftsverpflichtung erfüllen zu können, nahm der Kläger am 9. Januar 1998
ein Darlehen bei der Bank in Höhe von 250.000 DM auf. Zur Zahlung eines mit dem
Konkursverwalter ausgehandelten Vergleichsbetrages in Höhe von 30.000 DM wurde dieses
Darlehen im Juli 2001 auf 265.000 DM aufgestockt.
4 Die Kläger erklärten (u.a.) die hierfür im Streitjahr entrichteten Zinsen in ihrer
Einkommensteuererklärung für 2001 als Betriebsausgaben, die sie als Auflösungsverlust
gemäß § 17 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG)
berücksichtigt wissen wollten.
5 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dem nicht und setzte die
Einkommensteuer für das Streitjahr in diesem Punkt abweichend von der Erklärung fest.
6 Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte hinsichtlich des begehrten
Schuldzinsenabzugs Erfolg mit Ausnahme des Zinsbetrages, der anteilig auf den
Aufstockungsbetrag im Zusammenhang mit dem geschlossenen Vergleich entfiel.
7 In dem zu einer Parallelsache der Beteiligten ergangenen und im Streitfall in Bezug
genommenen Urteil vom 21. Februar 2011 5 K 1509/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte
--EFG-- 2011, 2070) führte das FG aus, dass unter Berücksichtigung neuerer
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab dem Veranlagungszeitraum 1999
nachträgliche Schuldzinsen aus der Fremdfinanzierung von Anschaffungskosten eines
wesentlichen GmbH-Anteils generell als Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen abzugsfähig seien, soweit --so sinngemäß-- der Anteilseigner nicht in der
Lage sei, die zugrunde liegende Schuld bei Veräußerung seines Anteils aus dem Kaufpreis
oder bei Auflösung der Gesellschaft aus der Verwertung zurückbehaltener Wirtschaftsgüter
zu tilgen.
8 Hiergegen richtet sich die Revision des FA.
9 Entgegen der Auffassung des FG habe der BFH in seinem Urteil vom 16. März 2010
VIII R 20/08 (BFHE 229, 151, BStBl II 2010, 787) die Grundsätze zum Dualismus der
Einkunftsarten nicht aufgegeben. Er habe lediglich für den Bereich des § 17 EStG für die ab
dem Jahr 1999 geltenden Gesetzesfassungen festgestellt, dass bei fremdfinanzierten
Anteilen an Kapitalgesellschaften aufgrund der Absenkung der gemäß § 17 Abs. 1 EStG
maßgeblichen Beteiligungsgrenze auf zwischenzeitlich 1 % eine Steuerverstrickung der
Vermögensveränderungen der im Privatvermögen gehaltenen Anteile ähnlich dem
betrieblichen Bereich eingeführt worden sei und entschieden, dass damit für diesen
speziellen Bereich des Privatvermögens die Grundlage dafür entfalle, Schuldzinsen für die
Anschaffung einer solchen Beteiligung anders als im betrieblichen Bereich zu behandeln.
10 Die vom FG vertretene Rechtsauffassung, allein der ursprüngliche
Veranlassungszusammenhang der Schuldzinsen mit den Einkünften aus Kapitalvermögen
sei das maßgebliche Kriterium für die steuerliche Abzugsfähigkeit und es komme nicht
darauf an, ob die Veräußerung der Geschäftsanteile oder die Auflösung der
Kapitalgesellschaft vor oder ab dem Veranlagungszeitraum 1999 stattgefunden habe, stehe
nicht im Einklang mit der Rechtsauffassung des BFH in seinen Urteilen in BFHE 229, 151,
BStBl II 2010, 787 und vom 16. März 2010 VIII R 36/07 (BFH/NV 2010, 1795).
11 Das FA beantragt sinngemäß, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage
abzuweisen.
12 Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
13 II. Die Revision ist nicht begründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--).
14 Zu Recht hat das FG die Zinsen auf das Darlehen der Bank, soweit sie im Streitjahr anteilig
auf die Finanzierung der nachträglichen Anschaffungskosten der GmbH-Beteiligung --in
Gestalt der Inanspruchnahme des Klägers als selbstschuldnerischen Bürgen für die
Schulden der GmbH-- entfielen, als Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen berücksichtigt.
15 1. Wie der Senat erkannt hat, ist ab dem Veranlagungszeitraum 1999 ein gesetzlicher
Paradigmenwechsel bei der Besteuerung der Veräußerung oder Aufgabe von Beteiligungen
an Kapitalgesellschaften nach § 17 EStG eingetreten, sodass nachlaufende Schuldzinsen
aus der Finanzierung des Beteiligungserwerbs, die nicht durch den Veräußerungserlös oder
die Verwertung zurückbehaltener Wirtschaftsgüter beglichen werden können, ab dem
Veranlagungszeitraum 1999 grundsätzlich als nachträgliche Werbungskosten bei der
Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen abzuziehen sind (siehe Senatsurteile in
BFHE 229, 151, BStBl II 2010, 787; in BFH/NV 2010, 1795).
16 a) Dieser neueren Rechtsprechung lagen Veräußerungs- oder Aufgabevorgänge der
Veranlagungszeiträume
2000 (Senatsurteil in BFHE 229, 151, BStBl II 2010, 787),
2001 (Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1795) und
2005 (Senatsurteil vom 8. September 2010 VIII R 1/10, BFH/NV 2011, 223) zugrunde, die in
darauffolgenden Jahren zu nachträglichem Finanzierungsaufwand geführt hatten.
17 Der Streitfall unterscheidet sich von jenen Fällen dadurch, dass der Aufgabezeitpunkt vor
dem Veranlagungszeitraum 1999 lag. Dies führt jedoch nicht zu einer abweichenden
Beurteilung. Maßgeblich kommt es vielmehr auf die Verhältnisse des Streitjahres an und
damit darauf, ob der Kläger im Streitjahr Zinsen gezahlt hat, die auf einer
Darlehensverpflichtung beruhen, die entscheidend durch seine Beteiligung an der GmbH
ausgelöst war.
18 aa) Der Veranlassungszusammenhang zwischen der steuerverstrickten Beteiligung an der
GmbH und der dafür gestellten eigenkapitalersetzenden selbstschuldnerischen Bürgschaft
als "auslösende Momente" einerseits (vgl. Senatsurteil in BFHE 229, 151, BStBl II 2010,
787, Rz 16) und der zu deren Erfüllung eingegangenen Darlehensverbindlichkeit
andererseits ist im Streitfall offenkundig und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig; bei
wertender Beurteilung erstreckt er sich auch auf die geleisteten Schuldzinsen, die damit der
einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre zugewiesen und als nachträgliche
Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1
EStG) abzuziehen sind. Der Veranlassungszusammenhang entfiele erst, wenn nachträglich
ein Ereignis einträte, welches den ursprünglich bestehenden Zusammenhang dergestalt
überlagerte, dass entweder die ursprüngliche Veranlassung durch die Einkunftssphäre mit
Zukunftswirkung entfiele oder eine neue Veranlassung durch die Erzielung anderer
Einkünfte begründete (Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1795). Dazu hat das FG keine
Feststellungen getroffen. Derartiges ist im Streitfall auch weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich.
19 bb) Im Gegensatz hierzu waren nachlaufende Schuldzinsen nach der hierfür maßgeblichen
Senatsrechtsprechung bis einschließlich 1998 steuerrechtlich nicht abziehbar (vgl. zuletzt
Senatsurteil vom 27. März 2007 VIII R 64/05, BFHE 217, 497, BStBl II 2007, 639), weil ein
Veranlassungszusammenhang mit der Einkunftssphäre verneint wurde. An dieser
Beurteilung hält der Senat aufgrund der 2010 erfolgten Rechtsprechungsänderung jedenfalls
für die Fälle einer fremdfinanzierten, durchgängig steuerverstrickten Beteiligung nicht mehr
fest. Vielmehr ist ein Veranlassungszusammenhang zwischen den Kreditzinsen und der
früheren GmbH-Beteiligung zu bejahen. Mit dem 1999 eingeleiteten gesetzlichen
Paradigmenwechsel besteht bei einer Beteiligung i.S. von § 17 EStG keine sachliche
Rechtfertigung mehr für die rechtliche Zuweisung der nachträglichen Finanzierungskosten
zur (grundsätzlich) nicht steuerbaren Vermögensebene (Senatsurteil in BFHE 229, 151,
BStBl II 2010, 787, Rz 23). Es gibt keine gesetzliche Vorgabe, die insoweit an das Jahr der
Veräußerung oder der Aufgabe der Beteiligung an der Kapitalgesellschaft anknüpfte. Eine
Unterscheidung nach Maßgabe des jeweiligen Jahres der Beteiligungsbeendigung ist auch
nicht aus übergeordneten, gesetzlich nicht geregelten, insbesondere nicht aus
systematischen Gründen geboten. Vielmehr ergäbe sich ein nicht zu rechtfertigender
Wertungswiderspruch, wenn man den gleichgearteten Dauertatbestand der Zahlung
nachlaufender Zinsen im selben Veranlagungszeitraum und bei ansonsten gleicher oder
vergleichbarer Ausgangslage (Beendigung einer fremdfinanzierten, durchgängig
steuerverstrickten Beteiligung) unterschiedlich beurteilen wollte je nachdem, wann der
Veräußerungs- oder Aufgabevorgang stattgefunden hat.
20 b) Das FA bezieht sich für seine gegenteilige Auffassung auf das Senatsurteil in BFHE 217,
497, BStBl II 2007, 639. Dieser Entscheidung lag ein dem Streitfall vergleichbarer Fall
zugrunde, weil dort die Veräußerung/Aufgabe der wesentlichen Beteiligung ebenfalls vor
1999 stattgefunden hatte. Der Senat ließ den Abzug nachlaufender Zinsen dort auch
insoweit nicht zu, als sie auf einen Veranlagungszeitraum nach 1998 (dort: 1999) entfielen.
Diese Entscheidung bindet den Senat nicht. Sie ist noch vor der Rechtsprechungsänderung
ergangen und hat diese lediglich als möglich in Aussicht gestellt. Der aus dieser
Entscheidung im Schrifttum gezogenen Folgerung, es komme auch im Falle einer
Rechtsprechungsänderung in Bezug auf die hier zu entscheidende Rechtsfrage maßgeblich
auf eine Veräußerung oder Aufgabe vor oder nach 1999 an (so Steinhauff, JurisPR-SteuerR
40/2010, Anm. 3 und 8/2011, Anm. 4; Paus, Steuerberater Woche --StBW-- 2010, 746;
Hilbertz, StBW 2011, 343; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Januar
2011 10 K 3934/10, EFG 2011, 786), schließt sich der Senat nicht an.
21 2. Die hälftige Abzugsbeschränkung gemäß § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG ist auf die dem Kläger
im Streitjahr entstandenen Finanzierungskosten nicht anwendbar. Nach dieser Norm in ihrer
für das Streitjahr geltenden Fassung dürfen u.a. Werbungskosten, die mit den in § 3 Nr. 40
EStG genannten Einnahmen (u.a. dem Veräußerungspreis oder dem gemeinen Wert i.S. von
§ 17 Abs. 2 EStG) im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, bei der Ermittlung der
Einkünfte nur zur Hälfte abgezogen werden, und zwar unabhängig davon, in welchem
Veranlagungszeitraum die Einnahmen anfallen (Halbeinkünfteverfahren). Die Rechtsnorm
ist nach § 52 Abs. 8a EStG erstmals auf Aufwendungen anzuwenden, die mit Erträgen im
wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, auf die § 3 Nr. 40 EStG "erstmals" anzuwenden ist.
Dies betrifft grundsätzlich erstmals Erträge des Veranlagungszeitraums 2002 (vgl. im
Einzelnen Senatsurteil vom 27. März 2007 VIII R 23/06, BFH/NV 2007, 1842), wobei sich
Differenzierungen ergeben können, die gegebenenfalls die Jahre 2001 und 2003 betreffen
(vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 32. Aufl., § 3 "Halbeinkünfteverfahren" unter 2. "Zeitl.
Anwendung"). Im Streitfall unterfallen die Einkünfte des Klägers aus der GmbH-Beteiligung
und ihrer Aufgabe aber keinesfalls diesem zeitlichen Anwendungsbereich, da er die
Beteiligung infolge des Konkurses der GmbH geraume Zeit vor dem Streitjahr 2001
aufgegeben hatte.
22 § 52 Abs. 8a EStG zieht für den Abzug von Aufwendungen eine trennscharfe und praktisch
umsetzungsfähige Grenzlinie zwischen dem alten Anrechnungsverfahren einerseits und
dem Halbeinkünfteverfahren andererseits; danach sind Aufwendungen entweder eindeutig
dem alten oder dem neuen Recht zuzuordnen (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1842,
1844). Daraus folgt für den Streitfall die uneingeschränkte Abziehbarkeit der
streitbefangenen Schuldzinsen als Werbungskosten bei den Einkünften aus
Kapitalvermögen ungeachtet des Umstandes, dass der Kläger aufgrund des Konkurses der
GmbH einen Aufgabeverlust und keinen zu versteuernden Gewinn erwirtschaftet hatte.