Urteil des BAG vom 24.06.2020

Internationale Zuständigkeit der Arbeitsgerichte

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BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 24.6.2020, 5 AZR 55/19 (A)
ECLI:DE:BAG:2020:240620.B.5AZR55.19A.0
Internationale Zuständigkeit der Arbeitsgerichte
Leitsätze
Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über folgende Fragen
ersucht:
1. Ist Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21 Abs. 2, Abs. 1 Buchst. b (i) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden EuGVVO) dahin auszulegen, dass
ein Arbeitnehmer eine juristische Person, die nicht sein Arbeitgeber ist und die ihren Wohnsitz iSv. Art. 63 Abs. 1
EuGVVO nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch aufgrund einer
Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten haftet,
vor dem Gericht des Ortes verklagen kann, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine Arbeit im
Arbeitsverhältnis mit dem Dritten gewöhnlich verrichtet oder zuletzt verrichtet hat, wenn ohne die
Patronatsvereinbarung der Arbeitsvertrag mit dem Dritten nicht zustande gekommen wäre?
2. Ist Art. 6 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Vorbehalt hinsichtlich Art. 21 Abs. 2 EuGVVO die
Anwendung einer nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats bestehenden Zuständigkeitsregelung
ausschließt, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person, die ihm gegenüber unter wie in der
ersten Frage beschriebenen Umständen für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten
unmittelbar haftet, als "Rechtsnachfolger" des Arbeitgebers am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu
verklagen, wenn eine solche Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO nicht vorliegt?
3. Falls die erste Frage verneint und die zweite Frage bejaht wird:
a) Ist Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Begriff der "beruflichen Tätigkeit" die abhängige
Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren
Grundlage eine juristische Person für Ansprüche eines Arbeitnehmers aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit
einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der
seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
4. Sollte in Beantwortung der vorstehenden Fragen das vorlegende Gericht für die Entscheidung des Rechtsstreits
international zuständig sein:
a) Ist Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni
2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (im Folgenden
Rom I-VO) dahin auszulegen, dass der Begriff der "beruflichen Tätigkeit" die abhängige Beschäftigung in einem
Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dahin auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf deren
Grundlage eine juristische Person gegenüber einem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem individuellen
Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem Zweck
geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
Tenor
I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV
I. Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 AEUV
um Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Ist Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21 Abs. 2, Abs. 1 Buchst. b (i) der
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden
EuGVVO) dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer eine juristische
Person, die nicht sein Arbeitgeber ist und die ihren Wohnsitz iSv.
Art. 63 Abs. 1 EuGVVO nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
hat, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch aufgrund einer
Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem
individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten haftet, vor dem Gericht
des Ortes verklagen kann, an dem oder von dem aus der
Arbeitnehmer seine Arbeit im Arbeitsverhältnis mit dem Dritten
gewöhnlich verrichtet oder zuletzt verrichtet hat, wenn ohne die
Patronatsvereinbarung der Arbeitsvertrag mit dem Dritten nicht
zustande gekommen wäre?
2. Ist Art. 6 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass der Vorbehalt
hinsichtlich Art. 21 Abs. 2 EuGVVO die Anwendung einer nach dem
nationalen Recht des Mitgliedstaats bestehenden
Zuständigkeitsregelung ausschließt, die es dem Arbeitnehmer
ermöglicht, eine juristische Person, die ihm gegenüber unter wie in
der ersten Frage beschriebenen Umständen für Ansprüche aus einem
individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet, als
„Rechtsnachfolger“ des Arbeitgebers am Gerichtsstand des
gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, wenn eine solche
Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO
nicht vorliegt?
3. Falls die erste Frage verneint und die zweite Frage bejaht wird:
a) Ist Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass
der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ die abhängige
Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin
auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf
deren Grundlage eine juristische Person für Ansprüche
eines Arbeitnehmers aus einem individuellen
Arbeitsvertrag mit einem Dritten unmittelbar haftet,
einen Vertrag bildet, den der Arbeitnehmer zu einem
Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen
Tätigkeit zugerechnet werden kann?
4. Sollte in Beantwortung der vorstehenden Fragen das vorlegende
Gericht für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig
sein:
a) Ist Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008
des Europäischen Parlaments und des Rates vom
17. Juni 2008 über das auf vertragliche
Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I)
dahin auszulegen, dass der Begriff der „beruflichen
Tätigkeit“ die abhängige Beschäftigung in einem
Arbeitsverhältnis umfasst?
b) Ist bejahendenfalls Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO dahin
auszulegen, dass eine Patronatsvereinbarung, auf
deren Grundlage eine juristische Person gegenüber
einem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem
individuellen Arbeitsvertrag mit einem Dritten
unmittelbar haftet, einen Vertrag bildet, den der
Arbeitnehmer zu einem Zweck geschlossen hat, der
seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann?
II. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs
über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
Gründe
1
A. Gegenstand und Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
2
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger gegen die beklagte kanadische Gesellschaft aufgrund einer
Patronatsvereinbarung direkte Zahlungsansprüche wegen nicht erfüllter Ansprüche aus einem
Arbeitsverhältnis mit einer insolventen Schweizer Gesellschaft zustehen, und in diesem Zusammenhang
über die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte.
3
Die Beklagte ist eine nach dem Recht des US-Bundesstaats Nevada gegründete und im
Immobiliengeschäft tätige Gesellschaft. Der Sitz ihrer Hauptverwaltung befindet sich in Kanada, Provinz
Quebec. Der Kläger, der seinen Wohnsitz in Deutschland hat, war seit Ende September 2015 für die
Beklagte auf der Grundlage eines „service agreement“ (Dienstleistungsvereinbarung) als „Deputy Vice
President Investors Relations“ tätig und im Wesentlichen damit beschäftigt, private und institutionelle
Investoren für Immobiliengeschäfte der Beklagten zu akquirieren. Wegen einer aus ihrer Sicht
bestehenden Unsicherheit über den Beschäftigungsstatus des Klägers beschlossen die Parteien, das
Vertragsverhältnis auf eine neu zu gründende Schweizer Gesellschaft „zu überführen“. Mitte November
2015 vereinbarten sie die rückwirkende Beendigung des „service agreement“. In einem Begleitschreiben
des Klägers heißt es, er habe die Vereinbarung unter der Bedingung unterzeichnet, dass eine
gleichwertige Vereinbarung in Bezug auf einen Vertrag im Bereich der Geschäftsführung für die zu
gründende Schweizer Gesellschaft geschlossen werde.
4
Mit öffentlicher Beurkundung vom 14. Januar 2016 gründete eine F T AG nach Schweizer Recht die R
Swiss AG (im Folgenden R Swiss), die Mitte März 2016 in das Schweizer Handelsregister eingetragen
wurde. Bereits am 15. Januar 2016 wurden die Aktienanteile an der R Swiss an den „President“ der
Beklagten und späteren Präsidenten des Verwaltungsrats der R Swiss veräußert, der die Anteile im April
2016 auf die R D Canada Inc. - eine 100-%-ige Tochtergesellschaft der Beklagten - übertrug.
5
Am 12. Februar 2016 schloss der Kläger mit der R Swiss einen schriftlichen Arbeitsvertrag über eine
Tätigkeit als deren Direktor bei Zahlung einer Antrittsprämie iHv. 170.000 US-Dollar sowie - neben
weiteren Leistungen - eines monatlichen Entgelts von 42.500 US-Dollar. Am gleichen Tag traf er mit der
Beklagten ein auf den 1. Oktober 2015 rückdatiertes „loan agreement“, das die Gewährung eines
Darlehens an ihn iHv. 170.000 US-Dollar zum Gegenstand hat. Zweck dieser Vereinbarung sollte sein, die
dem Kläger aus der Dienstleistungsvereinbarung für vier Monate zustehende Vergütung in eine an die
Beklagte zurückzuzahlende Darlehenssumme umzuwidmen, wobei der entsprechende Betrag dem Kläger
in Gestalt der von der R Swiss zu leistenden Antrittsprämie unter Anwendung Schweizer Steuer- und
Abgabenrechts zufließen sollte.
6
Ebenfalls am 12. Februar 2016 unterzeichneten die Parteien ein „patron agreement“ (künftig, dem
Sprachgebrauch der Parteien folgend: Patronatsvereinbarung). Dort heißt es laut beglaubigter
Übersetzung:
㤠1
Die R hat eine Tochtergesellschaft, die R Swiss AG für den Vertrieb in Europa gegründet. Der
Direktor ist die geschäftsführende Führungskraft dieses Unternehmens. In Übereinstimmung mit
dieser Annahme erklärt die R folgendes:
§ 2
Die R verfügt über die umfassende Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Verpflichtungen in Bezug
auf die Verträge der R Swiss AG aufgrund der Zusammenarbeit von dessen Direktor mit der R
Swiss AG.“
7
Am 1. April 2016 schlossen der Kläger und die R Swiss einen neuen Arbeitsvertrag, der den vorherigen
ablöste und in dem sie sich - bei sonst im Wesentlichen gleichlautenden Vertragsbedingungen - auf die
Zahlung einer Antrittsprämie von 255.000 US-Dollar verständigten. Wie der vorherige sollte auch dieser
Arbeitsvertrag Schweizer Recht unterliegen.
8
In einem Vorprozess stellte das Arbeitsgericht Stuttgart durch rechtskräftiges Urteil vom 2. November 2016
die Unwirksamkeit einer von der R Swiss gegenüber dem Kläger erklärten Kündigung vom 11. Juli 2016
fest. Zudem verurteilte es die R Swiss, an den Kläger als Antrittsprämie 255.000 US-Dollar sowie als
Vergütung für April bis August 2016 212.500 US-Dollar zu zahlen. Dem kam die R Swiss nicht nach. Ein
Anfang März 2017 über das Vermögen der R Swiss nach Schweizer Recht eröffnetes Konkursverfahren
wurde Anfang Mai 2017 „mangels Aktiven“ eingestellt.
9
Mit der vorliegenden Klage nimmt der Kläger die Beklagte aus der Patronatsvereinbarung auf Zahlung der
im Vorprozess gegen die R Swiss titulierten Geldforderungen in Anspruch. Darüber hinaus begehrt er
Zahlung wegen Nichterfüllung weiterer, ihm aus dem Arbeitsverhältnis mit der R Swiss zustehender
Vergütungsansprüche aus Annahmeverzug für die Zeit von September 2016 bis November 2017 iHv.
insgesamt 595.000 US-Dollar, zusätzlich Aufwendungsersatz für eine von ihm aufgrund des
Rechtsverhältnisses mit der R Swiss veranlasste Registereintragung sowie die Feststellung einer
Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz für steuerliche Nachteile zu leisten, die ihm bei Nachzahlung
von Vergütung entstehen. Er hat gemeint, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sei jedenfalls
durch den besonderen Gerichtsstand der Verbrauchersache gegeben. Die Beklagte hat Klageabweisung
beantragt und sich dabei auf einen Rückzahlungsanspruch aus dem „loan agreement“ berufen, mit dem sie
gegenüber den Zahlungsansprüchen die Aufrechnung erklärt hat.
10 Das Arbeitsgericht hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und die Klage als
unzulässig abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des
Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Dabei hat es angenommen, der Rechtsweg zu
den Gerichten für Arbeitssachen sei zulässig und die deutschen Arbeitsgerichte seien international
zuständig. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der
erstinstanzlichen Entscheidung.
B. Rechtlicher Rahmen
I. Das einschlägige nationale Recht
13 § 48 Abs. 1a ArbGG in der seit dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung regelt Folgendes:
„§ 48 Rechtsweg und Zuständigkeit
(1a) Für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3, 4a, 7, 8 und 10 sowie Abs. 2 ist auch das
Arbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit
verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Ist ein gewöhnlicher Arbeitsort im Sinne des
Satzes 1 nicht feststellbar, ist das Arbeitsgericht örtlich zuständig, von dessen Bezirk aus der
Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat.“
14 In § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung heißt es:
„§ 2 Zuständigkeit im Urteilsverfahren
(1) Die Gerichte für Arbeitssachen sind ausschließlich zuständig für
3. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern
a) aus dem Arbeitsverhältnis
…“
15 § 3 ArbGG, gültig ab 1. Juli 1979, lautet:
„§ 3 Zuständigkeit in sonstigen Fällen
Die in den §§ 2 und 2a begründete Zuständigkeit besteht auch in den Fällen, in denen der
Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder durch eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes
an Stelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist.“
II. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts
17 Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember
2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in
Zivil- und Handelssachen (ABl. EU L 351 vom 20. Dezember 2012 S. 1, im Folgenden EuGVVO), nach
ihrem Art. 81 in Kraft getreten am 10. Januar 2015, lautet auszugsweise:
„…
In Erwägung nachstehender Gründe:
(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich
grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets
gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des
Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium
gerechtfertigt ist. …
(18) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch
Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine
Regelung.
KAPITEL I
ANWENDUNGSBEREICH UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art
der Gerichtsbarkeit ankommt. …
KAPITEL II
ZUSTÄNDIGKEIT
ABSCHNITT 1
Allgemeine Bestimmungen
Artikel 4
(1) Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor
den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.
Artikel 6
(1) Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich
vorbehaltlich des Artikels 18 Absatz 1, des Artikels 21 Absatz 2 und der Artikel 24 und 25
die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenem Recht.
(2) Gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
hat, kann sich unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit jede Person, die ihren Wohnsitz
im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in diesem Mitgliedstaat auf die dort geltenden
Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf diejenigen, welche die Mitgliedstaaten der
Kommission gemäß Artikel 76 Absatz 1 Buchstabe a notifizieren, wie ein Staatsangehöriger
dieses Mitgliedstaats berufen.
ABSCHNITT 2
Besondere Zuständigkeiten
Artikel 8
Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt
werden:
1.
wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem
einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge
Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten
erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende
Entscheidungen ergehen könnten;
ABSCHNITT 4
Zuständigkeit bei Verbrauchersachen
Artikel 17
(1) Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher,
zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit
dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt
sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach
diesem Abschnitt,
c)
in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen
Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche
Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf
mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den
Bereich dieser Tätigkeit fällt.
Artikel 18
(1) Die Klage eines Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner kann entweder vor den
Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser
Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des anderen
Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.
ABSCHNITT 5
Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge
Artikel 20
(1) Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen
Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit
unbeschadet des Artikels 6, des Artikels 7 Nummer 5 und, wenn die Klage gegen den
Arbeitgeber erhoben wurde, des Artikels 8 Nummer 1 nach diesem Abschnitt.
(2) Hat der Arbeitgeber, mit dem der Arbeitnehmer einen individuellen Arbeitsvertrag
geschlossen hat, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats keinen Wohnsitz, besitzt er aber in
einem Mitgliedstaat eine Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung, so
wird er für Streitigkeiten aus ihrem Betrieb so behandelt, wie wenn er seinen Wohnsitz im
Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hätte.
Artikel 21
(1) Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann
verklagt werden:
b)
in einem anderen Mitgliedstaat
i)
vor dem Gericht des Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich
seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder
(2) Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann
vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Absatz 1 Buchstabe b verklagt werden.
KAPITEL V
ALLGEMEINE VORSCHRIFTEN
Artikel 63
(1) Gesellschaften und juristische Personen haben für die Anwendung dieser Verordnung
ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich
a)
ihr satzungsmäßiger Sitz,
b)
ihre Hauptverwaltung oder
c)
ihre Hauptniederlassung befindet.
…“
18 Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über
das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. EU L 177 vom 4. Juli 2008
berichtigt L 309 S. 87, im Folgenden Rom I-VO) lautet in Kapitel II auszugsweise:
„Art. 4
Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht
(1) Soweit die Parteien keine Rechtswahl gemäß Artikel 3 getroffen haben, bestimmt sich das
auf den Vertrag anzuwendende Recht unbeschadet der Artikel 5 bis 8 wie folgt:
Art. 6
Verbraucherverträge
(1) Unbeschadet der Artikel 5 und 7 unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem
Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann
(„Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer
beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt („Unternehmer“), dem Recht des Staates, in
dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer
a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der
Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgend einer Weise auf diesen Staat oder auf mehrere
Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet
und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
…“
C. Erforderlichkeit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Erläuterung der
Vorlagefragen
20 Der Erfolg der - nach dem maßgeblichen deutschen Zivilprozessrecht einschließlich des
arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahrens zulässigen - Revision der Beklagten hängt entscheidend davon ab,
ob die deutschen Gerichte international zuständig sind. Dabei geht der Senat davon aus, dass das
Rechtsmittel nicht aus anderen, vorrangig zu beachtenden Gründen erfolgreich ist. Insbesondere sieht er
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts - dem Berufungsgericht insoweit folgend -
als zulässig an. Soweit das Landesarbeitsgericht die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für
Arbeitssachen bejaht hat, hat der Senat dies im Rahmen der nachträglich zugelassenen Revision gemäß
§ 73 Abs. 2 iVm. § 65 ArbGG nicht zu überprüfen (vgl. GWBG/Benecke ArbGG 8. Aufl. § 73 Rn. 41;
ErfK/Koch 20. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 9; GMP/Müller-Glöge ArbGG 9. Aufl. § 73 Rn. 32).
21 Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hängt von der Auslegung von Art. 6 Abs. 1, Art. 21
Abs. 2, Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ab. Vor einer Entscheidung über die Revision ist deshalb das
Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) einzuholen.
Zur Frage 1:
23 I. Die internationale Zuständigkeit bestimmt sich gemäß Art. 66 Abs. 1 EuGVVO nach den Vorschriften
dieser Verordnung.
24 1. Die Klage ist im März 2017 und damit nach dem 10. Januar 2015 erhoben worden. Die EuGVVO geht
nationalem Zuständigkeitsrecht im Rang vor (zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [im Folgenden EuGVVO aF]
BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 138/11 - Rn. 13 mwN). Das gegenüber dem nationalen Recht ebenfalls
vorrangige Lugano-Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 in der im Streitfall maßgeblichen Fassung des
Änderungsübereinkommens vom 3. März 2017 (LugÜ) ist nicht einschlägig. Ein Fall des Art. 64 Abs. 2
LugÜ, in dem das Übereinkommen Vorrang gegenüber der EuGVVO beansprucht (dazu
MüKoZPO/Gottwald 5. Aufl. Art. 64 LugÜ Rn. 2), liegt nicht vor.
25 2. Der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO ist eröffnet, da die
Parteien eine zivilrechtliche Streitigkeit führen und kein Fall des Art. 1 Abs. 2 EuGVVO vorliegt. Ob es sich
um eine arbeitsrechtliche Streitigkeit handelt, bedarf insoweit keiner Entscheidung, weil auch solche
Verfahren zu den Zivilsachen iSd. Verordnung gehören (zu Art. 1 Abs. 1 Satz 1 der EuGVVO aF vgl. BAG
19. März 2014 - 5 AZR 252/12 (B) - Rn. 12 mwN, BAGE 147, 342).
26 3. Der für die Anwendung der EuGVVO stets erforderliche Auslandsbezug (dazu EuGH 17. November 2011
- C-327/10 - [Lindner] Rn. 29) ist gegeben, da es sich bei der Beklagten um eine ausländische Gesellschaft
ohne Sitz im Inland handelt.
27 Nach Art. 63 Abs. 1 EuGVVO haben juristische Personen wie die Beklagte für die Anwendung der
Verordnung ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder
ihre Hauptniederlassung befindet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts befindet sich die
Hauptverwaltung der Beklagten, dh. der Ort, an dem die Willensbildung der Gesellschaft erfolgt und die
grundlegenden unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden (vgl. BAG 24. September 2009
- 8 AZR 306/08 - Rn. 31, BAGE 132, 182; E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze Internationaler
Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 63 Rn. 8;
Wieczorek/Schütze/Eichel ZPO 4. Aufl. Art. 63 Brüssel Ia-VO Rn. 11), in Kanada. Die Parteien gehen
erkennbar davon aus, dass sich dort zugleich der satzungsmäßige Sitz der Beklagten befindet.
Anhaltspunkte, die dem widersprechen könnten, liegen nicht vor. Soweit im Raum steht, dass die Beklagte
von einem Büro in Stuttgart aus Geschäfte betrieben hat, ist nicht zu erkennen, dass sich dort der
Schwerpunkt ihres unternehmensexternen Geschäftsverkehrs befunden hätte und es sich entsprechend
um eine Hauptniederlassung iSv. Art. 63 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO (zu den Anforderungen vgl. BAG
24. September 2009 - 8 AZR 306/08 - Rn. 34 mwN, aaO) gehandelt hat. Zudem ergeben sich aus den
Feststellungen des Berufungsgerichts keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Büro im
maßgeblichen Zeitpunkt der Anrufung des Arbeitsgerichts Stuttgart iSv. Art. 32 EuGVVO noch unterhalten
wurde. Das ist aber sowohl Voraussetzung für die Annahme eines Wohnsitzes iSv. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO
(vgl. dazu E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen
Stand September 2016 EuGVVO Art. 63 Rn. 5) als auch für die Anwendung von Art. 20 Abs. 2 EuGVVO
(dazu BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 138/11 - Rn. 32), der in Arbeitssachen eine Niederlassung für
Streitigkeiten aus dem Betrieb der Niederlassung einem Wohnsitz iSv. Art. 62 bzw. Art. 63 EuGVVO
gleichstellt.
28 4. Mangels Wohnsitzes der Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats richtet sich die internationale
Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 6 Abs. 1 EuGVVO. Absatz 2 der Bestimmung kommt im Streitfall
keine Bedeutung zu, weil die deutschen Zuständigkeitsvorschriften nicht nach der Staatsangehörigkeit
differenzieren (Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand
September 2016 EuGVVO Art. 6 Rn. 11).
29 5. Eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 oder Art. 25 EuGVVO besteht nicht. Da die Beklagte sich
in allen Instanzen auf die Unzulässigkeit der Klage mangels internationaler Zuständigkeit deutscher
Gerichte berufen hat, kann offenbleiben, ob Art. 26 EuGVVO, der die Zuständigkeit infolge rügeloser
Einlassung regelt, in die vorbehaltenen Normen des Art. 6 Abs. 1 EuGVVO „hineinzulesen“ ist
(befürwortend bspw. Wieczorek/Schütze/Gebauer ZPO 4. Aufl. Art. 6 Brüssel Ia-VO Rn. 14 mwN).
30 II. Der Senat kann nicht ohne Klärung durch den Gerichtshof entscheiden, ob nach dem für das
Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt gemäß Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21 Abs. 2 EuGVVO
ein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet ist. Die Entscheidung hängt davon ab, ob die Regelungen einen
Gerichtsstand am gewöhnlichen Arbeitsort eines Arbeitnehmers für eine Klage gegen eine juristische
Person begründen, die zwar nicht sein Vertragsarbeitgeber ist, die dem Arbeitnehmer gegenüber jedoch
aufgrund einer Patronatsvereinbarung unmittelbar für Ansprüche aus einem Arbeitsvertrag mit einem
Dritten haftet und dieser Arbeitsvertrag ohne die Patronatsvereinbarung nicht zustande gekommen wäre.
31 1. Gemäß Art. 21 Abs. 2 EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines
Mitgliedstaats hat, vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gemäß Abs. 1 Buchst. b der Bestimmung verklagt
werden. Nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. b (i) EuGVVO kann der Arbeitgeber vor dem Gericht des Ortes verklagt
werden, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder verrichtet hat.
Die mit der Neufassung der Verordnung erstmals eingeführte Bestimmung des Art. 21 Abs. 2 EuGVVO
erweitert den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der im Kapitel II, 5. Abschnitt der EuGVVO
enthaltenen Zuständigkeitsordnung für Arbeitssachen. Ihre Anwendung setzt nach Art. 20 Abs. 1 EuGVVO
voraus, dass ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den
Gegenstand des Verfahrens bilden.
32 2. Den Rechtsbegriffen „individuelles Arbeitsverhältnis“, „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“, die in der
EuGVVO nicht ausdrücklich definiert sind, ist unter Berücksichtigung von Art. 45 AEUV eine autonome und
damit allen Staaten gemeinsame Auslegung zugrunde zu legen (zu Art. 18 EuGVVO aF EuGH 19. Juli
2012 - C-154/11 - [Mahamdia] Rn. 42; zur Auslegung des Brüsseler Übereinkommens EuGH 22. November
1978 - C-33/78 - [Somafer SA] Rn. 8). Dabei gilt die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung zu den
Regelungen in der EuGVVO aF fort, soweit die Bestimmungen dieses vorhergehenden Unionsrechtsaktes
mit den Bestimmungen der EuGVVO als „gleichwertig“ angesehen werden können (EuGH 7. November
2019 - C-213/18 - [Guaitoli ua.] Rn. 31; 3. Oktober 2019 - C-208/18 - [Petruchová] Rn. 38 mwN). Außerdem
kann auf die Auslegung des Gerichtshofs zu entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommens von
Rom zurückgegriffen werden, da mit diesem gemäß seiner Präambel die innerhalb der Union
insbesondere im Bereich der gerichtlichen Zuständigkeit und der Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen bereits begonnene Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen
Privatrechts fortgesetzt werden soll (EuGH 14. September 2017 - C-168/16 ua. - [Nogueira ua.] Rn. 55).
33 3. Ein „individueller Arbeitsvertrag“ iSd. EuGVVO ist danach eine Vereinbarung, mittels derer sich eine
Person - der Arbeitnehmer - verpflichtet, während einer bestimmten Zeit für eine andere Person - den
Arbeitgeber - nach deren Weisung Leistungen zu erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung
erhält (vgl. EuGH 9. Juli 2015 - C-229/14 - [Balkaya] Rn. 34 mwN; 26. Februar 1992 - C-357/89 - [Raulin]
Rn. 10; 26. Februar 1992 - C-3/90 - [Bernini] Rn. 14; BAG 20. Oktober 2015 - 9 AZR 525/14 - Rn. 18 mwN).
34 4. Hiervon ausgehend handelt es sich zwar bei dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der R
Swiss um ein individuelles Arbeitsverhältnis iSd. Art. 20 Abs. 1 EuGVVO. Das folgt bereits daraus, dass der
Kläger und die R Swiss ihre Rechtsbeziehung ausdrücklich als Arbeitsverhältnis angesehen und dieses
entsprechend der Arbeitsverträge vom 12. Februar und 1. April 2016 den Rechtsvorschriften des Schweizer
Obligationenrechts für privatrechtliche Arbeitsverträge unterworfen haben. Auch hat der Senat nach dem
substantiierten, von der Beklagten nicht ausreichend bestrittenen Vortrag des Klägers davon auszugehen,
dass im Rahmen seiner Tätigkeit für die R Swiss der gewöhnliche Arbeitsort des Klägers iSd. Art. 21 Abs. 1
Buchst. b (i) EuGVVO, dh. der Ort, der den tatsächlichen Mittelpunkt der Berufstätigkeit des Arbeitnehmers
bildet oder von dem er den wesentlichen Teil seiner Arbeitspflichten aus erfüllt oder erfüllt hat (EuGH
14. September 2017 - C-168/16 ua. - [Nogueira ua.] Rn. 59), in Stuttgart und damit im
Zuständigkeitsbereich deutscher Gerichte lag.
35 5. Ansprüche aus diesem Rechtsverhältnis sind jedoch nur mittelbar Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens. Der Kläger nimmt die Beklagte nicht als seine Vertragsarbeitgeberin, sondern aus der
Patronatsvereinbarung vom 12. Februar 2016 wegen Forderungen in Anspruch, die ihm nach seinen
Behauptungen aus dem Rechtsverhältnis mit seiner Vertragsarbeitgeberin, der R Swiss zustehen.
36 a) Gemäß ihrem § 2 hat die Beklagte mit der Patronatsvereinbarung die „umfassende Verantwortlichkeit für
die Erfüllung der Verpflichtungen in Bezug auf die Verträge“ übernommen, die der Kläger mit der R Swiss
hinsichtlich seiner Tätigkeit als deren Direktor schließt. Der Senat versteht diese Vereinbarung als eine
Sicherungsabrede, die im Anwendungsbereich deutschen materiellen Rechts als „externe harte
Patronatserklärung“ zu qualifizieren ist und mit der die Beklagte gegenüber dem Kläger rechtsverbindlich
die Verpflichtung übernommen hat, die R Swiss finanziell so auszustatten, dass sie ihre aus der benannten
Tätigkeit des Klägers resultierenden finanziellen Verpflichtungen tatsächlich erfüllen kann (zur Auslegung
einer Patronatsvereinbarung und zur Abgrenzung einer „harten“ gegenüber einer „weichen“
Patronatserklärung BAG 21. Oktober 2014 - 3 AZR 1027/12 - Rn. 56 mwN). Damit ist die
Patronatsvereinbarung der hier vorliegenden Art als einseitig verpflichtender Vertrag einer Bürgschaft oder
Garantieerklärung vergleichbar. Sie begründet zumindest im Fall der - durch den Konkurs der R Swiss
nachgewiesenen - Zahlungsunfähigkeit der patronierten Gesellschaft eine Einstandspflicht der Beklagten
für die Erfüllung der gesicherten Verbindlichkeiten, aus der der Kläger unter dem Gesichtspunkt des
Schadensersatzes eigene Haftungsansprüche gegen die Beklagte ableiten kann, ohne dass es einer
vorherigen erfolglosen Inanspruchnahme der R Swiss bedürfte (vgl. BGH 12. Januar 2017 - IX ZR 95/16 -
Rn. 7). Die Haftung ist akzessorisch und angesichts der von der Beklagten übernommenen „vollen
Verantwortung für die Erfüllung der Verbindlichkeiten“ der R Swiss inhaltlich nicht auf einen Ausfall
begrenzt (vgl. BGH 30. Januar 1992 - IX ZR 112/91 - zu II 3 c der Gründe, BGHZ 117, 127). Von diesem
Regelungsgehalt der Patronatsvereinbarung und den mit ihr verbundenen Rechtsfolgen gehen die
Parteien auch - und zwar unabhängig von dem hierauf anwendbaren Recht - selbst aus.
37 b) Ein nach dem Vorbringen des Klägers möglicher Eintritt des Haftungsfalls führt aber nicht dazu, dass die
Beklagte in die Rechtsstellung der R Swiss als Vertragsarbeitgeberin eingerückt wäre. Das
Rechtsverhältnis der Parteien ist auch nicht deshalb als individuelles Arbeitsverhältnis anzusehen, weil der
Kläger nach einem Anhang zu den Arbeitsverträgen mit der R Swiss unter der Überschrift
„Konzernzusammenhang“ verpflichtet war, alle gegenüber der R Swiss geschuldeten Tätigkeiten mit
Ausnahme der Leitungsfunktion „auch für die Muttergesellschaft und deren Tochtergesellschaften“ zu
erbringen. Das dahingehende Weisungsrecht stand - selbst wenn es sich bei der Beklagten um die
„Muttergesellschaft“ der R Swiss handelte - gemäß der arbeitsvertraglichen Regelung nicht dieser, sondern
dem leitenden Direktor der R Swiss zu. Daran ändert auch eine ggf. bestehende Einflussnahmemöglichkeit
der Beklagten auf die Geschäftsführung der R Swiss nichts.
38 c) Der Streitfall weist allerdings die Besonderheit auf, dass ohne die Patronatsvereinbarung ein
Arbeitsvertrag des Klägers mit der R Swiss nicht zustande gekommen wäre. Auch hat die Beklagte die R
Swiss nach § 1 der Patronatsvereinbarung als „Tochtergesellschaft … für den Vertrieb in Europa“
gegründet, und ist nach dem schlüssigen und im Wesentlichen unwidersprochenen Vorbringen des
Klägers davon auszugehen, dass er die vormals im Rahmen des „service agreement“ gegenüber der
Beklagten geschuldeten Vertriebsaktivitäten nach dem „Wechsel“ zur R Swiss aufgrund der mit dieser
geschlossenen Arbeitsverträge fortgesetzt hat, ohne dass sich seine Aufgaben inhaltlich geändert hätten.
39 6. Mit der Frage, ob Art. 21 Abs. 2 EuGVVO eine Klage gegen eine juristische Person erfassen kann, die
- ohne selbst Vertragsarbeitgeber zu sein - gegenüber dem Arbeitnehmer für Ansprüche aus einem
Arbeitsverhältnis mit einem Dritten unter Umständen wie im Streitfall unmittelbar haftet, hat sich der
Gerichtshof - soweit ersichtlich - noch nicht befasst. Die Beantwortung der Frage ist auch nicht so eindeutig,
dass kein Raum für vernünftige Zweifel besteht.
40 a) Das Bundesarbeitsgericht hat zu Art. 18 Abs. 2 EuGVVO aF (jetzt inhaltsgleich Art. 20 Abs. 2 EuGVVO)
allerdings entschieden, die Norm gelte nur, wenn zwischen den Parteien des Rechtsstreits ein
Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde (BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 138/11 - Rn. 29). Dabei hat es sich auf
die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs gestützt, nach der Zuständigkeitsregeln, die vom Grundsatz
des Art. 2 EuGVVO aF (jetzt Art. 4 EuGVVO) abweichen, strikt auszulegen und eine Auslegung über die
ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fälle hinaus unzulässig ist (zu Art. 6 Nr. 1 EuGVVO aF vgl.
EuGH 22. Mai 2008 - C-462/06 - [Glaxosmithkline] Rn. 28; 13. Juli 2006 - C-103/05 - [Reisch Montage AG]
Rn. 23 mwN).
41 b) Auch in Ansehung dieser Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats die richtige Anwendung von
Art. 21 Abs. 2 EuGVVO in einem Fall wie dem Vorliegenden nicht derart offenkundig, dass für einen
vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH 15. September 2005 - C-495/03 - [Intermodal
Transports BV] Rn. 37; 6. Oktober 1982 - C-283/81 - [SRL C.I.L.F.I.T. ua.]). So hat der Gerichtshof in seiner
Entscheidung vom 10. April 2003 (- C-437/00 - [Pugliese] Rn. 23 ff.) im Rahmen des Art. 5 Nr. 1
EuGVÜ 1989 hinsichtlich der Klage eines Arbeitnehmers, der vertraglich an zwei verschiedene Arbeitgeber
gebunden war, angenommen, dass der erste Arbeitgeber dann vor dem Gericht des Ortes verklagt werden
kann, an dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit für den zweiten Arbeitgeber ausübt, wenn der erste
Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses des zweiten Vertrags selbst ein Interesse an der Erfüllung der
Leistung hatte, die der Arbeitnehmer für den zweiten Arbeitgeber an einem von diesem bestimmten Ort
erbringt, wobei dieses Interesse nicht streng anhand formaler und ausschließlicher Kriterien geprüft
werden dürfe, sondern umfassend unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen sei.
42 Im vorliegenden Fall hatte die Beklagte zwar ein unmittelbares Interesse an der Erfüllung der
arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Klägers im Verhältnis zur R Swiss, weil diese für sie den Vertrieb
in Europa übernehmen sollte. Die Beklagte hat auch, um die Ansprüche des Klägers aus dem
Arbeitsverhältnis mit der R Swiss finanziell abzusichern, mit diesem die Patronatsvereinbarung
geschlossen. Im Unterschied zu dem vom Gerichtshof behandelten Fall bestand zwischen den Parteien
des Klageverfahrens jedoch kein individuelles Arbeitsverhältnis.
43 In seiner Entscheidung vom 21. Juni 2018 (- C-1/17 - [Petronas Lubricants Italy SpA]) hat der Gerichtshof
Art. 20 Abs. 2 EuGVVO aF dahin ausgelegt, dass hierdurch dem Arbeitgeber - unter Berücksichtigung der
in Art. 20 Abs. 2 EuGVVO aF aufgenommenen Regel des Art. 6 Nr. 3 EuGVVO aF - das Recht eingeräumt
wird, vor dem Gericht, bei dem die von einem Arbeitnehmer ordnungsgemäß erhobene Klage anhängig ist,
eine Widerklage zu erheben, die sich auf eine Forderungsabtretung stützt, die der Arbeitgeber und der
ursprüngliche Forderungsinhaber vertraglich vereinbart haben, nachdem die Klage erhoben worden war.
Um eine solche Widerklage geht es im Streitfall nicht. Im Übrigen hat der Gerichtshof die Zuständigkeit des
Gerichts, bei dem die Klage erhoben war, für die Widerklage ua. damit begründet, dass der Kläger mit der
Beklagten und der alten Gläubigerin „parallele“ Arbeitsverträge geschlossen habe und der Gegenstand
des Verfahrens auf demselben Sachverhalt beruhe wie die von der Beklagten erhobene Widerklage
(EuGH 21. Juni 2018 - C-1/17 - [Petronas Lubricants Italy SpA] Rn. 31 ff.).
44 c) Ausgehend von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur strikten Anwendung der Zuständigkeitsregeln
in Art. 20 bis 23 EuGVVO wird im deutschen Schrifttum die Auffassung vertreten, andere als die dort
ausdrücklich zugelassenen Gerichtsstände seien zwischen den Arbeitsvertragsparteien nicht gegeben
(Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 20 Bruessel-Ia-VO
Rn. 2). In arbeitsrechtlichen Drittbeziehungen gelte grundsätzlich dasselbe wie für eine
Zweipersonenbeziehung zwischen einem Arbeitnehmer und einem Arbeitgeber. Seien auf
Arbeitgeberseite mehrere Personen beteiligt, sei jede Zweierbeziehung getrennt zu betrachten (BeckOK
ZPO/Spohnheimer Stand 1. März 2020 Brüssel Ia-VO Art. 20 Rn. 23). Durchgriffsklagen des Arbeitnehmers
gegen die Muttergesellschaft seines Arbeitgebers unterfielen nicht Art. 20 ff. EuGVVO (Mankowski in
Rauscher aaO Rn. 8).
45 Andere Autoren meinen demgegenüber, die in Art. 20 Abs. 1 EuGVVO vorgenommene sachliche
Begrenzung des Anwendungsbereichs der Art. 20 bis 22 EuGVVO auf Verfahren, deren Gegenstand ein
individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem solchen Vertrag bilden, schlössen eine Anwendung
der Zuständigkeitsregelungen bei einer Klage gegen einen Dritten zur Durchsetzung von aus einem
Arbeitsverhältnis resultierenden Ansprüchen nicht von vorneherein aus. So wird es beispielsweise für
vertretbar gehalten, dass die in Frankreich für das Arbeitsrecht zuständige Kammer der Cour de cassation
(chambre social - bspw. Entscheidung vom 28. Januar 2015 - Nr. 13-22.994 ua. - [Comilog]; siehe auch die
Nachweise bei Krebber IPRax 2017, 313, 316 [Fußnote 24]) eine Konzernobergesellschaft, die aufgrund
bestehender konzernrechtlicher Strukturen Einfluss auf das Schicksal eines mit einer abhängigen
Gesellschaft bestehenden Arbeitsverhältnisses nehmen kann, und der nach französischer
konzernarbeitsrechtlicher Sichtweise die Stellung eines „Coemploi“ (deutsch: „Mitarbeitgebers“) zukommt,
als Arbeitgeber iSd. Art. 20 ff. EuGVVO bzw. der betreffenden Vorgängerregelungen angesehen hat
(Wieczorek/Schütze/Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 139 ff.).
46 Auch wird geltend gemacht, die Art. 20 ff. EuGVVO seien bereits dann auf rechtliche Beziehungen
zwischen dem Arbeitnehmer und einem Dritten anzuwenden, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem
Arbeitnehmer und seinem Vertragsarbeitgeber die Grundlage für die Drittbeziehung dergestalt bildet, dass
es ohne den Arbeitsvertrag nicht zu der Rechtsbeziehung zu dem Dritten gekommen wäre und ohne ihn in
dem entsprechenden Sachverhalt kein materielles Arbeitsrecht zur Anwendung käme (Krebber
IPRax 2017, 313, 316). So liegt es hier. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der R Swiss ist die
Grundlage der Patronatsvereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten. Diese ist nur getroffen
worden, um das Zustandekommen des Arbeitsvertrags zu bewirken, weil der Kläger ohne diese Sicherung
den Vertrag mit der R Swiss nicht abgeschlossen hätte. Dagegen geht es nicht, wie beispielsweise bei
Ansprüchen aus von einer Muttergesellschaft aufgelegten Aktienoptionsprogrammen, darum, dass der
Vertrag mit dem Dritten lediglich an das Arbeitsverhältnis als solches anschließt, was als
Anknüpfungspunkt für eine Klage an den Gerichtsständen der Art. 20 ff. EuGVVO nicht genügt (so etwa
OLG Hamm 5. Dezember 2018 - 8 U 50/17 - Rn. 32).
47 d) Die danach gebotene Auslegung zum sachlichen Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 iVm. Art. 21
Abs. 2 EuGVVO kann der Senat nicht selbst vornehmen. Sie ist nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof
vorbehalten.
Zur Frage 2:
49 Der Senat geht davon aus, dass nach nationalem Recht eine internationale Zuständigkeit aufgrund von
§ 48 Abs. 1a iVm. § 3 ArbGG in Betracht kommt und die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen.
Insoweit bedarf es jedoch einer Klärung des Verhältnisses der Bestimmungen der EuGVVO zum
nationalen Recht. Es stellt sich die die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 EuGVVO betreffende Frage, ob der in
der Bestimmung enthaltene Vorbehalt hinsichtlich Art. 21 Abs. 2 EuGVVO die Anwendung einer nationalen
Zuständigkeitsregelung ausschließt, die es dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person, die ihm
gegenüber in einem Fall wie dem vorliegenden für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag mit
einem Dritten unmittelbar haftet, als „Rechtsnachfolger“ des Arbeitgebers am Gerichtsstand des
gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, wenn eine solche Zuständigkeit nach Art. 21 Abs. 2 iVm. Abs. 1
Buchst. b (i) EuGVVO nicht vorliegt.
50 I. Nach deutschem Recht folgt die internationale Zuständigkeit grundsätzlich der örtlichen Zuständigkeit.
Fällt ein Rechtsstreit in die örtliche Zuständigkeit eines deutschen Gerichts, ist die internationale
Zuständigkeit regelmäßig indiziert und sind die deutschen Gerichte auch im Verhältnis zu einem
ausländischen Gericht zuständig (BAG 25. Juni 2013 - 3 AZR 138/11 - Rn. 13 mwN; 24. September 2015
- 6 AZR 492/14 - Rn. 13, BAGE 152, 363). Zu den insoweit maßgeblichen Zuständigkeitsregelungen zählt
neben den Bestimmungen in §§ 12 ff. ZPO, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind, § 48 Abs. 1a ArbGG.
Diese Vorschrift begründet ua. für Streitigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG, dh. für bürgerliche
Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis eine
Zuständigkeit des Arbeitsgerichts, in dessen Bezirk der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet
oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat. Unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 48 Abs. 1a ArbGG,
dem Arbeitnehmer die Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis zu erleichtern, geht
der Senat davon aus, dass diese Bestimmung den Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes auch für
Streitigkeiten iSv. § 3 ArbGG eröffnet. Diese Vorschrift ergänzt die Zuständigkeiten nach §§ 2 und 2a
ArbGG und ordnet deren Geltung in Fällen der Rechtsnachfolge an. Der Begriff der „Rechtsnachfolge“ ist
dabei weit zu verstehen und erfasst auch die rechtsgeschäftliche Nachfolge. Da nicht erforderlich ist, dass
der Rechtsnachfolger an die Stelle des ursprünglichen Schuldners tritt, wird auch die Haftung aus
eigenständigen Rechtsgründen wie einer Bürgschaft oder einem Schuldbeitritt erfasst (BAG 31. März 2009
- 5 AZB 98/08 - Rn. 7; GMP/Schlewing ArbGG 9. Aufl. § 3 Rn. 10 mwN). Hiervon ausgehend ist auch die
Haftung aus einer Patronatsvereinbarung wie der vorliegenden, die mit einer Bürgschaft vergleichbar ist,
von § 3 ArbGG umfasst. Nach nationalem Prozessrecht besteht deshalb für einen Arbeitnehmer die
Möglichkeit, eine Klage gegen den Patron an dem Ort zu erheben, an dem er seine Arbeitsleistung im
Rechtsverhältnis mit dem patronierten Unternehmen gewöhnlich erbracht hat. Das wäre im vorliegenden
Fall Stuttgart.
51 II. Ob § 48 Abs. 1a ArbGG im Anwendungsbereich der EuGVVO als zuständigkeitsbegründende Norm
neben den Zuständigkeitsregeln in Art. 20 ff. EuGVVO herangezogenen werden kann, hängt von dem
durch Art. 6 Abs. 1 EuGVVO bestimmten Konkurrenzverhältnis ab.
52 1. Bei den Vorschriften in Kapitel II Abschnitt 5 EuGVVO handelt es sich nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs nicht nur um besondere, sondern auch um abschließende Bestimmungen (EuGH 21. Juni
2018 - C-1/17 - [Petronas Lubricants Italy SpA] Rn. 25; 14. September 2017 - C-168/16 ua. - [Nogueira ua.]
Rn. 51 mwN). Art. 20 bis 23 EuGVVO regeln in ihrem Anwendungsbereich abschließend die möglichen
Gerichtsstände in Verfahren, deren Gegenstand ein Anspruch aus einem individuellen Arbeitsvertrag ist
(Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September
2016 EuGVVO Art. 20 Rn. 11 f.; Wieczorek/Schütze/Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 36, 66).
Ihnen kommt Verdrängungswirkung zu (Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und
Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 20 Bruessel-Ia-VO Rn. 2). Die dabei dem Gerichtshof vorbehaltene autonome
Auslegung der in Art. 20 bis 23 EuGVVO enthaltenen Rechtsbegriffe soll die einheitliche Anwendung des
Übereinkommens in den Mitgliedstaaten sicherstellen. Zu dessen Zielen gehört, die Zuständigkeitsregeln
für die Gerichte der Vertragsstaaten zu vereinheitlichen, wobei soweit wie möglich eine Häufung der
Gerichtsstände in Bezug auf ein und dasselbe Rechtsverhältnis verhindert werden soll. Weiterhin soll der
Rechtsschutz für die in der Europäischen Union niedergelassenen Personen dadurch verstärkt werden,
dass dem Arbeitnehmer die Feststellung erleichtert wird, welches Gericht er anrufen kann. Insoweit haben
diese Bestimmungen eine Schutz- und Privilegierungsfunktion zu Gunsten des Arbeitnehmers (Mankowski
in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht aaO). Zugleich soll dem Beklagten ermöglicht
werden, bei vernünftiger Betrachtung vorherzusehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann (EuGH
10. April 2003 - C-437/00 - [Pugliese] Rn. 16 mwN).
53 2. In seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2017 (- 3 AZR 305/16 - Rn. 23, BAGE 161, 142) hat allerdings
der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die
Klage gegen eine in Kanada ansässige Arbeitgeberin nach § 48 Abs. 1a ArbGG für gegeben erachtet und
in der Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, gemäß dieser Bestimmung seien die deutschen
Gerichte selbst dann international zuständig, wenn sich ihre Zuständigkeit nicht aus Art. 19 Nr. 1 iVm.
Art. 18 Abs. 2 EuGVVO aF ergeben sollte. Die Entscheidung steht jedoch der Annahme einer
Klärungsbedürftigkeit der Zuständigkeitsfrage durch den Gerichtshof schon deshalb nicht entgegen, weil
sie den Rechtszustand vor Inkrafttreten der Neufassung der Verordnung betrifft, mit der in Art. 21 Abs. 2
EuGVVO Arbeitnehmern erstmals die Möglichkeit eröffnet wurde, Arbeitgeber universell, dh. ohne
Rücksicht auf deren Wohnsitz, am Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen.
54 3. Mit der Neuregelung der EuGVVO und insbesondere der Einführung von Art. 21 Abs. 2 EuGVVO hat der
Unionsgesetzgeber nach dem Verständnis des Senats den Anwendungsbereich der unionsrechtlichen
Zuständigkeitsregelungen im Interesse des Arbeitnehmerschutzes deutlich erweitert. Ihr liegt das
Bestreben zugrunde, die Rechtslage weiter zu vereinheitlichen und zu diesem Zweck die Gerichtsstände
des nationalen Rechts im Anwendungsbereich der Verordnung weiter zurückzudrängen
(Wieczorek/Schütze/Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 67). Vor diesem Hintergrund und
ausgehend von dem abschließenden Charakter, der den Bestimmungen in Art. 20 ff. EuGVVO durch den
Gerichtshof beigemessen wird, spricht aus Sicht des Senats einiges dafür, Art. 21 Abs. 2 EuGVVO als
zweiseitig zwingend anzusehen mit der Folge, dass daneben nationale Zuständigkeitsregeln, auch soweit
sie den Arbeitnehmer begünstigen, keine Anwendung (mehr) finden können (so ausdrücklich
Wieczorek/Schütze/Temming ZPO 4. Aufl. aaO; aA offenbar Mankowski in Rauscher Europäisches
Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 6 Bruessel-Ia-VO Rn. 1).
55 4. Ob dem Vorbehalt in Art. 6 Abs. 1 EuGVVO zugunsten des Art. 21 Abs. 2 EuGGVO eine absolute
Sperrwirkung zukommt, und ob diese bejahendenfalls auch eine nationale Zuständigkeitsregelung erfasst,
die es - wie § 48 Abs. 1a iVm. § 3 ArbGG - dem Arbeitnehmer ermöglicht, eine juristische Person ohne
Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten als Rechtsnachfolger des Arbeitgebers am
Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes zu verklagen, kann der Senat nicht selbst entscheiden (für
eine Prüfung durch den Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 267 AEUV auch
Wieczorek/Schütze/Temming ZPO 4. Aufl. Art. 20 Brüssel Ia-VO Rn. 67). Der Gerichtshof hat sich - soweit
ersichtlich - mit dieser Frage noch nicht befasst. Deren Beantwortung ist auch nach Heranziehung der
bislang ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Fragenkreis nicht so eindeutig, dass kein
Raum für vernünftige Zweifel besteht.
Zur Frage 3:
57 Sollte der Gerichtshof die Frage 1 verneinen und die Frage 2 bejahen, kommt es entscheidungserheblich
darauf an, ob der Kläger in Bezug auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der
Patronatsvereinbarung als „Verbraucher“ iSd. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO anzusehen ist, wovon das
Berufungsgericht ausgegangen ist.
58 I. Nach dieser - ebenfalls in Art. 6 Abs. 1 EuGVVO vorbehaltenen - Bestimmung kann die Klage eines
Verbrauchers gegen den anderen Vertragspartner entweder vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben
werden, in dessen Hoheitsgebiet dieser Vertragspartner seinen Wohnsitz hat, oder ohne Rücksicht auf den
Wohnsitz des anderen Vertragspartners vor dem Gericht des Ortes, an dem der Verbraucher seinen
Wohnsitz hat.
59 II. Der sachliche Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 1 EuGVVO ergibt sich aus Art. 17 EuGVVO.
60 1. Erforderlich ist danach zunächst, dass ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand
des Vertrags bilden. Die Patronatsvereinbarung vom 12. Februar 2016 stellt, da es sich um ein
privatautonom begründetes Schuldverhältnis handelt und Art. 17 Abs. 1 EuGVVO auch einseitig
verpflichtende Schuldverhältnisse erfasst (EuGH 14. Mai 2009 - C-180/06 - [Ilsinger] Rn. 51, 53),
grundsätzlich einen „Vertrag“ iSd. Regelung dar. Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche aus diesem
Vertrag.
61 2. Der Begriff des Verbrauchers wird in Art. 17 Abs. 1 EuGVVO dahin definiert, dass es sich um eine Person
handeln muss, die den Vertrag zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht ihrer beruflichen oder
gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Ob eine Person in diesem Sinne die
Verbrauchereigenschaft besitzt, ist nach der Stellung der Person innerhalb des konkreten Vertrags in
Verbindung mit dessen Natur und Zielsetzung und nicht nach der subjektiven Stellung der Person zu
beantworten (zu Art. 13 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 EuGVVO aF EuGH 3. Juli 1997 - C-269/95 - [Benincasa]
Rn. 14 f.). Auf den materiell-rechtlichen Verbraucherbegriff kommt es nicht an (Häferer/Burger NZA 2020,
143, 146).
62 3. Ob es sich bei der Patronatsvereinbarung um einen Vertrag handelt, der der beruflichen Tätigkeit des
Klägers zuzurechnen ist, hängt davon ab, ob der Begriff „beruflich“ lediglich selbständige Tätigkeiten
erfasst oder ob hierunter auch abhängige Tätigkeiten, insbesondere die Beschäftigung in einem
Arbeitsverhältnis, fallen. Über diese Auslegungsfrage hat der Gerichtshof bisher - soweit ersichtlich - nicht
entschieden. Ihre Beantwortung ist umstritten.
63 a) Teilweise wird die Auffassung vertreten, unter einer „beruflichen Tätigkeit“ iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO
sei nur die selbständige (frei-)berufliche Tätigkeit zu verstehen. Deshalb könnten Verträge, die ein
Arbeitnehmer für seinen Beruf abschließt, durchaus Verbrauchersachen darstellen (vgl. zB Hk-ZPO/Dörner
8. Aufl. Art. 17 EuGVVO Rn. 7; im Grundsatz ebenso: Paulus in Geimer/Schütze Internationaler
Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 17 Rn. 25;
Wieczorek/Schütze/Nordmeier ZPO 4. Aufl. Art. 17 Brüssel Ia-VO Rn. 21; Schlosser/Hess EuZPR 4. Aufl.
Art. 17 EuGVVO Rn. 3). Nach anderer Auffassung ist der Arbeitnehmer nicht Verbraucher im Sinne des
Unionsrechts, so dass Art. 17 EuGVVO auch nicht analog auf Klagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
anwendbar sei (EuArbRK/Krebber 3. Aufl. VO 1215/2012/EU Art. 20 Rn. 1).
64 b) Die richtige Auslegung von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO hinsichtlich des Begriffs „berufliche Tätigkeit“ ist nicht
derart offenkundig, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe.
65 aa) Der Wortlaut der Bestimmung gibt kein eindeutiges Ergebnis vor. Der Begriff „beruflich“ bzw. der des
„Berufs“ erfasst im Deutschen sowohl im allgemeinsprachlichen Sinne als auch in seiner rechtlichen
Bedeutung jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage (zum
verfassungsrechtlichen Berufsbegriff zB BVerfG 12. Januar 2016 - 1 BvR 3102/13 - Rn. 34, BVerfGE 141,
121) und damit sowohl selbständige als auch abhängige Tätigkeiten. Der französischen („activité
professionnelle“) und englischen („purposes … outside his trade, business or profession“) Sprachfassung
lässt sich nichts Anderes entnehmen. „Profession“ heißt sowohl im Französischen als auch im Englischen
„Beruf“. Eine Einschränkung auf freie Berufe ist damit nicht verbunden, zumal gerade die Begriffe „emploi“
bzw. „employment“ keine Verwendung finden (vgl. Gregor GPR 2007, 73, 74). Doch lässt die alternative
Nennung der Begriffe „beruflich“ oder „gewerblich“ auch die Deutung zu, der Begriff „beruflich“ erfasse
lediglich die selbständige (frei-)berufliche Tätigkeit.
66 bb) Der Umstand, dass andere europäische Rechtsakte, soweit von ihnen lediglich selbständige berufliche
Tätigkeiten erfasst werden sollen, dies durch ein entsprechendes Attribut deutlich zum Ausdruck bringen
(zu entsprechenden Beispielen vgl. Gregor GPR 2007, 73, 74), ermöglicht keinen zweifelsfreien Befund,
weil die in der EuGVVO - ua. in ihrem Art. 17 Abs. 1 - verwendeten Begriffe autonom auszulegen und dabei
in erster Linie die Systematik und die Ziele der Verordnung heranzuziehen sind, um deren einheitliche
Anwendung in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen (EuGH 14. Februar 2019 - C-630/17 - [Milivojević]
Rn. 86 mwN).
67 cc) Die von Teilen des Schrifttums und in der Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte angestellte
Erwägung, der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ sei im Interesse der Vermeidung von Konkurrenzen
zwischen dem Verbraucher- und Arbeitnehmergerichtsstand weit zu verstehen und umfasse auch die
abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis, führt ebenfalls nicht zu einem zweifelsfreien
Auslegungsergebnis. Insoweit wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass es zwar vornehmlich Aufgabe
von Art. 20 bis 23 EuGVVO ist, den im Unionsrecht in vielen Bereichen verfolgten Schutz der Arbeitnehmer
als strukturell unterlegene Vertragspartei im internationalen Zuständigkeitsrecht zu verwirklichen
(Mankowski in Rauscher Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht 4. Aufl. Art. 20 Bruessel-Ia-VO
Rn. 2; Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen Stand
September 2016 EuGVVO Art. 20 Rn. 1) und Streitigkeiten aus individuellen Arbeitsverträgen deshalb
diesenBestimmungen unterliegen (Wieczorek/Schütze/Nordmeier ZPO 4. Aufl. Art. 17 Brüssel Ia-VO
Rn. 51). Geht es jedoch um die Durchsetzung von Ansprüchen aus einer Vereinbarung, die der
Arbeitnehmer mit einem Dritten zwar im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis geschlossen hat, die
als solche aber nicht als individuelles Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist, und wird eine solche
Vereinbarung - unterstellt - in Beantwortung der im Tenor dieses Beschlusses bezeichneten Frage 1 von
den Zuständigkeitsregeln in Art. 20 bis 23 EuGVVO nicht erfasst, könnte dies zu einer Schutzlücke auf
Seiten des Arbeitnehmers führen, soweit ihm zur Durchsetzung einer Vereinbarung, die eine unmittelbare
Haftung eines Dritten für arbeitsvertragliche Ansprüche begründet, zugleich eine Klagemöglichkeit nach
Art. 17, 18 EuGVVO mit dem Argument verwehrt bliebe, der Vertrag sei iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO seiner
beruflichen Tätigkeit zuzurechnen. Eine solche Schutzlücke ließe sich nur vermeiden, wenn Art. 17 Abs. 1
EuGVVO restriktiv dahin ausgelegt wird, dass der beruflichen Tätigkeit eines Arbeitnehmers lediglich
solche Verträge „zugerechnet“ werden, die er in dieser Eigenschaft als Vertragspartner des Arbeitgebers
schließt (in diesem Sinne wohl auch Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und
Handelssachen Stand September 2016 EuGVVO Art. 20 Rn. 14). Da die Frage, ob es sich bei einer
Patronatsvereinbarung wie der vorliegenden um einen Vertrag handelt, den der Arbeitnehmer zu einem
Zweck geschlossen hat, der seiner beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann, die Auslegung und
Anwendung der unionsrechtlichen Zuständigkeitsregeln betrifft, ist ihre Beantwortung dem Gerichtshof
vorbehalten.
68 4. Die Beantwortung der Frage ist entscheidungserheblich. Ausgehend davon, dass es sich bei der
Patronatsvereinbarung nicht um einen Vertrag handelt, den der Kläger zum Zweck seiner beruflichen
Tätigkeit als Arbeitnehmer geschlossen hat, läge ein Verbrauchervertrag iSv. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO vor
und wäre eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO gegeben.
69 a) Dem Umstand, dass der Kläger im Streitzeitraum als Kaufmann in einem (deutschen) Handelsregister
eingetragen war, kommt im Streitfall keine Bedeutung zu, weil er die Patronatsvereinbarung nicht zum
Zwecke seiner kaufmännischen Tätigkeit geschlossen hat.
70 b) Der durch Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO bestimmte Anwendungsbereich von Art. 18 Abs. 1 EuGVVO
ist - anders als nach der Vorgängerregelung in Art. 13 Abs. 1 des Brüsseler Übereinkommens - nicht auf
Verträge beschränkt, die „die Erbringung einer Dienstleistung oder die Lieferung beweglicher Sachen zum
Gegenstand haben“. Mit Ausnahme der in Art. 17 Abs. 3 EuGVVO bezeichneten Beförderungsverträge
erfasst Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO dem Gegenstand nach alle Verträge, die ein Verbraucher mit
einem Berufstätigen oder Gewerbetreibenden im Zusammenhang mit dessen Berufs- bzw.
Geschäftstätigkeit schließt. Ein Verbrauchervertrag in diesem Sinne muss zudem kein synallagmatischer
Vertrag sein. Er kann auch vorliegen, wenn eine der Parteien lediglich ihre Annahme zum Ausdruck bringt,
ohne selbst eine wie immer geartete rechtliche Verpflichtung gegenüber der anderen Vertragspartei (dem
Unternehmer) einzugehen (für Gewinnzusagen einer Versandhandelsgesellschaft EuGH 14. Mai 2009 - C-
180/06 - [Ilsinger] Rn. 51, 53). Danach erfasst die Regelung auch einseitig verpflichtende Verträge eines
Unternehmers mit einem Verbraucher ungeachtet dessen, dass dem Verbraucher keine Erfüllungsklage
drohen kann (Wieczorek/Schütze/Nordmeier ZPO 4. Aufl. Art. 17 Brüssel Ia-VO Rn. 8).
71 c) Nach der hier allein in Betracht kommenden Alternative des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO muss der
Vertragspartner des Verbrauchers - der Unternehmer - seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit
zumindest auf den Mitgliedstaat „ausrichten“, und der potentielle Verbrauchervertrag muss in den Bereich
dieser entweder im Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgeübten oder auf diesen Staat ausgerichteten
beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Vertragspartners fallen.
72 aa) Der Begriff des „Ausrichtens“ setzt tatbestandlich voraus, dass der Gewerbetreibende irgendwie seinen
Willen zum Ausdruck gebracht haben muss, Geschäftsbeziehungen zu Verbrauchern eines oder mehrerer
Mitgliedstaaten, darunter des Wohnsitzmitgliedstaats des Verbrauchers, herzustellen (EuGH 7. Dezember
2010 - C-585/08 und C-144/09 - [Pammer und Hotel Alpenhof GesmbH] Rn. 80 ff.). Im Einzelfall können
auch Tätigkeiten kooperierender Vermittler oder allgemein fremdes Tätigwerden, etwa das einer
Tochterfirma, dem Vertragspartner des Verbrauchers zuzurechnen sein (BGH 29. November 2011 - XI ZR
172/11 - Rn. 22; Paulus in Geimer/Schütze Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen
Stand September 2016 EuGVVO Art. 17 Rn. 61 mwN).
73 bb) Danach hat die Beklagte ihre berufliche Tätigkeit auf Deutschland und damit auf den Wohnsitzstaat des
Klägers ausgerichtet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie sich der Person des
Klägers bedient, um auf dem europäischen Markt einschließlich Deutschlands Investoren für ihre
Immobilienprojekte zu akquirieren. Lediglich aus Gründen der „Steuer- und Abgabenoptimierung“ sei das
Dienstverhältnis auf die R Swiss „verschoben worden“, ohne dass sich die Zweckrichtung der Betätigung
geändert habe. Dagegen und gegen die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, sie habe die
Patronatserklärung zu dem Zweck abgegeben, den Wechsel des Klägers zur R Swiss wirtschaftlich zu
begleiten, hat die Beklagte Einwände nicht erhoben. Dass die Patronatsvereinbarung kein
Immobiliengeschäft darstellt, ist nach Auffassung des Senats ohne Bedeutung. Ausreichend ist, dass der
Vertrag in den Bereich der unternehmerischen Tätigkeit fällt. Dieser umfasst grundsätzlich auch die
Gewinnung von Personal für die Verwirklichung der unternehmerischen Tätigkeit.
74 d) Die Verbrauchereigenschaft eines Arbeitnehmers unter den vorliegenden Umständen unterstellt, wäre,
da der Kläger seinen Wohnsitz im Bezirk des Arbeitsgerichts Stuttgart hat, dort der
Verbrauchergerichtsstand nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. c iVm. Art. 18 Abs. 1 EuGVVO eröffnet.
Zur Frage 4:
76 Sollten die deutschen Gerichte in Beantwortung der Fragen zu 1. bis 3. international zuständig sein, kommt
es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob auf die Patronatsvereinbarung deutsches
materielles Recht zur Anwendung gelangt. Dies hängt entscheidungserheblich davon ab, ob es sich bei
der Patronatsvereinbarung um einen „Verbrauchervertrag“ iSv. Art. 6 Rom I-VO, dh. einen Vertrag handelt,
den die Parteien zu einem Zweck geschlossen haben, der nicht der beruflichen Tätigkeit des Klägers
zuzurechnen ist. Auch die Beantwortung dieser Frage ist dem Gerichtshof vorbehalten.
77 I. Auf nach dem 17. Dezember 2009 geschlossene Verträge findet zur Bestimmung des auf die
Patronatsvereinbarung anzuwendenden materiellen Rechts (Vertragsstatut) die Rom I-VO Anwendung
(Art. 28 Rom I-VO). Die einer möglichen Haftung der Beklagten zugrunde liegende Patronatsvereinbarung
wurde im Jahr 2016 geschlossen.
78 II. Nach Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO gilt diese Verordnung für alle vertraglichen Schuldverhältnisse in Zivil- und
Handelssachen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Die als Grundlage für
die Inanspruchnahme der Beklagten heranzuziehende Patronatsvereinbarung weist Verbindungen sowohl
zur Bundesrepublik Deutschland als auch zu Kanada auf. Der Kläger und die Beklagte haben ihren
jeweiligen Sitz in unterschiedlichen Staaten. Die Rom I-VO ist unabhängig davon anwendbar, ob das
berufene Recht dasjenige eines Mitgliedstaats iSd. Art. 1 Abs. 4 Satz 1 Rom I-VO oder eines Drittstaats ist.
Sie enthält allseitige Kollisionsnormen.
79 III. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO unterliegt der Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht.
Eine ausdrückliche Rechtswahl iSv. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 Rom I-VO wurde in der
Patronatsvereinbarung nicht getroffen. Eine eindeutige konkludente Wahl iSd. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2
Rom I-VO, die zur Anwendung deutschen Rechts führte, liegt ebenso wenig vor. Unabhängig davon, dass
der Vertragssprache diesbezüglich allenfalls unterstützende Funktion zukommen kann (vgl. BAG 1. Juli
2010 - 2 AZR 270/09 - Rn. 29), wurde die Patronatsvereinbarung in englischer Sprache verfasst. Der Ort
der Unterschriftsleistung ist, wobei auch dieser lediglich unterstützend herangezogen werden könnte, mit
Pf (Schweiz) angegeben. Zwar kann im Verhalten der Parteien im Prozess eine konkludente Rechtswahl
liegen, indem diese sich ausschließlich auf Rechtsvorschriften eines bestimmten Staats beziehen (st. Rspr.,
vgl. BAG 19. März 2014 - 5 AZR 252/12 (B) - Rn. 20, BAGE 147, 342; BGH 13. September 2004 - II ZR
276/02 - zu A II 1 a der Gründe). So liegt es hier aber nicht. Die Beklagte hat lediglich allgemein und nicht
anknüpfend an bestimmte, insbesondere nicht deutsche Rechtsvorschriften geltend gemacht, die
Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme aufgrund der Patronatsvereinbarung lägen nicht vor.
80 IV. Das mangels Rechtswahl anzuwendende Recht bestimmt sich - unbeschadet der Art. 5 bis 8 Rom I-VO -
nach Art. 4 Rom I-VO. Von den insoweit gegenüber Art. 4 vorrangigen Bestimmungen in Art. 5 bis 8 Rom I-
VO kommt allein das Vorliegen eines „Verbrauchervertrags“ iSv. Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO in Betracht.
81 1. Die Voraussetzungen für eine Anknüpfung nach Art. 8 Rom I-VO sind nicht gegeben. Vom Arbeitsvertrag
getrennte Rechtsgeschäfte mit Eigenwert sind, unabhängig davon, ob sie zwischen den
Arbeitsvertragsparteien oder zwischen dem Arbeitnehmer und einem Dritten abgeschlossen werden, nicht
nach Art. 8 Rom I-VO, sondern selbständig nach jeweils vertragsspezifischen Kriterien oder allgemeinen
Regeln (Art. 3, 4 Rom I-VO) anzuknüpfen. Deshalb findet bspw. Art. 8 Rom I-VO keine Anwendung auf
Verträge, die zugunsten des Arbeitnehmers die (Mit-)Haftung eines Dritten begründen (zum Vertrag
zugunsten Dritter: BAG 23. März 2016 - 5 AZR 767/14 - Rn. 31, BAGE 154, 348, BeckOGK/Knöfel Stand
1. Januar 2020 Rom I-VO Art. 8 Rn. 28; zur Patronatserklärung MüKoBGB/Martiny 7. Aufl. 2018 Rom I-VO
Art. 4 Rn. 239).
82 2. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b Rom I-VO unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem
Zweck, der nicht ihrer beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen
Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt
(„Unternehmer“), dem Recht des Staats, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat,
sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf irgendeine Weise auf diesen Staat
oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staats, ausrichtet, und der Vertrag in den Bereich dieser
Tätigkeit fällt. Zwar hat der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Auch ist davon
auszugehen, dass die Beklagte - wie bereits zum Verbrauchergerichtsstand nach der EuGVVO aufgezeigt -
ihre gewerbliche Tätigkeit ua. auf Deutschland ausgerichtet hat, und dass die Patronatsvereinbarung in
den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Doch kann der Senat nicht ohne vorherige Klärung durch den Gerichtshof
entscheiden, ob der Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ die abhängige Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis
umfasst und ob bejahendenfalls eine Patronatsvereinbarung, die der Sicherung von Ansprüchen aus der
abhängigen Beschäftigung dient, der beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Insoweit gilt, auch wenn die
Vorschriften nicht gänzlich inhaltsgleich sind, nichts anderes als im Rahmen der für die internationale
Zuständigkeit maßgeblichen Bestimmung des Art. 17 Abs. 1 EuGVVO.
83 3. Die Klärung der Frage, ob die Patronatsvereinbarung einen „Verbrauchervertrag“ iSv. Art. 6 Rom I-VO
darstellt, ist entscheidungserheblich. Eine andere Kollisionsnorm, die zur Anwendung deutschen
Vertragsstatuts führte, greift aus Sicht des Senats nicht ein. Das gilt insbesondere für Art. 4 Rom I-VO.
84 D. Das Revisionsverfahren wird gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das
Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.
Linck
Volk
Berger
Naumann
Rahmstorf
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