Urteil des BAG vom 16.07.2020

§ 32 TVöD-V - Verhältnis zu § 14 TVöD-V

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 16. Juli 2020
Sechster Senat
- 6 AZR 287/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:160720.U.6AZR287.19.0
I. Arbeitsgericht
Stralsund
Urteil vom 24. Mai 2018
- 4 Ca 57/17 -
II. Landesarbeitsgericht
Mecklenburg-Vorpommern
Urteil vom 29. Januar 2019
- 5 Sa 127/18 -
Entscheidungsstichworte:
§ 32 TVöD-V - Verhältnis zu § 14 TVöD-V
Leitsatz:
§ 32 Abs. 3 TVöD-V ist keine spezielle, § 14 Abs. 1 TVöD-V vorgehende
Regelung für die Übertragung von Führungspositionen auf Zeit. Auch Tä-
tigkeiten der EG 10 und höher mit Weisungsbefugnis können daher dem
Beschäftigten vorübergehend nach § 14 Abs. 1 TVöD-V übertragen wer-
den.
ECLI:DE:BAG:2020:160720.U.6AZR287.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
6 AZR 287/19
5 Sa 127/18
Landesarbeitsgericht
Mecklenburg-Vorpommern
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
16. Juli 2020
URTEIL
Schuchardt, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Ver-
handlung vom 16. Juli 2020 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesarbeits-
gericht Spelge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Krumbiegel, die Richterin
am Bundesarbeitsgericht Wemheuer sowie die ehrenamtlichen Richter Jostes
und Werner für Recht erkannt:
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6 AZR 287/19
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom
29. Januar 2019 - 5 Sa 127/18 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer
Zulage und eines Zuschlags für eine Tätigkeit in einer auf Zeit übertragenen Füh-
rungsposition.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 23. August 1993 zuletzt als
Sachgebietsleiter Wirtschaft und Arbeit beschäftigt. Vom 23. August 1993 bis
zum 31. Dezember 2002 war er Abteilungsleiter im Amt für Wirtschaftsförderung
und Stadtentwicklung. Seit dem 1. Mai 2018 bezieht er eine gesetzliche Alters-
rente.
Auf das Arbeitsverhältnis fand die Durchgeschriebene Fassung des
TVöD für den Bereich Verwaltung im Bereich der Vereinigung der kommunalen
Arbeitgeberverbände (TVöD-V) vom 7. Februar 2006 und diesen ergänzende,
ändernde oder ersetzende Tarifverträge Anwendung. Nach § 32 Abs. 3 TVöD-V
haben Beschäftigte, die bereits in einem Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeit-
geber stehen und denen eine Führungsposition auf Zeit iSv. § 32 Abs. 2
TVöD-V übertragen wird, für die Dauer dieser Übertragung Anspruch auf eine
Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den Tabellenentgelten nach
der bisherigen Entgeltgruppe und dem Tabellenentgelt, das ihnen bei einer Hö-
hergruppierung zustehen würde. Außerdem steht diesen Beschäftigten ein Zu-
schlag iHv. 75 % des Unterschiedsbetrags zwischen den Tabellenentgelten der
Entgeltgruppe, die der übertragenen Funktion entspricht, zur nächsthöheren Ent-
geltgruppe nach § 17 TVöD-V zu. Im Übrigen bestimmte § 32 TVöD-V idF des
Änderungstarifvertrags Nr. 1 vom 1. August 2006 zum TVöD auszugsweise:
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§ 32 Führung auf Zeit
(2) Führungspositionen sind die ab Entgeltgruppe 10 zu-
gewiesenen Tätigkeiten mit Weisungsbefugnis.
…“
Mit Wirkung zum 1. Juli 2008 wurde § 32 Abs. 2 TVöD-V durch den Än-
derungstarifvertrag Nr. 2 vom 31. März 2008 zum TVöD wie folgt gefasst:
§ 32 Führung auf Zeit
(2) Führungspositionen sind die ab Entgeltgruppe 10 zu-
gewiesenen Tätigkeiten mit Weisungsbefugnis, die
vor Übertragung vom Arbeitgeber ausdrücklich als
Führungspositionen auf Zeit bezeichnet worden sind.
…“
Der Kläger erhielt zuletzt Vergütung nach der individuellen Endstufe der
Entgeltgruppe 11 TVöD-V. Als Sachgebietsleiter Wirtschaft und Arbeit hatte er
nach dem seit dem 30. November 2013 geltenden Geschäftsverteilungsplan
den
Abteilungsleiter 2.40 Wirtschaftsförderung zu vertreten.
Zum 1. Januar 2016 übertrug die Beklagte der Mitarbeiterin K die Leitung
der Abteilung 2.40 als Führungsposition auf Probe. Die Stelle ist nach Entgelt-
gruppe 13 TVöD-V bewertet. Mit ihr sind Weisungsbefugnisse verbunden. Auf-
grund einer wegen Mutterschutzes und Elternzeit zeitweiligen Verhinderung von
Frau K übertrug die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Juni 2016 für die Dauer der
Elternzeit die Abteilungsleitung. Sie zahlte dem Kläger ab diesem Zeitpunkt bis
zur Wiederaufnahme der Tätigkeit durch Frau K am 20. März 2017 eine Zulage
in Höhe der Differenz zur Entgeltgruppe 13 Stufe 5 TVöD-V. Diese betrug mo-
natlich 270,93 Euro brutto.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2016 begehrte der Kläger zusätzlich zur Zu-
lage einen Zuschlag wegen der Übernahme einer Führungsposition auf Zeit iSv.
§ 32 Abs. 3 iVm. Abs. 2 TVöD-V. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom
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4. August 2016 mit der Begründung ab, die Stelle sei nicht als eine solche Füh-
rungsposition bezeichnet.
Das Schreiben lautet weiter auszugsweise:
„Aufgrund der Übertragung der Aufgaben der Stelle der Lei-
terin /des Leiters der Abteilung Wirtschaft Stadtentwicklung
und Wohnen (EG 13) für die Dauer der Elternzeit von
Frau K ergibt sich für Sie ein Anspruch auf Zahlung einer
persönlichen Zulage gem. § 14 TVöD.
…“
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Klage gewandt und die Auffas-
sung vertreten, ihm stehe für die Zeit vom 1. Juni 2016 bis zum 20. März 2017
nicht nur eine Zulage, sondern darüber hinaus ein Zuschlag iHv. 75 % der Diffe-
renz der Vergütung aus der Entgeltgruppe 13 Stufe 6 zur Entgeltgruppe 14
Stufe 6 TVöD-V zu. § 32 TVöD-V sei eine Spezialregelung zu § 14 TVöD-V, die
diesem im Fall der Übertragung einer Führungsposition auf Zeit vorgehe. Das
tarifliche Erfordernis, die Position ausdrücklich als Führungsposition auf Zeit zu
bezeichnen, habe keinen konstitutiven Charakter. Es genüge, wenn sich die Vo-
raussetzungen des § 32 TVöD-V aus den jeweiligen Umständen ergäben. Der
Zuschlag nach § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V bezwecke, die entstehende Mehrbe-
lastung für den Arbeitnehmer auszugleichen. Diese fiele tatsächlich an und
könne nicht von einer ausdrücklichen Bezeichnung durch den Arbeitgeber ab-
hängen. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass dieser rechtsmissbräuchlich von
einer ausdrücklichen Bezeichnung als Führungsposition auf Zeit absehe. Vorlie-
gend sei allen Beteiligten - wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochen - be-
kannt gewesen, dass dem Kläger mit der Abteilungsleitung eine Führungsposi-
tion auf Zeit übertragen werden sollte. Die Beklagte habe, indem sie den tarifver-
traglichen Zuschlag nicht gewährte, einseitig und in erheblichem Umfang die Ver-
gütung bestimmt und damit in das arbeitsvertragliche Synallagma eingegriffen.
Die Zulage und der Zuschlag nach § 32 TVöD-V seien für den gesamten
Zeitraum der Übertragung stufengleich zu berechnen. Eine Begrenzung dieser
Berechnungsweise auf die Zeit ab der Einführung der stufengleichen Höhergrup-
pierung zum 1. März 2017 sei sachlich nicht gerechtfertigt und verstoße gegen
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den Gleichheitsgrundsatz. Hilfsweise mache er sich die betragsbezogen erfolgte
Berechnung der Beklagten zu eigen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.734,65 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszins-
satz in im Einzelnen genannter, gestaffelter Höhe zu zah-
len.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Dem Kläger sei keine
Führungsposition auf Zeit iSv. § 32 TVöD-V übertragen worden. § 32 TVöD-V
biete dem Arbeitgeber ein Instrument zur Personalentwicklung, für dessen Ge-
brauch es vorliegend kein Bedürfnis gegeben habe, weil der Kläger seine Füh-
rungsqualitäten als Abteilungsleiter im Amt für Wirtschaftsförderung und Stadt-
entwicklung bereits unter Beweis gestellt habe. Der von den Tarifvertragsparteien
mit dem Zuschlag iHv. 75 % verfolgte Zweck habe deshalb nicht mehr erreicht
werden können. Die dem Kläger für die Zeit der vertretungsweisen Wahrneh-
mung der Aufgaben der Abteilungsleitung 2.40 gewährte und zutreffend berech-
nete Zulage nach § 14 TVöD-V sei jedoch an sich ohne Rechtsgrund gezahlt
worden, da es sich bereits nach dem Geschäftsverteilungsplan um eine zu sei-
nen übertragenen Aufgaben gehörende Abwesenheitsvertretung gehandelt
habe.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat
durch Beschluss vom 11. Juli 2019 zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zah-
lung eines Zuschlags und einer Zulage nach § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V für die
Zeit der Übertragung der Leitung der Abteilung 2.40 infolge der elternzeitbeding-
ten Abwesenheit von Frau K. Ob die Beklagte die nach § 14 Abs. 1 TVöD-V
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geleistete Zulage für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum zutreffend
berechnet hat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.
I.
Die Klage ist unbegründet.
1.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger nicht schon des-
halb keinen Anspruch auf die begehrten Vergütungsbestandteile, weil ihm nach
den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gemäß dem
seit dem 30. November 2013 geltenden Geschäftsverteilungsplan die Vertretung
des Abteilungsleiters 2.40 oblag, sodass die ständige An- und Abwesenheitsver-
tretung zu seinen arbeitsvertraglich auszuübenden Tätigkeiten gehörte. Vorlie-
gend handelte es sich nicht um eine typische Abwesenheitsvertretung im Sinne
eines Geschäftsverteilungsplans
. Denn diese setzt voraus, dass der ständige Ver-
treter seine eigentlich auszuübende Arbeit weiter verrichtet und die Vertretung
des abwesenden Stelleninhabers, erforderlichenfalls auch zeitlich überwiegend,
mit übernimmt. Dem Kläger sind jedoch, wie sich aus dem Schreiben der Beklag-
ten vom 4. August 2016 ergibt, die nach der Entgeltgruppe 13 TVöD-V bewerte-
ten Aufgaben der Abteilungsleitung 2.40 für die Dauer der Elternzeit der Stellen-
inhaberin K
„übertragen“ worden. Damit hat die Beklagte zum Ausdruck ge-
bracht, dass es sich nicht lediglich um eine Abwesenheitsvertretung handelt,
während derer diese Führungstätigkeiten - soweit sie anfallen und erforderlich
sind - mit erledigt werden, sondern der Kläger für die Zeit der Abwesenheit von
Frau K die Leitung der
Abteilung vollständig und als „andere Tätigkeit“ iSv. § 14
Abs. 1 TVöD-V schulden sollte.
2.
Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf den begehrten Zuschlag nach
§ 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V. Die dafür erforderliche Tatbestandsvoraussetzung
des § 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V ist nicht erfüllt. Das Tatbestandsmerkmal ei-
ner „ausdrücklichen“ Bezeichnung als Führungsposition auf Zeit durch den Ar-
beitgeber ist konstitutiv. Daher genügt entgegen der Auffassung des Klägers der
bloße Umstand, dass die Arbeitsvertragsparteien von der Übertragung einer sol-
chen Führungsposition ausgegangen sind, nicht. Dies ergibt die Auslegung des
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§ 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V
.
a)
Der Wortlaut des § 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V ist eindeutig
. Mit d
er Verwendung des Adjektivs „ausdrücklich“,
das „mit Nachdruck“, „unmissverständlich“ bedeutet
, haben die Tarif-
vertragsparteien klargestellt, dass die Bezeichnung eine wesentliche Bedingung
und damit Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 32 TVöD-V sein soll.
b)
Der konstitutive Charakter von § 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V wird auch
durch die Tarifgeschichte
belegt. Der Zusatz „die vor Übertragung vom Arbeitge-
ber ausdrücklich als Führungspositionen auf Zeit bezeichnet worden s
ind“ wurde
erst durch § 4 Ziff. 15 des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 zum
TVöD mit Wirkung zum 1. Juli 2008 eingefügt. Nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts bedurfte es aber schon unter der Vorgängerregelung des
§ 14 TVöD-V, § 24 Abs. 1 BAT, dem - wie § 32 Abs. 2 TVöD-V in der bis zum
30. Juni 2008 geltenden Fassung - eine solche ausdrückliche Regelung fehlte,
einer Willensbekundung des Arbeitgebers, die dem Angestellten hinreichend
deutlich erkennbar machte, dass er vorübergehend eine höherwertige Tätigkeit
ausüben sollte
. Die Tarifvertragsparteien haben die Tarifnorm angesichts dieser Recht-
sprechung und nach einer mehrjährigen praktischen Erfahrung mit einer Formu-
lierung, deren Wortlaut nicht klar aufzeigte, ob für die Eröffnung des Anwen-
dungsbereichs des § 32 Abs. 3 TVöD-V auch eine konkludente Erklärung des
Arbeitgebers genügen sollte und sich die Übertragung einer Führungstätigkeit auf
Zeit auch aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergeben konnte, nach-
träglich ergänzt. Sie haben dem Arbeitgeber mit Nachdruck aufgegeben, dem
Arbeitnehmer
sogar noch „vor“ der Übertragung der Führungsposition die
Rechtsgrundlage für diesen Akt mitzuteilen. Damit haben sie deutlich zum Aus-
druck gebracht, dass es sich bei dieser Mitteilung um eine zwingende und damit
konstitutive Voraussetzung handelt. Hiergegen spricht nicht, dass ein gleicharti-
ger Zusatz in § 32 Abs. 2 TV-L, der die Übertragung einer Führungsposition auf
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Zeit für die im öffentlichen Dienst der Länder Beschäftigten regelt, fehlt. Dies im-
pliziert allenfalls die Annahme eines fehlenden Handlungsbedarfs durch die Ta-
rifvertragsparteien auf Länderebene.
c)
Der tarifliche Gesamtzusammenhang
bestätigt dieses
Verständnis. Die Tarifvertragsparteien haben das Erfordernis der Bezeichnung
der Tätigkeit als Wahrnehmung einer Führungsposition auf Zeit in Kenntnis der
in § 14 Abs. 1 TVöD-V geregelten vorübergehenden Übertragung einer höher-
wertigen Tätigkeit aufgenommen. § 14 Abs. 1 TVöD-V deckt sich teilweise mit
dem Anwendungsbereich des § 32 Abs. 3 TVöD-V für die bereits bei dem Arbeit-
geber beschäftigten Arbeitnehmer
. Denn auch diese Bestimmung lässt grundsätzlich eine befristete Über-
tragung von Führungspositionen zu. Indem die Tarifvertragsparteien für die Er-
öffnung des Anwendungsbereichs des § 32 TVöD-V die ausdrückliche Bezeich-
nung als „Führungsposition auf Zeit“ vorgeschrieben haben, gewährleisten sie
eine klare Abgrenzung zu § 14 TVöD-V und vermeiden Rechtsunsicherheiten
und Streitigkeiten bei der Frage, auf welcher der beiden Rechtsgrundlagen und
mit welchen Rechtsfolgen die Übertragung der Führungsposition erfolgen soll.
Das Landesarbeitsgericht hat deshalb zutreffend angenommen, dass § 32 Abs. 3
TVöD-V keine Spezialvorschrift ist, die die Anwendung von § 14 TVöD-V bei der
Übertragung von Führungspositionen ab Entgeltgruppe 10 sperrt.
aa)
Zwar ist der Wortlaut des § 32 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 2 TVöD-V für die
Beantwortung der Auslegungsfrage unergiebig, denn dieser bezieht sich auf Tä-
tigkeiten mit Weisungsbefugnis ab Entgeltgruppe 10. Die so definierten Füh-
rungspositionen beinhalten typischerweise Tätigkeiten, deren Tätigkeitsmerk-
male einer höheren Eingruppierung als die der bisherigen Tätigkeit entsprechen
und werden damit auch von § 14 Abs. 1 TVöD-V erfasst.
bb)
Gegen ein Verständnis des § 32 TVöD-V als eine Spezialvorschrift ge-
genüber § 14 Abs. 1 TVöD-V spricht jedoch seine systematische Stellung. Die in
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Abschnitt
V „Befristung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ aufgenom-
mene Regelung enthält eine eigene Befristungsform für besondere Beschäfti-
gungsgruppen
. Hätten die Tarifvertragsparteien in § 32 Abs. 3 TVöD-V für bereits bei
demselben Arbeitgeber beschäftigte Arbeitnehmer nicht nur die zusätzliche Mög-
lichkeit schaffen wollen, Führungspositionen als in der Regel höherwertige Tätig-
keiten ab Entgeltgruppe 10 auf Zeit zu übertragen, sondern damit zugleich für
diese Positionen auch die in § 14 Abs. 1 TVöD-V getroffene Regelung aus-
schließen wollen, hätte es nahegelegen, den Regelungsinhalt des § 32 Abs. 3
TVöD-V in § 14 TVöD-V selbst ausdrücklich aufzunehmen oder dies in § 32
Abs. 3 TVöD-V entsprechend klarzustellen.
cc)
Auch Sinn und Zweck des § 32 Abs. 3 TVöD-V sprechen gegen eine
Spezialität. Mit dieser Norm haben die Tarifvertragsparteien ein neues personal-
wirtschaftliches Instrument in das Tarifwerk des TVöD eingeführt
. Es ermöglicht dem Arbeitgeber, über die optimale
Besetzung von Führungspositionen nach Ablauf der Befristungsdauer neu ent-
scheiden zu können, ohne dass es zu Konflikten hinsichtlich einer Anschlussver-
wendung kommt
. Dies dient der
Erreichung eines flexiblen und effektiven Personaleinsatzes durch erprobte und
leitungserfahrene
Führungskräfte
und damit der Steigerung der
Führungsqualität
. § 14 TVöD-V setzt
dagegen die Möglichkeit, im Wege des Direktionsrechts eine höherwertige Tätig-
keit vorübergehend und vertretungsweise übertragen zu können, voraus
und regelt,
wofür auch seine systematische Stellung im Abschnitt
III „Eingruppierung, Entgelt
und sonstige Leistungen“ spricht, deren Vergütung. Damit enthält § 14 TVöD-V
eine Ausnahme von der Tarifautomatik, die
bei der Übertragung einer „nicht nur
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vorübergehend auszuübenden höherwertigen Tätigkeit“ zu einer Höhergruppie-
rung führt
. Zugleich bezweckt die Be-
stimmung wie ihre Vorgängerregelung in § 24 BAT, dass der betroffene Arbeit-
nehmer bei einer nur vorübergehenden Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit
nicht schlechter gestellt ist, als wenn er die Aufgabe dauerhaft erledigen würde
. Daraus ergibt sich, dass § 32 Abs. 3 TVöD-V und § 14 Abs. 1
TVöD-V unterschiedliche Regelungszwecke haben, die sinnvoll nebeneinander
bestehen
.
3.
Ausgehend von diesem Verständnis des § 32 Abs. 3 TVöD-V konnte die
Beklagte frei entscheiden, ob sie vorliegend die Leitung der Abteilung 2.40 als
Führungsposition auf Zeit bezeichnen und damit den Anwendungsbereich des
§ 32 Abs. 3 TVöD-V eröffnen wollte.
a)
Die Tarifautonomie gewährt den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit,
die Rechtsetzungsbefugnis zu delegieren, indem einer Partei des Arbeitsvertrags
ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt wird. Die Tarifvertragsparteien sind
dabei grundsätzlich nicht gehindert, dem Arbeitgeber ein freies, nicht an billiges
Ermessen iSv. § 315 Abs. 1 BGB gebundenes Gestaltungsrecht einzuräumen.
Allerdings schreibt § 315 Abs. 1 BGB, der vor unbilligen Benachteiligungen durch
die Ausübung eines einseitigen Bestimmungsrechts schützen will, im Zweifel ein
Bestimmungsrecht nach billigem Ermessen vor. Es ist daher im Einzelfall zu be-
urteilen, ob ein Tarifvertrag hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass eine
Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber sich nicht am Maßstab der Billigkeit
ausrichten muss, sondern nur die - stets geltenden - allgemeinen Schranken der
Rechtsausübung, insbesondere der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrund-
satz, die Willkür- und Maßregelungsverbote sowie der Grundsatz von Treu und
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Glauben, zu beachten sind. Die Einräumung eines solchen freien Ermessens
kann auch dem systematischen Zusammenhang tariflicher Normen entnommen
werden. Ansonsten entspricht es dem üblichen Tarifverständnis, dass durch die
Verwendung des Begriffs „kann“ eine Leistungsbestimmung nach billigem Er-
messen eröffnet wird
.
b)
Danach räumt § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-V dem Arbeitgeber für die grund-
sätzliche Entscheidung, ob er eine Führungsposition nach dieser Bestimmung
übertragen will, freies Ermessen ein
.
Zwar enthält der Wortlaut des § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-V keinen die For-
mulierung „kann … vorübergehend … übertragen werden(.)“ ergänzenden Zu-
satz, der auf die Einräumung eines freien Ermessens durch die Tarifvertragspar-
teien gerichtet ist. Dieser Wille ergibt sich aber aus dem tariflichen Gesamtzu-
sammenhang und dem Sinn und Zweck der Regelung. § 32 Abs. 2 TVöD-V defi-
niert Führungspositionen im Sinne dieser Tarifnorm als solche, die der Arbeitge-
ber vor ihrer Übertragung ausdrücklich als „Führungsposition auf Zeit“ bezeichnet
hat. Damit hängt die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Tarifnorm nach
dem Willen der Tarifvertragsparteien allein von der Entscheidung und einem da-
raus resultierenden Verhalten des Arbeitgebers ab. Ihm wird - wie oben ausge-
führt
- ein personalwirtschaftliches Instrument für einen effektiven Per-
sonaleinsatz im Führungskräftebereich an die Hand gegeben, das etwaige
Schwierigkeiten hinsichtlich einer Anschlussverwendung ausschließen soll. Eine
umfassende Analyse und Abwägung der Interessen beider Arbeitsvertragspar-
teien unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände, zu denen auch per-
sönliche und soziale Gesichtspunkte aus der Sphäre des Arbeitnehmers gehö-
ren, wie es billiges Ermessen erfordert
, würde dem entgegenstehen.
c)
Allerdings räumt § 32 TVöD-V dem Arbeitgeber ein freies Ermessen nur
insoweit ein, als er frei entscheiden kann, ob er von der Möglichkeit, eine den
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tariflichen Maßgaben entsprechende Stelle als „Führungsposition auf Zeit“ aus-
zuweisen, Gebrauch machen will und ob er dafür einen Arbeitnehmer befristet
einstellen oder ob er diese Postion einem schon bei ihm beschäftigten Arbeitneh-
mer übertragen will. Hat er die letztgenannte Möglichkeit gewählt, erfolgt die Ent-
scheidung, welchem konkreten Arbeitnehmer er die Führungsposition nach § 32
Abs. 3 Satz 1 TVöD-V überträgt, - wie bei § 14 Abs. 1 TVöD-V - im Wege des
Direktionsrechts und damit nach billigem Ermessen. Für die in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat von den Parteien geäußerte Auffassung, dass eine
Führungsposition auf Zeit iSv. § 32 TVöD-
V nur einvernehmlich „übertragen“ wer-
den könne, bietet § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-V keine Anhaltspunkte. Der Wortlaut
ist eindeutig
. Danach muss die Führungsposition „übertragen“, also dem Arbeit-
nehmer vom Arbeitgeber übergeben
werden. Vor dem Hintergrund, dass der betreffende Ar-
beitnehmer bereits in einem durch das - einseitige - Direktionsrecht gekennzeich-
neten Arbeitsverhältnis steht, hätten die Tarifvertragsparteien ein hiervon abwei-
chendes Verständnis des Begriffs „übertragen“ eindeutig zum Ausdruck bringen
müssen.
d)
Nach dieser Interpretation des § 32 Abs. 2 Teilsatz 2 TVöD-V besteht die
vom Kläger befürchtete Gefahr einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung der
Tarifnorm durch den Arbeitgeber nicht
.
4.
In dieser Auslegung verstößt § 32 Abs. 3 TVöD-V auch nicht gegen hö-
herrangiges Recht. Die in § 14 Abs. 3 TVöD-V und § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V
unterschiedlich geregelte Vergütung stellt sich - anders als das Landesarbeitsge-
richt Hamburg in seiner Entscheidung vom 9. Januar 2013
für die §§ 14, 32 Abs. 3 TV-L angenommen hat - nicht als
gleichheitswidrig iSv. Art. 3 Abs. 1 GG dar. Die ungleiche Behandlung ist von
dem weiten Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien aufgrund der durch
Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie
, der auch die Einführung ei-
nes neuen Führungsinstruments mit finanzieller Anreizwirkung umfasst, gedeckt.
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5.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beklagte auch nicht
einseitig in das arbeitsvertragliche Synallagma eingegriffen, indem sie die Stelle
der Abteilungsleitung 2.40 nicht als Führungsposition auf Zeit iSv. § 32 Abs. 2
TVöD-V bezeichnet und seine Tätigkeit nicht entsprechend vergütet hat. Zwar
handelt es sich bei dem Zuschlag nach § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V um ein im
Austauschverhältnis zur Arbeitsleistung stehendes Entgelt. Die Tarifvertragspar-
teien haben aber mit dieser Bestimmung ein eigenes, abgeschlossenes Vergü-
tungssystem eingeführt, aus dem ein Arbeitnehmer nur Ansprüche herleiten
kann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 32 Abs. 3 iVm. Abs. 2
TVöD-V erfüllt sind. Diese Voraussetzung des so ausgestalteten Synallagmas ist
- wie ausgeführt - vorliegend nicht erfüllt.
6.
Schließlich hat der Kläger aus den oben dargelegten Gründen auch kei-
nen Anspruch auf eine höhere Zulage nach § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-V, weil nach
seiner Auffassung für deren Ermittlung die stufengleiche Berechnung bei Höher-
gruppierungen zugrunde zu legen wäre. Die Zulage nach § 14 Abs. 1 iVm. Abs. 3
TVöD-V ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
II.
Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen
.
Spelge
Krumbiegel
Wemheuer
M. Jostes
M. Werner
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