Urteil des BFH vom 08.09.2008

BFH: Nichtzulassungsbeschwerde: Grundsätzliche Bedeutung, Verfahrensfehler, Rügeverzicht, verfahrensmangel, abgabenordnung, rückzahlung, abtretung, einspruch, unterlassen, zeugeneinvernahme

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 8.9.2008, XI B 30/08
Nichtzulassungsbeschwerde: Grundsätzliche Bedeutung - Verfahrensfehler - Rügeverzicht
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Grundstückgesellschaft, die von den Eheleuten A und B als A
& B GbR (GbR) gegründet und am 19. Februar 2005 in eine GmbH & Co. KG umgewandelt wurde. Neben der A & B
GbR gab es im Streitjahr 2003 unter der Bezeichnung "GbR X" eine weitere Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen
A und B.
2 Im Rahmen ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldungen für 2003 machte die Klägerin auch Vorsteuern geltend, die auf das
Bauvorhaben der "GbR X" entfielen. Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) diese
Vorsteuern teilweise entsprechend einer Abtretung und im Übrigen aufgrund einer schriftlichen Anweisung der GbR
sowie des A erstattet hatte, erließ es einen Jahresteuerbescheid 2003, mit dem diese Vorsteuern zurückgefordert
wurden. Die Klägerin legte sowohl gegen die Umsatzsteuerfestsetzung als auch gegen die mit der Festsetzung
verbundene Abrechnungsverfügung erfolglos Einspruch ein. Den die Abrechnungsverfügung betreffenden Einspruch
verwarf das FA als unzulässig. Mit ihrer dagegen eingelegten Klage beantragte die Klägerin die Änderung der
Abrechnungsverfügung dahingehend, dass Vorsteuern in Höhe von 367 426,73 EUR nicht als getilgte Beträge
behandelt werden.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, da die GbR hinsichtlich der Vorsteuererstattungen als Leistungsempfängerin
anzusehen sei. Die Erstattungen seien in Höhe von 38 218,34 EUR aufgrund einer von der GbR angezeigten Abtretung
an den Steuerberater S (§ 37 Abs. 2 Satz 3 der Abgabenordnung --AO--) und im Übrigen entsprechend ihrer
Anweisung auf das unter der Bezeichnung "GbR X" geführte Konto des A überwiesen worden. Mit der Zahlung auf ein
Konto des A habe das FA erkennbar an die GbR leisten wollen, zu deren Gunsten der Erstattungsanspruch festgesetzt
worden sei. Für diese Leistung fehle es an einem materiellen Rechtsgrund und durch die Änderung des
Umsatzsteuerbescheides sei auch der formelle Rechtsgrund nachträglich entfallen.
4 Ihre Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision stützt die Klägerin auf eine grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache sowie auf Verfahrensfehler (Verletzung der Sachaufklärungspflicht).
5 Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet.
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Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und
vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Voraussetzungen für die Zulassung
der Revision müssen innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils dargelegt werden (§
116 Abs. 3 FGO).
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1. Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Steuerpflichtige, der das FA anweist, einen
Erstattungsbetrag an einen Dritten auszuzahlen, auch dann Erstattungsberechtigter und damit der nach § 37 Abs. 2
AO zur Rückzahlung verpflichtete Leistungsempfänger ist, wenn der Erstattungsanspruch materiell-rechtlich dem die
Leistung empfangenden Dritten zusteht, hat keine grundsätzliche Bedeutung.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein
allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und
Handhabung des Rechts betrifft (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Mai 2004 VIII B 168/03, BFH/NV
2004, 1524, m.w.N.). Weiterhin muss die Rechtsfrage im Revisionsverfahren klärungsbedürftig und auch
klärungsfähig, d.h. entscheidungserheblich sein.
10 b) Im Allgemeinen besteht kein Klärungsbedarf mehr, wenn eine Rechtsfrage bereits vor dem BFH geklärt worden ist
(BFH-Beschluss vom 27. Mai 2005 III B 197/04, BFH/NV 2005, 1486). So liegen die Verhältnisse im Streitfall. Nach
ständiger Rechtsprechung ist ein Dritter als tatsächlicher Empfänger einer Zahlung dann nicht als
Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 AO anzusehen und daher nicht zur Rückzahlung verpflichtet, wenn die
Behörde aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungsberechtigten an diesen Dritten gezahlt hat (BFH-
Beschluss vom 28. März 2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1486). Denn in
diesem Falle erbringt die Finanzbehörde ihre Leistung mit dem Willen, einen Anspruch des Anweisenden mit
befreiender Wirkung zu erfüllen. Vorliegend erfolgte die Zahlung an die "GbR X" aufgrund wirksamer
Zahlungsanweisungen der GbR. Diese war Erstattungsberechtigte i.S. von § 37 Abs. 2 AO, da sich aus den von ihr
abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen jeweils negative Umsatzsteuerbeträge ergaben. Das FA folgte den
Anweisungen der GbR und zahlte den jeweiligen Erstattungsbetrag auf das von der GbR bezeichnete Konto, um
diese Ansprüche zu erfüllen.
11 c) Soweit die Klägerin vorträgt, es sei trotz zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen noch nicht geklärt, ob in
Anweisungsfällen die Person des Erstattungsberechtigten nach materiellem oder nach formellem Recht zu bestimmen
sei, ergibt sich auch daraus keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
12 aa) Es ist zwar umstritten (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz 27 ff.,
m.w.N.), ob ein rechtlicher Grund i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO bereits dann fehlt, wenn auf die Leistung nach
materiellem Recht kein entsprechender Anspruch besteht (sog. materielle Rechtsgrundtheorie) oder der Rechtsgrund
erst mit der Aufhebung oder Änderung des der Zahlung zugrunde liegenden Bescheides entfällt (sog. formelle
Rechtsgrundtheorie).
13 bb) Diese Streitfrage ist vorliegend aber schon deswegen nicht entscheidungserheblich und damit nicht
klärungsbedürftig, weil eine Rückzahlungspflicht der Klägerin aus beiden Ansichten folgt. Mit dem Erlass des
Umsatzsteuer-Schätzbescheides 2003 vom 27. Januar 2005 sowie des geänderten Umsatzsteuerbescheides 2003
vom 5. Juli 2007 entfiel der formelle Rechtsgrund für die erstatteten Vorsteuern. Da der Rückforderungsanspruch auch
nicht auf Vorsteuern beruht, die der Klägerin zustanden, fehlt es auch an einem materiellen Rechtsgrund. Ob es sich
dabei um Vorsteuern handelt, die materiell-rechtlich einem Dritten ("GbR X") zustehen oder die überhaupt nicht
bestehen, ist für die Frage des Rückzahlungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO nicht bedeutsam.
14 2. Auch die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge (Verletzung der Sachaufklärungspflicht) ist nicht geeignet, der
Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Dabei kann offenbleiben, ob der behauptete Verfahrensfehler tatsächlich
vorliegt, denn er kann im vorliegenden Beschwerdeverfahren jedenfalls nicht mehr geltend gemacht werden.
15 a) Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift
betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295
der Zivilprozessordnung). Zu diesen verzichtbaren Mängeln gehört auch die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen
Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO durch Übergehen von entscheidungserheblichen Beweisanträgen (vgl.
Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Rz 91, 113, m.w.N.).
16 b) Liegt --wie im Streitfall-- ein verzichtbarer Verfahrensmangel vor, so geht das Rügerecht nicht nur durch eine
ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch dadurch, dass der in
der maßgeblichen mündlichen Verhandlung anwesende oder fachkundig vertretene Beteiligte den Verfahrensverstoß
nicht gerügt hat (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
17 c) Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass in der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2008 das Unterlassen
der Einholung der schriftsätzlich beantragten Zeugeneinvernahme durch ihren fachkundigen
Prozessbevollmächtigten gerügt worden ist. Auch sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass die rechtzeitige Rüge des
behaupteten Verfahrensfehlers aufgrund des Verhaltens des FG nicht möglich gewesen wäre. Ausweislich des
Protokolls der mündlichen Verhandlung schloss der Vorsitzende --nach Stellung der Anträge und streitiger
Weiterverhandlung der Beteiligten-- die Sitzung mit der Ankündigung, eine Entscheidung werde am Schluss der
Sitzung ergehen, ohne dass die Klägerin die Aufmerksamkeit des Gerichts auf ihre Beweisanträge gelenkt bzw. deren
Übergehen gerügt hätte. Dem dadurch bewirkten Verlust des Rügerechts kann die Klägerin nicht entgegenhalten, sie
habe das Übergehen ihrer Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung deshalb nicht rügen können, weil sie erst
durch das angefochtene Urteil von der Nichterhebung des Zeugenbeweises erfahren habe. Denn der --durch ihren
Prozessbevollmächtigten-- in der mündlichen Verhandlung fachkundig vertretenen Klägerin war die mangelnde
Ladung der benannten Zeugen zum Termin erkennbar. Darüber hinaus fehlten nach dem Verlauf der mündlichen
Verhandlung jegliche Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht am Schluss der Sitzung keine Sachentscheidung,
sondern --zwecks Beweisaufnahme-- eine Vertagung verkünden würde.