Urteil des BAG vom 10.09.2020

Parallelentscheidung zu Sache - 6 AZR 381/19 -

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 10.9.2020, 6 AZR 286/19
ECLI:DE:BAG:2020:100920.U.6AZR286.19.0
Parallelentscheidung zu Sache - 6 AZR 381/19 -
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. März 2019 - 2 Sa
321/18 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, wie sich die zum 1. Juli 2017 in Kraft getretenen Änderungen des Rechts der
gesetzlichen Rentenversicherung für den Bezug einer Teilrente auf den Anspruch des Klägers auf
Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der
Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV SozSich)
auswirken.
2 Der am 23. Mai 1954 geborene Kläger war von 1983 bis 2012 bei den US-Stationierungsstreitkräften
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der TV SozSich
anzuwenden. Dieser bestimmt auszugsweise:
§ 2
Anspruchsvoraussetzungen
Anspruch auf Leistungen nach diesem Tarifvertrag haben Arbeitnehmer, die
1.
wegen Personaleinschränkung
a)
infolge einer Verringerung der Truppenstärke
b)
infolge einer aus militärischen Gründen von der obersten Dienstbehörde
angeordneten Auflösung von Dienststellen oder Einheiten oder deren Verlegung
außerhalb des Einzugsbereichs des bisherigen ständigen Beschäftigungsortes
entlassen werden, wenn sie
§ 4
Überbrückungsbeihilfe
1.
Überbrückungsbeihilfe wird gezahlt:
a)
zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der
Stationierungsstreitkräfte,
Protokollnotiz zu Ziffer 1a
Eine ‚anderweitige Beschäftigung‘ liegt nur vor, wenn die arbeitsvertragliche wöchentliche
regelmäßige Arbeitszeit mehr als 21 Stunden beträgt.
§ 8
Ausschluss der Zahlung und Rückforderung überzahlter Überbrückungsbeihilfen und
Beitragszuschüsse
1.
Überbrückungsbeihilfe und Beitragszuschuss werden nicht gezahlt für Zeiten,
c)
nach Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Voraussetzungen zum Bezug
des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfähigkeitsrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt (siehe hierzu Protokollnotiz zu § 2 Ziffer 2d),
d)
nach Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer sein 65. Lebensjahr vollendet.“
3 Das Arbeitsverhältnis endete aus den Gründen des § 2 Ziff. 1 TV SozSich. Unmittelbar im Anschluss an die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nahm der Kläger eine Beschäftigung bei der N GmbH zu einem
Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 1.800,00 Euro bei einer Wochenarbeitszeit von 24 Stunden auf. Die
Beklagte leistete an ihn seit dem 1. Januar 2013 Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. a
TV SozSich.
4 Der Kläger besaß trotz Vollendung des 63. Lebensjahres im Mai 2017 ab Juni 2017 wegen Überschreitung
der zu diesem Zeitpunkt geltenden Hinzuverdienstgrenze des § 34 Abs. 3 SGB VI noch keinen Anspruch auf
Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 236 SGB VI. Dies änderte sich nach dem Inkrafttreten des
Gesetzes zur Flexibilisierung des Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand und zur Stärkung von
Prävention und Rehabilitation im Erwerbsleben (Flexirentengesetz) vom 8. Dezember 2016 (BGBl. I S. 2838)
zum 1. Juli 2017 und der damit verbundenen Neufassung des § 34 SGB VI sowie der Erhöhung der in dieser
Norm geregelten Hinzuverdienstgrenzen. Seit diesem Zeitpunkt hätte der Kläger eine Teilrente (§ 42
SGB VI) beziehen können.
5 Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlung der Überbrückungsbeihilfe wegen des Ausschlusstatbestands
des § 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich mit einer „aus sozialverträglichen Gründen verlängerten Frist“ zum
30. September 2017 ein.
6 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mit dem Inkrafttreten des Flexirentengesetzes habe sich die
Systematik des Rentenrechts grundlegend geändert. Arbeitnehmer wie er seien anders als zuvor überhaupt
nicht in der Lage, einen so hohen Hinzuverdienst zu erzielen, dass ein (Teil-)Rentenanspruch weiterhin
ausgeschlossen sei. Daher führe die rentenrechtlich mit dem Flexirentengesetz bezweckte Abkehr vom
„Alles-oder-nichts-Prinzip“ im Hinblick auf die Überbrückungsbeihilfe gerade zu einem „Alles-oder-nichts“.
Die dieser hinsichtlich der Aufnahme einer Beschäftigung zugedachte Anreizfunktion werde so nicht mehr
erfüllt. Aus diesem Grund könne die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Ausschluss
des Überbrückungsbeihilfeanspruchs bei der Möglichkeit des Bezugs einer Teilrente nach der
Gesetzesänderung nicht mehr angewendet werden. Anderenfalls werde er durch diese Änderung
benachteiligt.
7 Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihm auf Grundlage des mit der Firma N GmbH bestehenden Arbeitsverhältnisses
sowie auf Grundlage eines diesbezüglichen Arbeitsverdienstes des Klägers in Höhe von monatlich
1.800,00 Euro (brutto) rückwirkend für die Zeit ab dem 1. Oktober 2017 bis längstens 31. Januar
2020 die Überbrückungsbeihilfe nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei
den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971
zusteht.
8 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne auch
nach dem Inkrafttreten des Flexirentengesetzes unverändert fortgeführt werden. Die Anreizfunktion bestehe
nur in den durch die Tarifvertragsparteien vereinbarten zeitlichen Grenzen des Bezugs von
Überbrückungsbeihilfe. In diesem Umfang werde sie auch weiterhin erfüllt.
9 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision
verfolgt der Kläger seinen Anspruch nach teilweiser Revisionsrücknahme beschränkt auf den Zeitraum bis
zum Bezug von Regelaltersrente ab dem 1. Februar 2020 weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann im Zeitraum vom 1. Oktober 2017 bis 31. Januar 2020 keine
Überbrückungsbeihilfe zum Arbeitsentgelt aus seiner anderweitigen Beschäftigung bei der N GmbH
beanspruchen. Dem steht die für den Kläger ab 1. Juli 2017 gegebene Möglichkeit des Bezugs einer
Teilrente entgegen (§ 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich). Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
11 I. Die Klage ist in der gebotenen Auslegung zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht.
12 1. Der Antrag ist unter Berücksichtigung der gemäß § 565 Satz 2 ZPO wirksamen teilweisen
Revisionsrücknahme, die zugleich eine gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Antragsbeschränkung darstellt,
dahin zu verstehen, dass nur der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe festgestellt werden soll, der unter
Berücksichtigung des monatlichen Einkommens des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis mit der N GmbH im
genannten Zeitraum bestand (zum Gebot rechtsschutzgewährender Auslegung BAG 25. August 2016
- 8 AZR 53/15 - Rn. 20; 19. November 2015 - 6 AZR 559/14 - Rn. 16, BAGE 153, 271).
13 2. Zwar hätte der Kläger zumindest teilweise eine bezifferte Leistungsklage, gerichtet auf Zahlung der
Überbrückungsbeihilfe für den in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Zeitraum, erheben
können. Es besteht jedoch keine generelle Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der
Leistungsklage. Für eine Feststellungsklage ist trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage das erforderliche
Feststellungsinteresse vorhanden, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis
der Parteien abschließend geklärt werden kann (st. Rspr., vgl. etwa BAG 23. Juli 2015 - 6 AZR 687/14 -
Rn. 16; 16. Juli 1998 - 6 AZR 672/96 - zu II 1 der Gründe). So liegt der Fall hier. Zwischen den Parteien sind
nur die Auswirkungen der Änderungen des Flexirentengesetzes und der im Zuge dessen bestehenden
Möglichkeit des Klägers zum Bezug einer Teilrente auf den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe in Streit.
Ist diese Frage geklärt, kann mit tarifgemäßer Leistung der Beklagten gerechnet werden. Zu einer
gegenteiligen Annahme besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung.
14 II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit
Aufnahme der Tätigkeit für die N GmbH gemäß § 4 Ziff. 1 Buchst. a TV SozSich entstandene Anspruch des
Klägers auf Überbrückungsbeihilfe ist gemäß § 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich mit Ablauf des 30. Juni 2017
erloschen, weil der Kläger ab dem 1. Juli 2017 die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für
den Bezug einer Teilrente, ab dem 1. Januar 2020 aufgrund der bis 31. Dezember 2020 befristeten
Anhebung der Hinzuverdienstgrenze auf 44.590,00 Euro (§ 302 Abs. 8 SGB VI idF des Gesetzes für den
erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister
aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 [Sozialschutz-Paket] vom 27. März 2020, BGBl. I S. 575) sogar für
den Bezug einer Vollrente erfüllte. Auch eine Teilrente iSv. § 42 SGB VI ist eine gesetzliche Altersrente, die
den Arbeitnehmer wirtschaftlich absichert und deshalb nach der tariflichen Systematik und dem Zweck der
Überbrückungsbeihilfe zur Beendigung des Anspruchs auf diese soziale Sonderleistung führt. Die
Möglichkeit, eine solche Rente zu beziehen, hat anspruchsvernichtende Wirkung (BAG 22. September
2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 14 ff.). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung auch nach dem Inkrafttreten
des Flexirentengesetzes fest.
15 1. Die Überbrückungsbeihilfe ist eine steuerfinanzierte soziale Sonderleistung mit Besitzstandssicherungs-
und Anreizfunktion (BAG 15. November 2018 - 6 AZR 522/17 - Rn. 26, BAGE 164, 168). Sie wird von der
beklagten Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Verpflichtung aus dem TV SozSich gezahlt. Diesen
Tarifvertrag hat die Bundesrepublik nach Art. 56 Abs. 5 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut
(ZA-NTS) vom 3. August 1959 zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den
Stationierungsstreitkräften beschäftigten Arbeitnehmer für die Entsendestaaten geschlossen. Die
Überbrückungsbeihilfe wird von ihr außerhalb des zuvor mit dem Entsendestaat begründeten
Arbeitsverhältnisses (zu der Arbeitgebereigenschaft des Entsendestaats BAG 9. Februar 1993 - 1 ABR
43/92 - zu B II 2 c der Gründe) im Innenverhältnis zu der jeweiligen Stationierungsstreitmacht getragen (vgl.
BT-Drs. 7/119 S. 11; BAG 1. Oktober 1998 - 6 AZR 228/97 - zu 1 der Gründe). Es handelt sich um eine
soziale Leistung (vgl. EuGH 16. September 2004 - C-400/02 - [Merida] Rn. 37; BAG 6. Oktober 2011
- 6 AZN 815/11 - Rn. 23, BAGE 139, 226), die der TV SozSich den bei den ausländischen Streitkräften
beschäftigten Arbeitnehmern als besondere soziale Sicherung gewährt (BAG 5. September 2019 - 6 AZR
455/18 - Rn. 30, BAGE 168, 1; 17. März 2016 - 6 AZR 92/15 - Rn. 19). Durch diese Leistung erhalten ältere,
langjährig beschäftigte Arbeitnehmer, die betriebsbedingt wirksam entlassen worden sind, noch über das
Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus Unterstützungsleistungen. Ihr Lebensunterhalt soll gesichert werden.
Nachteile, die sich aus einem geringeren Arbeitsverdienst in einem neuen Arbeitsverhältnis oder aufgrund
von Arbeitslosigkeit ergeben, sollen überbrückt werden. Zugleich soll ein Anreiz dafür geschaffen werden,
dass der Arbeitnehmer durch Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses außerhalb des Bereichs der
Stationierungsstreitkräfte im Arbeitsprozess verbleibt. Dieser Anreiz soll auch bestehen, wenn der
Arbeitnehmer dafür eine Vergütung erhält, die den bei den Stationierungsstreitkräften erzielten Verdienst
oder sogar das Arbeitslosengeld unterschreitet. Der frühere Arbeitnehmer soll zumindest der
Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen (vgl. zum Ganzen: BAG 5. September 2019 - 6 AZR 455/18 -
Rn. 31, aaO; 15. November 2018 - 6 AZR 522/17 - Rn. 25, 45, BAGE 164, 168; 22. September 2016 - 6 AZR
397/15 - Rn. 15).
16 2. Der TV SozSich geht von einem zeitlich begrenzten Überbrückungsbedarf aus (vgl. schon BAG 20. Mai
1999 - 6 AZR 601/97 - zu II 3 b aa der Gründe - „soweit und solange nötig“, „für einen tariflich anerkannten
Bedarfszeitraum“). Der Überbrückungsbedarf soll höchstens bis zum Erwerb einer wirtschaftlichen
Absicherung durch den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung befriedigt
werden (BAG 6. Oktober 2011 - 6 AZN 815/11 - Rn. 13, BAGE 139, 226). Mit Erwerb einer
Rentenberechtigung besteht der durch die Überbrückungsbeihilfe zu deckende Sicherungsbedarf nach der
Einschätzung der Tarifvertragsparteien unabhängig von der konkreten Höhe der Rente nicht mehr. Daher
entfällt mit dem frühestmöglichen Rentenbezug das Bedürfnis für die Überbrückungsbeihilfe, deren Zweck
nicht die Ergänzung einer als unzureichend empfundenen gesetzlichen Altersrente ist (BAG 19. Dezember
2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 11; 30. März 2000 - 6 AZR 645/98 - zu II 3 c bb der Gründe). Die Kompensation
von Rentennachteilen, die im Einzelfall aufgrund der Erwerbsbiographie eines Arbeitnehmers eintreten
oder die sich aus Rentenabschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente
ergeben, liegt außerhalb des Regelungsplans der Tarifvertragsparteien (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR
383/12 - Rn. 11; 6. Oktober 2011 - 6 AZN 815/11 - Rn. 23, aaO). Soweit eine ausreichende Versorgung
durch die gesetzliche Rente aufgrund etwaiger Rentenminderungen nicht besteht, ist die daraus
entstehende Unterversorgung mit anderen Mitteln als der Überbrückungsbeihilfe auszugleichen (vgl. BAG
22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 16; 19. Dezember 2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 11).
17 3. Wegen dieses Regelungszwecks endet der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe nach § 8 Ziff. 1
Buchst. c TV SozSich mit der Rentenberechtigung. Die Tarifvertragsparteien durften im Hinblick auf die
Tarifautonomie dabei an die bloße Berechtigung zum Bezug einer vorzeitigen Altersrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung anknüpfen, ohne im Einzelfall darauf abstellen zu müssen, ob die zu
erwartende Rente tatsächlich die Aufrechterhaltung des Lebensstandards gewährleistet (BAG 6. Oktober
2011 - 6 AZN 815/11 - Rn. 16, BAGE 139, 226; 30. März 2000 - 6 AZR 645/98 - zu II 3 c dd der Gründe).
Dabei unterscheidet das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen dem Stammrecht und dem
Recht auf die jeweils fällig werdenden Einzelleistungen. Das für § 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich
maßgebliche Stammrecht auf die Rente entsteht in dem Zeitpunkt, in dem alle materiellen
Voraussetzungen für eine Rentenberechtigung vorliegen. Darauf, ob der Berechtigte die Rente in
Anspruch nimmt oder wenigstens beantragt hat, kommt es für das Stammrecht nicht an (BAG 19. Dezember
2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 12; anders für eine Rente nach Art. 2 § 4 Abs. 1 des Gesetzes zur Herstellung
der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung [Renten-Überleitungsgesetz - RÜG]
vom 25. Juli 1991 [BGBl. I S. 1606, 1663], deren Beginn einen Antrag voraussetzt, BAG 20. November 1997
- 6 AZR 215/96 - zu II 2 c bb der Gründe).
18 4. Auch die Möglichkeit des Bezugs einer Teilrente wird vom Ausschlusstatbestand des § 8 Ziff. 1 Buchst. c
TV SozSich erfasst. Daran haben die mit dem Inkrafttreten des Flexirentengesetzes zum 1. Juli 2017
verbundenen rentenrechtlichen Änderungen, insbesondere die Heraufsetzung der Hinzuverdienstgrenzen
des § 34 Abs. 2, Abs. 3 SGB VI, nichts geändert.
19 a) Gemäß § 34 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Satz 4 SGB VI besteht vor Erreichen der Regelaltersgrenze
Anspruch auf eine Voll- oder Teilrente wegen Alters nur, wenn die in § 34 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 SGB VI
festgelegten Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten werden. Die Einhaltung dieser Grenzen ist
negative Anspruchsvoraussetzung des Rentenanspruchs. Sind sie überschritten, ist die
Überbrückungsbeihilfe mangels Rentenberechtigung weiter zu leisten (vgl. BAG 22. September 2016
- 6 AZR 397/15 - Rn. 17; 19. Dezember 2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 13 f.).
20 b) Die mit dem Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG
1992) eingeführte Teilrente soll einen „gleitenden Übergang“ in den Ruhestand ermöglichen (vgl. BT-
Drs. 11/4124 S. 163; Jassat in Ruland/Dünn GK-SGB VI Stand Dezember 2019/November 2017 § 42 Rn. 3,
5). Die damit verbundene Möglichkeit, Teilzeitarbeit und Teilrente flexibel miteinander zu kombinieren,
wollte der Gesetzgeber durch das Flexirentengesetz im Rahmen des bestehenden Rentensystems
weiterentwickeln und verbessern. Hierzu entfielen die bisherigen monatlichen Hinzuverdienstgrenzen
zugunsten einer kalenderjährlichen Hinzuverdienstgrenze mit stufenloser Anrechnung. Dies soll
verhindern, dass die Rente schon bei geringfügigem Überschreiten einer Hinzuverdienstgrenze
unverhältnismäßig stark gekürzt wird (BT-Drs. 18/9787 S. 1 f., 23; Jassat aaO Stand November 2017 § 42
Rn. 5a). Die Teilrente stellt abweichend vom „Alles-oder-nichts-Prinzip“ im Bereich der gesetzlichen
Rentenversicherung weitergehender als bisher sicher, dass der Rentenanspruch nicht gänzlich entfällt,
wenn der für eine Vollrente zulässige Hinzuverdienst überschritten wird. Der Rentenanspruch bleibt
zumindest teilweise erhalten (vgl. BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 19 zur Rechtslage vor
Inkrafttreten des Flexirentengesetzes).
21 c) Der Teilrentenanspruch gibt eine besondere Rentenberechnung vor. Die Teilrente ist - wie sich aus der
durch das Flexirentengesetz nicht geänderten Formulierung des § 42 Abs. 1 SGB VI ergibt - keine eigene
Rentenart, sondern eine anteilige Altersrente im Sinn einer quotierten Vollrente (vgl. Jassat in
Ruland/Dünn GK-SGB VI Stand November 2017 § 42 Rn. 6). Die Altersrente kann als Voll- oder Teilrente in
Anspruch genommen werden. Voll- und Teilrente betreffen dabei stets dasselbe individuelle Stammrecht.
§ 42 Abs. 1 SGB VI eröffnet dem rentenberechtigten Arbeitnehmer lediglich ein Wahlrecht hinsichtlich des
Rentenumfangs und damit der Rentenhöhe (BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 20; vgl. auch
Freudenberg in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB VI 2. Aufl. § 42 Rn. 11; KKW/Roßbach 5. Aufl. § 42 SGB VI
Rn. 2).
22 d) Mit der Möglichkeit, eine Teilrente als quotierte Vollrente zu beziehen, ist der Überbrückungsbedarf, den
der Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe abdecken soll, beendet. Die Tarifvertragsparteien haben den
durch die tarifliche Leistung gesicherten Überbrückungsbedarf mit dem Erwerb des Anspruchs auf eine
gesetzliche Rente als befriedigt angesehen. Sie haben sich in § 8 Ziff. 1 Buchst. c TV SozSich der
jeweiligen Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung unterworfen (vgl. BAG 22. September 2016
- 6 AZR 397/15 - Rn. 21). Damit wirken sich Änderungen im bestehenden System der gesetzlichen
Rentenversicherung unmittelbar auf die Anspruchsberechtigung im Rahmen des TV SozSich aus. Sie
schlagen daher reflexartig sowohl zugunsten als auch zulasten der Arbeitnehmer bzw. der Beklagten „eins
zu eins“ auf den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe durch.
23 e) Aus diesem Grund entstand entgegen der Annahme der Revision mit dem Inkrafttreten des
Flexirentengesetzes am 1. Juli 2017 keine von den Arbeitsgerichten zu schließende Tariflücke aufgrund
einer - in der Sache auch nicht vorliegenden - grundlegenden Veränderung der Systematik des
Rentenrechts. Eine Regelungslücke kommt daneben schon deswegen nicht in Betracht, weil eine
gesonderte rentenrechtliche Absicherung des Beziehers von Überbrückungsbeihilfe nicht Gegenstand der
tariflichen Leistung ist (vgl. BAG 10. Juli 2003 - 6 AZR 344/02 - Rn. 31). Die vom Kläger beklagte Einbuße
und die damit verbundene Härte haben ihre Ursache nicht in der tariflichen Regelung der
Überbrückungsbeihilfe, sondern in den gesetzlichen Regelungen der Rentenversicherung. Der Ausgleich
solcher finanzieller Einbußen und Härten ist nicht Gegenstand des Regelungsplans der
Tarifvertragsparteien des TV SozSich (vgl. BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 16;
19. Dezember 2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 11), die mit der Überbrückungsbeihilfe den Lebensunterhalt des
Arbeitnehmers lediglich befristet bis zum frühestmöglichen Bezug einer vorgezogenen Altersrente sichern
wollten (BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 383/12 - Rn. 11; 30. März 2000 - 6 AZR 645/98 - zu II 3 c bb der
Gründe). Die Anreizfunktion der Überbrückungsbeihilfe besteht daher nicht bis zur Möglichkeit, eine
ungekürzte Vollrente zu beziehen, sondern ist auf den Zeitraum begrenzt, für den nach dem Willen der
Tarifvertragsparteien ein Überbrückungsbedarf besteht. Soweit ein Arbeitnehmer aufgrund Überschreitens
der Hinzuverdienstgrenzen des § 34 SGB VI weiterhin Überbrückungsbeihilfe beanspruchen kann, folgt
dies nicht aus deren Anreizfunktion, sondern aus der im Rentenrecht verankerten negativen
Voraussetzung für den Teilrentenbezug. Dem Sinn und Zweck des TV SozSich widerspräche ein solcher
Weiterbezug der Überbrückungsbeihilfe durch einen Arbeitnehmer mit einem hohen, einen
Teilrentenanspruch ausschließenden Hinzuverdienst zwar nicht. Ein möglichst langer
Überbrückungsbeihilfebezug ist von den Tarifvertragsparteien aber nicht intendiert, sondern lediglich die
Folge der Regelung des Gesetzgebers in § 42 Abs. 1, § 34 Abs. 2, Abs. 3 SGB VI. Insoweit überlagert die
der Überbrückungsbeihilfe immanente zeitliche Begrenzung die mit dieser Leistung verbundene
Anreizfunktion. Der anspruchserhaltende Charakter des Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze im
Rahmen des TV SozSich ist ein bloßer Reflex ihrer anspruchsausschließenden Wirkung im Bereich der
gesetzlichen Rentenversicherung.
24 f) Dieses systematische Verständnis steht mit dem Zweck der Überbrückungsbeihilfe im Einklang. Mit der
erworbenen Rentenberechtigung - auch nur zum Bezug einer Teilrente - besteht kein durch die
Überbrückungsbeihilfe abzudeckender, zeitlich begrenzter Überbrückungsbedarf mehr. Es besteht nur
noch ein vorübergehender oder dauernder Ergänzungsbedarf. Der Ergänzungsbedarf ergibt sich aus Sicht
des ehemaligen Arbeitnehmers - hier des Klägers - daraus, dass die gesetzliche (Teil-)Rente nicht
ausreicht, um den bisherigen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Diesen Ergänzungsbedarf wollten und
mussten die Tarifvertragsparteien aber nicht abdecken. Sie wollten den Lebensunterhalt nicht bis zum
Bezug der Regelaltersrente, sondern nur bis zum frühestmöglichen Rentenbezug sicherstellen. Dabei
haben die Tarifvertragsparteien im Rahmen der Zwecksetzung ihrer Regelung trotz möglicherweise
erheblicher Unterschiede der individuellen Rentenbeträge für den Ausschluss des Anspruchs auf
Überbrückungsbeihilfe typisierend an die Berechtigung zum Bezug eines vorgezogenen Altersruhegeldes
aus der gesetzlichen Rentenversicherung angeknüpft. Sie konnten zwar bei Abschluss des TV SozSich am
31. August 1971 von den späteren Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung keine Kenntnis
haben. Ihnen waren jedoch die verschiedenen Rentenarten und die unterschiedliche Höhe gesetzlicher
Renten bekannt. Gleichwohl haben sie nicht darauf abgestellt, ob die zu erwartende Rente tatsächlich die
Aufrechterhaltung des Lebensstandards gewährleisten kann. Spätere Änderungen im gesetzlichen
Rentensystem haben die Tarifvertragsparteien ebenso wenig zum Anlass genommen, den TV SozSich zu
ändern (BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 631/05 - Rn. 12, BAGE 118, 196), sondern sind davon ausgegangen,
dass der Gesetzgeber dem Versorgungsinteresse des Rentenberechtigten auch bei einer gekürzten Rente
ausreichend Rechnung getragen hat. Wird das Existenzminimum oder das Niveau der Grundsicherung
durch die Summe aus (Teil-)Rente und etwaigem Hinzuverdienst nicht erreicht, ist diese Unterversorgung
des rentenberechtigten früheren Arbeitnehmers nicht durch die Fortzahlung der Überbrückungsbeihilfe,
sondern mit anderen sozialversicherungsrechtlichen Mitteln auszugleichen (vgl. BAG 22. September 2016
- 6 AZR 397/15 - Rn. 25; 18. Mai 2006 - 6 AZR 631/05 - Rn. 12, aaO; so schon zu § 2 Ziff. 2 Buchst. d
TV SozSich BAG 30. März 2000 - 6 AZR 645/98 - zu II 3 c dd der Gründe). Aus § 4 Ziff. 5 Buchst. a
TV SozSich folgt nichts Anderes (BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 26).
25 g) Soweit die Revision vorbringt, die vom Gesetzgeber mit dem Flexirentengesetz beabsichtigte
Abschwächung des „Alles-oder-nichts-Prinzips“ bei der gesetzlichen Rente führe für den Kläger in Bezug
auf die Überbrückungsbeihilfe gerade zu einem „Alles-oder-nichts“, da ihm keine andere ernsthafte
Möglichkeit als der Bezug der vorzeitigen Altersrente als Teilrente verbleibe, führt dies zu keinem anderen
Ergebnis. Die Vorstellung des Gesetzgebers bezog sich auf die Möglichkeit, neben dem Bezug einer
Teilrente weiterhin Arbeitsentgelt zu erzielen und so das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu
flexibilisieren. Sie bezog sich nicht auf die Aufrechterhaltung der vom Kläger bisher gewählten Option, statt
der Altersrente weiterhin Arbeitsentgelt und Überbrückungsbeihilfe zu erlangen, die der TV SozSich nur in
den Grenzen des jeweiligen Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung ermöglicht. Die
Tarifvertragsparteien des TV SozSich haben dem Arbeitnehmer kein Recht eingeräumt, zwischen der
Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente oder der Fortzahlung der Überbrückungsbeihilfe bis zur
Inanspruchnahme der Regelaltersrente frei zu wählen. Dabei waren sich die Tarifvertragsparteien bewusst,
dass der Bezug einer Altersrente stets mit einer Absenkung des Einkommens verbunden ist. Dennoch
schlossen sie den Anspruch auf Zahlung der Überbrückungsbeihilfe bei Vorliegen der Voraussetzungen
für den Bezug des vorgezogenen Altersruhegeldes aus (vgl. BAG 18. Mai 2006 - 6 AZR 631/05 - Rn. 11,
BAGE 118, 196).
26 5. Das Erlöschen des Überbrückungsbeihilfeanspruchs auch mit der Möglichkeit des Bezugs einer
Teilrente verstößt nicht gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1
AGG. Das hat der Senat bereits entschieden (BAG 22. September 2016 - 6 AZR 397/15 - Rn. 29 ff.; vgl.
auch EuGH 6. Dezember 2012 - C-152/11 - [Odar] Rn. 46 ff.) und hält hieran fest.
27 III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Spelge
Krumbiegel
Heinkel
C. Klar
Klapproth
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