Urteil des BFH vom 23.02.2010

Tarifierung eines Implantats als "Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit " ("Stift")

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 23.2.2010, VII R 36/09
Tarifierung eines Implantats als "Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit " ("Stift")
Tatbestand
1 I. Im Jahr 2006 hatte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft
(vZTA) für eine als "X-Implantat" bezeichnete Ware beantragt. Dabei handelt es sich um einen ca. 5 cm langen, runden
Gegenstand aus Kunststoff, der einen Durchmesser von ca. 5 mm aufweist. Die Form verjüngt sich zur Spitze, was dem
Gegenstand ein nagelartiges Aussehen verleiht. Das andere Ende wird durch einen schraubenähnlichen Kopf mit
einem Durchmesser von ca. 7 mm gebildet. In der Mitte befindet sich eine leichte Verdickung. Die Verwendung als
Implantat soll der Fixierung des aus eigenem Körpergewebe rekonstruierten Kreuzbandes im Kniegelenk dienen. Zu
diesem Zweck wird das Implantat in das Kniegelenk mittels eines Treibers (driver) in einen Bohrkanal eingeschlagen.
2 Für die zuständige Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt stellte sich die Ware aufgrund ihres Aufbaus und ihrer
Funktion als ein "Teil mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit" dar (Anm. 1 f zu Kap. 90 der Kombinierten Nomenklatur
--KN--), und zwar als ein Nagel aus Kunststoff, der im Rahmen arthroskopischer Eingriffe zur Fixierung des
Transplantats verwendet wird. Die Oberfinanzdirektion (OFD) erteilte daraufhin die vZTA DE HH/363/06-1 über die KN-
Unterpos. 3926 90 98. Da diese vZTA wegen Änderung der KN-Unterpos. zum 1. Januar 2007 ungültig wurde, stellte
die Klägerin einen neuen Antrag und die OFD erteilte unter Berufung auf das Ergebnis der Warenuntersuchung zur
vorgenannten vZTA mit Bescheid vom 12. Januar 2007 die streitige vZTA DE HH/40/07-1, in der sie die Einreihung in
die KN-Unterpos. 3926 90 97 vornahm.
3 Die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin weiterhin die Einreihung der Ware in
die Pos. 9021 KN begehrt, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, eine Einreihung des Implantats in die Pos.
9021 KN scheitere an der Ausweisungsvorschrift Anm. 1 f zu Kap. 90 KN für "Teile mit allgemeiner
Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen Metallen (Abschnitt XV) und
gleichartige Waren aus Kunststoffen (Kapitel 39)". Bei den Implantaten handele es sich um Waren aus Kunststoff, die
den in Pos. 7317 KN genannten Stiften, Nägeln etc. gleichartig seien. Zwar weise die Ware, was für einen Stift eher
ungewöhnlich sei, eine längs laufende Durchbohrung auf und eine unterschiedliche Verdickung, die sich von 5 mm
zum Kopfende auf 7 mm erweitere; diese Besonderheiten schlössen aber eine Verwendung als Kunststoffstift nicht aus.
So könne eine leichte Verdickung des Stiftes auch dazu geeignet sein, die Festigkeit der Verbindung zwischen Stift und
Bohrloch zu fördern. Dass die Ware ausschließlich für operative Zwecke im Gelenkbereich verwendet werde, ändere an
ihrer allgemeinen Verwendungsmöglichkeit nichts. Auch bei dieser medizinischen Verwendung werde das Implantat
als Stift zur Festigung des Gewebematerials in das Gelenk implantiert. Die Verbreiterung des Kopfes mache die
Verwendung als Stift nicht ungeeignet, wenn man davon ausgehe, dass die Aufnahmebohrung entsprechend
ausgeformt sei.
4 Mit der Revision rügt die Klägerin, das FG habe die Ausweisungsvorschrift Anm. 1 f zu Kap. 90 KN i.V.m. Anm. 2 a zu
Abschn. XV KN unrichtig angewendet. Das FG verkenne, dass das X-Implantat nur dann aus Kapitel 90 KN
ausgewiesen werden könne, wenn seine objektiven Eigenschaften und Merkmale seine allgemeine Verwendung als
Stift in den unterschiedlichsten Materialien zuließen. Ohne die objektiven Eigenschaften und Merkmale eines Stifts im
Sinne der Pos. 7317 KN zu definieren, unterstelle das FG, die Ware sei als Stift allgemein verwendbar, obwohl es
erkannt habe, dass die Verdickung am Kopfende das vollständige Eindrücken der Ware in das Bohrloch, das für einen
Stift typisch sei, verhindere. Entgegen der Ansicht des FG könne man zur allgemeinen Verwendung als Stift auch nicht
die passgenaue entsprechende Ausformung des Bohrlochs unterstellen. Sonst wären auch Gegenstände wie Keile,
Stricknadeln etc. als Stifte allgemein zu verwenden. Das X-Implantat sei aufgrund seines dickeren Kopfendes und
wegen seiner Kanülierung nicht zur allgemeinen Verwendung als Stift geeignet. Auch die Verwendung des Implantats
beim Operationsvorgang entspreche nicht, wie das FG unzutreffend feststelle, der allgemeinen Verwendung eines
Stifts. Denn das Implantat werde mit seinem gewellten Kopfende an der festen Knochenrinde befestigt und nicht über
das viel weichere Knochenmark im Inneren des Gelenkknochens im Knochen gehalten bzw. befestigt. Das Urteil
beruhe insoweit auf unzureichenden und unzutreffenden Tatsachenfeststellungen.
5 Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidungen aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (das
Hauptzollamt --HZA--), auf den die Zuständigkeit inzwischen übergegangen ist, zu verpflichten, die Erzeugnisse X-
Implantate in die Pos. 9021 KN einzureihen.
6 Das HZA hält das Urteil des FG insbesondere im Hinblick auf die Senatsentscheidung vom 7. Mai 2002 VII B 189/01
(BFH/NV 2002, 1187, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern --ZfZ-- 2002, 267) für richtig und beantragt, die
Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Es hat die vZTA DE HH/40/07-1 mit der Einreihung der X-Implantate in die KN-
Unterpos. 3926 90 97 zu Recht bestätigt. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das FG die
Ausweisung der Implantate aus Kap. 90 KN (medizinische und chirurgische Instrumente, Apparate und Geräte) bejaht
hat.
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1. In dem Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1187, ZfZ 2002, 267 hat der Senat entschieden, dass die Ausweisung
von "Teilen mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit im Sinne der Anmerkung 2 zu Abschnitt XV, aus unedlen
Metallen (Abschnitt XV) und gleichwertige Waren aus Kunststoffen (Kapitel 39)" durch die Anm. 1 Buchst. f zu Kap. 90
KN nicht davon abhängt, ob tatsächlich die Möglichkeit besteht, das zu tarifierende Teil allgemein zu verwenden,
sondern ob es sich um "Waren der Position 7307, 7312, 7315, 7317 oder 7318 ..." KN handelt. Denn diese Waren
"gelten" nach Anm. 2 Buchst. a zu Abschn. XV als Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit. Der Senat hat dabei
klargestellt, dass es sich bei dem Begriff "gelten" nicht um die Aufstellung einer Fiktion, sondern um eine Erläuterung
des Begriffs "Teile mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit" handelt. Hier wird festgelegt, was die KN unter "Teilen
mit allgemeiner Verwendungsmöglichkeit" versteht. Dementsprechend hat der Senat in jener Entscheidung die in Pos.
7318 KN aufgeführten Schrauben unabhängig von ihrer konkreten Verwendung im Einzelfall, also auch wenn es sich
um nur für einen ganz bestimmten Verwendungszweck einsetzbare Spezialschrauben handelt, als "Teile mit
allgemeiner Verwendungsmöglichkeit" angesehen.
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2. Der Senat hält an dieser Beurteilung, die auch die Revision nicht in Frage stellt, fest. Daraus folgt im Streitfall, dass
das FG die Ausweisung der streitgegenständlichen X-Implantate aus der Pos. 9021 KN zu Recht bestätigt hat, weil es
sich nach seinen revisionsrechtlich einwandfreien Feststellungen bei den Implantaten um Stifte der Pos. 7317 KN
handelt.
10 a) Weder in der KN und den Anmerkungen dazu noch in den Erläuterungen zur KN (ErlKN) zu Pos. 7317 des
Harmonisierten Systems wird ein bestimmtes äußeres Erscheinungsbild eines Stifts vorgegeben; nach Rz. 09.0. ErlKN
existiert vielmehr eine unbegrenzte Vielfalt dieser Artikel. Der Bewertung der Implantate durch das FG liegt die
Vorstellung zugrunde, dass es für einen Stift kennzeichnend ist, in ein Bohrloch in der Weise eingefügt zu werden,
dass er dort eine feste Verbindung mit dem umgebenden Material eingeht. Dieser Beschreibung setzt die Beschwerde
nichts entgegen, sie teilt sie vielmehr offenbar, indem sie darstellt, dass das Implantat sich gerade nicht in das
Bohrloch im Kniegelenk fest einfüge, sondern mit seinem gewellten Kopfende an der festen Knochenrinde befestigt
werde.
11 Die Funktionsbeschreibung stimmt auch mit dem allgemeinen handwerklichen Gebrauch eines "Stifts" überein.
Stiftverbindungen sind die wohl einfachste und älteste Form der Verbindung im Handwerk. Sie werden in
verschiedenen Ausführungen verwendet, als Zylinderstifte, Kegelstifte oder Kerbstifte (zu den vielfältigen
Ausformungen vgl. Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, Bd. 4, "Stifte"). Durch Stifte werden zwei oder mehr
Bauteile formschlüssig in radialer Richtung der Stifte miteinander verbunden, indem in eine durch alle Teile gehende
Bohrung ein Stift gesteckt wird. Zylindrische Stifte (mit Übermaß) werden entsprechend der Passung ihres
Durchmessers in die zugehörige Bohrung gepresst, dadurch entsteht ein Kraftschluss, der ihr Herausfallen verhindert.
Kegelstifte werden dagegen zur Zentrierung und Befestigung verschiedener Bauteile verwendet. Kerbstifte besitzen
Kerben mit elastisch aufgewölbten Rändern, die sich an die Wandung des Lochs anpassen und eine rüttelfeste
Verbindung herstellen (Meyers Lexikon der Technik und der exakten Wissenschaften, Bd. 3, "Stift"; Lueger, Lexikon
der Technik, Bd. 14, "Stiftverbindungen").
12 Aufgrund der Inaugenscheinnahme und der Warenbeschreibung hat das FG diese Merkmale des Einpassens in einen
Bohrkanal und Herstellens einer festen Verbindung mit dem umgebenden Knochen bei den X-Implantaten festgestellt
und deshalb deren Qualifizierung als Stift bestätigt. Diese Feststellung ist für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO).
Die Sachverhaltswürdigung ist dem Tatrichter vorbehalten und einer Korrektur im Revisionsverfahren grundsätzlich
nicht zugänglich. Die subjektive Gewissheit des Tatrichters vom Vorliegen eines entscheidungserheblichen
Sachverhalts ist für das Revisionsgericht bindend, wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen
Würdigung beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten
Tatsachen getragen werden (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 16. Mai 2006 VII B 259/05, BFH/NV 2006, 1885).
13 b) Die Würdigung des FG entspricht diesen Grundsätzen. Die dagegen erhobenen Einwände der Klägerin greifen
nicht. So hat das FG sehr wohl die objektiven Eigenschaften und Merkmale eines Stifts im Sinne der Pos. 7317 KN
seiner Beurteilung zugrunde gelegt, auch wenn es sie nicht ausdrücklich formuliert hat. Es hat insbesondere
gewürdigt, dass das Implantat eine längslaufende Durchbohrung und eine unterschiedliche Verdickung aufweist, die
sich von 5 mm zum Kopfende auf 7 mm erweitert. Die Bewertung, dass diese "für einen Stift eher ungewöhnliche"
Verbreitung des Kopfes die Verwendung als Stift nicht ungeeignet mache, ist angesichts der oben wiedergegebenen
Funktionsbeschreibungen von Stiftverbindungen nicht zu beanstanden. Entgegen der Darstellung der Klägerin
können, wie die vielen unterschiedlichen Formen von in der Technik verwendeten Stiften (s.o. Enzyklopädie
Naturwissenschaft und Technik, Bd. 4) deutlich machen, nicht nur zylindrisch geformte Gegenstände Stifte im Sinne
der Pos. 7317 KN sein. Das FG durfte bei der Prüfung auch unterstellen, dass die Aufnahmebohrung entsprechend
der Gestalt des Implantats ausgeformt ist. Auch wenn, wie die Klägerin eingewendet hat, das Implantat nicht im
weichen Knocheninneren den nötigen Halt finden mag, geschieht die Verankerung doch durch Einfügen in das feste
äußere Knochengewebe. Die den Besonderheiten der zu verbindenden Materialien angepasste Form und Struktur
des einzupassenden Teils ist geradezu typisch für die Vielfalt der Stiftverbindungen. Auch die Erwägung, die
medizinische Verwendung des Implantats bestehe gerade darin, dass es als Stift zur Festigung des Gewebematerials
in das Gelenk eingeschlagen werde, ist angesichts der für die Herstellung von Stiftverbindungen typischen
Vorgehensweise des Einschlagens sachgerecht und tragfähig.
14 c) Die Behauptung der Klägerin, das Urteil beruhe auf unzureichenden und unzutreffenden Tatsachenfeststellungen,
weil die Verwendung des Implantats beim Operationsvorgang entgegen der Annahme des FG nicht der allgemeinen
Verwendung eines Stifts entspreche, zeigt keinen Rechtsfehler der finanzgerichtlichen Würdigung auf. Die von ihm
angenommene medizinische Verwendung des Implantats hat das FG lediglich als Bestärkung seiner Feststellung
angeführt, dass die Beschaffenheit des Implantats die Eingliederung als Stift im Sinne der Pos. 7317 KN rechtfertigt.
Eine wirksame Verfahrensrüge erhebt die Klägerin nicht, die Feststellungen des FG zur Beschaffenheit der Ware stellt
sie nicht in Frage. Sie würdigt lediglich diese Feststellungen anders als das FG und setzt ihre Beurteilung, dass die X-
Implantate keine Stifte im Sinne der Pos. 7317 KN seien, der gegenteiligen Auffassung des FG entgegen.