Urteil des BAG vom 16.05.2018

Eingruppierung eines Wachpolizisten im Objektschutz

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BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 16.5.2018, 4 AZR 274/16
ECLI:DE:BAG:2018:160518.U.4AZR274.16.0
Eingruppierung eines Wachpolizisten im Objektschutz
Tenor
1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2. März 2016 - 15 Sa
1952/15 - insoweit aufgehoben, als es der Berufung des Klägers
gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. September 2015
- 21 Ca 3992/15 - stattgegeben hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers.
2 Der Kläger war bei dem beklagten Land vom 7. März 2011 bis zum 2. Mai 2015 als Wachpolizist im
zentralen Objektschutz beschäftigt. In der Zeit vom 7. März 2011 bis zum 17. Juni 2011 hatte der Kläger
erfolgreich den Grundlehrgang für „Polizeiangestellte im Objektschutz“ absolviert. Der Tätigkeit dieser
Angestellten liegt eine Beschreibung ihres Aufgabenkreises aus dem Jahr 1984 (Muster-BAK 1984)
zugrunde.
3 Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 7. März 2011 ist ua. geregelt:
§ 2
(1) Für das Arbeitsverhältnis gilt der Tarifvertrag zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin
an das Tarifrecht der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (Angleichungs-TV Land Berlin) vom
14. Oktober 2010 in der jeweiligen Fassung, solange das Land Berlin hieran gebunden ist.
(2) Die Vertragsparteien sind sich darüber einig, dass Tarifverträge, die das Land Berlin nach dem
1. November 2010 schließt oder denen das Land Berlin im Falle eines Eintritts in einen
Arbeitgeberverband dann unterworfen ist, die o. g. Arbeitsbedingungen gemäß § 4 Abs. 5 TVG
ergänzen, ändern bzw. ersetzen. Weiterhin sind sich die Vertragsparteien darüber einig, dass die
Vereinbarung dieses Paragrafen ggf. als Gleichstellungsabrede für nicht tarifgebundene
Arbeitnehmer gilt.
§ 4
Der Beschäftigte ist in der Entgeltgruppe - 3 - TV-L eingruppiert.“
4 Der Kläger wurde zunächst nach der Entgeltgruppe 3 des „Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der
Länder (TV-L)“ und später nach der Entgeltgruppe 4 TV-L in Höhe von zuletzt 2.355,66 Euro brutto monatlich
vergütet.
5 Nach einer erfolglosen außergerichtlichen Geltendmachung vom 30. Dezember 2014 hat der Kläger mit
seiner Klage zunächst eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 8 TV-L für die Zeit ab dem 1. Juli 2014
gefordert. Er hat die Auffassung vertreten, die ihm übertragene Tätigkeit erfordere zumindest gründliche
Fachkenntnisse iSd. VergGr. VII Fallgr. 1b der Anlage 1a zum BAT/BAT-O. Er müsse zahlreiche
Rechtsnormen, insbesondere die Tatbestände des StGB und des OWiG, sicher beherrschen, um ggf. in
einer Gefahrensituation kurzfristig und unter Zeitdruck adäquat reagieren zu können. Darüber hinaus
benötige er gründliche Kenntnisse der sicherheits- und ordnungsrechtlichen Vorschriften sowie zahlreicher
Geschäfts- und Dienstanweisungen. Da sich zudem die Sicherheitslage in den letzten Jahren verschärft
habe, müsse er insbesondere die Befugnisse nach der Verordnung über die Wahrnehmung bestimmter
polizeilicher Aufgaben durch Dienstkräfte der Polizei (PDieVO) näher kennen. Diese erforderlichen
Kenntnisse seien ihm im Lehrgang für „Polizeiangestellte im Objektschutz“ vermittelt worden.
6 Der Kläger hat zuletzt - soweit für die Revision noch von Belang - sinngemäß beantragt
festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihn in der Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 2. Mai
2015 nach Maßgabe der Entgeltgruppe 5 des TV-L zu vergüten und die anfallenden monatlichen
Bruttonachzahlungsbeträge zwischen der Entgeltgruppe 4 und der Entgeltgruppe 5 beginnend mit
dem 31. März 2015 ab dem jeweiligen 1. des Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu verzinsen.
7 Das beklagte Land hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags ausgeführt, für die Tätigkeit des
Klägers seien schon keine gründlichen Fachkenntnisse erforderlich. Anders als bei der Tätigkeit im
allgemeinen Ordnungsdienst müsse ein Angestellter im Objektschutz keine vielfältigen Vorschriften
beachten, ausreichend seien oberflächliche Kenntnisse der in der Muster-BAK 1984 und der PDieVO
genannten Bestimmungen. Daneben würden lediglich Kenntnisse von „Jedermannrechten“ betreffend
Notwehr und Nothilfe benötigt. Zur Einschätzung von Gefahrensituationen und der zu ergreifenden
Maßnahmen seien keine Fachkenntnisse erforderlich, hierfür reiche die allgemeine Lebenserfahrung aus.
8 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers
das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage im jetzt noch streitigen Umfang
stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für das beklagte Land zugelassenen Revision erstrebt
dieses die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
9
Die zulässige Revision des beklagten Landes ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage
nicht mit der von ihm gegebenen Begründung stattgeben. Ob dem Kläger eine Vergütung nach der
Entgeltgruppe 5 TV-L zusteht, kann der Senat aufgrund der bisher unzureichenden tatrichterlichen
Feststellungen nicht abschließend beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das führt zur Aufhebung und
Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
10 I. Das Landesarbeitsgericht durfte der nach § 256 Abs. 1 ZPO auch im Hinblick auf die Feststellung der
Verzinsungspflicht (vgl. BAG 23. September 2009 - 4 AZR 308/08 - Rn. 10 mwN) zulässigen, allgemein
üblichen Eingruppierungsfeststellungsklage (vgl. zuletzt BAG 22. November 2017 - 4 AZR 629/16 - Rn. 18
mwN) schon deshalb nicht entsprechen, weil es bereits an Feststellungen fehlt, welche Tätigkeiten im hier
maßgeblichen Zeitraum vom Kläger auszuüben waren, und deshalb eine abschließende tarifliche
Bewertung der auszuübenden Tätigkeit nicht möglich ist.
11 1. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen der Parteien richten sich die Arbeitsbedingungen des
Klägers nach dem „Tarifvertrag zur Angleichung des Tarifrechts des Landes Berlin an das Tarifrecht der
Tarifgemeinschaft deutscher Länder (Angleichungs-TV Land Berlin)“ vom 14. Oktober 2010 in der
jeweiligen Fassung. Nach dessen § 2 finden die zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL)
und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di - (Bundesvorstand), jeweils ggf. zusammen mit
weiteren Tarifvertragsparteien vereinbarten Tarifverträge in der jeweiligen Fassung Anwendung, soweit
das Arbeitsverhältnis von dem Geltungsbereich erfasst wird. Damit ist auch § 17 Abs. 1 TVÜ-Länder
anwendbar, der zunächst die Weitergeltung von §§ 22, 23 BAT/BAT-O einschließlich der Anlage 1a bis
zum 31. Dezember 2011 anordnete. Maßgebend für die Eingruppierung sind danach weiterhin §§ 22, 23
BAT/BAT-O iVm. Anlage 1a. Die ursprünglich nur als vorübergehend angesehene Überleitung der
Angestellten entsprechend Anlage 2 zum TVÜ-Länder im Sinne einer formalen Zuordnung der bisherigen
Vergütungsgruppen des BAT/BAT-O zu den neuen Entgeltgruppen des TVÜ-Länder ist mit Inkrafttreten der
neuen Entgeltordnung zum TV-L am 1. Januar 2012 als grundsätzlich dauerhaft bestimmt worden (§ 29a
Abs. 2 TVÜ-Länder). Eine Überprüfung und ggf. Neufestsetzung der mit der Überleitung erfolgten
Eingruppierungen sollte danach für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit nicht mehr
stattfinden (siehe Protokollerklärung zu § 29a Abs. 2 Satz 2 TVÜ-Länder; vgl. zum Ganzen BAG
13. Dezember 2017 - 4 AZR 576/16 - Rn. 19 mwN).
12 Dementsprechend ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es - unter
Berücksichtigung der Anlage 2 zum TVÜ-Länder - für die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers auf die
Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1a zum BAT/BAT-O ankommt. Die hiernach für dessen Eingruppierung in
Betracht kommenden Tätigkeitsmerkmale der Anlage 1a zum BAT/BAT-O lauten auszugsweise:
„…
Vergütungsgruppe VII
1a. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit
gründliche und vielseitige Fachkenntnisse erfordert.
(Die gründlichen und vielseitigen Fachkenntnisse brauchen sich nicht auf das gesamte Gebiet der
Verwaltung [des Betriebes], bei der der Angestellte beschäftigt ist, zu beziehen. Der Aufgabenkreis
des Angestellten muss aber so gestaltet sein, dass er nur beim Vorhandensein gründlicher und
vielseitiger Fachkenntnisse ordnungsgemäß bearbeitet werden kann.)
1b. Angestellte im Büro-, Buchhalterei-, sonstigen Innendienst und im Außendienst, deren Tätigkeit
gründliche Fachkenntnisse erfordert.
(Erforderlich sind nähere Kenntnisse von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und
Tarifbestimmungen usw. des Aufgabenkreises.)“
13 2. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, die auszuübende Tätigkeit des Klägers
erfülle die tariflichen Anforderungen der VergGr. VII Fallgr. 1b der Anlage 1a zum BAT/BAT-O. Seine
bisherigen Feststellungen sind jedoch unzureichend, um beurteilen zu können, ob die vom Kläger
auszuübende Tätigkeit „gründliche Fachkenntnisse“ erfordert.
14 a) Gem. § 22 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BAT/BAT-O ist der Kläger in der Vergütungsgruppe eingruppiert,
deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit
entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer
Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen
die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe
erfüllen. Hiernach ist Bezugsobjekt der tariflichen Bewertung der Arbeitsvorgang. Deshalb sind für die
zutreffende Eingruppierung grundsätzlich zunächst die Arbeitsvorgänge gem. § 22 Abs. 2 Unterabs. 2
BAT/BAT-O zu bestimmen (BAG 22. Februar 2017 - 4 AZR 514/16 - Rn. 33 f. mwN). Arbeitsvorgänge sind
nach der Protokollnotiz zu § 22 Abs. 2 BAT/BAT-O Arbeitsleistungen (einschließlich
Zusammenhangarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis des Angestellten, zu einem bei natürlicher
Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (zB unterschriftsreife Bearbeitung eines Aktenvorgangs,
Erstellung eines EKG, Fertigung einer Bauzeichnung, Eintragung in das Grundbuch, Konstruktion einer
Brücke oder eines Brückenteils, Bearbeitung eines Antrags auf Wohngeld, Festsetzung einer Leistung
nach dem Bundessozialhilfegesetz). Für die Bestimmung eines Arbeitsvorgangs ist das Arbeitsergebnis
maßgebend (st. Rspr., zuletzt BAG 28. Februar 2018 - 4 AZR 816/16 - Rn. 24 mwN). Jeder einzelne
Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht
aufgespalten werden.
15 b) Der vom Landesarbeitsgericht vorgenommenen Bestimmung des Arbeitsvorgangs ermangelt es bereits
an den hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.
16 Das Berufungsgericht ist davon „ausgegangen“ (UA S. 7), die Tätigkeit des Klägers als Wachpolizist im
Objektschutz stelle einen großen Arbeitsvorgang dar; seine Tätigkeit könne nicht sinnvoll weiter
untergliedert werden. Nähere Feststellungen zum Inhalt der vom Kläger auszuübenden Tätigkeiten hat es
nicht getroffen. Ohne diese lässt sich aber nicht beurteilen, ob die Bestimmung des Arbeitsvorgangs den
tariflichen Vorgaben entspricht und ob für die auszuübende Tätigkeit „gründliche Fachkenntnisse“ sowohl
in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht (vgl. hierzu BAG 22. November 2017 - 4 AZR 629/16 -
Rn. 40 ff.) erforderlich sind.
17 aa) Soweit das Landesarbeitsgericht im Tatbestand lediglich auf die Muster-BAK aus dem Jahr 1984
verweist, kann dies die erforderlichen Feststellungen zur - konkreten - auszuübenden Tätigkeit des Klägers
nicht ersetzen. Als Grundlage für eine Tätigkeitsbeschreibung käme sie allenfalls dann in Betracht, wenn
sie die dem Kläger tatsächlich zugewiesene Tätigkeit - ggf. einschließlich der Zeitanteile von
Teiltätigkeiten, was darzulegen wäre - ausreichend wiedergäbe (vgl. BAG 24. August 2016 - 4 AZR
251/15 - Rn. 30; grdl. 13. November 2013 - 4 AZR 53/12 - Rn. 18 mwN). Die Muster-BAK 1984 stellt
lediglich eine generelle Vorgabe für die Tätigkeit von Mitarbeitern im Objektschutz dar, sie bezieht sich
hingegen nicht auf die konkrete, vom Kläger auszuübende Tätigkeit (vgl. auch BAG 22. November 2017
- 4 AZR 629/16 - Rn. 36), zumal sich schon aus ihrem Wortlaut ergibt, dass sich die Aufgaben „je nach den
für das Objekt geltenden Anordnungen“ unterscheiden.
18 bb) Die erforderlichen Feststellungen zu der vom Kläger auszuübenden Tätigkeit lassen sich auch nicht
aus den weiteren Erwägungen des Landesarbeitsgerichts gewinnen. Da das Landesarbeitsgericht von
einer näheren Bezugnahme auf die Feststellungen des Arbeitsgerichts abgesehen hat, waren mögliche,
weiter gehende Feststellungen zur auszuübenden Tätigkeit im erstinstanzlichen Urteil ohne
Erkenntniswert. Im Übrigen enthält auch das Urteil des Arbeitsgerichts keine weiteren relevanten
tatsächlichen Feststellungen zu der konkret vom Kläger auszuübenden Tätigkeit, sondern ebenfalls
lediglich einen allgemeinen Hinweis auf Tätigkeiten aus der Muster-BAK 1984.
19 II. Im Rahmen der neuen Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die erforderlichen
Feststellungen zu der vom Kläger auszuübenden Tätigkeit zu treffen und daran anknüpfend erneut den
Arbeitsvorgang bzw. die Arbeitsvorgänge zu bestimmen haben, um daran anschließend zu beurteilen, ob
hierfür „gründliche Fachkenntnisse“ erforderlich sind. Bei dieser Beurteilung wird das Berufungsgericht den
von ihm richtig erkannten Maßstab der „gründlichen Fachkenntnisse“ erneut anlegen müssen und sowohl
das quantitative als auch das qualitative Maß der benötigten Fachkenntnisse zu ermitteln und zu bewerten
haben.
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Rinck
Creutzfeldt
Kümpel
Gey-Rommel
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