Urteil des BFH vom 02.05.2008

BFH: anspruch auf rechtliches gehör, rüge, akteneinsicht, klagebefugnis, abgabenordnung, klagebegehren, steuer, behörde, koch, zivilprozessordnung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 2.5.2008, X B 237/07
Bezeichnung des Klagebegehrens - Klagebefugnis - Anforderungen an die Darlegung einer Sachaufklärungsrüge und der
Verletzung des rechtlichen Gehörs
Gründe
1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gerügten Verfahrensmängel sind
nicht schlüssig dargelegt worden und/oder liegen nicht vor.
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1. Soweit das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) den Gewerbesteuermessbetrag 1999 sowie die
Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2000 und 2002 betrifft, ist das FG entgegen der Ansicht des
Klägers verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens i.S. von § 65
Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht (ausreichend) bezeichnet hat.
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a) Zur Bezeichnung seines Klagebegehrens muss der Kläger substantiiert darlegen, worin er die durch die
angefochtenen Verwaltungsentscheidungen (vorgeblich) begründeten Rechtsverletzungen erblickt, insbesondere
ausführen, inwieweit die angegriffenen Verwaltungsakte rechtswidrig sein und den Kläger in seinen Rechten
verletzen sollen (vgl. z.B. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. November 1979 GrS
1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, 102; ständige Rechtsprechung). Wie weit das Klagebegehren zu
substantiieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere vom Inhalt der angefochtenen
Verwaltungsakte sowie von der einschlägigen Steuer- und Klageart. Eine solche Konkretisierung erweist sich nach
ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. die Nachweise bei Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Rz 15) schon deswegen als unentbehrlich, weil das Gericht nach § 96 Abs. 1 Satz 2
FGO nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf.
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b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger den Gegenstand seines Klagebegehrens vor dem FG in Bezug auf den
Gewerbesteuermessbescheid 1999 sowie auf die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2000 und
2002 nicht in der von § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO geforderten Weise bezeichnet.
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Der Kläger hatte in seiner Klageschrift insoweit lediglich ausgeführt, streitig sei,
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- ob die "Voraussetzung der Versteuerung der Veräußerung der Grundstücke X-Straße und Y-Straße (vorlägen)",
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- ob die Zahlungen zu Versicherungen über die Konten des Klägers nachgewiesen worden seien und
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- ob eine Zuschätzung von Erlösen erfolgen könne, obwohl der Kläger "keine weiteren Konten betreibt".
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte hierauf im Schriftsatz vom 16. Januar 2007 im
Wesentlichen Folgendes erwidert: Was die vom Kläger aufgeworfene Frage anbelange, ob die Voraussetzungen der
Versteuerung der Veräußerung der beiden Grundstücke vorlägen, sei zu bemerken, dass in keinem der
angefochtenen Bescheide bisher Einkünfte aus der Veräußerung aus privaten Veräußerungsgeschäften angesetzt
worden seien. Eine Zuschätzung von Erlösen sei für das Streitjahr 1999 nicht erfolgt. Für die Streitjahre 2000 und
2002 seien die Besteuerungsgrundlagen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen gemäß § 162 Abs. 1 der
Abgabenordnung anhand einer vom Kläger vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertung geschätzt worden.
10 Auch in der Folgezeit hat der Kläger den Gegenstand seines Klagebegehrens im finanzgerichtlichen Verfahren nicht
näher konkretisiert. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 9. Oktober 2007 hat er keinen (Klage-)Antrag
gestellt.
11 Vor diesem Hintergrund konnte das FG nicht erkennen, inwieweit die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen,
namentlich der Gewerbesteuermessbescheid 1999, die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 2000
und 2002 sowie die entsprechenden Einspruchsentscheidungen rechtswidrig sein und den Kläger in seinen Rechten
verletzen sollen.
12 2. Ein Verfahrensmangel liegt des Weiteren auch nicht darin, dass das FG die Klage wegen Einkommensteuer 1999
"mangels Rechtsschutzbedürfnisses" als unzulässig abgewiesen hat.
13 In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1999 hat das FA die Einkommensteuer auf 126 688 DM
festgesetzt. In der Klageschrift begehrte der Kläger, die Einkommensteuer 1999 auf 138 791 DM festzusetzen.
14 Da der Kläger mithin die Festsetzung einer gegenüber dem angefochtenen Bescheid höheren Einkommensteuer
begehrte, durfte das FG mangels gegenteiliger Anhaltspunkte mit Recht davon ausgehen, dass der Kläger die für das
Vorliegen der Klagebefugnis nach § 40 Abs. 2 FGO gebotene Verletzung in eigenen Rechten nicht geltend gemacht
hatte (vgl. hierzu z.B. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 40 FGO Rz 40a ff., m.w.N.).
15 3. Soweit der Kläger beanstandet, das FG habe seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen weiter
aufzuklären (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), genügt diese Rüge nicht den gesetzlichen Anforderungen.
16 a) Die schlüssige Rüge eines solchen Verfahrensmangels setzt nach ständiger Rechtsprechung u.a. voraus, dass
dieser Mangel in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb dem Beteiligten eine solche Rüge nicht
möglich war (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70 i.V.m. Rz 67, m.w.N. aus der
Rechtsprechung des BFH).
17 b) Daran fehlt es im Streitfall.
18 4. Keinen Erfolg hat ferner die Rüge des Klägers, das FG habe über die Klage entschieden, ohne ihm --dem Kläger--
im Termin zur mündlichen Verhandlung die Gelegenheit zu geben, "ggf. noch vorzutragende ergänzende
Erläuterungen zur Sache zu erklären", und das FG habe dadurch seiner Verpflichtung gemäß § 76 Abs. 2 FGO
zuwidergehandelt.
19 a) Inhalt und Umfang der Hinweis- und Aufklärungspflichten sind von der Sach- und Rechtslage im einzelnen Fall
abhängig. Hierbei kommt es u.a. maßgebend auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beteiligten an. Je
rechtskundiger diese sind, umso geringer ist die Hinweis- und Fürsorgepflicht des Gerichts. Ist der Beteiligte --wie es
hier der Kläger vor dem FG war-- fachkundig vertreten, so muss das Gericht insbesondere auf offenkundige Umstände
nicht hinweisen (vgl. die zahlreichen Nachweise aus der Rechtsprechung des BFH bei Gräber/Stapperfend, a.a.O., §
76 Rz 55).
20 b) Nach diesen Maßstäben war das FG nicht gehalten, dem im Termin zur mündlichen Verhandlung durch einen
Rechtsanwalt (fachkundig) vertretenen Kläger weitere Hinweise zwecks Ergänzung seines bisherigen Klagevortrages
zu geben. Es lag für den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten (auch ohne ausdrücklichen Hinweis des
Gerichts) auf der Hand, dass es für eine erfolgreiche Klage sowohl einer Substantiierung des Klagebegehrens und
der Klagebegründung als auch eines ergänzenden (spezifizierten) Tatsachenvortrages sowie dessen Nachweises
bzw. Glaubhaftmachung bedurfte.
21 Davon abgesehen hatte das FG den ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits mit Schreiben vom 16.
Januar 2007 aufgefordert, zu der (ausführlichen) Klageerwiderung des FA Stellung zu nehmen und die "streitigen
Aufwendungen" nachzuweisen. Zusätzlich hatte das FG auch den jetzigen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt R,
nachdem dieser Einsicht in die dem FG vorliegenden Akten genommen hatte, wiederholt und vergeblich aufgefordert,
die Klage zu begründen und zur Klageerwiderung des FA Stellung zu nehmen.
22 5. Schließlich kann auch die Rüge des Klägers keinen Erfolg haben, das FG habe über die Klage entschieden, ohne
zu berücksichtigen, das ihm --dem Kläger-- nur eine unzureichende Einsicht in die Akten des FA gewährt und damit
sein Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, §§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO) verletzt worden sei.
23 a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird für das finanzgerichtliche Verfahren u.a. dadurch verwirklicht, dass die
Prozessbeteiligten das Recht haben, die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten (insbesondere der
beklagten Behörde) einzusehen (§ 78 FGO). Damit wird gewährleistet, dass die Beteiligten zu den in den vorgelegten
und beigezogenen Akten enthaltenen Tatsachen Stellung nehmen können, bevor sie das Gericht zur Grundlage
seiner Entscheidung macht (vgl. z.B. Gräber/Koch, a.a.O., § 78 Rz 1a). Falls das Gericht die Akteneinsicht zu Unrecht
verweigert, gleichwohl aber die Akten auswertet, liegt ein Verfahrensfehler vor (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 22. Mai
2002 VI B 2/02, BFH/NV 2002, 1168, m.w.N.).
24 b) Die schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs --hier durch die angebliche (partielle) Versagung der
Akteneinsicht-- setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. die substantiierte Darlegung durch den
Beschwerdeführer voraus, dass er den Mangel in der (nächsten) mündlichen Verhandlung gerügt habe bzw. aus
welchen --von ihm nicht zu vertretenden Gründen-- er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei (vgl. § 155 FGO
i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung).
25 An einem dahingehenden (substantiierten) Vortrag mangelt es im Streitfall. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass sein
Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 9. Oktober 2007 den (vorgeblichen) Mangel
der versagten Akteneinsicht gerügt habe. Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus der Sitzungsniederschrift über
diesen Termin. Der Kläger hat ferner nicht dargetan, warum er an einer solchen Rüge gehindert gewesen sei.