Urteil des BFH vom 24.04.2013

Verwertungsverbot sog. Zufallserkenntnisse im Besteuerungsverfahren - Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 19.06.2013 als NV-Entscheidung abrufbar

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 24.4.2013, VII B 202/12
Verwertungsverbot sog. Zufallserkenntnisse im Besteuerungsverfahren - Die Entscheidung wurde
nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 19.06.2013 als NV-
Entscheidung abrufbar
Leitsätze
Aus einer im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen angeordneten Telefonüberwachung
gewonnene Erkenntnisse, die sich auf einen nicht in § 100a StPO aufgeführten Straftatbestand
beziehen, dürfen von den Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nicht verwendet werden.
Tatbestand
I.
1 Der im Streitfall vom Finanzgericht (FG) vernommene Zeuge S wurde im August 2011 vom
Amtsgericht (AG) wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt. Der Verurteilung lag (u.a.)
der Verkauf von insgesamt 190 Stangen unverzollter und unversteuerter Zigaretten im August
und September 2007 durch S an D zugrunde. Für die insoweit entstandene Abgabenschuld
(Zoll, Tabaksteuer und Einfuhrumsatzsteuer) nahm der Beklagte und Beschwerdeführer (das
Hauptzollamt --HZA--) den Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) als Haftenden gemäß § 71
der Abgabenordnung (AO) mit der Begründung in Anspruch, dieser habe das Kaufgeschäft
vermittelt und damit den Tatbestand der Steuerhehlerei des § 374 Abs. 1 AO erfüllt.
2 Auf die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das FG den
angefochtenen Steuerhaftungsbescheid auf. Eine Beteiligung des Klägers am Verkauf der
Zigaretten habe sich nicht feststellen lassen. Zum einen habe das AG in dem Strafurteil
lediglich den Verkauf der Zigaretten durch S an D, nicht jedoch eine Beteiligung des Klägers
daran festgestellt. Zum anderen habe der Zeuge S zwar in seiner Vernehmung eingeräumt,
zweimal unverzollte und unversteuerte Zigaretten an D verkauft zu haben, jedoch behauptet,
der Kläger habe damit nichts zu tun gehabt. Die Protokolle über eine im Jahr 2007
durchgeführte Telefonüberwachung (TÜ-Protokolle), auf die das HZA seine Behauptung der
Beteiligung des Klägers am Kaufgeschäft stütze, seien nicht verwertbar. § 100a der
Strafprozessordnung (StPO) habe in seiner Fassung des Jahres 2007 (StPO a.F.), als für den
Streitfall Erkenntnisse durch die Telefonüberwachung gewonnen worden seien,
Steuerstraftaten der AO nicht erfasst. Einige dieser Strafvorschriften seien erst durch das
Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung ... (TKÜNReglG) vom
21. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3198) mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 in § 100a StPO
eingefügt worden. Aus der durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom
20. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 3150) in die AO aufgenommenen Vorschrift des § 393
Abs. 3 lasse sich nichts anderes herleiten, da diese rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher
Ermittlungen gewonnene Erkenntnisse voraussetze und daher keine Erkenntnisse aus
Zeiträumen erfasse, in denen für seinerzeit noch nicht in § 100a StPO aufgeführte
Steuerstraftaten ein Verwertungsverbot bestanden habe.
3 Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA, welche es auf die
Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie des
Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt. Das
HZA hält es für klärungsbedürftig, ob die Finanzbehörde vor dem Inkrafttreten der Neufassung
des § 100a StPO gewonnene Ermittlungsergebnisse in noch nicht abgeschlossenen
Besteuerungsverfahren verwenden dürfe. Nach Ansicht des HZA hat das FG diese Frage zu
Unrecht verneint und deshalb die Protokolle über die Telefonüberwachung
verfahrensfehlerhaft nicht als Beweismittel zugelassen.
Entscheidungsgründe
II.
4 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht
vor.
5 1. Die für den Streitfall maßgebenden Rechtsfragen der Verwertung von Erkenntnissen aus
einer Telefonüberwachung im Besteuerungsverfahren sind nicht klärungsbedürftig, sondern
lassen sich anhand der Vorschriften der AO und der StPO sowie der einschlägigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eindeutig beantworten.
6 Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch
eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3
Satz 2 AO von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie
diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit
nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf.
7 Die seitens der Beschwerde formulierte und für klärungsbedürftig gehaltene Frage, "ob die
Finanzbehörde Erkenntnisse, die sie [vor dem Inkrafttreten des TKÜNReglG und des JStG
2008] rechtmäßig im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gewonnen hat, in noch nicht
abgeschlossenen Fällen im Besteuerungsverfahren verwenden darf", stellt sich im Streitfall
nicht, denn die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen, die das HZA im Streitfall als
Beweismittel verwenden will, stammen nicht --wie es der 1. Alternative des § 393 Abs. 3
Satz 2 AO entspräche-- aus eigenen strafrechtlichen Ermittlungen, sondern beruhen --wie
sich aus dem angefochtenen FG-Urteil ergibt-- auf vom AG auf Antrag der Staatsanwaltschaft
angeordneten Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation gemäß § 100a Abs. 1
Nr. 2 StPO a.F., denen nach den in der Akte befindlichen TÜ-Protokollen der Verdacht auf
Bandendiebstahl zugrunde lag.
8 Gemäß der 2. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO dürfen daher die Erkenntnisse aus den
TÜ-Protokollen im Besteuerungsverfahren gegen den Kläger nur verwendet werden, soweit
nach den Vorschriften der StPO den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Wie auch
das HZA in seiner Beschwerdebegründung ausführt, sind insoweit § 474 Abs. 2 und § 477
Abs. 2 Satz 2 StPO einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur
Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO)
sind zwar gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. § 116 AO grundsätzlich zulässig,
unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß
§ 477 StPO (Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 55. Aufl., § 477 Rz 1;
Julius/Temming, Strafprozessordnung, 4. Aufl., § 477 Rz 1).
9 Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten
zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne Einwilligung des
Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher
Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der StPO
hätte angeordnet werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach
dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die
Auskunftserteilung im Streitfall bereits deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den
TÜ-Protokollen nicht zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum
Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet
werden sollen, denn § 393 Abs. 3 AO, der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung
der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem
Strafverfahren dienen soll, liefe dann weitgehend leer.
10 Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus
einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse
nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen (Julius/ Temming, a.a.O., § 477
Rz 5). Daher könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung gewonnenen
Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen
Steuerhehlerei verwendet werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht
aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogtaten beziehenden
Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren
Anforderungen. Insoweit ist zwar nach dem BGH-Urteil vom 27. November
2008 3 StR 342/08 (BGHSt 53, 64) auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a StPO in
seiner derzeitigen Fassung und nicht in der im Jahr 2007 geltenden Fassung abzustellen.
Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind jedoch
Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf
Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO, also beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger
Begehung zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger besteht, ist weder
seitens des HZA vorgetragen noch ersichtlich. Das HZA hat den Steuerhaftungsbescheid auf
den Tatbestand der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO gestützt.
11 Für die Zulässigkeit einer Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken gemäß § 477
Abs. 2 Satz 3 StPO bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.
12 2. Aus alledem folgt, dass das FG im Streitfall die Verwertung der TÜ-Protokolle als
Beweismittel zu Recht abgelehnt hat, das Urteil beruht nicht auf einem Verfahrensmangel.