Urteil des BAG vom 16.09.2020

Arbeitsbefreiung für Personalratstätigkeit - Teilnahme an einer Sitzung des Personalratsvorstands nach einer Nachtschicht - Ruhezeit

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 16. September 2020
Siebter Senat
- 7 AZR 491/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:160920.U.7AZR491.19.0
I. Arbeitsgericht Berlin
Schlussurteil vom 13. September 2018
- 58 Ca 9697/17 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Urteil vom 26. März 2019
- 11 Sa 1880/18 -
Entscheidungsstichworte:
Arbeitsbefreiung für Personalratstätigkeit - Teilnahme an einer Sitzung des
Personalratsvorstands nach einer Nachtschicht - Ruhezeit
ECLI:DE:BAG:2020:160920.U.7AZR491.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
7 AZR 491/19
11 Sa 1880/18
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
16. September 2020
URTEIL
Schiege, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 16. September 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundes-
arbeitsgericht Gräfl, den Richter am Bundesarbeitsgericht Klose, die Richterin am
Bundesarbeitsgericht Dr. Rennpferdt sowie die ehrenamtlichen Richter Busch
und Willms für Recht erkannt:
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7 AZR 491/19
ECLI:DE:BAG:2020:160920.U.7AZR491.19.0
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2019
- 11 Sa 1880/18 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gutschrift von Stunden auf dem Arbeits-
zeitkonto des Klägers.
Der Kläger ist bei dem beklagten Nahverkehrsunternehmen als Fahr-
zeughandwerker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der
Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben
im Land Berlin (TV-N Berlin) vom 31. August 2005 idF des 12. Änderungstarif-
vertrags (ÄTV TV-N Berlin) vom 17. November 2014 Anwendung. Die Beklagte
führt für den Kläger ein Arbeitszeitkonto. Die nähere Ausgestaltung und Führung
des Arbeitszeitkontos richtet sich nach § 10 Abs. 4 TV-N Berlin sowie der Rah-
mendienstvereinbarung-Nr. 08/2006
„Flexibilisierung von Arbeitszeiten“.
Der Kläger arbeitet im Rahmen einer 36,5-Stundenwoche in einem
Schichtsystem mit einem Umlauf von vier Wochen. Die einzelnen Dienste vertei-
len sich jeweils inklusive einer halbstündigen Pause wie folgt:
Dienst 1
Montag - Freitag
06:00 - 14:00 Uhr
Dienst 2
Montag - Freitag
13:55 - 22:00 Uhr
Dienst 3
Sonntag - Donnerstag
21:55 - 06:00 Uhr
Dienst 4
Sonntag
18:00 - 02:00 Uhr
Im Dienst 3 sind der Freitag ab 06:00 Uhr und der Samstag für den Klä-
ger arbeitsfrei.
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Der Kläger ist Mitglied des in seiner Dienststelle gebildeten Personalrats
16 „T“ und gehört dem Personalratsvorstand an. Der Personalratsvorstand führt
seine Sitzungen regelmäßig am ersten und dritten Freitag im Monat ab 12:00 Uhr
oder 12:30 Uhr durch. Der Kläger wird zwar gelegentlich, aber nicht ausnahmslos
in der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag freigestellt, wenn am Freitag eine
Vorstandssitzung stattfindet.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei berechtigt, seine Arbeit in
der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag ohne Minderung seines Arbeitsent-
gelts zehn Stunden vor Beginn der Vorstandssitzung am Freitag zu beenden. Da
ihm zwischen dem Ende der Nachtschicht und dem Beginn der Vorstandssitzung
eine Mindestruhezeit von zehn Stunden nicht zur Verfügung stehe, sei ihm die
Ableistung der vollen Nachtschicht unzumutbar.
Der Kläger hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - bean-
tragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die dienst-
planmäßig vorgesehene Arbeitszeit auch dann seinem Ar-
beitszeitkonto gutzuschreiben, wenn er zur Wahrung der
Mindestruhezeit die Arbeit früher als dienstplanmäßig vor-
gesehen wegen einer nachfolgenden Vorstandssitzung des
Personalrats abbricht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffas-
sung vertreten, der Antrag sei unzulässig, da mit ihm nicht abschließend geklärt
werde, unter welchen Voraussetzungen der Kläger seine Schicht vorzeitig been-
den dürfe. Jedenfalls sei die Klage unbegründet, da dem Kläger die erforderliche
Ruhezeit nach der Sitzung des Personalratsvorstands zur Verfügung stehe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in der Revision noch anhän-
gig ist - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungs-
antrag weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.
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Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der
Klage - soweit sie Gegenstand der Revision ist - zu Recht entsprochen.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Fest-
stellungsantrag zulässig ist.
I.
Der Antrag bedarf allerdings der Auslegung. Diese ergibt, dass der An-
trag auf die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten gerichtet ist, die Zeit von
02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr bis 06:00 Uhr in der Nachtschicht von Donnerstag auf
Freitag dem Arbeitszeitkonto des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben, wenn
der Kläger seine Arbeitsleistung zum Zwecke der Teilnahme an einer am Freitag
um 12:00 Uhr bzw. 12:30 Uhr anberaumten Vorstandssitzung des Personalrats
zehn Stunden vor deren Beginn beendet. Dieses Antragsverständnis hat der Pro-
zessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
bestätigt.
1.
Der Antrag bezieht sich trotz seines weitergehenden Wortlauts nur auf
die Fälle, in denen der Kläger im Dienst 3 für die Nachtschicht von Donnerstag
auf Freitag eingeteilt und am Freitag eine Sitzung des Personalratsvorstands um
12:00 Uhr bzw. um 12:30 Uhr anberaumt ist. Die bei der Antragsauslegung zu
berücksichtigenden Anlassfälle für den Streit der Parteien betreffen nur solche
Sachverhalte
. Andere Fallkonstellationen
stehen zwischen den Parteien nicht im Streit und können auch nicht auftreten, da
die Sitzungen des Personalratsvorstands nach den nicht angegriffenen Feststel-
lungen des Landesarbeitsgerichts regelmäßig am ersten und dritten Freitag eines
Monats um 12:00 Uhr bzw. 12:30 Uhr stattfinden. Für ein weitergehendes Fest-
stellungsbegehren bestünde daher kein Feststellungsinteresse.
2.
Der Antrag ist weder nach seinem Wortlaut noch nach seiner Begrün-
dung auf Fälle beschränkt, in denen die Dauer der Nachtschicht und die Dauer
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der Vorstandssitzung zusammen die werktägliche Höchstarbeitszeit nach § 3
Abs. 1 ArbZG überschreiten.
3.
Mit dem Antrag begehrt der Kläger die Gutschrift der gesamten dienst-
planmäßig vorgesehenen Arbeitszeit und nicht nur der geleisteten Arbeitszeit in
der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag, wenn er seine Arbeit zur Wahrung
der Mindestruhezeit von zehn Stunden vor Beginn der Vorstandssitzung, dh. um
02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr einstellt. Dabei steht nur die Gutschrift für die nicht
geleistete Arbeitszeit, dh. die Zeit ab 02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr, im Streit.
II.
Mit diesem Inhalt ist der Antrag zulässig.
1.
Der Antrag genügt dem Bestimmtheitsgebot in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
a)
Der Ant
rag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinrei-
chend bestimmt, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt,
auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gut-
geschrieben werden können und das Leistungsbegehren konkretisiert, an wel-
cher Stelle des Arbeitszeitkontos die Gutschrift erfolgen soll
. Bei einer Feststellungsklage sind keine
geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungs-
klage
.
b)
Danach ist der Antrag hinreichend bestimmt. Die Beklagte führt für den
Kläger ein Arbeitszeitkonto nach § 10 Abs. 4 TV-N Berlin iVm. der Rahmen-
dienstvereinbarung-Nr.
08/2006 „Flexibilisierung von Arbeitszeiten“ (Kurzzeit-
konto), in dem Abweichungen der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von der re-
gelmäßigen wöchentlichen bzw. dienstplanmäßigen Arbeitszeit, also
„Plus- und
Minusstunden“ saldiert werden. Unter Berücksichtigung dessen verlangt der Klä-
ger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, die umstrittenen Zeiten als
Arbeitszeit gutzuschreiben, so dass für diese Zeiten keine Minusstunden im Ar-
beitszeitkonto saldiert werden. Der Antrag ist gegenwarts- und zukunftsbezogen,
so dass die Gutschrift noch erfolgen kann.
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2.
Der Feststellungsantrag erfüllt auch die Voraussetzungen des § 256
Abs. 1 ZPO.
a)
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf das Bestehen oder Nichtbeste-
hen eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die Klagepartei ein recht-
liches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch gerichtliche Ent-
scheidung alsbald festgestellt werde. Eine Feststellungsklage muss sich nicht auf
ein Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen, sondern kann sich auch auf einzelne
Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche
oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschrän-
ken - sog. Elementenfeststellungsklage
So verhält es sich hier. Die Par-
teien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die umstrittenen Zeiten als
Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
b)
Für den Feststellungsantrag besteht das erforderliche Feststellungsinte-
resse, da die Beklagte diese Pflicht in Abrede stellt und der Streit regelmäßig
wieder auftreten kann, solange der Kläger Mitglied des Personalratsvorstands ist.
Der Streit der Parteien, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit von 02:00 Uhr
bzw. 02:30 Uhr bis 06:00 Uhr in der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag
dem Arbeitszeitkonto des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben, wenn der Klä-
ger seine Arbeitsleistung zum Zwecke der Teilnahme an einer am Freitag um
12:00 Uhr bzw. 12:30 Uhr anberaumten Vorstandssitzung zehn Stunden vor de-
ren Beginn einstellt, wird durch die begehrte Entscheidung abschließend geklärt
.
B.
Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Feststellungs-
antrag begründet ist. Die Beklagte ist nach § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 42 Abs. 2
Satz 1 PersVG Berlin verpflichtet, die Zeit von 02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr bis
06:00 Uhr in der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag dem Arbeitszeitkonto
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des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben, wenn der Kläger seine Arbeitsleis-
tung zum Zwecke der Teilnahme an einer am Freitag um 12:00 Uhr bzw.
12:30 Uhr anberaumten Sitzung des Personalratsvorstands zehn Stunden vor
deren Beginn einstellt.
I.
Ein Arbeitszeitkonto hält fest, in welchem zeitlichen Umfang der Arbeit-
nehmer seine Hauptleistungspflicht nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB erbracht hat
oder aufgrund eines Entgeltfortzahlungstatbestands
nicht erbringen musste und deshalb Vergütung be-
anspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die ver-
einbarte und gezahlte Vergütung erbringen muss
.
II.
Danach ist die Beklagte verpflichtet, die Zeit von 02:00 Uhr bzw.
02:30 Uhr bis 06:00 Uhr in der Nachtschicht von Donnerstag auf Freitag dem Ar-
beitszeitkonto des Klägers als Arbeitszeit gutzuschreiben, wenn der Kläger seine
Arbeitsleistung zum Zwecke der Teilnahme an einer am Freitag um 12:00 Uhr
bzw. 12:30 Uhr anberaumten Vorstandssitzung des Personalrats zehn Stunden
vor deren Beginn eingestellt hat. Zwar erbringt der Kläger in dieser Zeit keine
Arbeitsleistung. Hierzu ist der Kläger jedoch nach § 42 Abs. 2 Satz 1 PersVG
Berlin aufgrund der bevorstehenden Sitzung des Personalratsvorstands nicht
verpflichtet. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
1.
Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 PersVG Berlin hat Versäumnis von Arbeitszeit,
die zur Durchführung der Aufgaben des Personalrats erforderlich ist, keine
Minderung der Bezüge einschließlich der Zulagen, Zuschläge und sonstigen Ent-
schädigungen zur Folge. Diese Regelung betrifft - ebenso wie § 37 Abs. 2
BetrVG
nicht nur
Fälle, in denen eine während der Arbeitszeit verrichtete Personalratstätigkeit
unmittelbar den Ausfall der Arbeitsleistung zur Folge hat. Die Vorschrift will viel-
mehr grundsätzlich verhindern, dass das Personalratsmitglied infolge erforderli-
cher Personalratstätigkeit eine Entgelteinbuße erleidet
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Auch durch eine außerhalb der
Arbeitszeit liegende Personalratstätigkeit darf eine Minderung des Arbeitsent-
gelts des Personalratsmitglieds nicht eintreten, soweit die Personalratstätigkeit
die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht hat. Nimmt ein Perso-
nalratsmitglied an einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit stattfindenden
Personalratssitzung teil und ist es ihm deswegen unmöglich oder unzumutbar,
seine vor oder nach der Personalratssitzung liegende Arbeitszeit einzuhalten, hat
es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 PersVG Berlin einen Anspruch auf be-
zahlte Freistellung.
Entsprechendes gilt für die Teilnahme an einer Sitzung des Personalrats-
vorstands außerhalb der Arbeitszeit. Ebenso wie die Teilnahme an einer Perso-
nalratssitzung stellt die Teilnahme an einer Sitzung des Personalratsvorstands
für dessen Mitglieder erforderliche Personalratstätigkeit dar
. Nach
§ 29 Abs. 1 Satz 1 PersVG Berlin bildet der Personalrat aus seiner Mitte den Vor-
stand. Nach § 29 Abs. 1 Satz 4 PersVG Berlin führt der Vorstand die laufenden
Geschäfte. Er hat die notwendigen Verhandlungen zu führen und schon bei der
Ausarbeitung von Entwürfen auf eine die Belange des Personals wahrende Fas-
sung hinzuwirken. Er hat weiterhin die für die Beschlussfassung des Personalrats
erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und Unterlagen beizuziehen. Somit
obliegt es ihm, die Entschließungen des Personalrats durch Berichte und Ent-
würfe vorzubereiten und Anträge und Beschwerden von Bediensteten entgegen-
zunehmen
. Zur Erfüllung der Aufgaben
des Personalratsvorstands bedarf es der Abstimmung durch dessen Mitglieder,
die in gemeinsamen Sitzungen erfolgen kann. Ist eine solche Sitzung anberaumt,
hat das Vorstandsmitglied daran teilzunehmen.
2.
Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass
dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung in der Nachtschicht von Donners-
tag auf Freitag ab 02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr unter Berücksichtigung des Schutz-
zwecks des § 5 Abs. 1 ArbZG unzumutbar ist, wenn er an einer am Freitag um
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12:00 Uhr oder um 12:30 Uhr beginnenden Sitzung des Personalratsvorstands
teilnimmt.
a)
Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen die Arbeitnehmer nach Beendigung der
täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden
haben. Die Dauer der Ruhezeit kann nach § 5 Abs. 2 ArbZG ua. in Verkehrsbe-
trieben um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ru-
hezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch
Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgegli-
chen wird. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom
Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen.
b)
Wäre die Zeit, in der der Kläger an der Sitzung des Personalratsvor-
stands am Freitag ab 12:00 Uhr bzw. 12:30 Uhr teilnimmt, als Arbeitszeit iSv. § 2
Abs. 1 ArbZG zu betrachten, unterbräche sie die nach § 5 Abs. 1 und Abs. 2
ArbZG gesetzlich vorgeschriebene ununterbrochene zehnstündige Ruhezeit.
Dies hätte zur Folge, dass dem Kläger die Fortsetzung der Arbeit in der Nacht-
schicht von Donnerstag auf Freitag ab 02:00 Uhr bzw. 02:30 Uhr bereits deshalb
unzumutbar wäre, weil ihm eine zehnstündige ununterbrochene Mindestruhezeit
iSv. § 5 Abs. 1 und Abs. 2 ArbZG bei Ableistung der vollen Nachtschicht nicht zur
Verfügung stünde. Entgegen der Ansicht der Beklagten könnte dem Kläger die
Mindestruhezeit nicht im Anschluss an die Sitzung des Personalratsvorstands
gewährt werden.
aa)
Zwar wäre davon auszugehen, dass die werktägliche Arbeitszeit des Klä-
gers nicht schon mit dem Ende der Nachtschicht, sondern erst mit Beendigung
der Personalratsvorstandssitzung endete, so dass die Ruhezeit nicht zwingend
im Anschluss an die Nachtschicht gewährt werden müsste. Dem steht nicht ent-
gegen, dass der Kläger bei der Wahrnehmung der Personalratsaufgaben nicht
dem Weisungsrecht der Beklagten unterliegt. Darauf kommt es nicht an, da hier
unterstellt wird, dass die Zeit der Teilnahme an der Personalratsvorstandssitzung
Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist. Damit ist die vorliegende Situation mit der
eines geteilten Dienstes zu vergleichen, bei dem die Ruhezeit grundsätzlich erst
nach dem Ende des zweiten Teils beginnt
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.
bb)
Die Ruhezeit könnte aber deshalb nicht im Anschluss an die Sitzung des
Personalratsvorstands gewährt werden, weil die Ruhezeit innerhalb eines Zeit-
raums von 24 Stunden nach Beginn der Arbeitszeit zur Verfügung stehen muss.
Das ergibt die Auslegung von § 5 Abs. 1 ArbZG.
(1)
In § 5 Abs. 1 ArbZG ist zwar ein Zeitraum, innerhalb dessen die Min-
destruhezeit liegen muss, nicht ausdrücklich bestimmt. Aus dem Begriff der täg-
lichen Arbeitszeit in § 5 Abs. 1 ArbZG folgt nicht, dass die Ruhezeit kalendertäg-
lich zu gewähren ist. Die tägliche Arbeitszeit iSv. § 5 Abs. 1 ArbZG ist nicht die
Arbeitszeit eines Kalendertages, sondern die individuelle werktägliche Arbeitszeit
des einzelnen Arbeitnehmers iSd. § 3 ArbZG
. Aus
den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2003/88/EG, deren Umsetzung
das ArbZG dient und die deshalb bei der Auslegung von § 5 Abs. 1 ArbZG zu
berücksichtigen ist, ergibt sich jedoch, dass die Ruhezeit innerhalb von 24 Stun-
den nach Arbeitsbeginn zur Verfügung stehen muss.
(a)
Ein nationales Gericht hat die Auslegung des nationalen Rechts so weit
wie möglich am Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie auszurichten,
um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV
nachzukommen
. Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die
nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen
Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles
tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richt-
linie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der
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Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht
.
(b)
Unter Berücksichtigung von Art. 3 Richtlinie 2003/88/EG ist § 5 Abs. 1
ArbZG dahin auszulegen, dass die Ruhezeit innerhalb von 24 Stunden nach Ar-
beitsbeginn zur Verfügung stehen muss
.
(aa)
Nach Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die er-
forderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum
eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird. Die
Richtlinie überlässt es den Mitgliedstaaten zwar
, die „erforderlichen Maßnahmen“
zu treffen, so dass die Mitgliedstaaten über einen gewissen Spielraum verfügen.
Sie müssen jedoch sicherstellen, dass die praktische Wirksamkeit dieser Rechte
in vollem Umfang gewährleistet wird, indem den Arbeitnehmern tatsächlich die
täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die
durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit, die in dieser Richtlinie festge-
setzt sind, zugutekommen
.
(bb)
Die Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden ist pro
24-Stunden-Zeitraum zu gewähren. Der 24-Stunden-Zeitraum, innerhalb dessen
die tägliche Mindestruhezeit zu gewähren ist
, beginnt nicht mit dem Kalender-
tag, sondern mit dem Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme
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.
Durch die Einführung eines Rahmens von 24-Stunden-Zeiträumen
schreibt die Richtlinie eine gewisse Regelmäßigkeit der täglichen Ruhezeiten vor
. Um die Sicherheit und einen
wirksamen Schutz der Gesundheit des Arbeitnehmers zu gewährleisten, muss
grundsätzlich vorgesehen werden, dass eine Arbeitsperiode regelmäßig von ei-
ner Ruheperiode abgelöst wird. Die Ruhezeiten müssen sich unmittelbar an die
Arbeitszeit anschließen, deren Ausgleich sie dienen, um eine Ermüdung oder
Überlastung des Arbeitnehmers durch die Kumulierung aufeinanderfolgender Ar-
beitsperioden zu verhindern
Zugleich begrenzt die tägliche Mindestruhezeit von elf Stunden pro
24-Stunden-Zeitraum die tägliche Arbeitszeit, die die Arbeitszeitrichtlinie nicht
ausdrücklich im Sinne einer täglichen Höchstarbeitszeit regelt, auf maximal
13 Stunden
.
(cc)
Die Richtlinie sieht einen Bezugszeitraum für einen Ausgleich der tägli-
chen Mindestruhezeiten auf einen Durchschnittswert nicht vor. Art. 16 der Richt-
linie 2003/88/EG enthält keine entsprechende Regelung. Damit ist es grundsätz-
lich nicht möglich, die tägliche Ruhezeit an einem Tag zu verkürzen und sie am
nächsten Tag entsprechend zu verlängern. Derartige Abweichungen von Art. 3
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der Richtlinie 2003/88/EG sind nur unter den Voraussetzungen von Art. 17 ff. der
Richtlinie 2003/88/EG zulässig, wenn gleichwertige Ausgleichsruhezeiten vorge-
sehen sind
. Diese Möglichkeit hat der deutsche Gesetz-
geber mit der Regelung in § 5 Abs. 2 ArbZG ua. für Verkehrsbetriebe genutzt und
in § 7 ArbZG weitergehende Abweichungsmöglichkeiten in oder aufgrund Tarif-
vertrags geregelt. Von diesen weitergehenden Abweichungsmöglichkeiten ha-
ben die Parteien des TV-N Berlin keinen Gebrauch gemacht.
(dd)
Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht
veranlasst. Die vorliegend maßgebliche unionsrechtliche Frage, ob die Mitglied-
staaten nach Art. 3 der Richtlinie 2003/88/EG sicherstellen müssen, dass die
Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden dem Arbeitnehmer inner-
halb eines 24-Stunden-Zeitraums, beginnend ab Arbeitsaufnahme, zur Verfü-
gung stehen muss, ist durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt
.
(2)
Die ununterbrochene Mindestruhezeit iSv. § 5 Abs. 1 und Abs. 2 ArbZG
von zehn Stunden könnte dem Kläger nicht nach der Sitzung des Personalrats-
vorstands gewährt werden. Die Nachtschicht des Klägers beginnt am Donnerstag
um 21:55 Uhr, so dass der 24-Stunden-Zeitraum am Freitag um 21:55 Uhr endet.
Da die Sitzungen des Personalratsvorstands am Freitag um 12:00 Uhr bzw.
12:30 Uhr beginnen, kann unabhängig von der Dauer der Sitzungen zwischen
deren Ende und dem Ende des 24-Stunden-Zeitraums um 21:55 Uhr eine Min-
destruhezeit von zehn Stunden nicht eingehalten werden.
c)
Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Zeit der Erbringung von Personal-
ratstätigkeit Arbeitszeit iSv. § 2 Abs. 1 ArbZG ist
. Auch dann, wenn die Zeit der Wahrnehmung von Personalratstätigkeit ar-
beitszeitrechtlich nicht als Arbeitszeit anzusehen sein sollte, ist bei der Beurtei-
lung, ob und wann einem Mitglied des Personalratsvorstands die Fortsetzung der
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Arbeit wegen einer außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit liegenden Sitzung
des Personalratsvorstands unzumutbar ist, die in § 5 Abs. 1 ArbZG zum Aus-
druck kommende Wertung zu berücksichtigen. Deshalb ist ein Mitglied des Per-
sonalratsvorstands, das nach einer Arbeitsschicht an einer Sitzung des Perso-
nalratsvorstands teilzunehmen hat, berechtigt, die Arbeit in dieser Schicht vorzei-
tig zu einem Zeitpunkt einzustellen, der eine ununterbrochene Mindestruhezeit
von zehn Stunden ermöglicht, in der weder Arbeitsleistung noch Personalratstä-
tigkeit zu erbringen ist, wenn ansonsten eine ununterbrochene zehnstündige Min-
destruhezeit innerhalb eines 24-Stunden-Zeitraums ab Beginn der täglichen Ar-
beitszeit nicht zur Verfügung steht.
aa)
Das Arbeitszeitrecht bezweckt ua. die Gewährleistung der Sicherheit und
des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung
. Es bestimmt deshalb ua. in § 5 ArbZG die Mindestruhezeit zwi-
schen zwei Arbeitseinsätzen, die für den Gesundheitsschutz von besonderer Be-
deutung ist
. Die im Arbeitszeitgesetz geregelten
Schranken beruhen auf arbeitsmedizinischem Erfahrungswissen über die einem
Arbeitnehmer zumutbare Belastung. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis
zwischen den Zeiten, in denen der Arbeitnehmer arbeitet, und den Zeiten, in de-
nen er ruht
. Dem
Arbeitnehmer soll ohne Unterbrechung durch Arbeit genügend Zeit zur Erholung,
Entspannung und Schlaf zur Verfügung stehen.
bb)
Die durch § 5 Abs. 1 ArbZG gewährleistete Erholungszeit ist durch Per-
sonalratstätigkeit - unabhängig davon, ob diese Arbeitszeit im arbeitszeitrechtli-
chen Sinne darstellt - in vergleichbarer Weise beeinträchtigt wie durch die Erbrin-
gung von Arbeitsleistung. Denn Personalratstätigkeit steht - ebenso wie Betriebs-
ratstätigkeit - regelmäßig hinsichtlich der Anforderungen an Aufmerksamkeit und
geistige Leistungsfähigkeit denjenigen bei der Erbringung der vertraglich ge-
schuldeten Tätigkeit nicht nach
. Zwar führen die Mitglieder des Personalrats ihr
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Amt nach § 42 Abs. 1 PersVG Berlin als Ehrenamt aus. Im Gegensatz zu außer-
halb des Dienstverhältnisses erbrachtem ehrenamtlichem Engagement, das
- gleich wie belastend es ist - nicht den Vorgaben des Arbeitszeitrechts unterliegt,
weist die Mandatsausübung einen unmittelbaren Bezug zum Dienstverhältnis
auf. Die Mitgliedschaft im Personalrat setzt ein Dienstverhältnis (Beamten-
oder Arbeitsverhältnis) voraus
. Die Personalratsaufgaben werden im Interesse der Dienststelle und der
Belegschaft wahrgenommen. Sie bestehen wesentlich in der Regelung der Be-
lange der Dienststelle und werden in der Regel in der Dienststelle ausgeübt. Per-
sonalratsmitglieder sind zur Wahrnehmung der ihnen nach dem PersVG Berlin
obliegenden Aufgaben verpflichtet. Das gilt insbesondere für die Teilnahme an
Sitzungen des Personalrats und, soweit es sich um Mitglieder des Personalrats-
vorstands handelt, auch für die Teilnahme an dessen Sitzungen
. Finden diese Sitzungen außerhalb ihrer
Arbeitszeit statt, können die Personalratsmitglieder nicht frei über ihre Zeit verfü-
gen und ihren eigenen Interessen nachgehen. Diese Besonderheiten gebieten
es, ehrenamtliche Personalratstätigkeit durch die Heranziehung der in § 5 Abs. 1
ArbZG enthaltenen Wertungen anders zu behandeln als sonstige in der Freizeit
erbrachte ehrenamtliche Tätigkeit.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Gräfl
Klose
M. Rennpferdt
Busch
Willms
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