Urteil des BAG vom 09.09.2020

Eingruppierung eines (Teilzeit-)Praxisanleiters - Funktionsmerkmal - Bestimmung von Arbeitsvorgängen - organisatorische Trennung zugewiesener Tätigkeiten

Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 9. September 2020
Vierter Senat
- 4 AZR 161/20 -
ECLI:DE:BAG:2020:090920.U.4AZR161.20.0
I. Arbeitsgericht Hamburg
Urteil vom 26. März 2019
- 20 Ca 388/18 -
II. Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil vom 26. November 2019
- 3 Sa 10/19 -
Entscheidungsstichworte:
Eingruppierung eines (Teilzeit-)Praxisanleiters - Funktionsmerkmal - Be-
stimmung von Arbeitsvorgängen - organisatorische Trennung zugewiese-
ner Tätigkeiten
ECLI:DE:BAG:2020:090920.U.4AZR161.20.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
4 AZR 161/20
3 Sa 10/19
Landesarbeitsgericht
Hamburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
9. September 2020
URTEIL
Freitag, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,
pp.
Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,
hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
9. September 2020 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht
Prof. Dr. Treber, den Richter am Bundesarbeitsgericht Reinfelder, die Richterin
am Bundesarbeitsgericht Dr. Rinck sowie den ehrenamtlichen Richter Hess und
die ehrenamtliche Richterin Wedepohl für Recht erkannt:
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4 AZR 161/20
ECLI:DE:BAG:2020:090920.U.4AZR161.20.0
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1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamburg vom 26. November 2019
- 3 Sa 10/19 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung des Klägers
und daraus resultierende Differenzvergütungsansprüche.
Die Beklagte betreibt mehrere Krankenhäuser in H. Der Kläger war zu-
nächst seit 1980 bei der Freien und Hansestadt Hamburg als Krankenpfleger be-
schäftigt. Im Jahr 2007 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über, die Mit-
glied im Krankenhaus-Arbeitgeberverband Hamburg e.V. (KAH) war. Im Arbeits-
verhältnis der Parteien galten kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit zunächst der
mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di (ver.di) abgeschlossene
Tarifvertrag für den Krankenhaus-Arbeitgeberverband Hamburg e.V. vom
14. Juni 2007 (TV-KAH) und der Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten
von Mitgliedern des Krankenhaus-Arbeitgeberverbandes Hamburg vom 14. Juni
2007 (TVÜ-KAH). Mit dem Änderungstarifvertrag Nr. 6 zum TV-KAH vereinbarten
die Tarifvertragsparteien in §§ 12 und 13 TV-KAH Eingruppierungsregelungen
und als Anlage 1 eine Entgeltordnung, die zum 1. Juli 2017 in Kraft trat. Gleich-
zeitig wurde der TVÜ-KAH daran angepasst.
Rückwirkend zum 1. August 2018 wurde die Beklagte Mitglied in der Ar-
beitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. (AVH), die ihrerseits Mitglied in der
Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) ist. In dem zwischen
ver.di und der VKA geschlossenen Tarifvertrag über die Tarifbindung der Mitglie-
der der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg an das Tarifrecht der Vereini-
gung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom 1. August 2018 (TV TB AVH)
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ist ua. bestimmt, dass für die Beschäftigten der Beklagten ab diesem Zeitpunkt
das Tarifrecht der VKA mit den Maßgaben des zwischen ver.di und der AVH ge-
schlossenen Landesbezirklichen Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten
der Hamburger Krankenhäuser in das Tarifrecht der VKA (LB ÜTV) vom
1. August 2018 gilt. Gleiches ergibt sich aus § 32 Abs. 4 TVÜ-VKA in der ab
1. August 2018 geltenden Fassung. Sowohl der TV-KAH als auch der TVÜ-KAH
wurden durch den zwischen dem KAH und der AVH einerseits und ver.di ande-
rerseits geschlossenen Tarifvertrag zur Aufhebung von Tarifverträgen des Kran-
kenhausarbeitgeberverbandes Hamburg e.V. und zur Anwendung von Tarifrecht
der VKA vom 1. August 2018 (TV Aufhebung) zeitgleich aufgehoben.
Die Beklagte bildet Kranken- und Gesundheitspfleger aus und beschäf-
tigt im Klinikum H, in dem der Kläger tätig ist, fünf hauptberuflich tätige sog. Voll-
zeit-Praxisanleiter. Neben diesen werden zahlreiche Pflegekräfte, die eine ent-
sprechende Fortbildung absolviert haben, teilweise als Praxisanleiter eingesetzt.
Diese sog. Teilzeit-Praxisanleiter leiten Auszubildende in folgenden Bereichen
an:
-
Erstkontakt zu Patienten,
-
Einführung in den Stationsalltag und die Krankheits-
bilder,
-
Pflegeprobleme der hauptsächlichen Krankheitsbilder
sowie Erläuterung der Besonderheiten der Pflegedo-
kumentation,
-
Visiten und Austausch mit anderen Berufsgruppen,
-
Durchführung von Verbandswechseln,
-
Sicherstellung der Patientenversorgung auf der Sta-
tion.
Den hauptberuflichen Praxisanleitern obliegt als wesentliche Tätigkeit
ua. die Dokumentation der Anleitung der Auszubildenden, welche die Vorberei-
tung, Durchführung und Evaluation dieser Anleitung beinhaltet. Die Betreuung
der Auszubildenden wird bei der Beklagten nicht ausschließlich von Praxisanlei-
tern durchgeführt, sondern diese werden auch von examinierten Pflegekräften
ohne die einschlägige Fortbildung begleitet.
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Im Jahr 2002 absolvierte der Kläger erfolgreich eine Fortbildung, die ihn
zur Tätigkeit als Praxisanleiter berechtigt. Er ist bei der Beklagten als Praxisan-
leiter „gelistet“ und erhielt deshalb zunächst eine monatliche Zulage von
35,00 Euro nach § 15 Abs. 5 Satz 4 TV-KAH und ab 1. August 2018 nach § 15
Abs. 7 Satz 3 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Besonderer
Teil Krankenhäuser - (BT-K) - idF von § 1 Satz 2 C. Nr. 2 Buchst. b LB ÜTV. Er
wird als sog. Teilzeit-Praxisanleiter auf seiner Station eingesetzt. Überwiegend
ist er in der Patientenversorgung tätig. Neben dem Kläger verfügen noch zwei
weitere Pflegekräfte der Station über die Befugnis zur Praxisanleitung. Auf dieser
Station sind maximal drei Auszubildende im Monat eingesetzt. Dem Kläger wird
im Vorhinein von der Beklagten durch Bekanntgabe im jeweiligen Dienstplan mit-
geteilt, an welchen Tagen und in welchen Schichten er für die Betreuung eines
Auszubildenden zuständig ist. Im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2018
war er durchschnittlich 11,55 Stunden pro Monat mit der Anleitung von Auszubil-
denden betraut; insgesamt betraf dies neun Schichten.
Der Kläger wurde ab dem 1. Juli 2017 nach Entgeltgruppe P 7 Teil B Ab-
schnitt XI Ziffer 1 der Anlage 1 - Entgeltordnung zum TV-KAH (nachfolgend
TV-KAH) vergütet. Seit dem 1. August 2018 erhält er eine Vergütung nach Ent-
geltgruppe P 7 Teil B Abschnitt XI Ziffer 1 der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA)
zum TVöD/VKA (nachfolgend TVöD/VKA). Mit Schreiben vom 20. März 2018 be-
antragte der Kläger erfolglos eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe P 8
TV-KAH. Mit Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 8. August 2018 wurde der
Antrag weiter begründet und klargestellt, dass das höhere Entgelt rückwirkend
ab dem 1. Juli 2017 begehrt wird.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei als Praxisanleiter zu-
nächst nach Entgeltgruppe P 8 TV-KAH und ab 1. August 2018 nach Entgelt-
gruppe P 8 TVöD/VKA zu vergüten. Bei der Praxisanleitung iSd. Fallgruppe 2 der
einschlägigen Entgeltgruppen handele es sich um ein sog. Funktionsmerkmal. Er
verfüge über die entsprechende Qualifikation, ihm sei die Funktion von der Be-
klagten übertragen worden und er übe diese Tätigkeit regelmäßig aus. Dies ge-
nüge zur Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals. Die gesamte Tätigkeit von Praxisan-
leitern stelle einen einzigen großen Arbeitsvorgang dar. Er steuere nicht, ob und
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wann Auszubildende einer Dienstschicht zugeteilt werden. Deshalb müsse er
seine Qualifikation hierfür jederzeit bereithalten. Praxisanleitung und Pflegetätig-
keit seien untrennbar miteinander verbunden. Auch während der Praxisanleitung
übe er pflegerische Tätigkeiten aus und trage hierfür die Verantwortung. Auch
wenn keine Auszubildenden anwesend seien und er „nur“ pflege, erledige er
seine Arbeit als Praxisanleiter. Er denke etwa darüber nach, was er mit dem
nächsten Auszubildenden mache, welche Wissenslücken bestehen, welche Pa-
tienten geeignet seien und was von den Auszubildenden erwartet werden könne.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn
über den 31. Dezember 2018 hinaus nach der Ent-
geltgruppe P 8 der Anlage 1 zum TVöD (Entgeltord-
nung VKA) zu vergüten und die anfallenden monatli-
chen Bruttonachzahlungsbeträge jeweils ab dem
1. des Folgemonats mit fünf Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz zu verzinsen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum
1. Juli 2017 bis 31. Dezember 2018 rückständiges Ar-
beitsentgelt iHv. 3.087,74 Euro brutto und iHv.
160,15 Euro netto zu zahlen;
3.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn Zinsen für den Zeit-
raum 10. Oktober 2018 bis 31. Dezember 2018 iHv.
26,79 Euro zu zahlen;
4.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere Zinsen iHv.
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
3.087,74 Euro brutto ab dem 1. Januar 2019 sowie
aus weiteren 160,15 Euro netto ab dem 1. Januar
2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung ver-
treten, der Kläger werde nicht mindestens zur Hälfte seiner Tätigkeit mit Aufga-
ben eines Praxisanleiters beschäftigt. Vielmehr sei er weit überwiegend in der
Patientenversorgung tätig. Nur an einigen wenigen, im Voraus festgelegten Ta-
gen werde er als Teilzeit-Praxisanleiter tätig, wenn Auszubildende auf der Station
im gleichen zeitlichen Rahmen Dienst hätten und weder einem hauptberuflichen
Praxisanleiter noch einem anderen Teilzeit-Praxisanleiter die Anlerntätigkeit zu-
gewiesen sei.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht
hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsge-
richt zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die
Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückge-
wiesen. Der Kläger hatte weder im Zeitraum vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Juli
2018 Anspruch auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe P 8 TV-KAH noch kann
er für die Zeit ab dem 1. August 2018 Arbeitsentgelt nach Entgeltgruppe P 8
TVöD/VKA verlangen.
I.
Die Klage ist hinsichtlich der Leistungsanträge ohne weiteres zulässig.
Gleiches gilt hinsichtlich des Feststellungsantrags für die Zeit ab dem 1. Januar
2019 in der zuletzt gestellten Fassung als allgemein übliche Eingruppierungsfest-
stellungsklage
. Diese Grundsätze gelten auch in der Privatwirtschaft
.
Der nunmehr klargestellte Zeitpunkt, ab dem die Feststellung begehrt wird, führt
zur notwendigen Bestimmtheit des Antrags
. Auch über-
schneiden sich die Zeiträume zwischen den Zahlungsbegehren und dem Fest-
stellungsantrag nicht mehr, so dass für diesen das nach § 256 Abs. 1 ZPO erfor-
derliche besondere Feststellungsinteresse gegeben ist
. Soweit in der Revisions-
instanz die Feststellung einer Verzinsungspflicht für Differenzentgeltansprüche
ab dem 1. Januar 2019 verlangt wird
, handelt es sich
um eine Klageerweiterung
durch den Rechtsmittelführer
, ge-
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gen deren ausnahmsweise Zulässigkeit
keine Bedenken
bestehen
.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat mangels Erfüllung des tarifli-
chen Tätigkeitsmerkmals der Fallgruppe 2 - über dessen Vorliegen ausschließ-
lich gestritten wird - keinen Anspruch auf Vergütung zunächst nach Entgelt-
gruppe P 8 TV-KAH und später nach Entgeltgruppe P 8 TVöD/VKA.
1.
Im Streitzeitraum galten bis zum 31. Juli 2018 für das Arbeitsverhältnis
der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der TV-KAH und der
TVÜ-KAH. Nachdem zum 1. August 2018 beide Tarifverträge aufgehoben wur-
den, gelten seither - ebenfalls kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit - der
TVöD/VKA, dessen Besonderer Teil Krankenhäuser (BT-K) und der TVÜ-VKA,
jeweils nach den Maßgaben des LB ÜTV.
2.
Für die Eingruppierung des Klägers sind vorliegend zunächst die §§ 12
und 13 TV-KAH in der ab dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung - die inhaltsgleich
mit §§ 12 und 13 TVöD/VKA waren -
und
ab dem 1. August 2018 die §§ 12 und 13 TVöD/VKA iVm. der Anlage 1 zum
TVöD/VKA maßgeblich. Zwar erfolgte die Überleitung der Beschäftigten in die
Entgeltordnung zum TV-KAH am 1. Juli 2017 nach § 29a Abs. 1 TVÜ-KAH (in-
haltsgleich mit § 29a Abs. 1 TVÜ-VKA) grundsätzlich unter Beibehaltung der bis-
herigen Entgeltgruppe für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit.
§ 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-KAH sah - wie § 29b Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA - aber die
Möglichkeit vor, bis zum 30. Juni 2018 einen Antrag auf Eingruppierung nach der
neuen Entgeltordnung mit Rückwirkung zum 1. Juli 2017 zu stellen, wenn sich
nach dieser eine höhere Entgeltgruppe ergibt. Einen solchen hat der Kläger mit
Schreiben vom 20. März 2018 gestellt. Dieser behält seine Wirkung auch in Be-
zug auf das Vergütungssystem des TVöD/VKA
.
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3.
Die vorliegend einschlägigen Tätigkeitsmerkmale ergeben sich bis zum
31. Juli 2018 aus Teil B Abschnitt XI Ziffer
1 „Beschäftigte in der Pflege“ der An-
lage 1 zum TV-KAH und danach - inhaltlich unverändert - aus Teil B Abschnitt XI
Ziffer
1 „Beschäftigte in der Pflege“ der Anlage 1 zum TVöD/VKA. Sie lauten ua.
wie folgt:
„Entgeltgruppe P 7
1.
Pflegerinnen und Pfleger mit mindestens dreijähriger
Ausbildung und entsprechender Tätigkeit.
Entgeltgruppe P 8
1.
...
2.
Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter in der Pflege
mit berufspädagogischer Zusatzqualifikation nach
bundesrechtlicher Regelung und entsprechender Tä-
tigkeit.“
4.
Der Kläger verfügt zwar über die nach Entgeltgruppe P 8 Fallgruppe 2
TV-KAH und TVöD/VKA für Praxisanleiter in der Pflege geforderte berufspäda-
gogische Zusatzqualifikation. Er übt jedoch keine „entsprechende Tätigkeit“ aus.
Seine auszuübende Tätigkeit umfasst nicht mindestens zur Hälfte Arbeitsvor-
gänge, die die Anforderungen des tariflichen Tätigkeitsmerkmals erfüllen. Hier-
von geht das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei aus.
a)
Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 TV-KAH und TVöD/VKA ist der
Beschäftigte in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die
gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Das
ist der Fall, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für
sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tä-
tigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Bezugspunkt der tariflichen Be-
wertung ist danach der Arbeitsvorgang
.
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b)
Maßgebend für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs ist das Arbeitser-
gebnis
. Für die Beurteilung, ob
eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine
natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Ar-
beitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich ge-
schuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen
. Ein-
zeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschie-
denen Arbeitsschritte von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch
voneinander getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit, ein-
zelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf an-
dere Beschäftigte zu übertragen, nicht aus
. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkeh-
rende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden
. Dem Arbeits-
vorgang hinzuzurechnen sind dabei nach Satz 1 der Protokollerklärung zu § 12
Abs. 2 TV-KAH und TVöD/VKA auch Zusammenhangstätigkeiten. Das sind sol-
che, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Aufgaben eines
Beschäftigten bei der tariflichen Bewertung zwecks Vermeidung tarifwidriger
„Atomisierung“ der Arbeitseinheiten nicht abgetrennt werden dürfen, sondern die-
sen zuzurechnen sind
. Die ta-
rifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt
dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvor-
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gangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeits-
merkmals zu bewerten
.
c)
Der Begriff des „Arbeitsvorgangs“ ist ein feststehender, abstrakter, von
den Tarifvertragsparteien vorgegebener Rechtsbegriff. Seine Anwendung durch
die Tatsachengerichte ist revisionsgerichtlich in vollem Umfang nachprüfbar
.
d)
Danach nimmt das Landesarbeitsgericht zutreffend an, dass die auszu-
übende Tätigkeit des Klägers nicht aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang be-
steht, sondern zwei Arbeitsvorgänge im Tarifsinn vorliegen.
aa)
Ein Arbeitsvorgang ist die Tätigkeit des Klägers als Praxisanleiter für
Auszubildende, die während der Zeit der Zuweisung eines Auszubildenden un-
trennbar mit der Patientenversorgung auf der Station verbunden ist. Die Arbeits-
ergebnisse „fachgerechte Patientenversorgung“ und „Anleitung der Auszubilden-
den“ sind in dieser Zeit tatsächlich nicht getrennt. Das stellt auch die Beklagte
nicht in Abrede, sondern geht ebenfalls davon aus, dem Kläger sei für die jewei-
ligen Schichten diese Tätigkeit als einheitliche Arbeitsaufgabe real übertragen.
Er hat während der gesamten Dauer dieser Schichten aufgrund direktionsrecht-
licher Zuweisung die Funktion als Praxisanleiter auszuüben. Auch wenn er selbst
pflegerische Aufgaben ausführt, muss er jederzeit damit rechnen, Aufgaben ei-
nes Praxisanleiters zu übernehmen. Im Zeitraum der Zuweisung eines Auszubil-
denden ist die gesamte Tätigkeit in der Funktion als Praxisanleiter deshalb als
einheitlicher Arbeitsvorgang zu sehen
.
bb)
Die Zeiten, in denen dem Kläger keine Auszubildenden zur Anleitung zu-
gewiesen sind, bilden einen zweiten Arbeitsvorgang. Arbeitsergebnis ist aufgrund
der pflegerischen Tätigkeit auf der Station allein die fachgerechte Versorgung der
Patienten.
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(1)
Für diese Zeiten übt die Beklagte ihr Direktionsrecht - vertragsgemäß -
so aus, dass dem Kläger „nur“ Tätigkeiten als Pfleger zugewiesen werden. Daran
ändert der Umstand nichts, dass er auch während dieser Zeiten über die Qualifi-
kation als Praxisanleiter verfügt und grundsätzlich als solcher von der Beklagten
„gelistet“ wird. Die Beklagte als Arbeitgeberin hat die verschiedenen Arbeits-
schritte nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
schichtbezogen von vornherein auseinandergehalten und organisatorisch von-
einander getrennt. In der Zeit, in der ihm keine Auszubildenden zur Anleitung
zugewiesen sind, ist ihm die Arbeitsaufgabe „Praxisanleitung“ nicht übertragen.
Dem Kläger wird jeweils nur für eine konkrete Schicht ein Auszubildender durch
die Beklagte ausdrücklich zugewiesen. Fehlt es an einer solchen Zuweisung, ist
das Arbeitsergebnis des Klägers nicht auf die praktische Anleitung von Auszubil-
denden gerichtet. Er muss in einer solchen Schicht grundsätzlich nicht damit
rechnen, als Praxisanleiter tätig werden zu müssen.
(2)
Allein aus dem Umstand, dass es sich bei dem Tarifbegriff des Praxisan-
leiters iSd. Entgeltgruppe P 8 Fallgruppe 2 TV-KAH und TVöD/VKA um ein sog.
Funktionsmerkmal handelt, ergibt sich nichts anderes. Zwar nimmt der Senat in
solchen Fallgestaltungen, wenn die Tätigkeit eines Arbeitnehmers durch ein ta-
rifliches Funktionsmerkmal erfasst wird, ein einheitliches Arbeitsergebnis und da-
mit einen Arbeitsvorgang an, was zu einer einheitlichen Bewertung der Tätigkeit
führt
. So übt beispielsweise
eine Stationsleitung ihre Leitungstätigkeit nicht nur schichtbezogen, sondern
während ihrer gesamten Arbeitszeit aus. Leitungsaufgaben können jederzeit an-
fallen, die Tätigkeit stellt einen einheitlichen Arbeitsvorgang dar
. Maßstab für diese Wertung
ist aber stets die Tätigkeit „in dieser Funktion“
. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist deshalb in den Fäl-
len zu machen, in denen die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein aus-
einandergehalten und organisatorisch voneinander getrennt sind und zu einem
unterschiedlichen Arbeitsergebnis führen
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. Dies ist hier der Fall.
(3)
Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus den Entscheidungen des
Senats zur Eingruppierung von Sozialarbeitern
und einer Wohngeld-Sachbearbeiterin
kein anderes Ergebnis. Den dortigen
Beschäftigten waren bestimmte Aufgaben einheitlich übertragen und die Tätig-
keiten waren auf ein einheitliches Arbeitsergebnis gerichtet. In einem solchen Fall
kommt eine Aufspaltung der Tätigkeit nach Einzelfällen und Schwierigkeitsgrad
nicht in Betracht. Dies ist mit der Situation des Klägers nicht vergleichbar, dem
verschiedene Tätigkeiten mit unterschiedlichen Arbeitsergebnissen zu jeweils
anderen Zeiten übertragen sind.
(4)
Anders als die Revision annimmt, führt auch der Umstand, dass der Klä-
ger - wie er vorträgt -
„Erst- und Abschlussgespräche mit den jeweiligen Auszu-
bildenden durchführt“ oder als „Kontaktperson zur Schule in Anspruch genom-
men wird“, zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Unabhängig davon, dass
es hierzu an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, wird aus dem klä-
gerischen Vortrag schon nicht deutlich, in welchem Umfang und inhaltlichen Zu-
sammenhang er tatsächlich als Kontaktperson zur Schule tätig wird. Dies gilt ins-
besondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagte mehrere Vollzeit-Praxisanlei-
ter beschäftigt. Erstgespräche dürften im Übrigen regelmäßig während der zuge-
wiesenen Schichten stattfinden; jedenfalls wird vom Kläger nichts Gegenteiliges
behauptet. Selbst wenn Abschlussgespräche außerhalb dieser Schichten statt-
finden sollten, handelt es sich aber - ebenso wie etwa bei Nachfragen der
Schule -
um typische Zusammenhangstätigkeiten, die dem Arbeitsvorgang „Pra-
xisanleitung“ zuzuordnen sind. Sie sind weder qualitativ noch quantitativ geeig-
net, die arbeitgeberseitig vorgegebene organisatorische Trennung aufheben, um
dann von einem einheitlichen Arbeitsvorgang mit einem einheitlichen Arbeitser-
gebnis ausgehen zu können. Gleiches gilt, wenn der Kläger während reiner „Pfle-
geschichten“ - wie er weiter vorträgt - darüber nachdenkt, wie er den nächsten
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zugewiesenen Auszubildenden anleitet, welche Wissenslücken bestehen könn-
ten und welche Patienten geeignet seien. Auch hierbei handelt es sich um Zu-
sammenhangstätigkeiten, die nicht eigenständig zu bewerten, sondern dem Ar-
beitsvorgang „Praxisanleitung“ zuzuordnen sind.
(5)
Der Umstand, dass der Kläger eine Zulage als Praxisanleiter nach § 15
Abs. 5 Satz 4 TV-KAH erhalten hat und später nach § 15 Abs. 7 Satz 3
TVöD-BT-K idF von § 1 Satz 2 C. Nr. 2 Buchst. b LB ÜTV erhält, ist für die Be-
stimmung der Arbeitsvorgänge ohne Bedeutung. Der tarifliche Anspruch auf Ge-
währung dieser Zulage besteht neben dem Anspruch auf das Tabellenentgelt
und ist nicht von der Vergütung nach einer bestimmten Entgeltgruppe abhängig.
Vielmehr setzt er lediglich die Übertragung der Tätigkeit als Praxisanleiter voraus.
Diese beinhaltet aber noch keine Aussage darüber, in welchem Umfang die
Funktion ausgeübt wird und ob mindestens zur Hälfte der gesamten Arbeitszeit
Arbeitsvorgänge anfallen, die das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe P 8 Fall-
gruppe 2 TV-KAH und TVöD/VKA erfüllen.
e)
Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts
übt der Kläger weit überwiegend ausschließlich Tätigkeiten eines Krankenpfle-
gers aus. Dieser Arbeitsvorgang erfüllt - was zwischen den Parteien nicht im
Streit steht - das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe P 7 Fallgruppe 1 TV-KAH
und TVöD/VKA. Tätigkeiten eines Praxisanleiters, die dem Tätigkeitsmerkmal der
Entgeltgruppe P 8 Fallgruppe 2 TV-KAH und TVöD/VKA zuzuordnen wären, übt
er hingegen nur in deutlich geringerem als dem tariflich geforderten Umfang aus.
Im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2018 hatte der Kläger lediglich neun-
mal im gleichen zeitlichen Rahmen Dienst wie ein der Station zugewiesener Aus-
zubildender. Er war in diesem Zeitraum durchschnittlich 11,55 Stunden pro Mo-
nat mit der Anleitung von Auszubildenden betraut. Dass es sich dabei etwa um
nicht repräsentative Zeiträume handeln würde, hat auch die Revision nicht be-
hauptet. Dieser Arbeitsvorgang erreicht damit bei weitem nicht das tariflich gefor-
derte Maß von mindestens der Hälfte der auszuübenden Tätigkeit
. Dies gilt selbst dann, wenn man die - allerdings
vom Kläger zeitlich nicht näher bestimmten - Zusammenhangstätigkeiten
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hinzurechnen würde. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitsvorgang
Praxisanleitung unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten mindes-
tens die Hälfte der übertragenen Tätigkeit darstellen könnte. Anders als die Re-
vision annimmt, kommt es insoweit auch nicht darauf an, ob die Tätigkeit als Pra-
xisanleiter ein „rechtlich erhebliches Ausmaß“ erreicht. Dieses Kriterium ist nur
für die Beantwortung der Frage relevant, in welchem Umfang innerhalb eines Ar-
beitsvorgangs bestimmte - von den Tarifvertragsparteien eingruppierungsrecht-
lich höher bewertete - Tätigkeiten anfallen müssen
.
III.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.
Treber
Rinck
W. Reinfelder
A. Wedepohl
Th. Hess
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