Urteil des BAG vom 28.07.2020
Mitbestimmung des Betriebsrats - Festlegung der Arbeitszeit - Einstellung von Leiharbeitnehmern - Umfang der Rechtskraft
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 28. Juli 2020
Erster Senat
- 1 ABR 45/18 -
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
I. Arbeitsgericht München
Beschluss vom 18. April 2018
- 38 BV 332/17 -
II. Landesarbeitsgericht München
Beschluss vom 6. November 2018
- 9 TaBV 48/18 -
Entscheidungsstichworte:
Mitbestimmung des Betriebsrats - Festlegung der Arbeitszeit - Einstellung
von Leiharbeitnehmern - Umfang der Rechtskraft
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
1 ABR 45/18
9 TaBV 48/18
Landesarbeitsgericht
München
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
28. Juli 2020
BESCHLUSS
Metze, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,
2.
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
28. Juli 2020 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht K. Schmidt und Dr. Ahrendt sowie die
ehrenamtliche
Richterin
Schwitzer
und
den
ehrenamtlichen
Richter
Prof. Dr. Rose für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 6. No-
vember 2018 - 9 TaBV 48/18 - aufgehoben.
- 2 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 3 -
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss
des Arbeitsgerichts München vom 18. April 2018 - 38 BV
332/17 - abgeändert.
Der Arbeitgeberin wird unter Androhung eines Ordnungs-
gelds iHv. bis zu 10.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwider-
handlung untersagt, Leiharbeitnehmer, die nicht in der
Funktion eines „Director“ oder eines „Manager MHS“ tätig
sind, im Bereich Lager (Warehouse) - mit Ausnahme der
Abteilung MHS - zu den in Ziff. IV Nr. 2.1 Buchst.
a der „Be-
triebsvereinbarung Arbeitszeiten“ iVm. in deren Anlage 3
festgelegten Schichtzeiten zu beschäftigen, ohne dass zu-
vor über die Schichteinteilung zwischen der Arbeitgeberin
und dem Betriebsrat eine - ggf. durch die Einigungsstelle
ersetzte - Einigung erzielt wurde.
Der weitergehende Antrag auf Androhung eines Ordnungs-
gelds wird abgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch.
Die Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Zu diesem
Zweck unterhält sie in ihrem Betrieb, in dem der antragstellende Betriebsrat ge-
wählt ist, ein Lager (Warehouse). Seit dem 1. April 2016 gilt im Betrieb die
„Be-
triebsvereinbarung Arbeitszeiten
“ vom 15./16. Dezember 2015 (BV ArbZ). Diese
lautet auszugsweise:
IV. Schichtarbeit
1.
Anwendungsbereich
Die nachfolgenden Regelungen gelten für alle Mitar-
beiter der Betriebsteile Warehouse … Ausgenommen
sind Mitarbeiter, wel
che die Funktion des „Director“ o-
der des „Manager MHS“ bekleiden. …
2.
Arbeitszeit/Schichtmodelle
1
2
- 3 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 4 -
Die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (derzeit
40 Stunden) kann in den Betriebsteilen Warehouse
(ohne Bereich MHS) … wie in den Schichtmodellen
jeweils festgelegt verteilt werden.
2.1
Schichtmodelle des Betriebsteils Warehouse
(ohne Bereich MHS)
a)
Die Schichtmodelle des Betriebsteils Warehouse
Anlage 3
ser Betriebsvereinbarung.
…“
In der Anlage 3 zur BV ArbZ sind für die Früh-, Tag-, Spät- und Nacht-
schicht der jeweilige Schichtbeginn und das jeweilige Schichtende sowie die
Lage von jeweils drei Pausen festgelegt. Derzeit wird im Lager in drei Schichten
(Früh-, Tag-, Spätschicht) gearbeitet, wobei die Arbeitnehmer jeweils kontinuier-
lich in einer Schicht tätig sind.
Die Arbeitgeberin bat den Betriebsrat Anfang September 2017 um Zu-
stimmung zur befristeten Einstellung von Leiharbeitnehmern im Lager. Nachdem
der Betriebsrat die Zustimmung verweigert hatte, teilte die Arbeitgeberin mit, sie
werde die personellen Maßnahmen ab dem 8. September 2017 vorläufig durch-
führen. Dementsprechend waren im Zeitraum zwischen dem 8. September und
dem 31. Oktober 2017 insgesamt 47 Leiharbeitnehmer im Lager tätig. Ihr Einsatz
erfolgte zu den in der Anlage 3 zur BV ArbZ vorgesehenen Schichtzeiten.
Das Landesarbeitsgericht München wies mit Beschluss vom 8. Februar
2018
einen auf diesen Sachverhalt gestützten, vom Be-
triebsrat im einstweiligen Verfügungsverfahren angebrachten Antrag, der Arbeit-
geberin bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren den Einsatz von Leihar-
beitnehmern ohne - ggf. durch die Einigungsstelle ersetzte - Zustimmung des Be-
triebsrats bei der Schichtzuteilung zu untersagen, zurück. Zur Begründung führte
es ua. aus, die Arbeitgeberin habe mit den Maßnahmen nicht gegen das Mitbe-
stimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen, da
dieses bei einer Zuordnung neu eingestellter Arbeitnehmer in ein bestehendes
Schichtsystem nicht zur Anwendung komme.
3
4
5
- 4 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 5 -
Seit November 2017 bittet die Arbeitgeberin den Betriebsrat vor einem
Ein
satz von Leiharbeitnehmern „vorsorglich - ohne Anerkennung einer Rechts-
pflicht -
“ um Zustimmung zur Einteilung der Leiharbeitnehmer in die in der An-
lage 3 zur BV ArbZ vorgesehenen Schichten.
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, ihm stehe bei der Zuweisung der
im Lager eingesetzten Leiharbeitnehmer zu den vereinbarten Schichten ein Mit-
bestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu.
Der Betriebsrat hat beantragt,
1.
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, im
Bereich Lager (Warehouse), ohne der Abteilung MHS,
Leiharbeitnehmer, mit Ausnahme für die Funktionen
„Director“ oder „Manager MHS“, im Rahmen der jewei-
ligen Schichtpläne nach Ziff. IV Nr. 2.1 iVm Anlage 3
der
„Betriebsvereinbarung
Arbeitszeiten
“
vom
15./16.12.2015 erstmalig zur Arbeitsleistung einzuset-
zen oder die Erbringung der Arbeitsleistung durch
diese zu dulden, ohne dass zuvor über deren Schich-
teinteilung mit ihm eine Einigung erzielt oder durch
den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es
sei denn, es lägen Notfälle vor oder die Anordnung der
Arbeitszeiten gegenüber Leiharbeitnehmern wäre
durch eine Arbeitskampfmaßnahme bedingt oder es
läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der
Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kol-
lektiven Bezug hat;
2.
für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Ver-
pflichtung aus Ziffer 1 und bezogen auf jeden Tag der
Arbeitgeberin
ein
Ordnungsgeld
von
bis
zu
10.000,00 Euro anzudrohen.
Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung begehrt und geltend gemacht,
die Schichteinteilung von Leiharbeitnehmern sei nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG mitbestimmungspflichtig, da sie keinen Schichtplan aufstelle und der Ver-
leiher die Einsatzzeiten der Leiharbeitnehmer vorgebe. Außerdem fehle es an
einem kollektiven Tatbestand; die Einstellung der Leiharbeitnehmer berühre we-
der die Zuordnung der Stammbelegschaft zu den Schichten noch deren Möglich-
keit, diese zu ändern. Im Übrigen seien bei einer Einstellung von Arbeitnehmern
6
7
8
9
- 5 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 6 -
die Regelungen in §§ 99, 100 BetrVG gegenüber dem Mitbestimmungsrecht
nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG vorrangig.
Das Arbeitsgericht hat den Unterlassungsantrag abgewiesen. Das Lan-
desarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit sei-
ner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seine Anträge weiter.
B.
Die Rechtsbeschwerde hat überwiegend Erfolg. Der Unterlassungsan-
trag des Betriebsrats ist zulässig und entgegen der Ansicht des Landesarbeits-
gerichts auch begründet. Hingegen war dem erstmals zur Entscheidung anfallen-
den Antrag auf Ordnungsgeldandrohung nur teilweise zu entsprechen.
I.
Der Unterlassungsantrag hat Erfolg.
1.
Die Zulässigkeit dieses Antrags begegnet keinen Bedenken.
a)
Allerdings ist seine Auslegung geboten.
aa)
Bei einem der Abwehr künftiger Beeinträchtigungen dienenden Unterlas-
sungsanspruch wird in der Regel ein Verbot einer als rechtswidrig angegriffenen
Verhaltensweise begehrt. Diese legt der Antragsteller in seinem Antrag sowie der
zu dessen Auslegung heranzuziehenden Begründung fest. Die so umschriebene
Verletzungsform bestimmt und begrenzt den Inhalt des Unterlassungsbegehrens
.
bb)
Wie die sprachliche Fassung des Antrags und die hierzu vorgebrachten
Anlassfälle zeigen, bezieht sich das Unterlassungsbegehren des Betriebsrats
personell ausschließlich auf Leiharbeitnehmer, die - außerhalb der Abteilung
MHS - im Lager der Arbeitgeberin (Warehouse) eingesetzt werden und nicht in
der Funktion eines „Director“ oder eines „Manager MHS“ tätig sind. Diese Ein-
schränkungen tragen dem Umstand Rechnung, dass die Schichtzeiten nach
Ziff. IV Nr. 2.1 Buchst. a BV ArbZ iVm. deren Anlage 3 weder für den
„Bereich
MHS
“ noch für Tätigkeiten in den beiden im Antrag bezeichneten Funktionen gel-
ten
. Trotz des insoweit missver-
ständlichen Antragswortlauts soll der Arbeitgeberin untersagt werden, diese Leih-
arbeitnehmer in dem genannten betrieblichen Organisationsbereich zu den in der
10
11
12
13
14
15
16
- 6 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 7 -
Anlage 3 zur BV ArbZ vereinbarten Schichtzeiten zu beschäftigen, ohne dass zu-
vor über deren Schichteinteilung zwischen den Beteiligten eine, ggf. durch die
Einigungsstelle ersetzte, Einigung erzielt wurde. Sowohl das Vorbringen des Be-
triebsrats als auch die in der sprachlichen Fassung des Unterlassungsantrags
enthaltene Alternative der „Duldung“ erbrachter Arbeitsleistungen zeigen, dass
es dem Betriebsrat bei dem erstrebten Verbotsausspruch nicht lediglich um den
„erstmaligen“ Arbeitseinsatz von Leiharbeitnehmern geht. Vielmehr ist nach sei-
ner Auffassung nur die („erstmalige“) Zuordnung der überlassenen Arbeitnehmer
zu den Schichten mitbestimmungspflichtig, die dann grundsätzlich - solange kein
Schichtwechsel stattfindet - für deren gesamten Einsatz unverändert bleibt. So-
lange diese Zuordnung nicht mitbestimmt erfolgt ist, soll es der Arbeitgeberin ver-
wehrt sein, die Leiharbeitnehmer entsprechend der sich aus Ziff. IV Nr. 2.1
BV ArbZ iVm. deren Anlage 3 ergebenden Zeiten zur Arbeitsleistung einzuset-
zen. Für ein solches Verständnis des Antrags zu 1. streitet auch der Antrag auf
Androhung eines Ordnungsgelds, der sich nicht nur auf jeden Fall der Zuwider-
handlung, sondern ausdrücklich auch „auf jeden Tag“ bezieht. Nicht umfasst vom
Antragsbegehren ist - ausgehend von den geschilderten Anlassfällen - hingegen
die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern zu anderen als den in der BV ArbZ
mitbestimmt ausgestalteten Schichtzeiten.
cc)
Den im Antrag enthaltenen Einschränkungen
kommt
keine eigenständige Bedeutung zu. Die vom Betriebsrat geschilderten Anlass-
fälle beziehen sich weder auf arbeitskampfbedingte Einsätze noch auf Notfälle
im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
. Entsprechendes gilt, soweit
der Betriebsrat Sachverhalte ausschließen möchte, die „ausschließlich in der
Person des Arbeitnehmers“ liegen und „keinen kollektiven Bezug“ haben. Mit die-
ser Antragsformulierung soll dem Einwand der Arbeitgeberin begegnet werden,
wonach nur kollektive Maßnahmen nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungs-
pflichtig sind. Da - anders als von der Arbeitgeberin angenommen - die geschil-
derten Anlassfälle schon dadurch einen kollektiven Bezug aufweisen, dass die
17
- 7 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 8 -
Schichtzuteilung der Leiharbeitnehmer die Interessen der bereits in den jeweili-
gen Schichten im Lager beschäftigten Stammarbeitnehmer berührt, kommt die-
ser Einschränkung keine selbständige Bedeutung zu.
b)
Der so verstandene Unterlassungsantrag entspricht dem Bestimmt-
heitserfordernis iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitgeberin kann eindeutig
erkennen, was von ihr verlangt wird.
c)
Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin ist der Antrag zu 1. nicht man-
gels Rechtsschutzschutzinteresse unzulässig. Der Betriebsrat verfolgt mit sei-
nem Begehren ein „rechtlich geschütztes Ziel“. Das für eine Sachentscheidung
eines Gerichts notwendige Rechtsschutzbedürfnis verlangt lediglich ein berech-
tigtes Interesse des Antragstellers an der Inanspruchnahme gerichtlichen
Rechtsschutzes. Bei Leistungsanträgen folgt ein solches Interesse regelmäßig
aus der Nichterfüllung des behaupteten Anspruchs. Ob dieser besteht, ist grund-
sätzlich eine Frage der Begründetheit
.
2.
Der Unterlassungsantrag ist begründet. Die Voraussetzungen des aus
§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG folgenden allgemeinen Unterlassungsanspruchs
liegen vor.
a)
Die Arbeitgeberin hat durch die Anlassfälle das Mitbestimmungsrecht
des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verletzt.
aa)
Die Zuordnung der Leiharbeitnehmer zu den nach Ziff. IV Nr. 2.1
Buchst. a BV ArbZ iVm. in deren Anlage 3 festgelegten Schichten unterfällt als
Festlegung der konkreten Lage und der Verteilung der Arbeitszeit sowie der Pau-
sen dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG. Das bei einer - und sei es nur kurzzeitigen - Beschäftigung eines Leih-
arbeitnehmers in einem Entleiherbetrieb dem dortigen Betriebsrat zustehende
Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
18
19
20
21
22
- 8 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 9 -
greift auch hin-
sichtlich neu eingestellter (Leih-)Arbeitnehmer
. Insoweit fehlt es weder an einem kollektiven Tatbestand noch wird das Mit-
bestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 BetrVG durch die Mitwirkungsrechte des Be-
triebsrats in den personellen Angelegenheiten verdrängt
. Entgegen der Ansicht der
Arbeitgeberin kommt es auch nicht darauf an, ob sie einen „Schichtplan“ aufstellt.
Die vorliegend von ihr geltend gemachten Einwände geben dem Senat keinen
Anlass, seine ständige Rechtsprechung
in Frage zu stellen.
(1)
Weder die Gesetzessystematik noch die Entstehungsgeschichte bieten
Anhaltspunkte für ein eingeschränktes Verständnis des § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG. Soweit die Arbeitgeberin auf die Gesetzesmaterialien
verweist, lässt sich diesen für § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nichts
entnehmen. Die dortigen Ausführungen beziehen sich ausdrücklich nur auf die
Durchführung vorläufiger personeller Maßnahmen, nicht jedoch auf das erzwing-
bare Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Arbeitszeit.
(2)
Der Einwand der Arbeitgeberin, das Mitbestimmungsrecht bei der Fest-
legung der Arbeitszeit neu eingestellter (Leih-)Arbeitnehmer habe zur Folge,
dass §
100 BetrVG bei einer „Einstellung in einen Schichtbetrieb mit Dauer-
schichtdienst“ leerlaufe, greift ebenfalls nicht durch. Die Mitbestimmungsrechte
des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten nach § 99 BetrVG einerseits
und in sozialen Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG andererseits be-
ziehen sich auf unterschiedliche Regelungsgegenstände. Dementsprechend gel-
ten für sie jeweils eigene Konfliktlösungsmechanismen. Die durch § 100
BetrVG vermittelte Gestattung zur Durchführung einseitiger Maßnahmen be-
schränkt sich ausschließlich auf die nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG lediglich zu-
stimmungspflichtige Einstellung im Sinne einer Eingliederung des Arbeitnehmers
in den Betrieb und erfasst nicht die - der weitergehenden erzwingbaren Mitbe-
23
24
- 9 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 10 -
stimmung unterliegende - Zuteilung des Arbeitnehmers zu den im Betrieb gelten-
den Schichtzeiten. Daher entbindet die dem Arbeitgeber durch § 100
BetrVG eingeräumte Befugnis, eine Einstellung vorläufig durchzuführen, ihn nicht
davon, vor einer tatsächlichen Beschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers
das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach
§ 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG zu beachten.
(3)
Die Rechtsprechung des Senats führt auch nicht zu praktisch untragba-
ren Ergebnissen. Zwar darf eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Be-
triebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegt, erst nach dessen Zustimmung oder
deren Ersetzung durch die Einigungsstelle durchgeführt werden. Auch räumt das
Gesetz im Bereich der sozialen Angelegenheiten dem Arbeitgeber selbst bei Eil-
und Sonderfällen weder eine einseitige Regelungsbefugnis ein noch gewährt es
ihm die Möglichkeit, eine von § 87 Abs. 1 BetrVG erfasste Maßnahme vorläufig
durchzuführen
. Allerdings bleibt es den Betriebsparteien und damit auch einer
im Fall der Nichteinigung von ihnen ggf. angerufenen Einigungsstelle grundsätz-
lich unbenommen, bei der Ausgestaltung der nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mit-
bestimmten Angelegenheit - zu der auch eine ggf. sehr kurzfristig erforderliche
Schichtzuteilung zählt - etwaigen spezifischen betrieblichen Bedürfnissen Rech-
nung zu tragen und das Vorliegen einer Zustimmung des Betriebsrats festzule-
gen, wenn sich dies auf eine eng begrenzte, hinreichend konkret beschriebene
und ggf. häufig auftretende Fallgestaltung bezieht. Bei einer Beschränkung der
„Vorabzustimmung“ auf derartige dringende betriebliche Konstellationen werden
dem Arbeitgeber keine den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 2 Be-
trVG betreffende einseitige Entscheidungsbefugnisse eingeräumt
.
bb)
Ein Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG scheidet vorliegend nicht
deshalb aus, weil der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht bei der Zuteilung von
Leiharbeitnehmern zu den in der Anlage 3 zur BV ArbZ festgelegten Schichten
bereits ausgeübt hat. Die nach ihrer Ziff. I Nr.
2 für alle „Arbeitnehmer des Be-
25
26
- 10 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 11 -
triebs“ (mit Ausnahme der leitenden Angestellten) und damit auch für Leiharbeit-
nehmer, die im Lager tätig sind, geltende BV ArbZ regelt die konkrete Zuordnung
der einzelnen Arbeitnehmer zu den Schichten nicht. In ihr sind auch keine Ver-
fahrensgrundsätze für eine solche Schichtzuteilung festgelegt, die von der Arbeit-
geberin lediglich umgesetzt werden müssten. Ziff. IV Nr. 3.2 BV ArbZ enthält nur
Vorgaben für einen Schichttausch und einen Schichtwechsel.
cc)
Eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil - wie die Arbeitgeberin gel-
tend gemacht hat - ihr die jeweiligen Vertragsarbeitgeber der Leiharbeitnehmer
stets mitteilen, zu welcher Schichtzeit der einzelne Leiharbeitnehmer eingesetzt
werden könne. Ungeachtet dessen, dass die Arbeitgeberin nach ihrem eigenen
Vortrag diese
Vorgaben „nicht ausnahmslos“, sondern nur „in der Regel“ berück-
sichtigt, fehlt es in diesen Fällen selbst dann nicht an einer das Mitbestimmungs-
recht des Betriebsrats auslösenden Zuordnungsentscheidung der Arbeitgeberin,
wenn sie sich stets hiernach richten sollte. Sofern die Arbeitgeberin die Leihar-
beitnehmer bereits bei den Entleihunternehmen schichtbezogen anfordern sollte,
legt sie damit deren Arbeitszeiten iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG fest. Sollten die
Leiharbeitnehmer von den Entleihunternehmen nur schichtbezogen zur Verfü-
gung gestellt werden, bestimmt die Arbeitgeberin mit dem Einsatz und der
dadurch bedingten Inkaufnahme einer vom Verleiher bzw. ggf. vom Leiharbeit-
nehmer vorgegebenen Einsatzzeit automatisch die Zuordnung dieser Arbeitneh-
mer zu den Schichtzeiten nach der Anlage 3 zur BV ArbZ. Damit trifft sie eine
Maßnahme iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, die den notwendigen kollektiven Be-
zug aufweist
.
dd)
Aus dem rechtskräftigen Beschluss des Landesarbeitsgerichts München
vom 8. Februar 2018 ergibt sich vorliegend nichts anderes.
(1)
Die Rechtskraft dieser Entscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO
bezieht
sich -
trotz des gleichen „Klagegrundes“ - auf einen anderen „prozessualen An-
spruch“ und damit einen anderen Verfahrensgegenstand als den vorliegend vom
27
28
29
- 11 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 12 -
Betriebsrat angebrachten. Denn der mit dem dortigen Unterlassungsantrag be-
gehrte Verbotsausspruch erfasste keine künftig der Arbeitgeberin zu untersagen-
den Handlungen, sondern nur solche bis zur gerichtlichen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren.
(2)
Eine Bindungswirkung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt
der Präjudizialität.
(a)
Rechtskräftige Urteile und Beschlüsse entfalten gemäß § 322 Abs. 1
ZPO nur insoweit Bindungswirkung für ein nachfolgendes Verfahren, als über
den durch die Klage oder den Antrag erhobenen Anspruch entschieden worden
ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils bzw. Be-
schlusses, dh. auf die Rechtsfolge, die aufgrund eines bestimmten Sachverhalts
bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne
Entscheidungselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerun-
gen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der
Rechtskraft nicht erfasst. Bei einem Unterlassungsantrag besteht die begehrte
Rechtsfolge in dem Verbot einer bestimmten - als rechtswidrig angegriffe-
nen - Verhaltensweise (Verletzungsform), die der Antragsteller in seinem Antrag
abstrahierend beschreiben muss. Wird der Antrag abgewiesen, steht damit die
Berechtigung des Inanspruchgenommenen zu dem vom Antrag umfassten Han-
deln fest
.
(b)
Die Bindungswirkung des Beschlusses vom 8. Februar 2018 erfasst
demgemäß nur die Befugnis der Arbeitgeberin, vom Zeitpunkt des Anhörungs-
termins im einstweiligen Verfügungsverfahren bis zur Entscheidung in der Haupt-
sache Leiharbeitnehmer auch ohne Mitbestimmung des Betriebsrats in die
Schichten nach der BV ArbZ einzuteilen. Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die
die vom Landesarbeitsgericht verneinte Vorfrage, ob die Arbeitgeberin bei den
Anlassfällen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG verletzt hat. Der aus § 87 Abs. 1 BetrVG folgende allgemeine Unterlas-
sungsanspruch erfordert als Tatbestandsvoraussetzungen sowohl eine Verlet-
zungshandlung als auch eine Wiederholungsgefahr
30
31
32
- 12 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 13 -
. Der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht nach
§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG stellt daher nur ein vorgreifliches - nicht in Rechtskraft
erwachsendes - Element für die ausgesprochene Rechtsfolge dar.
b)
Dem Betriebsrat steht unabhängig von den Voraussetzungen des § 23
Abs. 3 BetrVG gegen zu erwartende weitere Verletzungen seines Mitbestim-
mungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ein Unterlassungsanspruch gegen
die Arbeitgeberin zu.
aa)
Das Landesarbeitsgericht geht zu Unrecht davon aus,
„im Anwendungs-
bereich des § 100 BetrVG
“ sei bei einer Verletzung von § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
für den Betriebsrat kein allgemeiner betriebsverfassungsrechtlicher Unterlas-
sungsanspruch gegeben. Es verkennt, dass die Norm des § 100 BetrVG dem
Arbeitgeber lediglich erlaubt, personelle Maßnahmen iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 Be-
trVG vorläufig durchzuführen; sie entbindet ihn jedoch nicht von der Einhaltung
ggf. weiterer Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Unabhängig davon miss-
versteht das Landesarbeitsgericht auch die Ausführungen des Senats, wonach
es für die Bejahung eines Unterlassungsanspruchs ua. auf die „konkrete gesetz-
liche Ausgestaltung“ der einzelnen Mitbestimmungstatbestände ankommt
.
Maß-
gebend ist lediglich, ob die Ausgestaltung des spezifischen Mitbestimmungs-
rechts die Anerkennung eines dieses Recht sichernden Unterlassungsanspruchs
erfordert. Dies ist bei den erzwingbaren Mitbestimmungstatbeständen nach § 87
Abs. 1 BetrVG der Fall.
bb)
Die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gege-
ben. Die durch die Anlassfälle indizierte Wiederholungsgefahr liegt vor. Der Um-
stand, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat seit November 2017 vor einem Ein-
satz von Leiharbeitnehmern um Zustimmung zu deren Schichteinteilung bittet,
steht dem nicht entgegen. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachver-
halt lässt bereits nicht erkennen, dass die Arbeitgeberin seit dieser Zeit eine Be-
schäftigung der Leiharbeitnehmer erst nach (ggf. ersetzter) Zustimmung des Be-
triebsrats vornimmt. Unabhängig davon führt sie das Mitbestimmungsverfahren
33
34
35
- 13 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
- 14 -
nach § 87 Abs. 1 Nr.
2 BetrVG ausdrücklich nur „vorsorglich“ und damit ohne An-
erkennung einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung durch.
cc)
Die Zuerkennung des Unterlassungsanspruchs verletzt die Arbeitgeberin
nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die mögliche Beeinträchtigung
der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durch mitbestimmte Regelungen
über die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage ist die im Ge-
setz angelegte Folge des Bestehens von Mitbestimmungsrechten. Der Unterlas-
sungsanspruch vereitelt auch nicht den „Kern der Unternehmensführung“ der Ar-
beitgeberin. Die Beschäftigung neu eingestellter Leiharbeitnehmer wird nicht
gänzlich untersagt, sondern ist von einer mitbestimmten oder über die Einigungs-
stelle erzwingbaren Regelung der Betriebsparteien abhängig
.
II.
Der damit dem Senat zur Entscheidung anfallende Antrag auf Androhung
der Festsetzung eines Ordnungsgelds nach § 890 ZPO für den Fall, dass die
Arbeitgeberin ihrer Verpflichtung, die titulierte Handlung zu unterlassen, zuwider-
handelt, ist nur teilweise begründet. Zwar wahrt der Antrag die auch beim allge-
meinen Unterlassungsanspruch zu beachtende Höchstgrenze des § 23 Abs. 3
Satz 5 BetrVG von 10.000,00 Euro
. Der Betriebsrat begehrt die Andro-
hung des Ordnungsgelds allerdings nicht nur für jeden Fall der Zuwiderhandlung,
sondern auch „bezogen auf jeden Tag“. Eine solche tagesbezogene Androhung
scheidet vorliegend aus.
1.
Das - nach § 890 Abs.
2 ZPO „entsprechend“ anzudrohende - Ordnungs-
geld kann gemäß § 890 Abs. 1 ZPO nur wegen
einer „jeden Zuwiderhandlung“
gegen eine Verpflichtung, „eine Handlung zu unterlassen“ festgesetzt werden.
Die vorliegend von der Arbeitgeberin zu unterlassende Handlung besteht in einer
Beschäftigung von Leiharbeitnehmern zu Schichtzeiten nach Ziff. IV Nr. 2.1
Buchst. a BV ArbZ iVm. deren Anlage 3, ohne dass die Beteiligten zuvor über die
Schichtzuteilung ein - ggf. ersetztes - Einverständnis erzielt haben. Da die Arbeit-
geberin die Zuweisung der Leiharbeitnehmer zu den Schichten nur zu Beginn
36
37
38
- 14 -
1 ABR 45/18
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR45.18.0
ihres Einsatzes und damit nicht jeden Tag neu vornimmt, liegt in deren Beschäf-
tigung keine arbeitstägliche ordnungsgeldbewehrte Zuwiderhandlung. Demge-
mäß kann auch eine Ordnungsgeldandrohung nicht tagesbezogen erfolgen.
2.
Ein einschränkendes Verständnis des Antrags zu 2. scheidet aus. Der
Betriebsrat hat trotz entsprechender Rüge der Arbeitgeberin in den Vorinstanzen
an seiner Antragsfassung festgehalten. Der - insoweit teilbare - Antrag auf An-
drohung eines Ordnungsgelds bleibt deshalb teilweise erfolglos.
Schmidt
K. Schmidt
Ahrendt
H. Schwitzer
Rose
39