Urteil des BAG vom 28.08.2008

BAG: Anforderungen an die Antragstellung, Auflösungsantrag des Arbeitgebers, unwirksamkeit der kündigung, schutz des arbeitnehmers, abfindung, zusammenarbeit, anhörung, presse, form, arbeitsmarkt

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 28.8.2008, 2 AZR 63/07
Anforderungen an die Antragstellung - Auflösungsantrag des Arbeitgebers
Leitsätze
Der Arbeitgeber kann auch nach den zum 1. Januar 2004 erfolgten Änderungen der §§ 4 bis 7, § 13 Abs.
3 KSchG im Fall einer sozialwidrigen ordentlichen Kündigung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses
nach § 9 Abs. 1Satz 2 KSchG nur verlangen, wenn die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung allein auf
der Sozialwidrigkeit, nicht jedoch auf anderen Gründen iSd. § 13 Abs. 3 KSchG beruht.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
München vom 24. November 2006 - 11 Sa 650/06 - im Kostenausspruch und
insoweit aufgehoben, als das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis zum
Ablauf des 30. September 2003 aufgelöst sowie den Beklagten zur Zahlung
einer Abfindung verurteilt hat.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den
Auflösungsantrag des Beklagten - auch über die Kosten der Revision - an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten in der Revision nur über die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
2 Der am 16. September 1958 geborene, ledige Kläger war ab 1. September 2001 bei dem
Beklagten als Sachbearbeiter, zuletzt im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende
beschäftigt. Der Monatsverdienst des Klägers betrug etwa 3.000,00 Euro brutto.
3 Der Beklagte mahnte den Kläger beginnend ab Oktober 2003 mehrfach ab. Mit Schreiben vom 24.
März 2004 hörte der Beklagte den Personalrat zu einer beabsichtigten verhaltensbedingten
Kündigung des Klägers an. Nach schriftlicher Zustimmung des Personalrats kündigte der Beklagte
das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13. Mai 2004 „gemäß § 53 Abs. 2 BAT fristgemäß zum
30. Juni 2004“.
4 Mit seiner dagegen am 27. Mai 2004 erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger ua. geltend
gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Darüber hinaus sei der Personalrat nicht
ordnungsgemäß beteiligt worden. Dieser sei über die Kündigungsgründe nur pauschal und
unzureichend unterrichtet worden. Außerdem habe der Beklagte dem Personalrat die
Gegendarstellungen des Klägers zu einzelnen Abmahnungen nicht vorgelegt.
5 Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Kündigung sei
wegen erheblicher Pflichtverletzungen des Klägers, insbesondere im Umgang mit seinen
Vorgesetzten, gerechtfertigt. Die Personalratsbeteiligung sei weder formell noch inhaltlich zu
beanstanden.
6 Mit einem 23-seitigen Schreiben vom 20. März 2005 wandte sich ein enger Freund des Klägers an
den Beklagten und beanstandete die aus seiner Sicht ungerechtfertigte Kündigung des Klägers. Er
führte aus, seit geraumer Zeit mit der Angelegenheit des Klägers bestens vertraut zu sein und die
Fakten aus dem gesamten Schriftverkehr und den gesammelten Unterlagen des Klägers zu
kennen. Dabei nahm er auf Sozialhilfeakten und von ihm eingesehene Schriftstücke Bezug,
welche zwischen dem Kläger und Mitarbeitern des Beklagten vor Zugang der Kündigung
ausgetauscht worden waren. Außerdem verwies er darauf, dass die von ihm vorgefundenen
Dokumente sicherlich für die Presse sehr interessant seien und erklärte abschließend: „Denken
Sie bitte, über eine sozial gerechte Lösung nach, da ich mich nicht scheue, auch die Presse
entsprechend zu unterrichten“. Aus diesem Anlass kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit
Schreiben vom 18. Mai 2005 vorsorglich erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Diese Kündigung ist
Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits, der auf übereinstimmenden Antrag der Parteien ruht.
7 Nach mehreren erstinstanzlichen Klageerweiterungen hat das Arbeitsgericht durch Teilurteil vom
2. März 2006 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 13. Mai 2004 nicht
aufgelöst worden ist. Mit seiner dagegen erhobenen Berufung hat der Beklagte den auf Abweisung
der Kündigungsschutzklage gerichteten Antrag weiter verfolgt und diesen schriftsätzlich mit dem
Hilfsantrag verbunden,
das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, die jedoch
1.500,00 Euro nicht überschreiten sollte, zum 30. September 2004 aufzulösen.
8 Zur Begründung des Auflösungsantrags hat der Beklagte geltend gemacht, aus dem Schreiben
vom 20. März 2005 ergäben sich grobe Verstöße des Klägers gegen seine
Verschwiegenheitspflicht und gegen Datenschutzbestimmungen. Dieses Schreiben müsse sich
der Kläger ebenso zurechnen lassen wie weitere anonyme Schreiben, durch die „Stimmung gegen
den Beklagten“ gemacht worden sei. Eine den Betriebszwecken dienliche weitere
Zusammenarbeit zwischen den Parteien sei künftig nicht mehr zu erwarten.
9 Der Kläger hat sich gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gewandt und ausgeführt, der
Beklagte könne mit diesem Antrag schon deshalb nicht durchdringen, da die Kündigung nicht nur
sozialwidrig, sondern auch wegen fehlerhafter Anhörung des Personalrats unwirksam sei.
10 Laut der über die mündliche Verhandlung in der Berufungsinstanz vom 24. Oktober 2006
gefertigten Sitzungsniederschrift sind zu Beginn der Verhandlung die Anträge wie folgt gestellt
worden:
„Der Beklagte beantragt:
1. Das Teilurteil vom 02.03.2006 Az. 8 Ca 8678/04 wird aufgehoben.
2. Soweit der Klage mit dem Teilurteil stattgegeben worden ist, wird sie abgewiesen.
Der Klägervertreter beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
- vorgelesen und genehmigt - “
11 Anschließend hat der Vorsitzende - wie es im Protokoll heißt - „den Sach- und Streitgegenstand“
mit den Parteien erörtert. Nach zweimaliger Unterbrechung der Verhandlung, ua. im Hinblick auf
einen Vergleichsvorschlag des Vorsitzenden, über den kein Einvernehmen erzielt werden konnte,
ist die mündliche Verhandlung geschlossen und ein Verkündungstermin bestimmt worden.
12 Mit Urteil vom 24. November 2006 hat das Landesarbeitsgericht das Arbeitsverhältnis zum
30. September 2004 aufgelöst und den Beklagten verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe
von 9.000,00 Euro „brutto“ zu zahlen. „Im Übrigen“ hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit der
vom Landesarbeitsgericht uneingeschränkt zugelassenen, aber nur vom Kläger eingelegten
Revision begehrt dieser - unter vollständiger Zurückweisung der Berufung des Beklagten - die
Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts, soweit es dem Auflösungsantrag stattgegeben
hat.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
13 Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das
Landesarbeitsgericht.
14 A. Das Landesarbeitsgericht hat den Auflösungsantrag des Beklagten im Urteilstatbestand
wiedergegeben und diesbezüglich ausgeführt: „Der bezeichnete, im
Berufungsbegründungsschriftsatz enthaltene Hilfsantrag wurde in der Kammerverhandlung am
24.10.2006 versehentlich zwar nicht zu Protokoll genommen, er wurde jedoch nebst Begründung
des Beklagten vom Vorsitzenden referiert und war Gegenstand der streitigen Verhandlung“. In der
Sache hat es seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 iVm.
Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam. Allerdings sei das
Arbeitsverhältnis auf Antrag des Beklagten aufzulösen. Der Kläger habe seinem Freund Einblick in
die behördliche Sachverhalte betreffende Auseinandersetzung mit seinen Vorgesetzten bzw.
seinem Arbeitgeber verschafft. Dies habe, ohne dass der Kläger seinen Freund mit der Wahrung
seiner Interessen beauftragt habe, zur Konfrontation des Beklagten mit einem
Beschwerdeschreiben geführt, in dem das Verhalten des Beklagten bzw. das seiner Mitarbeiter in
beleidigender Form charakterisiert worden sei. Indem der Kläger seinen Freund in dieser Weise in
die Auseinandersetzung mit dem Beklagten einbezogen und die Ursache dafür gesetzt habe, dass
der Freund - ohne eigene persönliche oder rechtliche Interessen zu verfolgen - versucht habe, auf
den Beklagten durch wiederholte Anspielungen auf eine Weitergabe von Informationen an die
Presse Druck auszuüben, habe er Umstände gesetzt, die eine den Betriebszwecken dienliche
Zusammenarbeit nicht erwarten ließen. Dem Auflösungsantrag stehe nicht entgegen, dass sich
der Kläger auch auf die Unwirksamkeit der Kündigung wegen fehlerhafter Anhörung des
Personalrats berufe. Entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts könne der Arbeitgeber
den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG jedenfalls dann stellen, wenn der
Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage auch die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend
mache und diese gerichtlich festgestellt werde. Der Auflösungsantrag sei nur dann unzulässig,
wenn sich der Arbeitnehmer nicht auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung berufe, sondern seine
Klage allein auf andere Unwirksamkeitsgründe stütze. Insoweit habe es der Arbeitnehmer in der
Hand, durch Geltendmachung nur anderer Unwirksamkeitsgründe dem Arbeitgeber die
Möglichkeit eines Auflösungsantrags zu nehmen.
15 B. Dem folgt der Senat weder in der Begründung noch im Ergebnis.
16 I. Das Landesarbeitsgericht durfte, was die Revision zu Recht rügt, über den Auflösungsantrag
des Beklagten nicht sachlich entscheiden. Der Beklagte hatte diesen Antrag in der anberaumten
mündlichen Verhandlung, auf die das angefochtene Urteil ergangen ist, nicht in prozessual
wirksamer Weise zur Entscheidung des Berufungsgerichts gestellt. Soweit das
Landesarbeitsgericht gleichwohl das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst
hat, hat es dem Beklagten etwas zugesprochen, was dieser nicht beantragt hat (§ 308 Abs. 1
Satz 1 ZPO).
17 1. Gemäß § 297 Abs. 1 ZPO sind die Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen.
Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage
beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge
zu Protokoll erklärt werden. Nach § 297 Abs. 2 ZPO kann die Verlesung dadurch ersetzt werden,
dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, die die Anträge enthalten. Da die Verlesung
der Anträge „ersetzt“ werden soll, muss die Bezugnahme zum Zwecke der Antragstellung
erfolgen. Es muss deutlich werden, dass es um eine Antragstellung geht. Dies entspricht dem
Sinn des Gesetzes, das eine Erleichterung gegenüber der strengeren Form des § 297 Abs. 1 ZPO
vorsieht, aber die mit dieser Vorschrift bezweckte Klarheit des Rechtsbegehrens keineswegs
völlig aufgeben will. Auch im Falle des § 297 Abs. 2 ZPO muss wegen der zentralen Bedeutung
der Sachanträge für Streitgegenstand, Rechtskraft, Möglichkeit der „Flucht in die Säumnis“,
Streitwert und Kosten eindeutig sein, ob Anträge gestellt werden, was beantragt wird und was nicht
(BAG 4. Dezember 2002 - 5 AZR 556/01 - BAGE 104, 86, 88; Musielak/Huber ZPO 4. Aufl. § 297
Rn. 3). Nicht jede Bezugnahme auf Sachvortrag in Schriftsätzen kann deshalb ohne Weiteres als
Bezugnahme auf alle darin enthaltenen Anträge verstanden werden. Eine konkludente
Bezugnahme der Anträge kann nur in Betracht kommen, wenn der Gegenstand des Rechtsstreits
fest umrissen und klar ist, dass die Bezugnahme auf die Schriftsätze zum Zwecke der
Antragstellung und nicht nur zur Erörterung der Sach- und Rechtslage erfolgt (BAG 1. Dezember
2004 - 5 AZR 121/04 - EEK 3169) .
18 2. In Anwendung dieser Grundsätze liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der
Beklagte den schriftsätzlich angekündigten Auflösungsantrag in der mündlichen Verhandlung vom
24. Oktober 2006 gestellt hat.
19 a) Das über die Berufungsverhandlung gefertigte Sitzungsprotokoll beweist gemäß § 165 Satz 1
ZPO iVm. §§ 297, 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO lediglich, dass der Beklagte durch Verlesen aus dem
vorbereitenden Schriftsatz (§ 297 Abs. 1 ZPO) den Antrag gestellt hat, das Teilurteil des
Arbeitsgerichts abzuändern und die Kündigungsschutzklage abzuweisen. Der vom Beklagten
schriftsätzlich angekündigte Auflösungsantrag wurde dabei unstreitig nicht mit verlesen. Der
Auflösungsantrag wurde im Termin der mündlichen Verhandlung auch nicht anderweitig
ausdrücklich gestellt. Gegenteiliges behauptet selbst der Beklagte nicht.
20 b) Bezüglich des Auflösungsantrags liegt auch keine konkludente Antragstellung vor.
21 aa) Zwar hat das Landesarbeitsgericht, das den Auflösungsantrag im streitigen Urteilstatbestand
wiedergegeben hat, das Prozessgeschehen im Verlauf der mündlichen Verhandlung ersichtlich im
Sinne einer konkludenten Bezugnahme auf den schriftsätzlich angekündigten Antrag gewertet.
Dieser Würdigung, die der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt, kann
indes nicht gefolgt werden. Gerade wegen der gebotenen, beweiskräftigen Feststellung des
Prozessziels schreibt § 297 ZPO für die konkrete Sachantragstellung eine bestimmte Form und
nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO deren Aufnahme in das Sitzungsprotokoll vor (vgl. BAG 23. Januar
2007 - 9 AZR 492/06 - BAGE 121, 67). Ist aber, wie im vorliegenden Streitfall, eine diesen
Anforderungen genügende konkrete Antragstellung und damit verbundene Verdeutlichung des
Prozessziels des Beklagten zu Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgt, kann allein aus der
Tatsache, dass der weitere, bei der förmlichen Antragstellung nicht berücksichtigte
Auflösungsantrag vom Vorsitzenden „referiert“ wurde - was nur so viel bedeuten kann wie:
„berichtet“ wurde - und Gegenstand der Erörterung des Sach- und Streitgegenstands war, nicht
mit der gebotenen Eindeutigkeit darauf geschlossen werden, dass der Beklagte diesen Antrag zur
Entscheidung des Gerichts stellen wollte. Hierzu hätte es vielmehr, zumal Auflösungsanträge
nach §§ 9, 10 KSchG häufig „in den Raum gestellt werden“, um die Vergleichsverhandlungen zu
fördern, im Hinblick auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Klägers einer entsprechenden
Klarstellung bedurft. Dass diese erfolgt ist, lässt sich den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts nicht entnehmen. Auch der Beklagte macht hierzu in der Revision nichts
Näheres geltend.
22 bb) Es bedarf demnach keiner Entscheidung dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine
tatsächlich erfolgte Antragstellung im Fall einer entgegen § 297 iVm. § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO
unterbliebenen Protokollierung gemäß § 314 ZPO durch den Urteilstatbestand bewiesen werden
kann (vgl. dazu nur BVerwG 3. Juli 1987 - 4 C 12/84 - NJW 1988, 1228; Stein/Jonas/Leipold ZPO
22. Aufl. § 297 Rn. 22). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob hinsichtlich der Antragstellung ein
Widerspruch zwischen Urteilstatbestand und Sitzungsprotokoll besteht mit der Folge, dass für die
Feststellung der gestellten Parteianträge nach § 160 Abs. 3 Nr. 2, § 165 ZPO allein das im
Protokoll Aufgeführte als beantragt anzusehen wäre.
23 3. Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO kann in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht dadurch
geheilt werden, dass die Zurückweisung der Revision beantragt wird, da dies eine in der
Revisionsinstanz unzulässige Klageerweiterung ermöglichen würde (vgl. BAG 18. Dezember 1974
- 5 AZR 66/74 - AP BGB § 615 Nr. 30 = EzA BGB § 615 Nr. 27).
24 4. Da eine Sachentscheidung über den Auflösungsantrag mangels diesbezüglicher Antragstellung
nicht ergehen durfte, ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung über den Auflösungsantrag ist dem Senat verwehrt.
25 II. Für den Fall, dass das Landesarbeitsgericht aufgrund der neuen mündlichen Verhandlung über
den Auflösungsantrag streitig zu entscheiden hat, wird es zu berücksichtigen haben, dass eine
Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf den Antrag des Beklagten nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG
nur dann in Betracht kommt, wenn die Kündigung nicht auch aus einem anderen Grund als dem
der Sozialwidrigkeit unwirksam ist.
26 1. Der Beklagte hat das Urteil vom 24. November 2004, soweit das Landesarbeitsgericht die
Kündigung vom 13. Mai 2004 für sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG und damit
für unwirksam erachtet hat, weder mit der für ihn zugelassenen Revision noch mit einer
Anschlussrevision angegriffen. Das Urteil ist insoweit rechtskräftig.
27 2. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Arbeitgeber
nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch im Fall einer
sozialwidrigen ordentlichen Kündigung nur verlangen kann, wenn die Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung allein auf der Sozialwidrigkeit, nicht jedoch auf anderen Gründen iSd. § 13 Abs. 3
KSchG beruht (vgl. nur BAG 9. Oktober 1979 - 6 AZR 1059/77 - BAGE 32, 122, 124; Senat
30. November 1989 - 2 AZR 197/89 - BAGE 63, 351, 362; 27. September 2001 - 2 AZR 389/00 -
AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13; zuletzt 10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 -
AP BGB § 174 Nr. 18 = EzA BGB 2002 § 174 Nr. 3). Dies hat es vorrangig damit begründet, dass
die Lösungsmöglichkeit nach § 9 KSchG für den Arbeitgeber eine Vergünstigung bedeute, die nur
in Betracht komme, wenn eine Kündigung „nur“ sozialwidrig und nicht (auch) aus anderen
Gründen nichtig sei (vgl. grundlegend BAG 9. Oktober 1979 - 6 AZR 1059/77 - aaO sowie
10. Februar 2005 - 2 AZR 584/03 - aaO). Lediglich im Fall, dass die Norm, aus der der
Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Kündigung neben der Sozialwidrigkeit herleitet, nicht den
Zweck verfolgt, ihm einen zusätzlichen Schutz zu verschaffen, sondern allein der Wahrung der
Interessen Dritter dient, steht die sich daraus ergebende Unwirksamkeit der Kündigung dem
Auflösungsantrag des Arbeitgebers nicht entgegen (vgl. Senat 10. November 1994 - 2 AZR
207/94 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 24 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 43; 27. September 2001 - 2 AZR
389/00 - aaO).
28 3. Dieser Auffassung hat sich die Literatur überwiegend angeschlossen (vgl. ErfK/Kiel 8. Aufl. § 9
KSchG Rn. 18; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 30; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG
14. Aufl. § 9 Rn. 16; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 7. Aufl. § 9 KSchG Rn. 6;
KR/Etzel 8. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 191; KR/Friedrich 8. Aufl. § 13 KSchG Rn. 329;
Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand August 2007 § 9 Rn. 4; Löwisch/Spinner KSchG
9. Aufl. § 9 Rn. 46; MünchKommBGB/Hergenröder 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 30; HWK/Thies 3. Aufl.
§ 9 KSchG Rn. 12; Richardi/Thüsing BetrVG 10. Aufl. § 102 Rn. 137; Thüsing/Laux/Lembke-
Arnold KSchG § 9 Rn. 13; AnwK-ArbR/Eylert § 9 KSchG Rn. 18; Boewer RdA 2001, 399;
Hertzfeld NZA 2004, 298, 300 f.; Keßler NZA-RR 2002, 5; Müller/Der Auflösungsantrag des
Arbeitgebers Diss. 2004, S. 28 f., 33 f.; Neumann AR-Blattei SD Stand Juli 1996 1020.6 Rn. 41).
Dabei wird allerdings teilweise die Auffassung vertreten, es sei unbeachtlich, ob der sonstige
Kündigungsmangel gerade im Interesse des Arbeitnehmers die Unwirksamkeit der Kündigung
anordnet (vgl. v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 9 Rn. 18; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 9
KSchG Rn. 31a; Bader/Bram/Dörner/Kriebel-Bader KSchG Stand August 2007 § 9 Rn. 4;
Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 9 Rn. 46) .
29 4. Demgegenüber soll nach anderer Auffassung der Arbeitgeber den Auflösungsantrag nach § 9
Abs. 1 Satz 2 KSchG im Fall einer sozial ungerechtfertigten ordentlichen Kündigung unabhängig
davon stellen können, ob ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund vorliegt. Dies wird im Wesentlichen
damit begründet, weder dem Gesetzestext, der Gesetzessystematik, der Gesetzesbegründung
noch dem Bestandsschutzprinzip des Kündigungsschutzgesetzes ließen sich Argumente für die
Auffassung des Bundesarbeitsgerichts und der überwiegenden Literaturmeinung entnehmen. Der
Arbeitnehmer habe es in der Hand, den Streitgegenstand auf die Prüfung eines sonstigen
Unwirksamkeitsgrunds zu beschränken. Dann sei es dem Arbeitgeber im Hinblick auf § 13 Abs. 3
KSchG verwehrt, den Auflösungsantrag zu stellen. Berufe er sich demgegenüber auch auf die
Sozialwidrigkeit der Kündigung, sei kein Grund ersichtlich, dem Arbeitgeber den jedenfalls nicht
von Gesetzes wegen ausgeschlossenen Antrag zu verwehren (vgl. APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG
Rn. 11; KR/Spilger 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 27c; Stahlhacke/Vossen 9. Aufl. Rn. 1970; Tschöpe FS
Schwerdtner S. 217, 227; Auffarth DB 1969, 528) .
30 5. Die gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
31 a) Für das Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung spricht zunächst die
Entstehungsgeschichte und der daraus abzuleitende Sinn und Zweck des § 9 KSchG.
32 Vor Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes konnte der Arbeitnehmer die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses nicht erzwingen. Der nach dem Betriebsrätegesetz (BRG) vom 4. Februar
1920 geschaffene Kündigungsschutz war kein absoluter. Das Gericht hatte, wenn es der Klage
des Arbeitnehmers stattgab, auf Widerruf der Kündigung zu erkennen und im Urteil von Amts
wegen für den Fall, dass der Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung ablehnte, eine Entschädigung
festzusetzen (zur Entstehung des Kündigungsschutzgesetzes vgl. im Einzelnen die
zusammenfassenden Darstellungen bei KR/Griebeling 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 1; v. Hoyningen-
Huene/Linck KSchG 14. Aufl. Einleitung Rn. 21 ff.).
33 Dagegen besteht das Arbeitsverhältnis bei sozial ungerechtfertigter Kündigung seit Geltung des
KSchG 1951, wie es in der Begründung des Regierungsentwurfs vom 23. Januar 1951 zu der § 9
KSchG vorgehenden Regelung des § 7 KSchG 1951 heißt, „wie in anderen Fällen einer
rechtsunwirksamen Kündigung“ grundsätzlich fort (vgl. RdA 1951, 58, 64) . Nach der weiteren
Begründung im Regierungsentwurf zu § 7 KSchG 1951 „trifft der Entwurf“ mit der vorgesehenen
Auflösungsmöglichkeit auf Antrag des Arbeitgebers „Vorsorge für die Fälle, in denen die
Vertrauensgrundlage, auf der das Arbeitsverhältnis beruht, fortgefallen ist. Er sieht hier die
Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch das Gericht und Verurteilung des Arbeitgebers, der
sozial ungerechtfertigt gekündigt hat, zur Zahlung einer Abfindung vor“. Daraus lässt sich, da 1969
in § 9 KSchG lediglich die Beweislast zum Nachteil des Arbeitgebers verändert wurde, im Sinne
der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbesondere BAG 9. Oktober
1979 - 6 AZR 1059/77 - BAGE 32, 122, 124) ableiten, dass die dem Arbeitgeber eröffnete
Lösungsmöglichkeit nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG (§ 7 Abs. 1 Satz 2 KSchG 1951) ein Korrektiv
seiner durch die Sozialwidrigkeit einer Kündigung bewirkten Bindung an den Arbeitnehmer darstellt
(vgl. auch v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 9 Rn. 16, 18). Der dem Arbeitnehmer im
Fall einer an sich zulässigen, aber sozialwidrigen Kündigung gewährte Bestandsschutz sollte
durch die dem Arbeitgeber eingeräumte Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis gegen
Abfindungszahlung zu beenden „entschärft“ und durch eine Abfindung ersetzt werden, wenn für die
Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den
Arbeitsvertragsparteien nicht mehr zu erwarten ist. Dagegen ging der Gesetzgeber ersichtlich
davon aus, dass der „in anderen Fällen einer rechtsunwirksamen Kündigung“ gewährleistete
Bestandsschutz durch die Regelungen des KSchG nicht in Frage gestellt werden sollte; für diese
hat er eine dem § 9 KSchG (§ 7 KSchG 1951) entsprechende Regelung nicht geschaffen.
34 b) Dass das Auflösungsrecht des Arbeitgebers in einem engen systematischen Zusammenhang
mit § 1 KSchG steht und einer Durchbrechung des durch den allgemeinen Kündigungsschutz
gewährleisteten Bestandsschutzes dient, zeigt auch § 13 Abs. 3 KSchG (vgl. bereits BAG
9. Oktober 1979 - 6 AZR 1059/77 - BAGE 32, 122, 124) . Diese Vorschrift erklärt die
Bestimmungen des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes für eine Kündigung, die
bereits aus anderen als in den in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG bezeichneten Gründen
rechtsunwirksam ist, für nicht anwendbar, wobei seit Inkrafttreten des Gesetzes zu Reformen am
Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) lediglich eine Ausnahme hinsichtlich der
§§ 4 bis 7 KSchG gilt. Auch wenn die Verwendung des Wortes „bereits“ aus Gründen der
Prozesswirtschaftlichkeit im Rechtsstreit keine abschließende vorrangige Prüfung verlangt, ob die
Kündigung aus anderen Gründen als den in § 1 KSchG Genannten unwirksam ist (aA Neumann
AR-Blattei SD Stand Juli 1996 1020.6 Rn. 40 ff.), lässt sich hieraus zusätzlich ableiten, dass der
Bestandsschutz durch § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur dort gemildert sein soll, wo er - wie beim
Verbot sozialwidriger Kündigungen - am weitesten ausgedehnt ist, nicht aber im Hinblick auf
solche Normen, die aufgrund eines besonderen Schutzzwecks zur Unwirksamkeit der Kündigung
führen. Die Vorschriften über die sozial ungerechtfertigte Kündigung sollen demzufolge, wie es in
der Begründung des Regierungsentwurfs vom 23. Januar 1951 zu § 11 Abs. 3 KSchG 1951, dem
§ 13 Abs. 3 KSchG nachgebildet ist, heißt, „grundsätzlich nur dann Platz greifen, wenn der Schutz
des Arbeitsverhältnisses nicht bereits durch andere Vorschriften gewährleistet ist, d. h. wenn die
Kündigung nicht bereits aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam ist“ (vgl. RdA 1951, 58, 64) .
35 Daran hat sich durch das am 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesetz zu Reformen am
Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) und die hierdurch normierte
Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 4 bis 7 KSchG in Fällen des § 13 Abs. 3 KSchG nichts
Wesentliches geändert. Der in § 13 Abs. 3 KSchG enthaltene, ausdrücklich als Ausnahme
formulierte Verweis auf die §§ 4 bis 7 KSchG ist eine Folge der Vereinheitlichung der Klagefrist in
§ 4 Satz 1 KSchG. Danach gilt die dreiwöchige Klageerhebungsfrist auch für schriftliche
Kündigungen, die aus anderen Gründen rechtsunwirksam sind. Die Vorschrift trägt dem Interesse
des Arbeitgebers Rechnung, alsbald Klarheit über den Fortbestand oder die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses aufgrund einer von ihm erklärten Kündigung zu gewinnen, was durch die
Neuregelung auch hinsichtlich der aus „sonstigen“ Gründen unwirksamen Kündigung anerkannt
wird. Im Übrigen hat der Gesetzgeber aber an der prinzipiellen Unanwendbarkeit der
Bestimmungen des ersten Abschnitts des KSchG festgehalten. Diesen, im Wortlaut des § 13
Abs. 3 KSchG zum Ausdruck kommenden Grundsatz, hat der Gesetzgeber zudem in der
Gesetzesbegründung ausdrücklich hervorgehoben, soweit es dort heißt: „Ansonsten soll es dabei
bleiben, dass für die aus sonstigen Gründen unwirksamen Kündigungen die Vorschriften der §§ 1
bis 14 nicht gelten. Das betrifft insbesondere die Bestimmungen über die sechsmonatige Wartezeit
nach § 1 Abs. 1 und über die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den §§ 9 und
10“ (vgl. BT-Drucks. 15/1587 S. 27) .
36 c) Zudem sprechen weitere teleologische Gesichtspunkte für die Aufrechterhaltung der bisherigen
Rechtsprechung.
37 aa) Zwar trifft es zu, dass sich die Frage der Unzumutbarkeit der Fortführung des
Arbeitsverhältnisses unabhängig vom Grund der Unwirksamkeit der Kündigung stellen kann (vgl.
dazu nur KR/Spilger 8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 27c) . Dieser Gesichtspunkt ändert jedoch nichts an
der Tatsache, dass nach der Konzeption des Kündigungsschutzgesetzes dem Arbeitgeber nach
§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG - bei Vorliegen der weiteren dort genannten Voraussetzungen - eine
Lösungsmöglichkeit nur im Fall einer allein nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG unwirksamen Kündigung
zugebilligt wird und es für die anderen, gesetzlich normierten Unwirksamkeitsgründe an einer
entsprechenden Regelung fehlt. Im Übrigen können Umstände, die das Arbeitsverhältnis erheblich
belasten, auch bei einer aus sonstigen Gründen unwirksamen Kündigung, die nicht zugleich sozial
ungerechtfertigt ist, auftreten. Für derartige Fälle kann der Arbeitgeber aber nach nahezu
einhelliger Auffassung, auch in der Literatur, keinen Auflösungsantrag stellen.
38 bb) Der Hinweis des Landesarbeitsgerichts, wonach es der Arbeitnehmer nach der geltenden
Dispositionsmaxime in der Hand habe, die Klage nach § 4 Satz 1 KSchG lediglich auf andere
Gründe als die der Sozialwidrigkeit der Kündigung zu stützen und dadurch die Unzulässigkeit des
Auflösungsantrags herbeizuführen (ebenso: APS/Biebl 3. Aufl. § 9 KSchG Rn. 11; KR/Spilger
8. Aufl. § 9 KSchG Rn. 27c; Stahlhacke/Vossen 9. Aufl. Rn. 1970) , ist mit dem Sinn und Zweck
des Kündigungsschutzgesetzes nicht in Einklang zu bringen. Dieses will dem seinem
Geltungsbereich unterliegenden Arbeitnehmer einen stärkeren Bestandsschutz einräumen. Der
Arbeitnehmer ist grundsätzlich zur Erhaltung dieses Bestandsschutzes im eigenen Interesse
gehalten, sich sowohl auf eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 1 KSchG als auch auf
eventuelle sonstige Unwirksamkeitsgründe zu berufen, da er bei Klageabweisung eine bestimmte
Kündigung nicht mehr wegen anderer Mängel mit Erfolg angreifen kann (vgl. KR/Friedrich 8. Aufl.
§ 4 KSchG Rn. 291) . Im Fall einer rechtzeitig nach § 4 Satz 1 KSchG erhobenen Klage hält die
Vorschrift des § 6 Satz 1 KSchG dem Arbeitnehmer - allerdings nur bis zum Schluss der
mündlichen Verhandlung erster Instanz - die Möglichkeit offen, selbst dann noch den
Bestandsschutz nach dem KSchG in Anspruch zu nehmen, wenn er binnen der dreiwöchigen
Klageerhebungsfrist lediglich sonstige Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht hat. Darauf soll ihn
das Arbeitsgericht nach § 6 Satz 2 KSchG hinweisen. Mit diesem Schutzgedanken wäre es nicht
vereinbar, den Arbeitnehmer vor die Alternative zu stellen, sich bei noch offenem Prozessausgang
entweder um den „Preis“ des Ausschlusses eines - später ggf. gar nicht erhobenen -
Auflösungsantrags des Arbeitgebers des Kündigungsschutzes nach dem KSchG zu begeben oder
aber sich durch gleichzeitiges Berufen auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung ggf. einem
Auflösungsantrag des Arbeitgebers und damit einem Nachteil auszusetzen, den er ohne die
Geltendmachung des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht zu vergegenwärtigen hätte. Ob sich
die Hinweispflicht des Arbeitsgerichts nach § 6 Satz 2 KSchG auch hierauf erstreckt, erscheint
außerdem mehr als zweifelhaft.
39 cc) Im Übrigen wäre im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes der „zusätzlich“
sozialwidrig kündigende Arbeitgeber besser gestellt als ein Arbeitgeber, dessen Kündigung
„lediglich“ aus sonstigen Gründen unwirksam ist. Darin läge ein nicht begründbarer
Wertungswiderspruch (zu dieser „Kontrollüberlegung“ vgl. nur v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG
14. Aufl. § 9 Rn. 19; MünchKommBGB/Hergenröder 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 30) . Dieser ließe sich
nur bei einem vollständigen Verzicht auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung als Voraussetzung des
Auflösungsantrags vermeiden, was aber keinesfalls mit § 9 Abs. 2 KSchG sowie § 13 Abs. 2 und
3 KSchG in Einklang zu bringen wäre.
40 d) Schließlich führt auch der Umstand, dass die Rechtsprechung dem Arbeitnehmer den
Auflösungsantrag auch dann zubilligt, wenn sich die Unwirksamkeit der Kündigung aus einem
anderen Grund als dem der Sozialwidrigkeit ergibt (vgl. nur Senat 29. Januar 1981 - 2 AZR
1055/78 - BAGE 35, 30, 39; BAG 20. März 1997 - 8 AZR 769/95 - BAGE 85, 330, 333), zu keinem
anderen Ergebnis. Der maßgebliche Unterschied liegt nämlich darin, dass der Arbeitnehmer, und
zwar im Einklang mit den Zielen des Kündigungsschutzgesetzes, jederzeit auf die
Geltendmachung des sich zu seinen Gunsten aus anderen Normen ergebenden
Bestandsschutzes verzichten kann, indem er entsprechende Tatsachen nicht vorträgt. Dann darf
es ihm aber nicht zum Nachteil gereichen, wenn er die verschiedenen Unwirksamkeitsgründe
nebeneinander geltend macht (vgl. nur Neumann AR-Blattei SD Stand Juli 1996 1020.6 Rn. 41).
41 6. Bei dem vom Kläger geltend gemachten Unwirksamkeitsgrund der nicht ordnungsgemäßen
Beteiligung des Personalrats handelt es sich auch um einen dem Schutz des Arbeitnehmers
dienenden Grund, bei dessen Eingreifen dem Arbeitgeber der Auflösungsantrag verwehrt ist (vgl.
Senat 27. September 2001 - 2 AZR 389/00 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13;
zu § 78 Abs. 1, Abs. 3 SächsPersVG). Insoweit gilt nichts Anderes als in Fällen, in denen die
Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 3
BetrVG unwirksam ist (vgl. nur BAG 17. November 1983 - 6 AZR 291/83 -; Senat 27. Mai 1982 -
2 AZR 96/80 - DB 1984, 620; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA
BGB 2002 § 626 Nr. 11).
42 7. Das Landesarbeitsgericht wird demnach, bevor es einem etwaigen Auflösungsantrag des
Beklagten stattgibt, der Frage nachzugehen haben, ob dieser den Personalrat vor Ausspruch der
Kündigung ordnungsgemäß beteiligt hat. An einer solchen Prüfung wäre das Landesarbeitsgericht,
entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung des Beklagten, nicht wegen der rechtskräftig
gewordenen Entscheidung über die Kündigungsschutzklage gehindert (vgl. Senat 27. September
2001 - 2 AZR 389/00 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 41 = EzA ZPO § 322 Nr. 13).
Rost
Eylert
Berger
Jan Eulen
Niebler