Urteil des BAG vom 14.05.2018

Rechtswegbestimmung - Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des Verweisungsbeschlusses - Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 14. Mai 2018
Neunter Senat
- 9 AS 2/18 -
ECLI:DE:BAG:2018:140518.B.9AS2.18.0
I. Arbeitsgericht Regensburg
Beschluss vom 5. April 2018
- 7 Ca 582/18 -
Entscheidungsstichworte:
Rechtswegbestimmung - Mindestanforderungen an eine ordnungsgemä-
ße Begründung des Verweisungsbeschlusses - Durchbrechung der ge-
setzlichen Bindungswirkung
ECLI:DE:BAG:2018:140518.B.9AS2.18.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
9 AS 2/18
7 Ca 582/18
Arbeitsgericht
Regensburg
BESCHLUSS
In Sachen
Klägerin,
pp.
Beklagte,
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 14. Mai 2018 beschlossen:
Das Sozialgericht Regensburg ist zuständig.
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9 AS 2/18
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Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin
für einen bereits verstrichenen Zeitraum von der Sozialversicherung abzumel-
den, sowie über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der von der Beklagten als
Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung abgeführten Leistungen.
Die Klägerin war bei der Beklagten in den Monaten Dezember 2016 bis
Februar 2017 beschäftigt. Die Beklagte zahlte an sie für die Monate Dezember
2016 und Januar 2017 jeweils eine Vergütung von knapp unter 900,00 Euro
brutto. Dabei nahm sie das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Be-
schäftigungsverhältnisses an und führte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversi-
cherung ab.
Mit ihrer am 28. August 2017 beim Sozialgericht Regensburg erhobe-
nen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis habe insge-
samt nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen, sodass sie einen An-
spruch auf vollständige Auszahlung ihrer Vergütung habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Anzeige zur Sozialversi-
cherungspflicht gegenüber der Einzugsstelle zurückzuzie-
hen und ihren Lohn in voller Höhe an sie auszuzahlen.
Nach Anhörung der Parteien hat das Sozialgericht Regensburg mit Be-
schluss vom 25. Januar 2018
den Rechtsweg zu den Sozi-
algerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht
Regensburg verwiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
Das Arbeitsgericht Regensburg hat nach Anhörung der Parteien durch
Beschluss vom 5. April 2018 eine Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und
diesen dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts
vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluss sei
objektiv willkürlich und daher nicht bindend.
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II.
Das Bundesarbeitsgericht hat im Streitfall das zuständige Gericht zu
bestimmen.
1.
Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräfti-
ge Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen
worden ist, grundsätzlich bindend. In entsprechender Anwendung von § 36
Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen,
wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssi-
cherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu
Zweifeln über die Bindungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbe-
schlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die
Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme
rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß
betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig
für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bun-
des, der zuerst angegangen wird
.
2.
Mit Beschluss vom 25. Januar 2018 hat das Sozialgericht Regensburg
den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechts-
streit an das Arbeitsgericht Regensburg verwiesen. Dieses hat die Übernahme
des Rechtsstreits mit Beschluss vom 5. April 2018 abgelehnt und den Rechts-
streit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor-
gelegt.
III.
Zuständiges Gericht ist das Sozialgericht Regensburg. Die Verweisung
des Rechtsstreits durch das Sozialgericht an das Arbeitsgericht Regensburg ist
für dieses nicht bindend
. Der Verweisungsbeschluss ist wegen
einer krassen Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar. Die Verweisung des
Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Regensburg führte zu einer nicht mehr hin-
nehmbaren Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dem zufolge niemand
seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.
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1.
Das Sozialgericht Regensburg hat zwingendes Verfahrensrecht ver-
letzt, weil es den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG
nicht mit einer Begründung versehen hat. Die Gründe des Beschlusses be-
schränken sich auf den pauschalen Hinweis, es handele sich um die Klage ei-
ner Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis.
Damit erfüllt das Sozialgericht Regensburg nicht im Ansatz die Mindestanforde-
rungen an eine ordnungsgemäße Begründung. Hierzu muss mindestens
die herangezogene Rechtsnorm bezeichnet und angegeben werden, aus
welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der
genannten Norm vorliegt bzw. nicht vorliegt
. Auch
wenn die fehlende Begründung des Beschlusses nicht zur Nichtigkeit dieser
Entscheidung führt, liegt doch bereits in dieser groben Missachtung der nicht
zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Begründungspflicht nach
§ 17a Abs. 4 Satz 2 GVG regelmäßig eine krasse Rechtsverletzung, welche die
Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise rechtfertigt.
Die Beschlussgründe geben Aufschluss über die tatsächlichen und rechtlichen
Erwägungen, auf denen der Verweisungsbeschluss beruht. Sie sind damit not-
wendiger Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob sich das verwei-
sende Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten
lassen. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn dem Ak-
teninhalt mit ausreichender Sicherheit und für die Beteiligten erkennbar ent-
nommen werden kann, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägun-
gen beruht
.
2.
Danach ist der Verweisungsbeschluss des Sozialgerichts Regensburg
offensichtlich unhaltbar. Aus der Angabe, bei der Klage handele es sich um ei-
ne solche einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Ar-
beitsverhältnis, erschließt sich die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerich-
ten für Arbeitssachen nicht einmal im Ansatz. Auch aus dem Akteninhalt erge-
ben sich keine hinreichenden Erkenntnisse darüber, dass die Verweisung nicht
auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Akteninhalt gibt keinerlei Aufschluss
darüber, ob das Sozialgericht Regensburg überhaupt erwogen hat, ob zwischen
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den Parteien eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG
besteht oder es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 51 Abs. 1
SGG handelt, und welche sachlichen und rechtlichen Beweggründe das Sozial-
gericht zu seiner Beschlussfassung veranlasst haben.
IV.
Das für die weitere Sachbehandlung zuständige Gericht ist das Sozial-
gericht Regensburg. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus § 51 SGG. Zwischen
den Parteien besteht keine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3
ArbGG.
1.
Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeits-
sachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen
Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Ob es sich um
eine bürgerlich-rechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, be-
stimmt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klagean-
spruch hergeleitet wird
. Maß-
geblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus
ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder
des öffentlichen Rechts geprägt wird
.
2.
Mit ihrer Klage möchte die Klägerin in erster Linie die Berechtigung des
Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen überprüfen lassen. Dies ergibt sich
eindeutig aus der Begründung ihrer Klage vom 28. August 2017 und ihrem
ergänzenden Schriftsatz vom 19. September 2017. Darin reklamiert sie die
Sozialversicherungsfreiheit für ihr Arbeitsverhältnis und moniert die Abführung
von Sozialversicherungsbeiträgen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien der
Sozialversicherungspflicht unterlag, kann allein unter Heranziehung öffentlich-
rechtlicher Vorschriften beantwortet werden. Während die Beschäftigung iSv.
§ 7 SGB IV regelmäßig zur Versicherungspflicht in der Sozialversicherung führt,
sind Personen, die einer nur geringfügigen Beschäftigung iSv. § 8 Abs. 1
SGB IV nachgehen, in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversi-
cherung gewöhnlich versicherungsfrei
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. Diese öffentlich-rechtlichen Bestimmungen geben
dem Streit über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin das Gepräge. Die
Gerichte für Arbeitssachen sind indes nicht befugt, die Berechtigung der Abzü-
ge für Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen
. Legt der Arbeitgeber nachvoll-
ziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge einbe-
halten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung
unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge nicht erfolgreich mit einer
Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die sozialrechtlichen
Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der
für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar
gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die
Erfüllungswirkung ein
. Vorliegend steht
zwischen den Parteien gerade nicht im Streit, ob die Beklagte Sozialversiche-
rungsbeiträge abgeführt hat, sondern die allein nach öffentlich-rechtlichen Vor-
schriften zu beurteilende Frage, ob sie hierzu verpflichtet war.
3.
Auch das (Nicht-)Bestehen einer Meldepflicht zur Sozialversicherung
ergibt sich aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts. Der Arbeitgeber hat
nach § 28a SGB IV iVm. der gemäß § 28c SGB IV erlassenen Datenerfas-
sungs- und -übermittlungsverordnung (DEÜV) für jeden kraft Gesetzes in der
Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung oder nach dem Recht der Arbeits-
förderung versicherten Beschäftigten
der Einzugsstelle Meldung zu erstatten. Er hat
der Einzugsstelle ua. Beginn und Ende der versicherungspflichtigen Beschäfti-
gung
sowie die Unterbrechung der
Entgeltzahlung
mitzuteilen. Der Inhalt der
Meldungen bestimmt sich im Wesentlichen nach § 28a Abs. 3 SGB IV. Die
DEÜV regelt maßgeblich das formelle Meldeverfahren, wie Fristen, Änderung,
Berichtigung und Stornierung der Meldung und konkretisiert den Inhalt der Mel-
dungen. Die Versicherungsträger können die Meldepflichten, soweit diese priva-
ten Personen oder Institutionen obliegen und im Streit stehen, durch Verwal-
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tungsakt feststellen und nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bun-
des oder des jeweiligen Landes vollstrecken
. Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Ver-
pflichtung der Beklagten steht nicht entgegen, dass die sozialversicherungs-
rechtlichen Vorschriften eine auf § 242 BGB beruhende Nebenpflicht des Ar-
beitgebers begründen können
.
Brühler
Weber
Zimmermann