Urteil des BAG vom 25.06.2020

Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung - Vorstellungsgespräch

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 25. Juni 2020
Achter Senat
- 8 AZR 75/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:250620.U.8AZR75.19.0
I. Arbeitsgericht Berlin
Urteil vom 3. November 2017
- 16 Ca 10367/16 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Urteil vom 1. November 2018
- 21 Sa 1643/17 -
Entscheidungsstichworte:
Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung - Vorstellungsgespräch
Leitsätze:
1. Der öffentliche Arbeitgeber ist nach § 82 Satz 2 SGB IX in der bis zum
29. Dezember 2016 geltenden Fassung auch bei einer internen Stellenbe-
setzung verpflichtet, eine/n schwerbehinderte/n interne/n Bewerber/in,
dem/der die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt, zu einem Vorstel-
lungsgespräch einzuladen.
2. Sind etwa zeitgleich mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil
zu besetzen und führt dieselbe für die Durchführung des Auswahlverfah-
rens zuständige Dienststelle des öffentlichen Arbeitgebers für die Stellen
ein identisch ausgestaltetes Auswahlverfahren nach identischen Kriterien
durch, reicht es aus, den/die schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem
Vorstellungsgespräch für eine der zu besetzenden Stellen einzuladen, auf
die diese/r sich beworben hat.
ECLI:DE:BAG:2020:250620.U.8AZR75.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
8 AZR 75/19
21 Sa 1643/17
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
25. Juni 2020
URTEIL
Wirth, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Berufungsbeklagte, Revisionsklägerin und
Anschlussrevisionsbeklagte,
pp.
Kläger, Berufungskläger, Revisionsbeklagter und
Anschlussrevisionskläger,
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 25. Juni 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundes-
arbeitsgericht Prof. Dr. Schlewing, die Richterin am Bundesarbeitsgericht
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8 AZR 75/19
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Dr. Winter, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Vogelsang sowie die ehren-
amtlichen Richter Lüken und Wroblewski für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. No-
vember 2018 - 21 Sa 1643/17 - im Kostenpunkt vollständig
und im Übrigen insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur
Zahlung einer Entschädigung an den Kläger iHv.
5.200,00 Euro verurteilt wurde. Die Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Novem-
ber 2017 - 16 Ca 10367/16 - wird auch insoweit zurückge-
wiesen.
Die Anschlussrevision des Klägers gegen das Urteil
des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 1. No-
vember 2018 - 21 Sa 1643/17 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungs- und des
Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an den Klä-
ger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benach-
teiligung wegen der (Schwer)Behinderung zu zahlen, sowie darüber, ob die Be-
klagte dem Kläger als Schadensersatz die Zahlung einer höheren Vergütung
schuldet.
Der seit Juni 2013 als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist
seit dem 14. Mai 1991 bei der Beklagten beschäftigt. Er
ist Mitglied des Perso-
nalrats der Agentur für Arbeit Berlin N. Aufgrund seiner Tätigkeit als Personalrat
war er in der Zeit von September 1992 bis September 1993 vollumfänglich und
in der Zeit vom 29. Dezember 1998 bis zum 15. August 1999 zu 50 % von seiner
dienstlichen Tätigkeit freigestellt. Seit dem 16. August 1999 war er wiederum voll-
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ständig von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt, zunächst wegen seines Per-
sonalratsamts und seit Mai 2013 wegen seiner Tätigkeit als Schwerbehinderten-
vertreter. Nach seiner Wiederwahl zur Vertrauensperson der schwerbehinderten
Beschäftigten der Agentur für Arbeit Berlin N am 19. November 2014 war er bis
zum Ablauf der Amtszeit Ende 2018 von seiner dienstlichen Tätigkeit freigestellt,
und zwar im Zeitraum vom 6. Juni 2016 bis zum 14. November 2017 zu 40 %, im
Übrigen zu 100 %.
Vor seiner vollumfänglichen Freistellung ab dem 16. August 1999 war
der Kläger als Arbeitsvermittler tätig und als solcher zunächst in die Vergütungs-
gruppe Vb sowie zuletzt in die Vergütungsgruppe IVb des damals für die Be-
klagte geltenden Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche
Vorschriften - (im Folgenden MTA-O) eingruppiert. Nachdem er an einer Qualifi-
zierung zum Arbeitsberater teilgenommen und eine (fiktive) Erprobungszeit als
Arbeitsvermittler und zugleich Arbeitsberater durchlaufen hatte, übertrug ihm die
Beklagte zum 1. Februar 2004 (fiktiv) die Aufgaben eines Beraters für Rehabili-
tanden und Schwerbehinderte. Seitdem erhielt der Kläger eine Vergütung nach
der Vergütungsgruppe IVa MTA-O. Zum 1. Januar 2005 wurde er (fiktiv) zum
Teamleiter im Bereich SGB II befördert und der Tätigkeitsebene III, Entwick-
lungsstufe 6 des Tarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der
Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden TV-BA) zugeordnet. Zum 1. Januar
2010 übertrug die Beklagte ihm (fiktiv) die Aufgaben eines Teamleiters Arbeitge-
berservice (SGB III).
Die letzte Beurteilung des Klägers als Arbeitsvermittler erfolgte am
26. Juli 2001. Hierbei erhielt e
r die Gesamtnote „C“: „Entspricht den Anforderun-
gen in jeder Hinsicht“. Am 8. August 2007 erstellte die Beklagte für den Kläger
eine fiktive Laufbahnnachzeichnung anhand derjenigen Beschäftigten, die - wie
der Kläger - am 16. August 1999 in der Agentur für Arbeit als Arbeitsvermittler
eingesetzt und noch immer bei der Beklagten beschäftigt waren. Dabei stellte die
Beklagte fest, dass von 78 Vergleichspersonen acht - ebenso wie der Kläger - die
Tätigkeitsebene III erreicht hatten und bei der Stichtagsbeurteilung 2006 mit der
Gesamtnote „C“ beurteilt worden waren. Daraus schloss die Beklagte, dass der
Kläger wahrscheinlich ebenfalls mit der Gesamtnote „C“ beurteilt worden wäre.
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Am 4. Januar 2010 schrieb die Beklagte die fiktive Laufbahnnachzeichnung fort
und stellte dabei letztlich fest, dass 2009 keine der Vergleichspersonen die Tä-
tigkeitsebene II TV-BA erreicht hatte und 66,67 %
die Gesamtnote „C“ erzielt hat-
ten. Daraus folgerte die Beklagte, dass der Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit
ebenfalls mit der Gesamtnote „C“ beurteilt worden wäre.
Am 14. und am 28. März 2016 schrieb die Beklagte in ihrem internen
Stellenanzeiger jeweils eine nach der Tätigkeitsebene II TV-BA bewertete Stelle
als Personalberaterin/Personalberater im „Internen Service“ in der Agentur für
Arbeit Cottbus und in der Agentur für Arbeit Berlin M aus.
Der Kläger bewarb sich mit E-Mails vom 31. März und 14. April 2016 bei
der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklagten auf beide Stellen.
Am 21. April 2016 teilte der Leiter des Personalbereichs der Regionaldi-
rektion Berlin-Brandenburg der Beklagten dem Kläger mit, dass das Stellenbe-
setzungsverfahren für die Stelle in Berlin M zuerst durchgeführt werde und dass
die Ergebnisse dieses Auswahlgesprächs in das Stellenbesetzungsverfahren für
die Stelle in Cottbus einfließen würden.
Am 13. Mai 2016 fanden mit dem Kläger und der Mitbewerberin W für die
in der Agentur für Arbeit in Berlin M zu besetzende Stelle Auswahlgespräche in
Form eines strukturierten Interviews statt. Die Auswahlkommission setzte sich
hierbei aus dem Geschäftsführer der Beklagten Interner Service Berlin L, dem
Bereichsleiter Interner Service Berlin St und der Expertin Personalentwicklung
der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg (Personalverantwortliche) V zusam-
men. Außerdem nahmen die Bezirksgleichstellungsbeauftragte Z und die Vertre-
terin der Bezirksschwerbehindertenvertretung S an dem Gespräch teil. Bewertet
wurden aufgrund dieses Auswahlgesprächs die Motivation und die Fachkennt-
nisse, die Fach- und Methodenkompetenz, die sozial-kommunikative Kompe-
tenz, die Aktivitäts- und Umsetzungskompetenz sowie die personale Kompetenz
der Bewerber
. Die Antworten des Klägers wurden im Gesamtergebnis mit „B“
(bedingt geeignet) und in den Einzelergebnissen teilweise mit „B“, teilweise mit
„C“ (nicht geeignet) bewertet. Die Mitbewerberin W wurde hingegen sowohl im
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Gesamtergebnis als auch in den Einzelergebnissen jeweils mit „A“ (geeignet) be-
wertet.
Für die in der Agentur für Arbeit in Cottbus zu besetzende Stelle fand am
20. Juni 2016 ein Auswahlgespräch mit der Mitbewerberin B, ebenfalls in Form
eines strukturierten Interviews nach identischen Prüfungskriterien statt. Die Aus-
wahlkommission setzte sich bei diesem Gespräch aus dem Geschäftsführer der
Beklagten Interner Service Cottbus D und der Expertin Personalentwicklung der
Regionaldirektion Berlin-Brandenburg (Personalverantwortliche) V zusammen.
Außerdem nahmen erneut die Bezirksgleichstellungsbeauftragte Z und die Ver-
treterin der Bezirksschwerbehindertenvertretung S an dem Gespräch teil. Die
Auswahlkommission bewertete sowohl das Gesamtergebnis als auch die Einzel-
ergebnisse der Mitbewerberin B mit „A“. Zu einem gesonderten Auswahlge-
spräch für die Stelle in Cottbus war der Kläger nicht eingeladen worden.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2016 erteilte die Regionaldirektion Berlin-
Brandenburg der Beklagten dem Kläger die Stelle in Berlin M betreffend und mit
Schreiben vom 15. Juli 2016 die Stelle in Cottbus betreffend eine Absage. Die
Stelle in Berlin M wurde zum 1. August 2016 mit der Mitbewerberin W und die
Stelle in Cottbus zum 22. August 2016 mit der Mitbewerberin B besetzt.
Der Kläger machte mit Schreiben vom 16. September 2016 gegenüber
der Beklagten wegen einer unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch
für die bei der Agentur für Arbeit in Cottbus zu besetzende Stelle einen Anspruch
auf eine Entschädigung sowie auf Schadensersatz nach dem Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz (im Folgenden AGG) geltend. Die Beklagte lehnte die
Forderung mit Schreiben vom 28. September 2016 ab.
Mit seiner Klage hatte sich der Kläger zunächst gegen seine Nichteinbe-
ziehung in das Auswahlverfahren für die in Cottbus zu besetzende Stelle ge-
wandt. Mit seiner Klageerweiterung hat er ua. die Feststellung begehrt, dass die
Beklagte verpflichtet ist, ihm seit dem 22. August 2016 eine Vergütung nach der
Tätigkeitsebene II Stufe 6 TV-BA zu zahlen. Zudem hat er die Beklagte auf Zah-
lung einer angemessenen, in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädi-
gung nach § 15 Abs. 2 AGG in Anspruch genommen.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe nach § 280 Abs. 1 BGB
bzw. § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 8 BPersVG, § 96 Abs. 2 SGB IX in der bis zum
31. Dezember 2017 geltenden Fassung (im Folgenden § 96 SGB IX aF) einen
Anspruch auf Vergütung nach der Tätigkeitsebene II, weil er als freigestellter Per-
sonalrat und Schwerbehindertenvertreter in seiner beruflichen Entwicklung be-
hindert worden sei. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hätte die Auswahl anhand einer ak-
tuellen (fiktiv nachgezeichneten) Beurteilung erfolgen müssen und nicht nach
dem strukturierten Interview, welches ihn durch die konkrete Ausgestaltung der
Fragen wegen seiner Freistellung benachteiligt habe. Zudem habe die Beklagte
gegen das in Art. 33 Abs. 2 GG niedergelegte Prinzip der Bestenauslese versto-
ßen. Schon wegen seiner Erfahrungen im Personalwesen aufgrund der langjäh-
rigen Tätigkeit im Rahmen der Personalrats- und Schwerbehindertenvertretungs-
arbeit sei er der beste Bewerber gewesen, ohne dass es auf die Ergebnisse der
Auswahlgespräche angekommen wäre. Letztlich könne er seinen Anspruch auf
Zahlung einer höheren Vergütung auch auf § 15 Abs. 1 AGG stützen. Die Be-
klagte habe ihn bei der Entscheidung über die Besetzung der Stelle in Cottbus
wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt. Sie hätte ihn nach § 82 Satz 2
SGB IX in der bis zum 29. Dezember 2016 geltenden Fassung (im Folgenden
§ 82 SGB IX aF) auch für die in Cottbus zu besetzende Stelle zu einem Vorstel-
lungsgespräch einladen müssen, um die dortige Auswahlkommission in die Lage
zu versetzen, sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Wegen dieser Be-
nachteiligung stehe ihm überdies ein Anspruch auf eine Entschädigung nach
§ 15 Abs. 2 AGG zu.
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - zu-
letzt beantragt:
1.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem
Kläger seit dem 22. August 2016 eine Vergütung nach
der Tätigkeitsebene II Stufe 6 TV-BA zu zahlen und
die Differenz zwischen der Vergütung nach der Tätig-
keitsebene III Stufe 6 TV-BA und der Vergütung nach
der Tätigkeitsebene II Stufe 6 TV-BA jeweils einen
Tag nach Fälligkeit iHv. fünf Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine ange-
messene Entschädigung zu zahlen, deren Höhe in
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das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch
15.633,51 Euro nicht unterschreiten sollte.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung ver-
treten, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Vergütung nach der Tätigkeits-
ebene II. Er sei durch die Fragen im Auswahlgespräch nicht benachteiligt wor-
den. Mit der Mitbewerberin B sei ein identisches Interview wie mit ihm geführt
worden. Der Kläger sei auch nicht der am besten geeignete Bewerber gewesen.
Etwaige Ansprüche nach dem AGG stünden dem Kläger nicht zu; er sei nicht
wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt worden. Der Umstand, dass er
nicht zu einem Vorstellungsgespräch für die in Cottbus zu besetzende Stelle ein-
geladen worden sei, stelle kein Indiz iSv. § 22 AGG für eine Benachteiligung we-
gen der (Schwer)Behinderung dar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abge-
ändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung iHv.
5.200,00 Euro zu zahlen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren
nach vollständiger Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen und verfolgt mit der Anschlussrevision seinen Klageantrag zu 1.
sowie sein Begehren nach Zahlung einer höheren als der vom Landesarbeitsge-
richt zugesprochenen Entschädigung weiter. Die Beklagte beantragt die Zurück-
weisung der Anschlussrevision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat gegen die Be-
klagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Die Beklagte hat den Kläger nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung benach-
teiligt. Die Anschlussrevision des Klägers ist teilweise, dh. soweit der Kläger sei-
nen mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer
höheren Vergütung auf einen Verstoß der Beklagten gegen den Grundsatz der
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Bestenauslese
sowie darauf stützt, er sei als freigestellter
Personalrat und Schwerbehindertenvertreter entgegen den Vorgaben in § 8
BPersVG und § 96 Abs. 2 SGB IX aF in seiner beruflichen Entwicklung benach-
teiligt worden, unzulässig. Im Übrigen, dh. soweit der Kläger seinen Anspruch auf
Zahlung einer höheren Vergütung auf § 15 Abs. 1 AGG stützt und darüber hinaus
die Zahlung einer höheren als der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen
Entschädigung begehrt, ist die Anschlussrevision zwar zulässig, aber unbegrün-
det, da die Beklagte den Kläger nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung be-
nachteiligt hat.
A.
Die Revision der Beklagten, mit der diese sich gegen ihre Verurteilung
zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wendet, ist begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus § 15 Abs. 2 AGG auf
Zahlung einer Entschädigung.
I.
Der Anspruch auf Entschädigung nachsetzt einen Ver-
stoß gegen das geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wo-
besowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen
verbietet. Das Benachteiligungsverbot in
untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung
wegen eines genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zu-
dem dürfen Arbeitgeber nachin der bis zum 31. De-
zember 2017 geltenden Fassung (im Folgenden § 81 SGB IX aF) schwerbehin-
derte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen
gelten hierzu nachaF die Regelungen des AGG.
II.
Die Beklagte hat den Kläger - entgegen der Annahme des Landesar-
beitsgerichts - bei der Besetzung der Stelle in Cottbus nicht wegen seiner
(Schwer)Behinderung benachteiligt.
1.
Zwar wurde der Kläger dadurch, dass er von der Beklagten im Auswahl-
bzw. Stellenbesetzungsverfahren für diese Stelle nicht berücksichtigt wurde, un-
mittelbar iSvbenachteiligt. Dies folgt bereits daraus, dass er
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eine ungünstigere Behandlung erfahren hat als seine Mitbewerberin, mit der die
Beklagte die Stelle in Cottbus besetzt hat.
2.
Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung jedoch nicht wegen sei-
ner (Schwer)Behinderung erfahren. Er hat die Kausalität zwischen der Benach-
teiligung und seiner (Schwer)Behinderung nicht dargetan. Entgegen der An-
nahme des Landesarbeitsgerichts stellt die Nichteinladung des Klägers zu einem
Vorstellungsgespräch für die in Cottbus zu besetzende Stelle kein Indiz iSv. § 22
AGG dar, das die Vermutung begründet, dass zwischen der benachteiligenden
Behandlung und einem Grund iSvhier der (Schwer)Behinderung, der
nacherforderliche Kausalzusammenhang besteht. Die Beklagte
war nach § 82 Satz 2 SGB IX aF nicht verpflichtet, den Kläger auch zu einem
Vorstellungsgespräch für die dort zu besetzende Stelle einzuladen.
a)
Das Benachteiligungsverbot deerfasst nicht jede Un-
gleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in
genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in
genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen.
aa)
Soweit es - wie hier - um eine unmittelbare Benachteiligung iSv.
geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv.
das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Han-
deln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits
dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSvan einen Grund
iSvanknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursäch-
lichkeit genügt
.
bb)
sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick
auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Ab-
senkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streit-
fall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in
genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast
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dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteili-
gung vorgelegen hat
.
(1)
Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleich-
behandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann,
wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf
schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines genannten
Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamt-
würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen
.
(2)
Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vor-
getragenen und unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen eine Benachteiligung
wegen der Behinderung vermuten lassen, ist nur eigeschränkt revisibel. Die re-
visionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Würdigung der Tat-
sachengerichte möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechts-
sätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt
.
b)
Danach hat der Kläger die Kausalität zwischen der Benachteiligung und
seiner (Schwer)Behinderung nicht dargetan. Der Umstand, dass die Beklagte ihn
nicht zu einem Vorstellungsgespräch für die in Cottbus zu besetzende Stelle ein-
geladen hat, begründet nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der Kläger im
Auswahl- bzw. Stellenbesetzungsverfahren wegen seiner (Schwer)Behinderung
nicht berücksichtigt wurde. Die Beklagte war ihrer Verpflichtung nach § 82 Satz 2
SGB IX aF, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, mit der Ein-
ladung zu einem Vorstellungsgespräch für die in Berlin M zu besetzende Stelle
nachgekommen. Sie musste den Kläger nicht zusätzlich zu einem Vorstellungs-
gespräch für die in Cottbus zu besetzende Stelle einladen.
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aa)
Nach § 82 Satz 1 SGB IX aF melden die Dienststellen der öffentlichen
Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu beset-
zende sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte Menschen sich um
einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für
Arbeit oder von einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorge-
schlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, § 82
Satz 2 SGB IX aF. Nach § 82 Satz 3 SGB IX aF ist eine Einladung entbehrlich,
wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.
bb)
Allerdings begründet die Verletzung der inaF gere-
gelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, eine/n schwerbehinderte/n
Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermu-
tung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverlet-
zung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein
.
cc)
Zudem gilt die Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers nach
aF, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsge-
spräch einzuladen, auch bei internen Stellenbesetzungen, also auch dann, wenn
es sich um eine/n interne/n schwerbehinderte/n Bewerber/in handelt
. Dies ergibt eine Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF unter Berück-
sichtigung des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs, der Entste-
hungsgeschichte sowie von Sinn und Zweck der Bestimmung.
(1)
Der Wortlaut von § 82 Satz 2 SGB IX aF ist - auch unter Berücksichti-
gung der inneren Systematik des § 82 SGB IX aF - insoweit nicht eindeutig. Zwar
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knüpft § 82 Satz 2 SGB IX aF mit der
Formulierung „um einen solchen Arbeits-
platz beworben“ an die in § 82 Satz 1 SGB IX aF getroffene Regelung an, wo-
nach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit früh-
zeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden.
Das Wort „solchen“ in § 82 Satz 2 SGB IX aF muss sich allerdings nicht zwangs-
läufig nur auf Arbeitsplätze beziehen, die der Agentur für Arbeit gemeldet werden
und damit (auch) zur externen Besetzung anstehen, sondern kann sich ebenso
gut ausschließlich auf die in § 82 Satz 1 SGB IX aF genannten frei werdenden,
neu zu besetzenden sowie die neu eingerichteten Arbeitsplätze beziehen
. Der Umstand, dass schwerbehinderte
Bewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX aF auch dann zu einem Vorstellungsge-
spräch einzuladen sind, wenn sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem
von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen wurden, ändert
daran nichts.
(2)
Nach der Entstehungsgeschichte des § 82 SGB IX aF könnte bereits ei-
niges dafür sprechen, dass der öffentliche Arbeitgeber auch bei interner Stellen-
besetzung schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch
einzuladen hat, sofern diesen die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt.
(a)
Die Verpflichtung des Arbeitgebers, den schwerbehinderten Bewerber zu
einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wurde zum 1. Oktober 2000 als weitere
Pflicht für Bundesbehörden
eingeführt. In der
Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass die öffentlichen Arbeitgeber des Bun-
des in Erweiterung der allgemeinen Arbeitgeberpflichten in und
den Arbeitsämtern frühzeitig frei werdende oder neue Arbeitsplätze zu
melden hätten; darüber hinaus seien die schwerbehinderten Bewerber zu einem
Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie nicht offensichtlich für die zu beset-
zende Stelle fachlich ungeeignet seien
. Danach könnte
einiges dafür sprechen, dass der Gesetzgeber mit der Verpflichtung zur Einla-
dung zum Vorstellungsgespräch eine weitere besondere Arbeitgeberpflicht
schaffen wollte, die unabhängig davon bestehen sollte, ob die Stellen intern oder
extern besetzt werden sollten.
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(b)
Bei der Schaffung des SGB IX
hat der Ge-
setzgeber die zuvor enthaltene Pflicht der öffentlichen Arbeit-
geber des Bundes, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch
einzuladen, - nunmehr auf alle öffentlichen Arbeitgeber erweitert -
2001 normiert. In der Gesetzesbegründung wird insoweit lediglich darauf
hingewiesen, dass mit der in § 82 SGB IX 2001 getroffenen Regelung auch die
öffentlichen Arbeitgeber nach § 71 Abs. 3 Nr. 2 bis Nr. 4 SGB IX aF in die Ver-
pflichtung einbezogen würden, frei werdende und neu zu besetzende sowie neue
Arbeitsplätze den Arbeitsämtern frühzeitig zu melden.
(c)
Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 82 Satz 1 SGB IX in der
ab dem 30.
Dezember 2016 geltenden Fassung den Passus „nach einer erfolg-
losen Prüfung zur
internen Besetzung des Arbeitsplatzes“ eingefügt und diese
Bestimmung mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG)
2016 ohne jede Änderung
in § 165 Satz 1 SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung über-
nommen hat, ergibt sich für § 82 Satz 2 SGB IX aF schon deshalb nichts ande-
res, da dieser Passus nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb erforderlich war,
weil für öffentliche Arbeitgeber die Meldung frei werdender und neu zu besetzen-
der Stellen aufgrund haushaltsrechtlicher Vorschriften problematisch sein könne
und zunächst zu prüfen sei, ob offene Stellen mit vorhandenem Personal besetzt
werden könnten
. Diese gesetzgeberischen Erwägun-
gen betreffen indes ausschließlich die Meldepflicht des Arbeitgebers. Eine Klar-
stellung, ob die Pflicht zur Einladung schwerbehinderter Menschen zu einem Vor-
stellungsgespräch - ggf. schon immer - nur gegenüber externen oder auch ge-
genüber internen Bewerbern/innen bestand, war damit nicht verbunden.
(3)
Dass der öffentliche Arbeitgeber nach § 82 Satz 2 SGB IX aF verpflichtet
ist, auch - nicht offensichtlich fachlich ungeeignete - interne schwerbehinderte
Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, folgt aus einer am
Sinn und Zweck orientierten Auslegung der Norm im Lichte der in Art. 5 der Richt-
linie 2000/78/EG sowie in Art. 5 Abs. 3,
Art.  27 Abs.  1 und Art. 2 Unterabs. 3
UN-BRK getroffenen Bestimmungen.
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(a)
Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollen schwerbehinderte Be-
werber/innen durch das in § 82 Satz 2 SGB IX aF genannte Vorstellungsge-
spräch die Möglichkeit erhalten, ihre Chancen im Auswahlverfahren zu verbes-
sern. Sie sollen die Chance haben, den Arbeitgeber von ihrer Eignung (im wei-
testen Sinne) zu überzeugen. Über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hin-
aus soll sich der Arbeitgeber ein Bild von der Persönlichkeit des Bewerbers, sei-
nem Auftreten, seiner Leistungsfähigkeit und seiner Eignung machen. Weiter
stellt das Vorstellungsgespräch auch ein geeignetes Mittel dar, um eventuelle
Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen
.
Bereits dieser Gesetzeszweck gebietet eine weite Auslegung von § 82
Satz 2 SGB IX aF dahin, dass eine Verpflichtung zur Einladung schwerbehinder-
ter Menschen nicht nur dann besteht, wenn diese sich als externe Bewerber um
eine
„Einstellung“ bewerben, sondern auch dann, wenn sie sich als interne Be-
werber auf eine andere Stelle bei ihrem Arbeitgeber bewerben, wobei damit häu-
fig ein „beruflicher Aufstieg“ verbunden ist. Vorbehalte oder gar Vorurteile der
personalverantwortlichen Personen können nicht nur gegenüber externen Be-
werbern, sondern auch gegenüber bereits beschäftigten schwerbehinderten
Menschen bestehen
. Zudem ist nicht
auszuschließen, dass sich bestehende Behinderungen bei Ausübung der ange-
strebten Tätigkeit anders auswirken als bei Ausübung der bisherigen Tätigkeit
und dass diesem Umstand in Beurteilungen, die der/die schwerbehinderte Be-
schäftigte auf dem bisherigen Arbeitsplatz erhalten hat, nicht hinreichend Rech-
nung getragen wurde. Im Übrigen kann - auch wenn der öffentliche Arbeitgeber
die bei ihm beschäftigten schwerbehinderten Bewerber/innen kennt - nicht gene-
rell unterstellt werden, dass den Personalverantwortlichen der jeweils zuständi-
gen Dienststelle, die über die Stellenbesetzung zu entscheiden haben, auch das
tatsächliche Leistungsprofil des/r schwerbehinderten Bewerbers/in im Hinblick
auf die zu besetzende Stelle bekannt ist. Letztlich ist von Bedeutung, dass der
öffentliche Arbeitgeber einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen
die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann gewähren muss, wenn des-
sen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen
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ist und dass der schwerbehinderte Mensch im Bewerbungsverfahren nach § 82
Satz 2 SGB IX aF mithin insoweit bessergestellt wird als nicht schwerbehinderte
Konkurrenten
. Hierdurch erhält
der schwerbehinderte Mensch die Möglichkeit, einen nach den bisherigen Um-
ständen ggf. bestehenden Vorsprung anderer Bewerber, den diese insbesondere
aufgrund ihrer Zeugnisse und ggf. ihrer dienstlichen Beurteilungen haben, durch
einen persönlichen Eindruck auszugleichen. Dafür, dass ein/e schwerbehin-
derte/r Bewerber/in diesen Chancenvorteil bei einer internen Stellenbesetzung
nicht haben soll, ist nichts ersichtlich.
(b)
Eine weite Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF dahin, dass der öffent-
liche Arbeitgeber nicht nur zur Einladung externer, sondern auch zur Einladung
interner schwerbehinderter Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch ver-
pflichtet ist, ist auch mit Blick auf die in Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie in
Art. 5 Abs. 3,
Art.  27 Abs.  1 und Art. 2 Unterabs. 3 UN-BRK getroffenen Bestim-
mungen geboten.
(aa)
Nach Art. 5 Satz 1 derhaben die Mitgliedstaaten
angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehand-
lungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, was nach
Art. 5 Satz 2 debedeutet, dass der Arbeitgeber die geeig-
neten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um
Menschen mit Behinderung ua. nicht nur den Zugang zur Beschäftigung, sondern
auch den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen
würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten
-
.
(bb)
Art. 5 Abs. 3 UN-BRK bestimmt, dass die Vertragsstaaten zur Förderung
der Gleichberechtigung und zur Beseitigung von Diskriminierungen alle geeigne-
ten Schritte unternehmen, um die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen zu
gewährleisten. Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a UN-BRK sichern und fördern
die Vertragsstaaten die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit durch geeignete
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Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um ua. „Diskriminie-
rung aufgrund von Behinderung in allen Angelegenheiten im Zusammenhang mit
einer Beschäftigung gleich welcher Art, einschließlich der Auswahl-, Einstellungs-
und Beschäftigungsbedingungen, der Weiterbeschäftigung, des beruflichen Auf-
stiegs sowie sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen,
zu verbieten“. Zudem
bestimmt Art. 2 Unterabs. 3 UN-
BRK, dass von der „Diskriminierung aufgrund
von Behinderung“ alle Formen der Diskriminierung erfasst sind, einschließlich der
Versagung angemessener Vorkehrungen. Die Bestimmungen der UN-BRK sind
Bestandteil der Unionsrechtsordnung
und damit zu-
gleich Bestandteil des - unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen
Rechts
. Der Umstand,
dass die UN-BRK seit ihrem Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unions-
rechtsordnung ist, führt darüber hinaus dazu, dass auch die
ihrerseits nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesem
Übereinkommen auszulegen ist
.
(cc)
Da sowohl Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG als auch Art. 5 Abs. 3 und
Art.  27 Abs.  1 UN-BRK die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen fordern,
um Menschen mit Behinderung nicht nur den Zugang zur Beschäftigung, sondern
auch den beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und es bei Bewerbungen interner
Bewerber/innen auf einen anderen Arbeitsplatz bei ihrem Arbeitgeber häufig um
den beruflichen Aufstieg geht, ist § 82 Satz 2 SGB IX aF iSv. Art. 5 der
Richtlinie 2000/78/EG sowie von Art. 5 Abs.
3 und Art.  27 Abs.  1 UN-BRK dahin
auszulegen, dass er den öffentlichen Arbeitgeber zur Einladung eines schwerbe-
hinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch unabhängig davon ver-
pflichtet, ob es sich um eine/n externe/n oder interne/n Bewerber/in handelt.
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dd)
Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts war die Beklagte ih-
rer Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX aF, den schwerbehinderten Kläger zu
einem Vorstellungsgespräch einzuladen, mit der Einladung zu einem Vorstel-
lungsgespräch für die in Berlin M zu besetzende Stelle nachgekommen. Sie
musste den Kläger nicht zusätzlich zu einem Vorstellungsgespräch für die in Cott-
bus zu besetzende Stelle einladen, weshalb der Umstand der Nichteinladung zu
einem Vorstellungsgespräch für diese Stelle nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG
begründen kann, dass der Kläger die Benachteiligung wegen seiner (Schwer)Be-
hinderung erfahren hat.
(1)
Das Landesarbeitsgericht hat es dahinstehen lassen, ob der öffentliche
Arbeitgeber auch bei internen Stellenbesetzungen nach § 82 Satz 2 SGB IX aF
verpflichtet ist, einen schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Bewerber
zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Es hat angenommen, dass der öf-
fentliche Arbeitgeber jedenfalls dann, wenn er sich - wie hier - dazu entschließe,
Auswahlgespräche durchzuführen, weil ihm die Papierlage und die Eindrücke der
Vorgesetzten etc. von den Beschäftigten, die sich auf eine intern zu besetzende
Stelle beworben hätten, nicht genüge, um deren Eignung, Befähigung und fach-
liche Leistung beurteilen zu können, verpflichtet sei, einen schwerbehinderten
Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Beklagte könne auch
nicht damit gehört werden, dem Kläger sei im Rahmen des Auswahlgesprächs
für die Stelle in Berlin M die Chance eingeräumt worden, sich persönlich vorzu-
stellen. Bei der Ausschreibung mehrerer Stellen mit identischem Anforderungs-
profil sei eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für jede der Stellen nur
dann entbehrlich, wenn die Auswahl aufgrund eines identischen Auswahlverfah-
rens erfolge, die Auswahlkommissionen personenidentisch seien und zwischen
den jeweiligen Auswahlentscheidungen nur wenige Wochen lägen. Im vorliegen-
den Fall seien die Auswahlkommissionen für die Stellen in Cottbus und Berlin M
indes nicht personenidentisch gewesen, weshalb die Beklagte den Kläger auch
zu einem Vorstellungsgespräch für die bei der Agentur für Arbeit in Cottbus zu
besetzende Stelle hätte einladen müssen.
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(2)
Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, ist der öffentliche
Arbeitgeber im Fall der Ausschreibung mehrerer Stellen mit identischem Anfor-
derungsprofil, die in etwa zeitgleich zu besetzen sind, nicht erst dann von seiner
grundsätzlich bestehenden Verpflichtung befreit, den/die schwerbehinderte/n Be-
werber/in zu einem Vorstellungsgespräch für jede der ausgeschriebenen Stellen
einzuladen, auf die sich diese/r beworben hat, wenn die jeweiligen Auswahlkom-
missionen personenidentisch besetzt sind. In einem solchen Fall reicht es viel-
mehr regelmäßig aus, den/die schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vor-
stellungsgespräch für eine der zu besetzenden Stellen einzuladen, sofern die-
selbe für die Durchführung des Auswahlverfahrens zuständige Dienststelle des
öffentlichen Arbeitgebers für die Stellen ein identisch ausgestaltetes Auswahlver-
fahren nach identischen Auswahlkriterien durchführt.
(a)
Der mit § 82 Satz 2 SGB IX aF verfolgte Zweck, dem/der schwerbehin-
derten Bewerber/in die Möglichkeit zu geben, den Arbeitgeber - über die Papier-
form hinaus - von seiner/ihrer Eignung für die zu besetzende Stelle zu überzeu-
gen und eventuelle Vorbehalte oder gar Vorurteile auszuräumen, wird - sofern
mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil ausgeschrieben werden, die
in etwa zeitgleich zu besetzen sind, dieselbe Dienststelle des öffentlichen Arbeit-
gebers für die Durchführung des Auswahlverfahrens zuständig ist und für die
Stellen ein identisch ausgestaltetes Auswahlverfahren nach identischen Aus-
wahlkriterien durchführt - nämlich regelmäßig bereits dadurch erreicht, dass
der/die schwerbehinderte Bewerber/in einmalig die Gelegenheit erhält, sich bei
der für die Durchführung des Auswahlverfahrens zuständigen Dienststelle des
öffentlichen Arbeitgebers in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren.
(b)
Für die vom Landesarbeitsgericht geforderte Personenidentität der Mit-
glieder einer Auswahlkommission enthält das Gesetz hingegen keinen Anhalts-
punkt. Vielmehr nimmt § 82 SGB IX aF die personalverwaltenden Dienststellen,
dh. die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber, die für die Durchführung des
Auswahlverfahrens zuständig sind, in die Pflicht. Diese haben nicht nur nach § 82
Satz 1 SGB IX aF den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu
besetzende sowie neue Arbeitsplätze zu melden. Diese Dienststellen trifft auch
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die Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch
.
(3)
Vorliegend hatte die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklag-
ten, die sowohl die für die Durchführung des Auswahlverfahrens für die bei der
Agentur für Arbeit in Berlin M als auch die für die Durchführung des Auswahlver-
fahrens für die bei der Agentur für Arbeit in Cottbus zu besetzende Stelle zustän-
dige Dienststelle der Beklagten war, beide Stellen mit einem identischen Anfor-
derungsprofil ausgeschrieben und für sie ein identisch ausgestaltetes Auswahl-
verfahren nach denselben Auswahlkriterien durchgeführt. Insbesondere gehör-
ten den jeweiligen Auswahlkommissionen dieselben Funktionsträger, darunter
auch ein/e Vertreter/in der für die Durchführung des Auswahlverfahrens zustän-
digen Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklagten an. Der Umstand,
dass der Auswahlkommission für die in Berlin M zu besetzende Stelle zusätzlich
der Bereichsleiter Interner Service Berlin angehörte, ist nicht von Bedeutung.
Indem die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklagten den Klä-
ger zu einem Vorstellungsgespräch für die in Berlin M zu besetzende Stelle ein-
geladen hatte, war sie mithin ihrer Verpflichtung nach § 82 Satz 2 SGB IX aF
ausreichend nachgekommen. Ob und unter welchen konkreten weiteren Voraus-
setzungen sich etwas Anderes ergeben könnte, wenn der Kläger zu dem Vorstel-
lungsgespräch für die in Berlin M zu besetzende Stelle nicht erschienen wäre
oder nicht hätte erscheinen können, bedurfte keiner Entscheidung, da der Kläger
der Einladung der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Beklagten zu einem
Vorstellungsgespräch in Berlin M nachgekommen war.
3.
Der Senat konnte über die Auslegung von § 82 Satz 2 SGB IX aF in dem
unter Rn. 31 ff. ausgeführten Sinn entscheiden, ohne zuvor im Hinblick auf das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 2011
den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes nach
anzurufen.
a)
Nachist die Vorlage an den Gemeinsamen Senat
der obersten Gerichtshöfe des Bundes geboten, wenn ein oberster Gerichtshof
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in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs
oder des Gemeinsamen Senats abweichen will. Voraussetzung hierfür ist, dass
sich die zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage im Anwendungsbereich der-
selben Rechtsvorschrift stellt oder dass sie auf der Grundlage von Vorschriften
aufgeworfen wird, die zwar in verschiedenen Gesetzen stehen, in ihrem Wortlaut
aber im Wesentlichen und in ihrem Regelungsinhalt gänzlich übereinstimmen
und deswegen nach denselben Prinzipien auszulegen sind
. Darüber hinaus muss die Rechtsfrage sowohl für den er-
kennenden Senat in der anhängigen Sache als auch für den divergierenden
Senat in der bereits entschiedenen Sache entscheidungserheblich sein
.
b)
Danach besteht im vorliegenden Verfahren keine Vorlagepflicht nach
Die Rechtsfrage, ob der öffentliche Arbeitgeber nach § 82
Satz 2 SGB IX aF schwerbehinderte Bewerber/innen auch bei einer internen
Stellenbesetzung zu einem Vorstellungsgespräch einladen muss, war für das
Bundesverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich.
Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 15. De-
zember 2011
angenommen, schwerbehinderte Beschäf-
tigte hätten dann keinen Anspruch auf Einladung zum Vorstellungsgespräch
nach § 82 Satz 2 SGB IX aF, wenn der öffentliche Arbeitgeber den Arbeitsplatz
berechtigterweise nur intern zur Besetzung ausschreibe. Allerdings hat das Bun-
desverwaltungsgericht seine Entscheidung gleichermaßen tragend darauf ge-
stützt, der dortige Kläger habe auch deshalb nicht zu einem Vorstellungsge-
spräch eingeladen werden müssen, weil ihm die fachliche Eignung offensichtlich
fehlte
. Das Bundesverwal-
tungsgericht wäre in dem von ihm zu entscheidenden Fall somit zu demselben
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Ergebnis gelangt, wenn es § 82 Satz 2 SGB IX aF auch bei einer lediglich inter-
nen Stellenbesetzung für anwendbar gehalten, die Rechtsfrage also anders oder
nicht beantwortet hätte.
B.
Die Anschlussrevision des Klägers ist teilweise unzulässig. Soweit sie
zulässig ist, ist sie unbegründet.
I.
Soweit der Kläger seinen mit dem Klageantrag zu 1. weiter verfolgten
Anspruch auf Zahlung einer höheren Vergütung auf einen Verstoß der Beklagten
gegen den Grundsatz der Bestenauslese
sowie darauf stützt,
er sei als freigestellter Personalrat und Schwerbehindertenvertreter entgegen
den Vorgaben in § 8 BPersVG und § 96 Abs. 2 SGB IX aF in seiner beruflichen
Entwicklung benachteiligt worden, ist die Anschlussrevision unzulässig. Der Klä-
ger hat die Anschlussrevision insoweit nicht innerhalb der maßgeblichen Frist des
§ 554 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO den Anforderungen nach § 72 Abs. 5
ArbGG iVm. § 554 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO entsprechend
begründet.
1.
NachiVm.gehört zum
notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe.
Bei einer Sachrüge muss der vermeintliche Rechtsfehler des Landesarbeitsge-
richts so aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsan-
griffs erkennbar sind. Dazu muss die Revisionsbegründung eine konkrete Ausei-
nandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils enthalten. Bei meh-
reren Streitgegenständen muss für jeden eine solche Begründung gegeben wer-
den. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzuläs-
sig
.
2.
Soweit der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Vergü-
tung auf einen Verstoß der Beklagten gegen den Grundsatz der Bestenauslese
sowie darauf stützt, er sei als freigestellter Personalrat und
Schwerbehindertenvertreter entgegen den Vorgaben in § 8 BPersVG und § 96
Abs. 2 SGB IX aF in seiner beruflichen Entwicklung und entgegen den Vorgaben
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des AGG iVm. dem SGB IX aF wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt
worden, liegen - trotz eines einheitlichen Klagebegehrens - zumindest zwei
Streitgegenstände vor.
a)
Nach dem auch für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden
zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen
Verfahrens durch den dort gestellten Antrag (Klageantrag), in dem sich die von
der klagenden Partei in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den
ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitge-
genstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der
Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Be-
trachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehö-
ren, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht
unterbreitet hat
. Nur ein Streitgegenstand ist gegeben, wenn der Tat-
sachenstoff nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in
seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufgeteilt werden kann,
selbst wenn diese einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind.
Eine Mehrheit von Streitgegenständen liegt demgegenüber vor, wenn die mate-
riell-rechtliche Regelung die zusammentreffenden Ansprüche durch eine Ver-
selbständigung der einzelnen Lebensvorgänge erkennbar unterschiedlich ausge-
staltet
-
.
b)
Danach liegen - trotz eines einheitlichen Klagebegehrens - zumindest
zwei Streitgegenstände vor. Jedenfalls den geltend gemachten Ansprüchen nach
§ 15 Abs. 1 AGG auf der einen Seite und nach den § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2
BGB iVm. Art. 33 Abs. 2 GG bzw. § 8 BPersVG, § 96 Abs. 2 SGB IX aF oder
§ 823 Abs. 2 BGB iVm. § 8 BPersVG, und § 96 Abs. 2 SGB IX aF auf der ande-
ren Seite liegen unterschiedliche Lebenssachverhalte zugrunde. Im ersteren Fall
geht es um Schadensersatz wegen einer - behaupteten - Diskriminierung des
Klägers wegen seiner (Schwer)Behinderung, während die übrigen behaupteten
Ansprüche auf zumindest einem anderen Lebenssachverhalt beruhen, nämlich
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auf einem vom Kläger behaupteten Verstoß der Beklagten gegen Art. 33 Abs. 2
GG bzw. einer vom Kläger geltend gemachten Benachteiligung wegen seiner Tä-
tigkeit als Personalrat sowie als Schwerbehindertenvertreter, wobei diese beiden
Komplexe durch die Frage, ob die Auswahl anhand einer aktuellen (fiktiv nach-
gezeichneten) Beurteilung hätte erfolgen müssen - wie der Kläger meint -, oder
ob sie auf der Grundlage eines strukturierten Auswahlgesprächs durchgeführt
werden konnte, miteinander verbunden sind.
3.
Der Kläger hat die Anschlussrevision nur im Hinblick auf einen Scha-
densersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG wegen einer Benachteiligung wegen
seiner (Schwer)Behinderung innerhalb der maßgeblichen Frist des § 554 Abs. 3
Satz 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO den Anforderungen nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm.
§ 554 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 ZPO entsprechend begründet. Im
Hinblick auf die Ansprüche nach § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB iVm. Art. 33
Abs. 2 GG bzw. § 8 BPersVG, § 96 Abs. 2 SGB IX aF oder § 823 Abs. 2 BGB
iVm. § 8 BPersVG, und § 96 Abs. 2 SGB IX aF fehlt es in der Anschlussschrift an
jeglicher Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils. Der
Schriftsatz des Klägers vom 23. April 2020, der hierzu Ausführungen enthält, ist
erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der Anschlussrevision beim Bundes-
arbeitsgericht eingegangen.
II.
Soweit der Kläger mit der Anschlussrevision einen Anspruch auf Scha-
densersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sowie auf Zahlung einer höheren Entschädi-
gung nach § 15 Abs. 2 AGG verfolgt, ist die Anschlussrevision zwar zulässig. Sie
ist aber unbegründet. Die Beklagte hat - wie unter Rn. 20 ff. ausgeführt - nicht
gegen das Verbot der Benachteiligung des Klägers wegen der (Schwer)Behinde-
rung verstoßen.
Schlewing
Winter
Vogelsang
Lüken
Wroblewski
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