Urteil des BAG vom 16.07.2020

Lehrereingruppierung - Ausbildung nach dem Recht der ehemaligen DDR - Tätigkeit im Sekundarbereich I einer integrierten Gesamtschule in Niedersachsen

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 16. Juli 2020
Sechster Senat
- 6 AZR 321/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:160720.U.6AZR321.19.0
I. Arbeitsgericht Braunschweig
Schlussurteil vom 23. Mai 2018
- 7 Ca 62/18 E -
II. Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urteil vom 22. Juli 2019
- 8 Sa 563/18 E -
Entscheidungsstichworte:
Lehrereingruppierung - Ausbildung nach dem Recht der ehemaligen DDR -
Tätigkeit im Sekundarbereich I einer integrierten Gesamtschule in Nieder-
sachsen
ECLI:DE:BAG:2020:160720.U.6AZR321.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
6 AZR 321/19
8 Sa 563/18 E
Landesarbeitsgericht
Niedersachsen
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
16. Juli 2020
URTEIL
Schuchardt, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
beklagtes, berufungsbeklagtes und revisionsklagendes Land,
pp.
Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,
hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 16. Juli 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundes-
arbeitsgericht Spelge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Krumbiegel, die
Richterin am Bundesarbeitsgericht Wemheuer sowie die ehrenamtlichen Richter
Jostes und Werner für Recht erkannt:
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Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 22. Juli 2019
- 8 Sa 563/18 E - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin
und daraus folgende Entgeltdifferenzansprüche.
Die Klägerin erwarb in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
den akademischen Grad einer Diplom-Lehrerin in den Fächern Deutsch und
Kunst. Das Kultusministerium des beklagten Landes stellte am 30. August 2013
fest, dass dieser Studienabschluss der Lehrbefähigung für das Lehramt an Gym-
nasien mit den Unterrichtsfächern Deutsch und Kunst gleichzustellen ist. Bei ei-
nem Einsatz an einem Gymnasium könne die Klägerin nach Maßgabe des da-
mals geltenden Eingruppierungsrechts in die Entgeltgruppe 13 des Tarifvertrags
für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) eingruppiert werden.
Seit dem 31. Juli 2017 ist die Klägerin bei dem beklagten Land als Lehr-
kraft an einer integrierten Gesamtschule (IGS) beschäftigt. Der TV-L findet auf-
grund beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Nach § 44 TV-L iVm. § 1 des Tarifvertrags über die Eingruppierung und
die Entgeltordnung für die Lehrkräfte der Länder (TV EntgO-L) vom 28. März
2015 gelten für Lehrkräfte an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen
Sonderregelungen. § 12 TV-L lautet idF des § 3 TV EntgO-L wie folgt:
§ 12
Eingruppierung
(1)
1
Die Eingruppierung der Lehrkraft richtet sich nach
den Eingruppierungsregelungen der Entgeltordnung
Lehrkräfte (Anlage zum TV EntgO-L).
2
Die Lehrkraft
erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie ein-
gruppiert ist.
3
Die Lehrkraft ist in der Entgeltgruppe
1
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eingruppiert, die sich für die gesamte von ihr nicht nur
vorübergehend auszuübende Tätigkeit aus den Ein-
gruppierungsregelungen ergibt.
…“
Die Anlage Entgeltordnung Lehrkräfte zum TV EntgO-L (im Folgenden
EntgO-L) sieht ua. folgende Regelungen vor:
Anlage. Entgeltordnung Lehrkräfte
Vorbemerkungen zu allen Abschnitten der Entgeltord-
nung Lehrkräfte
1.
(7) Für Lehrkräfte mit einer Ausbildung als Lehrer, als
Freundschaftspionierleiter oder als Erzieher jeweils
nach dem Recht der ehemaligen DDR in der Tätigkeit
von Lehrkräften mit abgeschlossenem Lehramtsstu-
dium an einer wissenschaftlichen Hochschule und mit
abgeschlossenem Referendariat oder Vorbereitungs-
dienst gelten nur die Abschnitte 1 und 5.
5. Regelungen für Lehrkräfte mit einer Ausbildung als
Lehrer, als Freundschaftspionierleiter oder als
Erzieher jeweils nach dem Recht der ehemaligen DDR,
bei denen die fachlichen und pädagogischen
Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamten-
verhältnis nicht erfüllt sind
Vorbemerkungen
1.
Dieser Abschnitt gilt für Lehrkräfte mit einer Aus-
bildung
a) als Lehrer nach dem Recht der ehemaligen
DDR bzw.
bei denen die fachlichen und pädagogischen Vo-
raussetzungen für die Übernahme in das Beam-
tenverhältnis nicht erfüllt sind,
in der Tätigkeit von Lehrkräften mit abgeschlos-
senem Lehramtsstudium an einer wissenschaft-
lichen Hochschule und mit abgeschlossenem
Referendariat oder Vorbereitungsdienst.
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2.
1
Die Lehrkraft, die ihre Tätigkeit an verschiede-
nen Schulformen nicht nur vorübergehend aus-
zuüben hat, ist nach der Tätigkeit eingruppiert,
die zeitlich mindestens zur Hälfte anfällt.
2
Für die
Feststellung, welche Tätigkeit mindestens zur
Hälfte anfällt, ist von der für die jeweilige Schul-
form geltenden Pflichtstundenzahl auszugehen.
3
Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn
die Lehrkraft ihre Tätigkeit
a) in mehreren Schulzweigen oder
b) in mehreren Schul- bzw. Klassenstufen
auszuüben hat.
1.
(1)
1
Die Lehrkraft mit abgeschlossener Lehrerausbil-
dung nach dem Recht der ehemaligen DDR
ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, die nach Satz 4
der beim Arbeitgeber geltenden Besoldungsgruppe
entspricht, in welche sie eingestuft wäre, wenn sie
nach Maßgabe von Satz 2 und 3 im Beamtenverhält-
nis stünde.
2
Für die Ermittlung dieser Besoldungs-
gruppe ist das Beamtenverhältnis zugrunde zu legen,
in das die Lehrkraft übernommen werden könnte,
wenn sie eine Bewährungsfeststellung nach der beim
Arbeitgeber auf der Grundlage der Anlage I Kapi-
tel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 2 Buchst. b
und c des Einigungsvertrages getroffenen Regelung
hätte.
4
Es entspricht
der Besoldungsgruppe
die Entgeltgruppe
A 11
10
**)
A 12, 12a
11
**)
A 13
13
A 14
14
A 15
15.
**)
Lehrkräfte in dieser Entgeltgruppe erhalten eine
monatliche Angleichungszulage gemäß Anhang 1
(2)
1
Hat die Lehrkraft ihre Tätigkeit an einer anderen
als ihrer Lehrerausbildung nach dem Recht der ehe-
maligen DDR entsprechenden Schulform auszuüben
und
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wäre sie bei einem Einsatz entsprechend ihrer Lehrer-
ausbildung nach Absatz 1 Satz 4 einer höheren Ent-
geltgruppe zuzuordnen als eine Lehrkraft mit einer
dieser anderen Schulform entsprechenden Lehrer-
ausbildung
ist für die Zuordnung nach Absatz 1 Satz 4 die Lehrer-
ausbildung zugrunde zu legen, die dieser anderen
Schulform entspricht.
3
Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn die
Lehrkraft ihre Tätigkeit
a)
in einem anderen als ihrer Lehrerausbildung ent-
sprechenden Schulzweig oder
b)
in einer anderen als ihrer Lehrerausbildung ent-
sprechenden Schul- bzw. Klassenstufe
auszuüben hat.
Das niedersächsische Landesrecht sieht innerhalb der allgemeinbilden-
den Schulen die Gesamtschule als eigene Schulform vor
. Die Gesamtschule ist nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NSchG nach
Schuljahrgängen gegliedert. Die IGS umfasst die Schuljahrgänge 5 bis 13. Mit
dieser Bandbreite können an der IGS Abschlüsse wie an der Hauptschule, der
Realschule oder am Gymnasium erworben werden
. Bis zur
7. Klasse wird Unterricht im Klassenverband mit einer Binnendifferenzierung
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durch Klassenarbeiten mit unterschiedlichem Niveau erteilt. Ab der 8. Klasse er-
folgt in den Fächern Englisch, Deutsch und Mathematik eine Aufteilung in Grund-
und Erweiterungsniveau. Eine solche Differenzierung erfolgt ab der 9. Klasse
auch in den naturwissenschaftlichen Fächern.
In den Schuljahrgängen 5 bis 10 (Sekundarbereich I) unterrichten an der
IGS Lehrkräfte mit einer Lehrbefähigung für die allgemeinbildenden Schulen
. Nach einer Anweisung des Kultusministeriums sollen für
Gesamtschulen Lehrkräfte im Beamtenverhältnis ausschließlich mit Lehrbefähi-
gung für das Gymnasium eingestellt und nach Besoldungsgruppe A 13 vergütet
werden.
In der Zeit vom 31. Juli 2017 bis zum 9. September 2018 war die Klägerin
im Sekundarbereich I einer IGS eingesetzt und erhielt unter Berücksichtigung von
Vordienstzeiten eine Vergütung nach Entgeltgruppe 11 Stufe 3 TV-L. Seit dem
Schuljahr 2018/2019 unterrichtet sie in den Schuljahrgängen 11 bis 13 (Sekun-
darbereich II) der IGS durchgängig auf Gymnasialniveau. Sie wird daher seit dem
10. September 2018 wie eine Lehrkraft an einem Gymnasium nach Entgelt-
gruppe 13 TV-L vergütet.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin auf der Grundlage von Ziff. 1 Abs. 1 des
Abschnitts 5 EntgO-L eine Vergütung nach Entgeltgruppe 13 TV-L bereits ab
dem 31. Juli 2017 verlangt. Dies entspreche der Besoldung beamteter Gymnasi-
allehrkräfte und damit ihrer Qualifikation. Ein Ausnahmetatbestand nach Ziff. 1
Abs. 2 des Abschnitts 5 EntgO-L liege nicht vor. An der IGS werde im Sekundar-
bereich I bezogen auf einen Teil der Schülerschaft im Klassenverbund und in
bestimmten Kursen auf gymnasialem Niveau unterrichtet. Die Differenzierung
nach Schulformen sei damit überwunden. Dementsprechend würden auch be-
amtete Gymnasiallehrkräfte im Sekundarbereich I der IGS eingesetzt und in glei-
cher Höhe wie bei Unterrichtung an einem Gymnasium besoldet.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihr
rückwirkend ab 31. Juli 2017 bis zum 9. September 2018
Entgelt nach Entgeltgruppe 13 TV-L zu gewähren nebst
Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
auf die monatlichen Bruttodifferenzbeträge ab jeweiliger
monatlicher Fälligkeit, frühestens ab Klagezustellung.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Eingruppie-
rung der Klägerin richte sich allein nach der Ausnahmeregelung in Ziff. 1 Abs. 2
des Abschnitts 5 EntgO-L, welche immer dann zur Anwendung komme, wenn
eine Lehrkraft ihre Tätigkeit an einer anderen als ihrer Lehrerausbildung nach
dem Recht der ehemaligen DDR entsprechenden Schulform auszuüben habe.
Die IGS sei eine andere Schulform als ein Gymnasium. Werde eine Lehrkraft
überwiegend oder ausschließlich im Sekundarbereich I einer IGS eingesetzt, sei
nach den Eingruppierungsregelungen auf diese Schul- bzw. Klassenstufe abzu-
stellen. Der dort erteilte Unterricht entspreche wegen des gemischten Anforde-
rungsniveaus der Tätigkeit an einer Realschule. Diese Ansicht vertrete auch die
Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) in den Durchführungshinweisen zum
TV EntgO-L vom 13. Oktober 2015 in der für Niedersachsen geltenden Fassung
vom 30. Juni 2016. Da beamtete Realschullehrkräfte nach Besoldungs-
gruppe A 12 vergütet werden, könne die Klägerin für die Unterrichtung im Se-
kundarbereich I der IGS nur eine Vergütung nach Entgeltgruppe 11 TV-L bean-
spruchen. Diese habe sie erhalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht
hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin abgeändert und der Klage an-
tragsgemäß stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Re-
vision verfolgt das beklagte Land sein Ziel der Klageabweisung weiter.
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Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil
des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht abgeändert. Die Klägerin hat nach
Ziff. 1 Abs. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L für den streitgegenständlichen Zeitraum
einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 13 TV-L nebst der begehrten
Verzinsung der Differenzbeträge.
I.
Die Klage ist zulässig. Es handelt sich um eine Eingruppierungsfeststel-
lungsklage, welche das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsin-
teresse aufweist.
1.
Dem steht nicht entgegen, dass sich der Klageantrag nur auf die umstrit-
tene Entgeltgruppe, nicht aber auf die Stufenzuordnung bezieht.
a)
Ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO ist nur dann
gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit
insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend ge-
klärt werden kann. Es fehlt, wenn durch die Entscheidung kein Rechtsfrieden ge-
schaffen wird. Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Aus-
einandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um densel-
ben Fragenkomplex ausschließen. Das setzt bei einem auf die Feststellung der
Rechtsgrundlage für die Vergütung gerichteten Antrag jedenfalls voraus, dass
über weitere Faktoren, die die Vergütungshöhe bestimmen, kein Streit besteht
und die konkrete Bezifferung dann lediglich eine Rechenaufgabe ist, die von den
Parteien ebenso unstreitig durchgeführt werden kann wie die Umsetzung der wei-
teren Zahlungsmodalitäten. Anderenfalls müssen auch die weiteren Berech-
nungskriterien zum Gegenstand des Feststellungsantrags gemacht werden, da-
mit nicht lediglich eine Vorfrage geklärt wird
.
b)
Bemisst sich die tarifliche Entgelthöhe nicht nur nach einer Entgelt-
gruppe, sondern ist sie darüber hinaus von einer Entgeltstufe abhängig, hat der
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Kläger das Feststellungsverlangen grundsätzlich auf die seiner Ansicht nach zu-
treffende Entgeltstufe zu erstrecken. Etwas anderes gilt, wenn lediglich die Ent-
geltgruppe, nicht aber die im Falle des Obsiegens zutreffende Entgeltstufe zwi-
schen den Parteien streitig ist
.
c)
Für die Vergütung der Klägerin sind unstreitig aufgrund beiderseitiger Ta-
rifbindung die Regelungen des TV-L maßgeblich. Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 TV-L
bestimmt sich die Höhe des Tabellenentgelts nach der Entgeltgruppe und nach
der Stufe der Entgelttabelle
. Zwischen den Parteien steht jedoch
allein die Entgeltgruppe im Streit. Dagegen besteht Einigkeit, dass bei Obsiegen
der Klägerin die Stufenzuordnung in der Entgeltgruppe 13 TV-L nach § 16 Abs. 2
TV-L mit Wirkung zum 31. Juli 2017 erfolgt. Es kann daher davon ausgegangen
werden, dass bei Stattgabe der Klage die erforderliche Stufenzuordnung keine
weitere Streitigkeit auslösen wird. Die Feststellungsklage ermöglicht damit die
umfassende Klärung der Vergütungshöhe.
2.
Aus diesem Grund steht auch der Rechtsgedanke des Vorrangs der Leis-
tungsklage der Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht entgegen
.
3.
Der nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Gegenwartsbezug ist gegeben.
Die Klägerin erstrebt gegenwärtige rechtliche Vorteile in Form eines höheren Ent-
gelts aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum
.
II.
Die Klage ist begründet.
1.
Die Eingruppierung der Klägerin richtet sich nach § 12 Abs. 1 TV-L idF
des § 3 TV EntgO-L iVm. der Anlage zum TV EntgO-L, dh. nach der EntgO-L.
Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
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2.
Nach Ziff. 1 Abs. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L hat die Klägerin für den
streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Vergütung nach Entgelt-
gruppe 13 TV-L.
a)
Nach der Vorbemerkung Nr. 1 Buchst. a zum Abschnitt 5 EntgO-L gilt
dieser Abschnitt für Lehrkräfte mit einer Ausbildung als Lehrer nach dem Recht
der ehemaligen DDR, bei denen die fachlichen und pädagogischen Vorausset-
zungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis nicht erfüllt sind, in der Tä-
tigkeit von Lehrkräften mit abgeschlossenem Lehramtsstudium an einer wissen-
schaftlichen Hochschule und mit abgeschlossenem Referendariat oder Vorberei-
tungsdienst
. Die Klägerin zählt unstreitig zu diesem Personenkreis.
b)
Die Vergütung nach Ziff. 1 Abs. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L stellt für sol-
che Lehrkräfte den Regelfall dar. Sie orientiert sich ohne Bezug zur Tätigkeit in
einer bestimmten Schulform, einem Schulzweig oder einer Schul- bzw. Klassen-
stufe an der Besoldung beamteter Lehrkräfte. Nach Ziff. 1 Abs. 1 Satz 2 des Ab-
schnitts 5 EntgO-L ist das Beamtenverhältnis zugrunde zu legen, in das die Lehr-
kraft übernommen werden könnte, wenn sie eine Bewährungsfeststellung nach
dem Einigungsvertrag hätte. Damit ist allein die Qualifikation der Lehrkraft, nicht
aber ihre Verwendung entscheidend. Die Zuordnung zu einer bestimmten Ent-
geltgruppe bestimmt sich schematisch nach der Tabelle in Ziff. 1 Abs. 1 Satz 4
des Abschnitts 5 EntgO-L.
c)
Die von der Klägerin nach dem Recht der ehemaligen DDR abgeschlos-
sene Lehrerausbildung wurde als dem Lehramt an Gymnasien entsprechend
anerkannt. Nach Ziff. 1 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 4 des Abschnitts 5 EntgO-L ist
sie nach Entgeltgruppe 13 TV-L zu vergüten, denn eine Gymnasiallehrkraft ist
der Besoldungsgruppe A 13 zugeordnet
.
3.
Bezüglich der im streitbefangenen Zeitraum geleisteten Tätigkeit als
Lehrkraft im Sekundarbereich I einer IGS gilt mangels Eingreifens einer beson-
deren Vergütungsregelung nichts anderes.
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a)
Die Tarifvertragsparteien wollten mit der ausdifferenzierten Gestaltung
des TV EntgO-L erkennbar eine vollständige Regelung der Eingruppierung der
Lehrkräfte an allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen schaffen
. Bezogen auf den Sonderfall der Lehrkräfte mit einer Ausbildung
nach dem Recht der ehemaligen DDR haben sie dies erreicht, indem sie mit
Ziff. 1 Abs. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L eine Grundregel erlassen haben, von der
nur bei Erfüllung aller Tatbestandsvoraussetzungen einer spezielleren Regelung
abzuweichen ist. Ziff. 1 Abs. 2 und der hier nicht einschlägige Abs. 3 des Ab-
schnitts 5 EntgO-L stellen solche besonderen Vergütungsregelungen für den Fall
auf, dass eine Lehrkraft ihre Tätigkeit an einer anderen als ihrer Lehrerausbildung
nach dem Recht der ehemaligen DDR entsprechenden Schulform, in einem an-
deren Schulzweig oder in einer anderen Schul- bzw. Klassenstufe ausübt. Ent-
gegen der Auffassung der Revision und wohl auch Stimmen in der Literatur
richtet sich die Eingruppierung einer Lehrkraft im Anwen-
dungsbereich des Abschnitts 5 EntgO-L aber nicht schon dann nach Ziff. 1 Abs. 2
oder Abs. 3 des Abschnitts 5 EntgO-L, wenn nur die Voraussetzung einer ausbil-
dungsfremden Tätigkeit erfüllt ist. Diese Ansicht lässt außer Acht, dass die Aus-
nahmeregelungen -
wie die Verwendung der Konjunktion „und“ zeigt - weitere
Tatbestandsmerkmale vorsehen, die zusätzlich erfüllt sein müssen. Es ist nicht
ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien eine Sperrwirkung für den Grundtatbe-
stand der Ziff. 1 Abs. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L bereits bei Erfüllung nur einer
von mehreren Voraussetzungen der Ausnahmeregelungen anordnen wollten,
denn dies hätte zur Konsequenz, dass für die hiervon betroffenen Beschäftigten
keine Vergütungsregelung bestehen würde, wenn die weiteren Voraussetzungen
der Ausnahmeregelungen nicht vorlägen. Eine solche Lückenhaftigkeit wäre mit
dem umfassenden Regelungsanspruch des TV EntgO-L nicht zu vereinbaren.
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b)
Die Voraussetzungen der hier als Ausnahmeregelung allein in Betracht
kommenden Ziff. 1 Abs. 2 des Abschnitts 5 EntgO-L sind nicht erfüllt.
aa)
Die Anwendung von Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 des Abschnitts 5 EntgO-L
scheitert am Fehlen einer spezifischen Lehrerausbildung für die IGS.
(1)
Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 des Abschnitts 5 EntgO-L setzt die durch die Ausbil-
dung nach dem Recht der ehemaligen DDR erworbene Qualifikation bei einer
Tätigkeit an einer anderen Schulform in ein Verhältnis zu der Lehrerausbildung,
welche der anderen Schulform entspricht. Letztere soll maßgeblich sein, falls die
nach dem Recht der ehemaligen DDR erworbene Qualifikation für sich genom-
men zu einer höheren Eingruppierung führen würde. Statt der formalen Qualifi-
kation ist damit die Tätigkeit für die Eingruppierung entscheidend. Damit wird be-
rücksichtigt, dass die
Tätigkeit nur die auf die „andere“ Schulform bezogene Aus-
bildung verlangt. Dies setzt allerdings voraus, dass eine Lehrerausbildung exis-
tiert, welche der anderen Schulform entspricht.
(2)
Dies ist hier nicht der Fall. Die entsprechend einer Gymnasiallehrkraft
ausgebildete Klägerin hat im fraglichen Zeitraum zwar an einer anderen Schul-
form, nämlich an einer IGS, unterrichtet. Für diese andere Schulform gibt es aber
keine entsprechende Lehrerausbildung. Nach der Protokollerklärung Nr. 5 Satz 1
zu Ziff. 1 des Abschnitts 5 EntgO-L entspricht eine Lehrerausbildung der auszu-
übenden Tätigkeit, wenn sie dem Lehramt für die Schulform entspricht, in der die
Tätigkeit auszuüben ist. Diese Verbindung von Lehrerausbildung und schulform-
bezogenem Lehramt besteht auch im niedersächsischen Landesrecht. Dieses
ordnet die Gesamtschule gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f NSchG zwar als ei-
gene Schulform innerhalb der allgemeinbildenden Schulen ein. Eine spezifische
Lehrerausbildung ist aber nicht vorgesehen, denn ein Lehramt an Gesamtschu-
len gibt es nicht
. An einer IGS unterrichten in den Schul-
jahrgängen 5 bis 10 gemäß Ziff. 1.5 des Runderlasses des Niedersächsischen
Kultusministeriums vom 1. August 2014
idF vom 17. September
2015 vielmehr Lehrkräfte mit einer Lehrbefähigung für die allgemeinbildenden
Schulen. Dies gründet sich auf § 51 Abs. 1 Satz 1 NSchG, wonach die Lehrkräfte
mit der Lehrbefähigung für Schulformen der allgemeinbildenden Schulen auch in
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Gesamtschulen und Oberschulen Unterricht erteilen. Der Eingruppierung der
Klägerin kann daher keine
der IGS „entsprechende Lehrerausbildung“ zugrunde
gelegt werden.
bb)
Ziff. 1 Abs. 2 Satz 1 des Abschnitts 5 EntgO-L gilt auch nicht gemäß
Ziff. 1 Abs. 2 Satz 3 des Abschnitts 5 EntgO-L entsprechend.
(1)
Nach dieser Vorschrift gelten die Sätze 1 und 2 von Ziff. 1 Abs. 2 des
Abschnitts 5 EntgO-L entsprechend, wenn die Lehrkraft ihre Tätigkeit in einem
anderen als ihrer Lehrerausbildung entsprechenden Schulzweig
oder in einer anderen als ihrer Leh-
rerausbildung entsprechenden Schul- bzw. Klassenstufe auszuüben hat
.
(2)
Ziff. 1 Abs. 2 Satz 3 Buchst. a des Abschnitts 5 EntgO-L kommt nicht
zum Tragen, weil die IGS kein Schulzweig, sondern eine Schulform ist. Die IGS
ist auch nicht in Schulzweige untergliedert. Ihr integrativer Ansatz steht der Ein-
teilung der Schülerschaft nach Schulzweigen geradezu entgegen. Die Gesamt-
schule ist nach § 12 Abs. 1 Satz 1 NSchG vielmehr unabhängig von anderen
Schulformen nach Schuljahrgängen gegliedert.
(3)
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klägerin auch nicht nach
Ziff. 1 Abs. 2 Satz 3 Buchst. b des Abschnitts 5 EntgO-L entsprechend einer
Lehrkraft im Realschuldienst zu vergüten.
(a)
Dabei kann zugunsten des beklagten Landes davon ausgegangen wer-
den, dass es sich bei dem Sekundarbereich I einer IGS um eine Schulstufe im
Sinne dieser Vorschrift handelt, auch wenn nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 NSchG der Se-
kundarbereich I die Schuljahrgänge 5 bis 10 der allgemeinbildenden Schulen le-
diglich im Sinne eines
„Schulbereichs“ umfasst.
(b)
Die Rechtsauffassung des beklagten Landes setzt voraus, dass der Un-
terricht im Sekundarbereich I einer IGS der Lehrerausbildung für die Realschule
und damit einer anderen als der Lehrerausbildung der Klägerin entspricht. Das
Landesarbeitsgericht hat jedoch rechtsfehlerfrei erkannt, dass dies nicht der Fall
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ist
.
(aa)
Die Lehrkräfte im Sekundarbereich I der IGS haben nicht nur den Stoff
von Realschulen, sondern auch den des Gymnasiums zu unterrichten. Dies deckt
sich mit der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Praxis des beklagten Lan-
des, wonach Gymnasiallehrkräfte in der IGS zum Einsatz kommen.
(bb)
Der Unterricht im Sekundarbereich I einer IGS stellt auch keine Mischtä-
tigkeit im Sinne der Vorbemerkung Nr. 2 zum Abschnitt 5 EntgO-L dar. Satz 1 der
Vorbemerkung Nr. 2 zum Abschnitt 5 EntgO-L kommt nicht zur Anwendung. Wie
ausgeführt, handelt es sich nicht um eine Tätigkeit an verschiedenen Schulfor-
men. Gleiches gilt bezogen auf Schulzweige
. Der Anwendungsbereich der Vorbemer-
kung Nr. 2 Satz 3 Buchst. b zum Abschnitt 5 EntgO-L ist ebenfalls nicht eröffnet.
Sieht man den Sekundarbereich I der IGS als Schulstufe an, so hat die Klägerin
ihre Tätigkeit nur in diesem und damit nicht in mehreren Schulstufen ausgeübt.
Bezogen auf die einzelnen Klassenstufen innerhalb des Sekundarbereichs I der
IGS fehlt es an der Einteilung der Stoffvermittlung nach Pflichtstundenzahlen.
(aaa)
Bei sog. Mischtätigkeiten ist nach der Vorbemerkung Nr. 2 Satz 2 zum
Abschnitt 5 EntgO-L darauf abzustellen, welche Tätigkeit bezogen auf die Pflicht-
stundenzahl zeitlich mindestens zur Hälfte anfällt. Soweit das Landesarbeitsge-
richt bezogen auf die Vorbemerkung Nr. 2 zum Abschnitt 5 EntgO-L davon aus-
zugehen scheint, dass eine Bewertung nach dem Kriterium des Arbeitsvorgangs
in Betracht kommen könnte, ist dies unzutreffend. Nach § 12 TV-L idF des § 3
TV EntgO-L ist der Arbeitsvorgang kein Maßstab für die Bewertung der Tätigkeit
als Lehrkraft
.
(bbb)
Innerhalb der Klassenstufen des Sekundarbereichs I der IGS wird keine
Einteilung der Stoffvermittlung nach Pflichtstundenzahlen vorgenommen. Nach
den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfolgt vielmehr eine sog. Bin-
nendifferenzierung, dh. in jeder Klassenstufe wird Unterricht in verschiedenen
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ECLI:DE:BAG:2020:160720.U.6AZR321.19.0
Anforderungsstufen erteilt. Diese Ausdifferenzierung in den einzelnen Schuljahr-
gängen beinhaltet ohne Festlegung von Pflichtstunden die Unterrichtung eines
Teils der Schülerschaft auf gymnasialem Niveau
4.
Soweit das beklagte Land auf die Durchführungshinweise der TdL zum
TV EntgO-L verweist, kann dies keine andere Auslegung der tariflichen Bestim-
mung begründen. Bei den Durchführungshinweisen handelt es sich nur um die
Wiedergabe der Ansicht einer Tarifvertragspartei im Rahmen praktischer Hin-
weise. Einseitige Auslegungen einer Tarifvertragspartei wie zB auch Rundschrei-
ben oder von ihr erstellte Merkblätter sind jedoch keine Hilfsmittel der Tarifausle-
gung, wenn ihr Inhalt in den Tarifnormen - wie hier - keinen Ausdruck findet
.
III.
Das beklagte Land hat die Kosten der erfolglosen Revision zu tragen
.
Spelge
Wemheuer
Krumbiegel
M. Jostes
M. Werner
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