Urteil des BAG vom 24.06.2020

Mindestentgelt in der Pflegebranche

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 24. Juni 2020
Fünfter Senat
- 5 AZR 93/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:240620.U.5AZR93.19.0
I. Arbeitsgericht Paderborn
Urteil vom 9. August 2018
- 1 Ca 487/18 -
II. Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil vom 22. November 2018
- 18 Sa 995/18 -
Entscheidungsstichwort:
Mindestentgelt in der Pflegebranche
Leitsätze:
1. Die in der 2. und 3. PflegeArbbV festgelegten Grundsätze zur Bemes-
sung des Mindestentgelts in der Pflegebranche gehen gemäß § 1 Abs. 3
MiLoG iVm. § 24 Abs. 1 MiLoG aF im Geltungsbereich der Verordnungen
dem im Mindestlohngesetz geregelten Anspruch auf gesetzlichen Mindest-
lohn vor.
2. Soweit die Höhe der auf Grundlage der Verordnungen festgesetzten
Mindestentgelte die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschrei-
ten darf, betrifft dies nur die Höhe des Mindestentgelts selbst. Die Rechts-
verordnungen können jedoch vom Mindestlohngesetz abweichende Rege-
lungen zur Bemessung der Arbeitsleistung als Arbeitszeit vorsehen.
ECLI:DE:BAG:2020:240620.U.5AZR93.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 93/19
18 Sa 995/18
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
24. Juni 2020
URTEIL
Münchberg, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Klägerin, Berufungsklägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte,
pp.
Beklagter, Berufungsbeklagter, Revisionsbeklagter und Revisionskläger,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
24. Juni 2020 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Linck,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht Berger und Dr. Volk sowie den
ehrenamtlichen Richter Dr. Rahmstorf und die ehrenamtliche Richterin Naumann
für Recht erkannt:
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. November 2018
- 18 Sa 995/18 - wird als unzulässig verworfen.
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5 AZR 93/19
ECLI:DE:BAG:2020:240620.U.5AZR93.19.0
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2. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Hamm vom 22. November 2018
- 18 Sa 995/18 - im Kostenpunkt und insoweit aufgeho-
ben, als es auf die Berufung der Klägerin das Urteil des
Arbeitsgerichts Paderborn vom 9. August 2018 - 1 Ca
487/18 - abgeändert und den Beklagten zur Zahlung von
854,83 Euro nebst Zinsen verurteilt hat. Die Berufung
der Klägerin gegen das bezeichnete Urteil des Arbeits-
gerichts Paderborn wird auch insoweit zurückgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revi-
sion zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche nach dem Mindestlohn-
gesetz.
Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 2015 bei dem beklagten Caritasver-
band e.V. in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft als teilzeitbeschäftigte
Alltagsbegleiterin in der Nachtwache eingestellt. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart,
dass sie im Monat bis zu sieben Nachtwachen in der Zeit von 20:00 bis 07:00 Uhr
zu leisten hat und diese aus Bereitschaftszeit und Arbeitszeit bestehen. Aufgrund
arbeitsvertraglicher Bezugnahme
finden die „Richtlinien für Arbeitsverträge in
den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR)“ in ihrer jeweils gel-
tenden Fassung Anwendung.
Seit ihrem Dienstantritt im Oktober 2015 ist die Klägerin in der Wohnge-
meinschaft „K“ eingesetzt. Ihre Aufgabe besteht darin, nachts auf Hilfeanforde-
rungen der Bewohner zu reagieren und diese beispielsweise bei einem Toiletten-
gang zu begleiten oder bei Schlafstörungen zu beruhigen. Die Grund- und Be-
handlungspflege gehört nicht zu ihren Aufgaben. Gelegentlich wird sie zu inter-
nen Fortbildungen und Dienstbesprechungen herangezogen. Im Dienstvertrag ist
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5 AZR 93/19
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eine Eingruppierung in der Vergütungsgruppe 11 Anlage 1 zu den AVR vorgese-
hen.
In den AVR ist im Allgemeinen Teil ua. Folgendes geregelt:
㤠9a Arbeitszeit
Die Arbeitszeit aller Mitarbeiter bestimmt sich nach den Ar-
beitszeitreglungen der Anlagen 5,
… zu den AVR. …“
In der Anlage 5 zu den AVR heißt es ua.:
㤠1 Arbeitszeit, Ruhepausen, Ruhezeiten
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter beträgt
durchschnittlich 39
Stunden in der Woche. …
§ 1a Teilzeitbeschäftigung
(1)
Mit vollbeschäftigten Mitarbeitern soll auf Antrag eine
geringere als die regelmäßige Arbeitszeit vereinbart
werden, wenn sie
§ 1b Arbeitszeitverkürzung durch freie Tage
(1)
Der Mitarbeiter wird in jedem Kalenderjahr an einem
Arbeitstag … von der Arbeit freigestellt. Für die Zeit
der Freistellung erhält der Mitarbeiter die Dienstbe-
züge … und die in Monatsbeträgen festgelegten Zu-
lagen fortgezahlt.
§ 8 Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft in Krankenhäu-
sern und Heimen
(1)
Abweichend von § 7 gilt diese Bestimmung für Mitar-
beiter in …
c)
sonstigen Einrichtungen und Heimen, in denen die
betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen,
und in Altenpflegeheimen und Pflegebereichen in Al-
tenheimen oder
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d)
Einrichtungen und Heimen, die der Förderung der
Gesundheit, der Erziehung, Fürsorge oder Betreuung
von Kindern und Jugendlichen, der Fürsorge oder
Betreuung von Obdachlosen, Alten, Gebrechlichen,
Erwerbsbeschränkten oder sonstigen hilfsbedürfti-
gen Personen dienen, auch wenn diese Einrichtun-
gen nicht der ärztlichen Behandlung der betreuten
Personen dienen.
(2)
Bereitschaftsdienst leisten Mitarbeiter, die sich auf
Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmä-
ßigen Arbeitszeit an einer vom Dienstgeber bestimm-
ten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit auf-
zunehmen. …
§ 9 Bereitschaftsdienst- und Rufbereitschaftsentgelt in
Krankenhäusern und Heimen
(2)
Zum Zwecke der Vergütungsberechnung der unter
§ 8 Abs. 1 Buchstabe (d) fallenden Mitarbeiter wird
die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der
geleisteten Arbeit mit 25 v.H. als Arbeitszeit bewertet.
Leistet der Mitarbeiter in einem Kalendermonat mehr
als acht Bereitschaftsdienste, wird die Zeit eines je-
den über acht Bereitschaftsdienste hinausgehenden
Bereitschaftsdienstes zusätzlich mit 15 v.H. als Ar-
beitszeit gewertet.
(2a) Zusätzlich zu Abs. 1 und Abs. 2 wird die Zeit des Be-
reitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Ar-
beit in der Zeit von 20.00 bis 6.00 Uhr mit einem Zu-
schlag in Höhe von 15 v.H. der Stundenvergütung
nach § 2 der Anlage 6a zu den AVR vergütet.
(3)
Für die nach Absatz 1 und Absatz 2 errechnete Ar-
beitszeit wird die Überstundenvergütung nach § 1
Abs. 3 Unterabsatz 2 der Anlage 6a zu den AVR be-
zahlt. Für die Zeit des Bereitschaftsdienstes ein-
schließlich der geleisteten Arbeit und für die Zeit der
Rufbereitschaft werden Zeitzuschläge nicht gezahlt.
…“
Innerhalb einer Nachtwache bewertet der Beklagte die Zeit von 20:00 bis
21:00 Uhr und von 05:45 bis 07:00 Uhr (= 2,25 Stunden, in Dezimalzahlen aus-
gedrückt) als Arbeitszeit und die Zeit von 21:00 bis 05:45 Uhr als Bereitschafts-
dienst. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes fakturierte der Beklagte mit 25 %
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(8,75 Stunden x 25 % = 2,19 Stunden). Auf die 8,75 Stunden Bereitschafts-
dienstzeit hat er einen Nachtzuschlag iHv. 15 % (= 1,31 Stunden) sowie auf die
fakturierte Stundenzahl von 2,19 Stunden einen Überstundenzuschlag von 25 %
(= 0,55 Stunden) in Ansatz gebracht und damit insgesamt 6,3 Stunden (2,25 +
2,19 + 1,31 + 0,55) unter Zugrundelegung eines Stundenentgelts von zuletzt
10,86 Euro vergütet (= 68,42 Euro je Nachtwache).
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Differenzvergütung für den Zeitraum von
Oktober 2015 bis Dezember 2017 unter Benennung der Nachtdienste, des Frei-
zeitausgleichs, der Fortbildungs- und Dienstbesprechungszeiten sowie der Ur-
laubs- und Arbeitsunfähigkeitszeiten geltend gemacht. Sie hat gemeint, der Be-
klagte sei verpflichtet, die gesamte Zeit der Nachtwache mit dem gesetzlichen
Mindestlohn zu vergüten.
Die Klägerin hat in der Revision zuletzt beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.451,65 Euro brutto
nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz aus 907,68 Euro seit dem 2. Januar 2016,
aus 3.689,14 Euro seit dem 2. Januar 2017 und aus
854,83 Euro seit dem 2. Januar 2018 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertre-
ten, die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) und der auf
seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen, insbesondere der Zweiten
Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (Zweite
Pflegearbeitsbedingungsverordnung - 2. PflegeArbbV) - gingen dem Mindest-
lohngesetz vor, so dass Ansprüche auf gesetzlichen Mindestlohn nicht bestün-
den. Die sich aus der 2. PflegeArbbV ergebenden Entgeltansprüche habe er er-
füllt. Hiernach könne die Klägerin Vergütung für 2,25 Stunden Vollarbeit und 2,19
fakturierte Stunden Bereitschaftsdienst (25 % von 8,75 Stunden) zu einem Stun-
denentgelt iHv. 10,20 Euro, insgesamt also 45,26 Euro je Nachtwache verlan-
gen. Tatsächlich gezahlt habe er 68,42 Euro je Nachtwache.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klä-
gerin hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeän-
dert und den Beklagten zur Zahlung von 854,83 Euro brutto nebst Zinsen für das
Jahr 2017 verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre abgewiesenen
Zahlungsansprüche für die Jahre 2015 und 2016 weiter. Der Beklagte begehrt
mit seiner Revision die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
A.
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Hierauf wurde die Klägerin ge-
mäß § 139 Abs. 3 ZPO mit Schreiben des Senatsvorsitzenden vom 9. Juni 2020
hingewiesen.
I.
Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen gemäß § 72
Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angege-
ben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen,
aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll
. Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechts-
fehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung
des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit
den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Revisionsführer
muss darlegen, warum er die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig
hält. Allein die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinanderset-
zung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Revisionsbegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des
bisherigen Vorbringens
.
II.
Hiervon ausgehend genügt die Revisionsbegründung der Klägerin nicht
den gesetzlichen Anforderungen.
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1.
Das Landesarbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung auf
S. 14/15 des Berufungsurteils ausgeführt, der Anwendungsvorrang der
2. PflegeArbbV gegenüber § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 MiLoG gelte bis zum 31. De-
zember 2016 unabhängig davon, ob der gesetzliche Mindestlohn unterschritten
werde. Das folge aus § 24 Abs. 1 Satz 1 MiLoG in der bis zum 31. Dezember
2017 geltenden Fassung (im Folgenden MiLoG aF). Die Vorschrift sehe erst ab
dem 1. Januar 2017 eine Einschränkung des Geltungsvorrangs vor. Ab dem
1. Januar 2017 seien Rechtsverordnungen auf der Grundlage von § 11 AEntG
nur noch dann vorrangig, wenn sie ein Entgelt iHv. mindestens 8,50 Euro brutto
je Zeitstunde vorsähen. Die Vorschrift des § 24 Abs. 1 MiLoG aF stelle insoweit
eine Spezialregelung gegenüber § 1 Abs. 3 MiLoG dar. Das ergebe sich aus dem
Wortlaut, der systematischen Stellung und dem Sinn von § 24 Abs. 1 MiLoG aF.
Hierbei handele es sich um eine Übergangsregelung, die es ermöglichen solle,
die bisherigen Branchenmindestlöhne schrittweise an den gesetzlichen Mindest-
lohn heranzuführen. Die Bestimmungen der 2. PflegeArbbV fänden auf das Ar-
beitsverhältnis der Parteien Anwendung. Sowohl der betriebliche als auch der
persönliche Geltungsbereich seien eröffnet. Die Klägerin leiste Bereitschafts-
dienst im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 2 der 2. PflegeArbbV. Ihre Bereitschafts-
dienstzeiten bestünden mindestens zu 75 % aus Zeiten ohne Arbeitsleistung. Mit
der Formulierung „außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ werde zum Ausdruck
gebracht, dass während des Bereitschaftsdienstes nicht die volle Arbeitsleis-
tung - wie in der regelmäßigen Arbeitszeit - erbracht werden müsse.
2.
Die Klägerin macht in ihrer Revisionsbegründung auf S. 2 im dritten und
vierten Absatz geltend, die Ausnahmeregelung der 2. PflegeArbbV sei so auszu-
legen, dass nur dann Stundensätze unterhalb des Mindestlohns vereinbart wer-
den könnten, wenn durch andere Zahlungen ein Mindestlohn iHv. 8,50 Euro er-
reicht werde. Es sei unzulässig, die „tatsächlich geleistete Arbeitsstunde“ anders
zu definieren, um einen geringeren Lohn zahlen zu können, als nach dem Min-
destlohngesetz bestimmt sei. Ergänzend werde die Revision auf den Vortrag in
der Berufungsbegründung vom 27. September und 16. November 2018 gestützt.
Damit gibt die Klägerin nur das Ergebnis ihrer Auslegung der Vorschriften wieder,
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ohne dieses Ergebnis auch nur ansatzweise zu begründen oder sich mit der Aus-
legung des Berufungsgerichts argumentativ konkret auseinanderzusetzen. Dies
ist unzureichend. Der Umstand, dass sich die Klägerin ergänzend auf ihren Vor-
trag in der Berufungsbegründung stützt, führt nicht zu einer anderen Bewertung,
da auch die bloße Wiederholung des bisherigen Vorbringens keine konkrete Aus-
einandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Berufungsgerichts darstellt.
Die Ausführungen der Klägerin nach dem rechtlichen Hinweis zur Unzulässigkeit
der Revision im Schriftsatz vom 10. Juni 2020 veranlassen keine andere Bewer-
tung der Revisionsbegründung. Auch hier verkennt die Klägerin die gesetzlichen
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung im Sinne einer
argumentativen Auseinandersetzung mit dem Berufungsurteil.
B.
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat kei-
nen Anspruch auf weitere Vergütung für das Jahr 2017.
I.
Die Revision des Beklagten ist nicht bereits deshalb begründet, weil die
Berufung der Klägerin unzulässig gewesen wäre. Deren Berufungsbegründung
setzt sich ausreichend mit den Gründen des erstinstanzlichen Urteils auseinan-
der. Das hat das Landesarbeitsgericht mit zutreffenden Erwägungen erkannt. Der
Beklagte hat hiergegen in der Revision auch keine Rügen erhoben.
II.
Die Klage ist unter Berücksichtigung der in der Revision wirksam erfolg-
ten teilweisen Klagerücknahme zulässig.
1.
Die Klägerin hat im zweiten Rechtszug Zahlung von insgesamt
6.433,71 Euro nebst Zinsen von dem Beklagten verlangt. In der Revision hat sie
unter ausdrücklicher Rücknahme der Klage im Übrigen noch Zahlung von
5.451,65 Euro nebst Zinsen gefordert. Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 9. Mai
2019 mitgeteilt, er werde der teilweisen Klagerücknahme nicht widersprechen.
Damit gilt die Einwilligung in die Klagerücknahme gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4
ZPO als erteilt.
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2.
Der Zahlungsantrag ist - soweit für die Revision des Beklagten von Be-
lang - zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Nach dem Vorbringen der Klägerin ist der Antrag abschließend auf konkrete Ver-
gütungsdifferenzen für das Jahr 2017 gerichtet und nicht nur auf einen Teil hier-
von. Die Klage ist dementsprechend als abschließende Gesamtklage zu verste-
hen
. Den Darlegungen
der Klägerin ist zu entnehmen,
aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamt-
klage“ zusammensetzt
.
III.
Die Klage ist in dem auf die Revision des Beklagten zu prüfenden Um-
fang unbegründet.
1.
Die Klage ist bereits nicht schlüssig.
a)
Macht der Arbeitnehmer geltend, die vom Arbeitgeber tatsächlich ge-
zahlte Vergütung erreiche den gesetzlichen Mindestlohn nicht, begründet dies
von Gesetzes wegen einen Anspruch auf Differenzvergütung, wenn der Arbeit-
nehmer in der Abrechnungsperiode für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergeb-
nis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn
erhält. Dabei scheiden längere Berechnungszeiträume als ein Kalendermonat für
die Frage, ob ein Anspruch auf Differenzvergütung entstanden ist, aus. Denn mit
dem Mindestlohngesetz soll den in Vollzeit tätigen Arbeitnehmern ein Monatsein-
kommen „oberhalb der Pfändungsfreigrenze“ gesichert werden. Um regelmäßi-
gen Zahlungspflichten nachkommen zu können, regelt § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
MiLoG konsequenterweise die Fälligkeit des Mindestlohns spätestens am letzten
Bankarbeitstag des Monats, der auf den Monat folgt, in dem die Arbeitsleistung
erbracht wurde
. Hiervon ausgehend erfüllt der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitneh-
mers auf den gesetzlichen Mindestlohn, wenn die für einen Kalendermonat ge-
zahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der
Anzahl der im betreffenden Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit dem
Betrag des jeweiligen gesetzlichen Mindestlohns ergibt
.
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b)
Nach diesen Grundsätzen hätte die Klägerin zur schlüssigen Begrün-
dung ihrer auf Zahlung der Differenzvergütung zum gesetzlichen Mindestlohn ge-
richteten Klage für jeden einzelnen Monat des Jahres 2017 ein konkret beziffer-
tes Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns darlegen müssen. Das ist nicht
erfolgt. Die Klägerin hat vielmehr im Wege einer abschließenden Gesamtklage
Entgeltansprüche für das Jahr 2017 unter Benennung der in diesem Jahr insge-
samt geleisteten Nachtdienste, der begehrten Freizeitausgleichsansprüche nach
den AVR, der Fortbildungs- und Dienstbesprechungszeiten sowie der Urlaubs-
und Arbeitsunfähigkeitszeiten geltend gemacht. In dem schriftsätzlichen Vorbrin-
gen der Klägerin zu den Ansprüchen für das Jahr 2017 ist eine zeitliche Zuord-
nung zu einzelnen Monaten nicht enthalten. Die in einem nicht näher erläuterten
Anlagenkonvolut vorgelegten Dienstpläne und Abrechnungen sind nicht geeig-
net, den entsprechend § 130 Nr. 3 ZPO erforderlichen schriftsätzlichen Partei-
vortrag zu ersetzen
.
c)
Eines vorherigen Hinweises nach § 139 Abs. 2 ZPO auf die Unschlüssig-
keit der Klage, um der Klägerin nach Aufhebung des Berufungsurteils und Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der
Gewährleistung eines fairen Verfahrens
Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrags zu geben, be-
durfte es nicht. Der Klägerin steht auch bei unterstellter Schlüssigkeit der Klage
für das Jahr 2017 kein weiterer Vergütungsanspruch zu.
2.
Die Klägerin hat für die beim Beklagten im Jahr 2017 geleisteten Dienste
keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Das Mindestlohngesetz wird
durch die im Streitzeitraum anwendbaren Rechtsverordnungen, die 2. und
3. PflegeArbbV, verdrängt.
a)
Das Landesarbeitsgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausge-
gangen, dass nach der Senatsrechtsprechung Bereitschaftszeit nicht nur arbeits-
schutzrechtlich Arbeitszeit
, sondern
auch vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611a Abs. 2 BGB ist. Hierzu gehört nicht
nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses
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dient, sondern auch eine vom Arbeitgeber veranlasste Untätigkeit, während derer
der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz oder einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle
anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen
kann, er also weder eine Pause
noch Freizeit hat. Diese Vorausset-
zung ist bei der Bereitschaftszeit, die üblicherweise beschrieben wird als Zeit wa-
cher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung, gegeben. Der Arbeitnehmer
muss sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten, um im Be-
darfsfall die Arbeit aufzunehmen. Das Mindestlohngesetz differenziert nicht nach
dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme. Leistet der Arbeitnehmer vergü-
tungspflichtige Arbeit, gibt das Gesetz einen ungeschmälerten Anspruch auf den
Mindestlohn. Das Mindestlohngesetz enthält keine abweichende Regelung
.
b)
Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht indes angenommen, der An-
spruch auf den gesetzlichen Mindestlohn iHv. 8,84 Euro bestehe auch für jede
Zeitstunde des von der Klägerin im Jahr 2017 geleisteten Bereitschaftsdienstes,
weil das Mindestlohngesetz nicht durch die 2. PflegeArbbV verdrängt werde. Da-
mit hat es verkannt, dass im Streitzeitraum die in der 2. und 3. PflegeArbbV fest-
gelegten Grundsätze zur Bemessung des Mindestentgelts dem im Mindestlohn-
gesetz geregelten Anspruch auf gesetzlichen Mindestlohn vorgehen.
aa)
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 MiLoG gehen die Regelungen des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) und der
auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen den Regelungen des Min-
destlohngesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten
Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet. Ergän-
zend hierzu bestimmt § 24 Abs. 1 Satz 1 MiLoG aF in der bis zum 31. Dezember
2017 geltenden Fassung, dass bis zu diesem Zeitpunkt abweichende Regelun-
gen eines Tarifvertrags repräsentativer Tarifvertragsparteien dem Mindestlohn
vorgehen, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallen-
den Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind; ab dem 1. Januar 2017 müssen
abweichende Regelungen in diesem Sinne mindestens ein Entgelt von 8,50 Euro
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brutto je Zeitstunde vorsehen. Dies gilt entsprechend für Rechtsverordnungen,
die auf der Grundlage von § 11 AEntG sowie § 3a AÜG erlassen worden sind.
bb)
Der in § 1 Abs. 3 MiLoG und § 24 Abs. 1 MiLoG aF normierte Vorrang
von Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsendege-
setzes erlassen worden sind, vor den Regelungen des Mindestlohngesetzes be-
wirkt in Bezug auf Zahlungsansprüche im Jahr 2017 einen umfassenden Vorrang
der darin enthaltenen Grundsätze zur Bemessung des Mindestentgelts vor dem
gesetzlichen Mindestlohn, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten
Branchenmindestlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nach § 1 MiLoG
nicht unterschreitet
.
(1)
Die Höhe des Mindestlohns betrug im Jahr 2017 8,84 Euro brutto je Zeit-
stunde. Mit dem in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG enthaltenen Tatbestandsmerkmal
„Zeitstunde“ ist die „vergütungspflichtige Arbeitsstunde” gemeint
. Dies ist die Zeit, in der Arbeitsleistungen erbracht wurden,
denn nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG wird der Mindestlohn nur für die
erbrachte Arbeitsleistung gezahlt
. Dass mit Zeitstunden geleis-
tete Arbeitsstunden gemeint sind, verdeutlicht auch die Gesetzesbegründung,
welche die Vereinbarung von Stücklöhnen und Akkordlöhnen zulässt, wenn ge-
währleistet ist, dass der Mindestlohn für die geleisteten Arbeitsstunden erreicht
wird
. Für Zeiten ohne Arbeitsleistung begründet das
Mindestlohngesetz keine unmittelbaren Entgeltansprüche
.
(2)
Wenn nun nach § 1 Abs. 3 MiLoG und § 24 Abs. 1 MiLoG aF Rechtsver-
ordnungen für eine Übergangszeit den Regelungen des Mindestlohngesetzes
vorgehen, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmin-
destlöhne die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht unterschreitet, und die-
ser Vorrang grundsätzlich umfassend sein soll
, betrifft dies nur die Höhe des Mindestentgelts
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selbst. Die in Rechtsverordnungen enthaltenen Bestimmungen zur Vergütungs-
pflicht von Arbeitszeit und zur Bemessung der Arbeitsleistung als Arbeitszeit ge-
hen dagegen dem Verständnis vergütungspflichtiger Arbeitsstunden nach dem
Mindestlohngesetz vor
. Dieses Normverständnis ist nach dem Zweck der Übergangsrege-
lung geboten. Hierdurch sollte für eine Übergangszeit eine stufenweise Heran-
führung der Entlohnungsbedingungen ermöglicht und eine hinreichende Vorlauf-
zeit für gegebenenfalls erforderliche Anpassungsprozesse in den betroffenen
Branchen eröffnet werden. Der vorübergehende Vorrang branchenbezogener
Mindestlöhne sollte der spezifischen Ertragskraft der Unternehmen in ihrer Bran-
che Rechnung tragen
. In der Pflegebranche bestand
zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mindestlohngesetzes ein solcher Anpas-
sungsbedarf. Es entsprach dort einer verbreiteten Übung, geleistete Bereit-
schaftsdienste anteilig in Abhängigkeit vom Grad der Inanspruchnahme der Ar-
beitsleistung zu vergüten. Eine stufenweise Heranführung der Entlohnungsbe-
dingungen in der Pflegebranche an die des Mindestlohngesetzes ist insbeson-
dere unter Berücksichtigung der Ertragskraft der dort tätigen Unternehmen gebo-
ten. Dieses Ziel wird nur erreicht, wenn die in Rechtsverordnungen enthaltenen
Bestimmungen zur Fakturierung von Arbeitszeit in der gesetzlich vorgesehenen
Übergangsperiode Vorrang vor den Entlohnungsgrundsätzen des Mindestlohn-
gesetzes haben. Anderenfalls liefen diese Regelungen zur Bemessung der Ar-
beitsleistung als Arbeitszeit weitgehend leer, weil die Vergütung nach dem ge-
setzlichen Mindestlohn stets höher wäre.
(3)
Dieses aus dem Sinn und Zweck der Übergangsregelung in § 1 Abs. 3
MiLoG und § 24 Abs. 1 MiLoG aF folgende Verständnis eines Vorrangs der dort
genannten Regelungen und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverord-
nungen über Branchenmindestlöhne vor den Bestimmungen des Mindestlohnge-
setzes zur Höhe des Mindestlohns wird bestätigt durch das mit dem Erlass der
2. PflegeArbbV verfolgte Ziel. Hiermit hat das Bundesministerium für Arbeit und
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Soziales als Verordnungsgeber auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg
im Jahre 2012 reagiert. Dieses
hat aus dem Fehlen einer Regelung zu den Bereitschaftsdiensten in der damals
geltenden ersten Pflegemindestlohnverordnung abgeleitet, dass jede Stunde mit
dem Mindestlohn zu vergüten sei, und zwar unabhängig davon, ob es sich um
Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst gehandelt habe. Diese Auffassung ist durch
das Bundesarbeitsgericht bestätigt worden
. In einer vom Beklagten vorgelegten vom Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales anlässlich des Inkrafttretens der
2. PflegeArbbV herausgegebenen Broschüre zum Mindestlohn in der Pflege
heißt es auf S. 17, die Zweite Verordnung zum Pflegemindestlohn reagiere auf
diese Rechtsauffassung und erlaube eine differenzierte Behandlung von Vollar-
beitszeit und Bereitschaftsdienst. Da zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der
2. PflegeArbbV am 1. Januar 2015 das Mindestlohngesetz bereits in Kraft getre-
ten war
, ist davon auszugehen, dass es be-
wusstes Ziel dieser Verordnung war, für den in § 24 Abs. 1 MiLoG aF bezeichne-
ten Übergangszeitraum eine dem Zweck dieser Übergangsregelung entspre-
chende differenzierte Vergütung von Vollarbeit und Bereitschaftsdienst zu ver-
ordnen.
c)
In dem maßgeblichen Zeitraum des Jahres 2017 richtet sich die Vergü-
tung in der Pflegebranche und damit auch die der Klägerin nach der 2. und
3. PflegeArbbV.
aa)
Diese Verordnungen sind Rechtsverordnungen iSv. § 1 Abs. 3 MiLoG
und § 24 Abs. 1 MiLoG aF. Sie sind nach deren Eingangsformeln aufgrund des
§ 11 Abs. 1 und Abs. 2 AEntG vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales
erlassen worden.
bb)
Die 2. und 3. PflegeArbbV sind in Bezug auf die jeweils in § 2 geregelten
Mindestentgelte nicht mangels Regelungskompetenz des Verordnungsgebers
unwirksam
. Nach § 11 Abs. 1 iVm. § 5 Nr. 1 AEntG können durch Rechtsverordnung
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auch Mindestentgeltsätze geregelt werden, die nach Art der Tätigkeit, Qualifika-
tion der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können.
Dies ist hier mit der genannten Regelung erfolgt.
cc)
Die 2. und 3. PflegeArbbV finden auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
(1)
Der Geltungsbereich der 2. und 3. PflegeArbbV ist nach den nicht ange-
griffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts eröffnet. Der Beklagte be-
treibt einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 1 der Verordnungen und erbringt ambu-
lante Pflegeleistungen. Die Klägerin fällt in den persönlichen Geltungsbereich der
Verordnungen, weil sie Alltagsbegleiterin iSv. § 1 Abs. 4 Nr. 1 der Verordnungen
ist. Der zeitliche Geltungsbereich ist gleichfalls eröffnet. Die 2. PflegeArbbV re-
gelt das Mindestentgelt für Pflegebetriebe in der Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum
31. Oktober 2017 und die 3. PflegeArbbV das Mindestentgelt in der Zeit vom
1. November 2017 bis zum 30. April 2020. Im Jahr 2017 betrug das Mindestent-
gelt durchgehend nach beiden Verordnungen 10,20 Euro brutto je Stunde.
(2)
Die Klägerin leistete im Jahr 2017 Bereitschaftsdienst iSd. Verordnun-
gen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 der 2. und 3. PflegeArbbV leisten Arbeitnehmer Be-
reitschaftsdienste iSd. Verordnungen, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers
außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten
Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten
ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung
mindestens 75 % beträgt.
(a)
Gemäß § 4 Buchst. a des Arbeitsvertrags hat die Klägerin Nachtwachen
nach Vorgabe der Einsatzleitung zu erbringen. Hiernach leistete die Klägerin je-
weils in der Zeit von 21:00 bis 05:45 Uhr insgesamt 8,75 Stunden Bereitschafts-
dienst.
(b)
Soweit es in den Verordnungen heißt, Bereitschaftsdienste im Sinne die-
ser Verordnung leisten Arbeitnehmer, die sich auf Anordnung des Arbeitgebers
„außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ an einer vom Arbeitgeber bestimmten
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Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, steht dies der An-
nahme von Bereitschaftsdienst nicht entgegen. Hieraus kann nicht geschlossen
werden, die Klägerin habe keinen Bereitschaftsdienst geleistet, weil der von ihr
geleistete Dienst innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit gelegen habe. Mit den
Worten „außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ legen die Verordnungen an-
knüpfend an Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes lediglich fest, dass Be-
reitschaftsdienst nicht als regelmäßige Arbeitszeit betrachtet wird
. So geht der Sechste Senat des
Bundesarbeitsgerichts zu § 7 Abs. 3 TVöD-B mit Recht davon aus, dass die Ta-
rifvertragsparteien des TVöD-B mit der
Formulierung „außerhalb der regelmäßi-
gen Arbeitszeit“ deutlich gemacht haben, dass der Bereitschaftsdienst unabhän-
gig von der arbeitszeitrechtlichen Betrachtung von der regelmäßigen Arbeitszeit
zu unterscheiden und zusätzlich dazu zu erbringen sei. Das Tatbestandsmerkmal
„außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit“ stehe deshalb einer Anordnung von
Bereitschaftsdienst zwischen oder nach der „Vollarbeitszeit“ nicht entgegen.
Sehe ein Schichtplan neben einer regelmäßigen täglichen Arbeitszeit Bereit-
schaftsdienst vor, lege er die regelmäßige Arbeitszeit des Beschäftigten mit ei-
nem im Voraus feststehenden Unterbrechungszeitraum fest, der außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit liege
. Hiervon ausgehend leistete die Klägerin Bereitschaftsdienst iSv.
§ 2 Abs. 3 Satz 2 der 2. und 3. PflegeArbbV. Die Zeit des Bereitschaftsdienstes
lag zulässigerweise zwischen Zeiten der Vollarbeitszeit.
(c)
Die Bereitschaftsdienstzeiten der Klägerin während der Nachtwachen
bestanden nach den nicht angegriffenen und damit den Senat nach § 559 Abs. 2
ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu mindestens 75 %
aus Zeiten ohne Arbeitsleistung.
(d)
Die Bereitschaftsdienstzeit war nach den Feststellungen des Landesar-
beitsgerichts in Dienstplänen hinterlegt. Hiergegen hat sich die Klägerin in der
Revision nicht gewandt.
d)
Die
Zeit
des
von
der
Klägerin
vom
1. Januar
bis
zum
31. Oktober 2017 geleisteten Bereitschaftsdienstes kann nach § 2 Abs. 3 Satz 4
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der 2. PflegeArbbV zum Zwecke der Entgeltberechnung auf der Grundlage einer
kollektiv-rechtlichen oder einer schriftlichen einzelvertraglichen Regelung mit
mindestens 25 % als Arbeitszeit bewertet werden. Eine solche Regelung besteht
im Arbeitsverhältnis der Klägerin. In den kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme
auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Arbeitsvertragsbedingungen der Caritas
(AVR), welche den Rechtscharakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ha-
ben
,
ist in Anlage 5 § 9 Abs. 1
Buchst. a bestimmt, dass zum Zwecke der Vergütungsberechnung für den Per-
sonenkreis, zu dem auch die Klägerin gehört, die Arbeitsleistung des Bereit-
schaftsdienstes zu 25 % als Arbeitszeit bewertet wird, wenn die Arbeitsleistung
innerhalb des Bereitschaftsdienstes 10 bis 25 % beträgt. Dies ist nach den von
der Klägerin nicht mit Gegenrügen angegriffenen Feststellungen des Landesar-
beitsgerichts der Fall. Hiernach ist davon auszugehen, dass die Bereitschafts-
dienstzeiten der Klägerin zu mindestens 75 % aus Zeiten ohne Arbeitsleistung
bestehen. Damit beträgt in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 2017 die
Arbeitsleistung der Klägerin innerhalb des Bereitschaftsdienstes höchstens
25 %. Für die Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 2017 kann nach
§ 2 Abs. 4 Satz 1 der 3. PflegeArbbV eine Bewertung der Zeiten des Bereit-
schaftsdienstes zu mindestens 40 % als Arbeitszeit erfolgen. Allerdings muss da-
bei nach § 2 Abs. 5 der 3. PflegeArbbV die monatlich ausgezahlte Bruttovergü-
tung geteilt durch die geleisteten Arbeitsstunden einschließlich der Bereitschafts-
stunden mindestens die jeweilige Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nach dem
Mindestlohngesetz erreichen.
e)
Hiervon ausgehend hat die Klägerin keinen Anspruch auf die mit der
Klage geltend gemachte weitere Vergütung für das Jahr 2017.
aa)
Die Klägerin hat mit ihrer Klage zunächst Mindestlohnansprüche für 84
Nachtwachen geltend gemacht. Dem schriftsätzlichen Vorbringen ist indes nicht
zu entnehmen, wie sich diese 84 Nachtwachen über das Jahr 2017 verteilen.
Damit ist nicht klar feststellbar, wie viele Bereitschaftsdienste in der Zeit vom
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1. Januar bis zum 31. Oktober 2017 anfielen und mit 25 % als Arbeitszeit zu be-
werten sind und wie viele in der Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember
2017 geleistete Bereitschaftsdienste nach der 3. PflegeArbbV zu behandeln sind.
Die Klage ist damit insoweit bereits unschlüssig. Eines Hinweises des Senats auf
das Inkrafttreten der 3. PflegeArbbV zum 1. November 2017 bedurfte es nicht,
nachdem der Beklagte in seiner Revisionsbegründung hierauf unter wörtlicher
Wiedergabe der einschlägigen Passagen hingewiesen hatte. Es wäre hiervon
ausgehend Sache der Klägerin gewesen, mit einer Gegenrüge den fehlenden
Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO auf die mangelnde Schlüssigkeit der Klage gel-
tend zu machen. Dies ist indes unterblieben.
bb)
Auch wenn man zu Gunsten der Klägerin die in einem Anlagenkonvolut
zur Klageschrift vorgelegten und an sich nicht zu berücksichtigenden Dienstpläne
heranzieht
,
ergibt sich, dass offenbar insgesamt sieben Nachtwachen in den Monaten No-
vember und Dezember 2017 lagen. Damit sind für die in der Zeit vom 1. Januar
bis zum 31. Oktober 2017 insgesamt geleisteten 77 Nachtwachen jeweils
8,75 Stunden Bereitschaftsdienst mit 25 % (= 2,19 Stunden) als Arbeitszeit zu
bewerten. Hinzu kommen 2,25 Stunden Vollarbeit von 20:00 bis 21:00 Uhr und
von 05:45 bis 07:00 Uhr sowie die von dem Beklagten gewährten Nacht- und
Überstundenzuschläge nach den auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren AVR im
Gesamtumfang von 1,86 Stunden. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit betrug
damit unter Zugrundelegung der 2. PflegeArbbV sowie der AVR je Nachtwache
6,3 Stunden zu einem vereinbarten Stundenentgelt iHv. 10,86 Euro. Dies ergibt
einen Betrag von 68,42 Euro je Nachtwache und für insgesamt 77 Nachtwachen
einen Betrag von 5.268,19 Euro. Für die mutmaßlich sieben Nachtwachen in der
Zeit vom 1. November bis zum ein 31. Dezember 2017 kann die Klägerin für die
gesamte Dauer von jeweils 11 Stunden, insgesamt also 77 Stunden, den gesetz-
lichen Mindestlohn iHv. 8,84 Euro je Zeitstunde beanspruchen. Das ergibt einen
Betrag von 680,68 Euro. Dies ist mehr als sich ergeben würde, wenn man die
Zeiten des Bereitschaftsdienstes mit 40 % fakturiert. Insgesamt bestünde damit
bei Anwendung der 2. und 3. PflegeArbbV sowie unter Berücksichtigung der Zeit-
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zuschläge nach den AVR und der vereinbarten Stundenvergütung ein Entgeltan-
spruch der Klägerin für die von ihr im Jahr 2017 geleisteten Nachtwachen iHv.
5.948,87 Euro. Ansprüche auf etwaige weitere Zulagen oder auf weitere Vergü-
tung wegen zusätzlicher oder langer Bereitschaftsdienste nach § 2 Abs. 3 Satz 5
der 2. PflegeArbbV und § 2 Abs. 4 Satz 2 und Satz 3 der 3. PflegeArbbV hat die
Klägerin nach den maßgeblichen - zutreffenden - Feststellungen des Landesar-
beitsgerichts in diesem Rechtsstreit nicht geltend gemacht.
cc)
Für die von der Klägerin für das Jahr 2017 begehrte Vergütung der wei-
teren Stunden ist von dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Umfang aus-
zugehen. Diese tatsächlichen Feststellungen sind von der Klägerin in der Revi-
sion weder mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag noch mit begründeten Ge-
genrügen angegriffen worden. Danach hat die Klägerin Anspruch auf Urlaubs-
entgelt im Umfang von 108 Stunden, einen allgemeinen Freizeitausgleich im Um-
fang von drei Stunden, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für 30 Stunden sowie
auf Vergütung von Zeiten für Fortbildung und Dienstberatungen iHv. 11,5 Stun-
den, insgesamt also Anspruch auf Vergütung von 152,5 Stunden. Diese sind mit
dem vereinbarten Stundensatz von 10,86 Euro zu entlohnen. Die Klägerin hätte
hiernach also Anspruch auf Zahlung weiterer 1.656,15 Euro.
dd)
Ausgehend davon, dass die 2. und 3. PflegeArbbV Vorrang vor den Re-
gelungen des Mindestlohngesetzes haben, könnte die Klägerin damit nach den
Regelungen der 2. und 3. PflegeArbbV unter Berücksichtigung der Zeitzuschläge
nach den AVR und der vereinbarten Stundenvergütung von 10,86 Euro für die
streitgegenständlichen entgeltzahlungspflichtigen Zeiten des Jahres 2017 insge-
samt eine Vergütung iHv. 7.605,02 Euro brutto verlangen. Nach den nicht ange-
griffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte der Klägerin
im Jahr 2017 eine Vergütung iHv. insgesamt 8.661,43 Euro brutto gezahlt. Er hat
damit die streitgegenständlichen Entgeltforderungen der Klägerin erfüllt. Die Er-
füllungswirkung ist gemäß § 362 Abs. 1 BGB als objektive Folge der Leistungs-
bewirkung, dh. der Entgeltzahlung eingetreten
. Die Leistung des Beklagten kann einem bestimm-
ten Schuldverhältnis, nämlich den im Wege einer abschließenden Gesamtklage
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geltend gemachten Entgeltansprüchen der Klägerin für das Jahr 2017 zugeord-
net werden. Die Klage ist deshalb unbegründet.
C.
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und
der Revision zu tragen.
Linck
Berger
Volk
Naumann
Rahmstorf
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