Urteil des BAG vom 29.09.2020

Betriebsrat - dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 29. September 2020
Erster Senat
- 1 ABR 32/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:290920.B.1ABR32.19.0
I. Arbeitsgericht
Berlin
Beschluss vom 13. Dezember 2018
- 7 BV 15191/18 -
II. Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 1. August 2019
- 5 TaBV 313/19 -
Entscheidungsstichworte:
Betriebsrat - dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten
Leitsatz:
Aus dem entgeltlistenbezogenen Einsichts- und Auswertungsrecht des
§ 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG folgt kein Anspruch des Betriebsrats auf
dauerhafte Überlassung der Listen über die Bruttolöhne und -gehälter.
ECLI:DE:BAG:2020:290920.B.1ABR32.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
1 ABR 32/19
5 TaBV 313/19
Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
29. September 2020
BESCHLUSS
Metze, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragsteller, Beschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer,
2.
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
29. September 2020 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht K. Schmidt und Dr. Ahrendt sowie den
ehrenamtlichen Richter Hayen und die ehrenamtliche Richterin Dr. Schimmer für
Recht erkannt:
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1 ABR 32/19
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Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Be-
schluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg
vom 1. August 2019 - 5 TaBV 313/19 - wird zurückgewie-
sen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über die Überlassung von Bruttoentgeltlisten.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen im Bereich des Gesundheitswe-
sens. In ihrem Betrieb in B ist der antragstellende Betriebsrat errichtet. Dieser hat
einen Betriebsausschuss gebildet.
Unter Hinweis auf das Entgelttransparenzgesetz, seine Förderaufgabe
nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG sowie seine sonstigen betriebsverfassungsrecht-
lichen Überwachungspflichten und das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat ohne Erfolg die Überlassung von Entgeltlisten
verlangt.
Daraufhin hat er in dem am 21. November 2018 eingeleiteten Beschluss-
verfahren sinngemäß beantragt,
die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Betriebsausschuss
die Listen über die Bruttoentgelte für den Zeitraum vom Juni
2018 bis zum November 2018 in Bezug auf alle im Betrieb
beschäftigten Mitarbeiter mit Ausnahme der leitenden An-
gestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG dauerhaft in elektroni-
scher Form zu überlassen und die Listen insbesondere wie
folgt aufzuschlüsseln: Zugehörigkeit zum Geschlecht, Tarif-
grundentgelt, Zuschläge jeder Art, Zulagen und Sonderver-
gütungen jeder Art (auch individuell ausgehandelte), Prä-
mien und Gratifikationen;
hilfsweise
die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Betriebsausschuss
die Listen über die Bruttoentgelte für den Zeitraum vom Juni
2018 bis zum November 2018 in Bezug auf alle im Betrieb
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beschäftigten Mitarbeiter mit Ausnahme der leitenden An-
gestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG dauerhaft in Papier-
form zu überlassen und die Listen insbesondere wie folgt
aufzuschlüsseln: Zugehörigkeit zum Geschlecht, Tarif-
grundentgelt, Zuschläge jeder Art, Zulagen und Sonderver-
gütungen jeder Art (auch individuell ausgehandelte), Prä-
mien und Gratifikationen;
äußerst hilfsweise
die Arbeitgeberin zu verpflichten, dem Betriebsausschuss
die Listen über die Bruttoentgelte für den Zeitraum vom Juni
2018 bis zum November 2018 in Bezug auf alle im Betrieb
beschäftigten Mitarbeiter mit Ausnahme der leitenden An-
gestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG zum Zwecke der An-
fertigung von Kopien bzw. Anfertigung von Abschriften für
die Dauer dieser Anfertigung von Abschriften bzw. Kopien
zu überlassen und die Listen insbesondere wie folgt aufzu-
schlüsseln: Zugehörigkeit zum Geschlecht, Tarifgrundent-
gelt, Zuschläge jeder Art, Zulagen und Sondervergütungen
jeder Art (auch individuell ausgehandelte), Prämien und
Gratifikationen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, das Begehren abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Die hiergegen gerichtete
Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit
seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.
B.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die
Vorinstanzen den Hauptantrag abgewiesen. Dieser ist unbegründet. Der erste
Hilfsantrag fällt nicht zur Entscheidung an. Der zweite Hilfsantrag ist gleichfalls
unbegründet.
I.
Das hauptsächliche Begehren des Betriebsrats ist zulässig, aber unbe-
gründet.
1.
Seine gebotene Auslegung ergibt, dass der Betriebsrat - anders als es
der Antragswortlaut nahelegt - ausschließlich die Überlassung näher bezeichne-
ter Entgeltlisten in elektronischer Form an den Betriebsausschuss zu dessen
dauerhafter Verfügung verlangt. Mit der buchstäblichen Verpflichtung der Arbeit-
geberin zur Aufschlüsselung der Listen hinsichtlich einzelner genannter Daten
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beschreibt der Betriebsrat lediglich die begehrten Listen und verfolgt kein geson-
dertes Rechtsschutzziel. Diesem vorinstanzlichen Antragsverständnis hat der
Betriebsrat nicht widersprochen.
Mit der beanspruchten „dauerhaften Überlas-
sung“ zielt der Antrag auf ein nicht nur vorübergehendes Zugriffsrecht auf die
Bruttoentgeltlisten. Dieses betrifft nach dem eindeutigen Antragswortlaut die Auf-
listung von Bruttoentgelten eines - bereits bei Einleitung des Verfahrens - in der
Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Zeitraums (Juni bis November
2018). In diesem Verständnis begegnen dem Antrag keine Zulässigkeitsbeden-
ken; er ist insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
2.
Der Antrag ist unbegründet. Der Betriebsrat kann die dauerhafte Über-
lassung der näher beschriebenen Bruttoentgeltlisten an den Betriebsausschuss
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beanspruchen.
a)
Ein Anspruch folgt nicht aus § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG.
aa)
Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen je-
derzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Ver-
fügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach
§ 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne
und -gehälter Einblick zu nehmen. Der Betriebsrat kann allerdings nur Einblick in
Unterlagen verlangen, die der Arbeitgeber - zumindest in Form einer elektroni-
schen Datei - tatsächlich besitzt; ein auf Herstellung nicht existenter Listen ge-
richteter Anspruch lässt sich nicht auf § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG stützen
.
bb)
Das Recht des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG, in die Listen über
Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen, unterliegt den Grenzen der allge-
meinen Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG
. Es besteht nur, soweit dies zur Durchführung
von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist
. Der Betriebsrat muss - sollte er auf seine Überwa-
chungsaufgabe verweisen - kein besonderes Überwachungsbedürfnis darlegen.
Der für das Einblicksrecht des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG notwendige
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Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach
§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass ua. die zugunsten der
Arbeitnehmer geltenden Gesetze durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die
sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Be-
achtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes
. Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der
Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts, wofür es der Einsicht in die Brutto-
entgeltlisten bedarf, kann auch das ausreichend sein
. Bei einem Verweis auf seine Aufgabe zur
Förderung der Durchsetzung der Entgeltgleichheit bedarf es allerdings näherer
Darlegung, für welche konkreten Förderungsmaßnahmen bestimmte Auskünfte
benötigt werden
. Ein all-
gemein gehaltener Hinweis auf die gesetzlichen Aufgaben nach den beiden Be-
stimmungen unter bloßer Wiederholung des Gesetzeswortlauts ist regelmäßig
unzureichend
.
cc)
Hiervon ausgehend trägt § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG die streit-
befangene Überlassung nicht.
(1)
Zwar hat die Arbeitgeberin nicht in Abrede gestellt, die zu überlassenden
Listen mit den näher benannten, aufgeschlüsselten Daten vorzuhalten. Aus dem
Vorbringen des Betriebsrats erschließt sich aber nicht, für welche Überwa-
chungs- oder Förderungsaufgabe oder Geltendmachung eines Mitbestimmungs-
rechts er die Auflistung der Entgeltdaten von Juni bis November 2018 benötigt.
Die Überwachungsaufgabe gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist vorrangig gegen-
warts- und zukunftsbezogen, um den Arbeitgeber im Einzelfall zu künftiger
Rechtsbefolgung anzuhalten
. Auch
hinsichtlich der Förderungsaufgaben nach § 80 Abs. 1 Nr. 2a BetrVG liegt nicht
auf der Hand, inwieweit hierfür vergangenheitsbezogene Daten notwendig sein
sollen, zumal eine spezifische Maßnahme vom Betriebsrat nicht genannt, son-
dern nur der Gesetzestext wiederholt wird. Für die Wahrnehmung welcher ent-
geltbezogenen Mitbestimmung die erstrebte Auflistung der Entgeltdaten von Juni
bis November 2018 gebraucht wird, ist gleichfalls nicht ersichtlich.
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(2)
Einen erforderlichen Aufgabenbezug unterstellt, bewirkt auch dies keinen
Anspruch auf dauerhafte Überlassung der Bruttoentgeltlisten an den Betriebs-
ausschuss. Aus § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG folgt - in Abgrenzung zum
Anspruch des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG - ein Anspruch auf Einblick-
nahme in die Listen über Bruttolöhne und -gehälter und nicht auf deren Zurverfü-
gungstellung
. Das gibt schon der Normwortlaut vor und trägt damit verfassungs- oder
datenschutzrechtlichen Anforderungen Rechnung
. Es ist deshalb unerheblich, ob die
Begrenzung auf eine Einblicknahme nach Auffassung der Rechtsbeschwerde
historisch überholt ist
und im „Zeitalter der Digitalisierung der Personalverarbei-
tung“ an Bedeutung verloren hat. Diese Auffassung lässt zudem außer Acht, dass
sich der Anspruch des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG ohne Weiteres auf
Entgeltlisten in elektronischen Dateiformaten bezieht, wenn sie der Arbeitgeber
in diesen Formaten führt. Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die Bruttoentgelt-
listen dem Betriebsausschuss dauerhaft zur Verfügung zu stellen sind. Dafür bie-
tet § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG keinen Anhalt.
b)
Die erstrebte Listenüberlassung folgt nicht aus § 13 Abs. 2 Satz 1
oder § 13 Abs. 3 EntgTranspG.
aa)
Das entgeltlistenbezogene Einsichts- und Auswertungsrecht des § 13
Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG ist an die Zuständigkeit des Betriebsrats für die Be-
antwortung individueller Auskunftsverlangen nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG ge-
bunden
. Voraussetzung ist,
dass der Betriebsrat - entsprechend der ihm mit dem EntgTranspG zuge-
wiesenen Regelzuständigkeit - individuelle Auskunftsverlangen iSd. §§ 10 ff.
EntgTranspG beantwortet. Das Recht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG be-
steht nicht, wenn es der Arbeitgeber nach § 14 Abs. 2 Satz 1 bzw. § 15 Abs. 2
EntgTranspG übernommen hat, die Auskunft selbst zu erteilen, oder der Be-
triebsrat die Aufgabe nach § 14 Abs. 1 Satz 4 EntgTranspG auf den Arbeitgeber
übertragen hat. Nichts anderes gilt für die Verpflichtung des Arbeitgebers nach
§ 13 Abs. 3 EntgTranspG, dem Betriebsausschuss Einblick in die - nach näheren
Maßgaben aufzubereitenden und ggf. auch erst herzustellenden - Listen über die
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Bruttolöhne und -gehälter der Beschäftigten zu gewähren
.
bb)
Es ist nicht ersichtlich, dass der Betriebsrat für die Beantwortung konkre-
ter, individueller Auskunftsverlangen zuständig ist. Er hat dies auch nicht behaup-
tet und sein Verlangen ausschließlich mit der allgemeinen Überwachungs- und
Förderungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2a BetrVG sowie der Wahr-
nehmung seiner Mitbestimmungsrechte begründet. Im Übrigen scheitert ein auf
§ 13 Abs. 2 Satz 1 oder § 13 Abs. 3 EntgTranspG gestützter Überlassungsan-
spruch auch am vergangenheitsbezogenen Leistungsgegenstand. Es erschließt
sich nicht, weshalb die dauerhafte Überlassung von Bruttoentgeltlisten für den
Zeitraum Juni bis November 2018 für die Beantwortung individueller Auskunfts-
verlangen relevant sein könnte, da der Betriebsrat nach § 15 Abs. 3 Satz 1
EntgTranspG gehalten ist, eine Auskunft innerhalb von drei Monaten nach Zu-
gang eines Auskunftsverlangens zu erteilen.
cc)
Ungeachtet dessen vermittelt die Einsichts- und Auswertungsberech-
tigung des § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG kein Recht auf dauerhafte Überlas-
sung der Listen über die Bruttolöhne und -gehälter iSd. § 80 Abs. 2 Satz 2
Halbs. 2 BetrVG. Das gilt ebenso für das Einblicksrecht des § 13 Abs. 3 Satz 1
EntgTranspG. Das folgt neben Wortlaut und Gesetzessystematik deutlich aus der
Entstehungsgeschichte der Normen.
(1)
Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung der Rechte und Verpflichtun-
gen in § 13 Abs. 2 und Abs. 3 EntgTranspG ersichtlich § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG
in den Blick genommen
. Satz 2 des § 80 Abs. 2
BetrVG differenziert sprachlich
zwischen „zur Verfügung zu stellen“
und „Einblick … nehmen“
. Letzteres bedeutet nach ständiger Recht-
sprechung eine Vorlage zum Zwecke der Einsicht und keine Aushändigung. Bei
der Einblicknahme handelt es sich um eine einschränkende Ausgestaltung des
Rechts, Unterlagen zur Verfügung gestellt zu bekommen
,
was einen Anspruch auf eine
weiter reichende Überlassung der Bruttolohn- und -gehaltslisten gerade aus-
schließt
.
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(2)
Der Wortlaut des Gesetzes bezieht - in verlautbarter Kenntnis des Ge-
setzgebers von dieser Rechtsprechung
- die Berechtigung des § 13
Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG auf das
„Einsehen und Auswerten“ der Bruttoentgelt-
listen und die Verpflichtung des § 13 Abs. 3 EntgTranspG auf den
„Einblick“ in
diese. Der Formulierung eines
„Zur-Verfügung-Stellens“ hat sich der Gesetzge-
ber enthalten. Das spricht erkennbar dafür, dass weder aus Abs. 2 noch aus
Abs. 3 des § 13 EntgTranspG ein Anspruch auf dauerhafte Überlassung der Ent-
geltlisten folgen soll.
(3)
§ 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sieht über die bloße Einsichtnahme hin-
aus auch eine Berechtigung des Betriebsausschusses zur Listenauswertung vor.
Dieses Auswertungsrecht ist zweckorientiert - bezogen an der Beantwortung in-
dividueller Auskunftsverlangen - zu verstehen. Ob es einen über die bloße Le-
seberechtigung hinausgehenden, ggf. auch mehrfachen Bearbeitungszugriff auf
die Bruttoentgeltliste in elektronischer Form - in deren Gänze oder in Auszügen -
unter Bereitstellung technischer Auswertungsmittel und -programme durch den
Arbeitgeber und insoweit auch eine zeitweise Überlassung umfasst
, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls beinhaltet es
keinen Anspruch auf Aushändigung oder Übermittlung der Bruttoentgeltlisten zur
dauerhaften Verfügung der auswertungsberechtigten Ausschüsse. Dem steht
schon die funktionsbezogene Beschreibung die
ses Rechts („auszuwerten“) ent-
gegen. Auch die - zu § 13 Abs. 3 EntgTranspG verfasste - Formulierung in den
Gesetzesmaterialien bestätigt dieses Verständnis. Danach ist
„[e]ine Überlas-
sung der Entgeltlisten in physischer Form an den Betriebsausschuss
… nicht ver-
langt
. Bei elektronisch geführten Listen entspricht dies
einer Dateiübermittlung zum nicht nur aufgabenbezogen vorübergehenden Ver-
bleib.
(4)
Anders als der Betriebsrat meint, drückt sich ein gegenteiliger Rege-
lungswille des Gesetzgebers nicht in dessen Ausführungen zum Erfüllungsauf-
wand für die Wirtschaft in der Gesetzesentwurfsbegründung aus
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. Bei dieser Darstellung
ist zwar ua. für
die „Datenübermittlung“ an den Betriebsrat ein Zeitfaktor ausge-
wiesen; dieser ist aber explizit mit der situativen Beschreibung
„Personalabtei-
lung ermöglicht
Einblicknahme“ verknüpft
. Damit bildet
dies lediglich den Umstand ab, dass die Verpflichtung zur Gewährung von Ein-
sicht- bzw. Einblicknahme in elektronisch geführte Entgeltlisten eine Datenüber-
mittlung seitens des Arbeitgebers bewirkt. Entsprechend sind auch lediglich Zeit-
aufwände für den Betriebsrat bei der Datenaufbereitung und Durchführung von
Berechnungen - also der Auswertung der Entgeltlisten - veranschlagt
. Für eine die Übermittlung der Listen über die Bruttolöhne
und -gehälter zur dauerhaften Verfügung des Betriebsausschusses tragende Re-
gelungskonzeption geben die dargestellten Aufwände nichts her.
(5)
Vor allem vor dem Hintergrund der Gesetzeshistorie verbietet sich ein
Verständnis von § 13 Abs. 2 Satz 1 oder Abs. 3 EntgTranspG als die zeitlich un-
begrenzte Überlassung der Bruttoentgeltlisten umfassenden Rechte. Bereits in
der ersten Beratung im Deutschen Bundestag zum Entwurf des EntgTranspG ist
in einem Redebeitrag der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE LINKE) kritisiert
:
„… Die Lohnlisten und Gehaltslisten müssten an die Be-
triebsräte ausgehändigt werden. Einsichtsrechte alleine ge-
nügen doch nicht. …“
Dies ist ebenso wenig aufgegriffen worden wie die vom Deutschen Ge-
werkschaftsbund in seiner schriftlichen Stellungnahme in der öffentlichen Anhö-
rung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen
Bundestags angebrachte Forderung nach einer Regelung, wonach dem Be-
triebsausschuss bzw. einem von diesem beauftragten Ausschuss
„die Unterla-
gen in entsprechend aufbereiteter Form
… zur Verfügung gestellt werden“
. Damit ist die sich aus der Gesetzesbegründung ergebende
Vorstellung des Gesetzgebers unterstrichen, dass § 13 Abs. 2 Satz 1
EntgTranspG eine weitergehende als die an der Auswertungsberechtigung aus-
gerichtete vorübergehende Überlassung ebenso wenig regelt wie § 13 Abs. 3
EntgTranspG eine dauerhafte Listenüberlassung oder -übergabe vorsieht. Eine
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Interpretation, die sich über diesen klar erkennbaren Willen hinwegsetzte, liefe
Gefahr, unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetz-
gebers einzugreifen
.
c)
Entgegen der Ansicht des Betriebsrats gebieten weder der dem Gesetz
zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (IFG) zugrunde lie-
gende normative Gehalt noch unionsrechtliche Gesichtspunkte ein anderes Ver-
ständnis von § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG, § 13 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3
Satz 1 EntgTranspG.
aa)
Der Verweis der Rechtsbeschwerde insbesondere auf § 7 Abs. 4 IFG,
wonach im Fall der Einsichtnahme in amtliche Informationen sich der Antragstel-
ler Notizen machen oder Ablichtungen und Ausdrucke fertigen lassen kann, geht
fehl. Das IFG betrifft die Informationszugangsfreiheit im öffentlichen Sektor. Mit
ihm sind in einfach-gesetzlicher Ausformung des für die Persönlichkeitsentfaltung
des Einzelnen und die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung bedeut-
samen Grundrechts von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG
das Verwaltungs-
handeln des Bundes durch erleichterten Informationszugang transparenter ge-
staltet, die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger ge-
stärkt sowie ein allgemeiner und voraussetzungsloser Zugang zu amtlicher Infor-
mation des Bundes unter Berücksichtigung des Daten- und Geheimnisschutzes
eröffnet
. Auf diesen Regelungszielen basiert das Re-
gelungskonzept des IFG zu Art und Varianten des Informationszugangs
. Aus den entsprechenden Bestimmungen
können keine Folgerungen für die - anderen Intentionen dienenden - Ansprüche
des Betriebsrats auf betrieblichen Informationszugang gegenüber dem Arbeitge-
ber abgeleitet werden.
bb)
Die vom Betriebsrat angebrachten unionsrechtlichen Erwägungen tragen
seine Ansicht nicht. Die Richtlinie 2002/14/EG als allgemeiner Rahmen für die
Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer
sollte sie nach ihrem Art. 4 Abs. 2
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überhaupt für die hier streitbefangenen Entgeltlisten als Unterrichtungs- und An-
hörungsgegenstand einschlägig sein - gibt eine Überlassung von Daten zur dau-
erhaften Verfügung der Arbeitnehmervertretung als Mindeststandard offenkundig
nicht vor. Das gilt auch unter Berücksichtigung ihres Art. 4 Abs. 3, wonach die
Unterrichtung ua. in einer zweckangemessenen Weise erfolgt. Art. 27 GRC kon-
turiert die Verpflichtung zur Unterrichtung und Anhörung offensichtlich nicht in
einer über die Richtlinie 2002/14/EG hinausgehenden Art und Weise
.
II.
Der erste Hilfsantrag fällt nicht zur Entscheidung an. Er steht unter der
Bedingung, dass die vom Betriebsrat mit dem Hauptanspruch erstrebte dauer-
hafte Listenüberlassung lediglich deshalb unbegründet ist, weil sie in elektroni-
scher Form verlangt wird. Mit dem Hilfsantrag erstrebt der Betriebsrat gleichfalls
eine dauerhafte Überlassung der näher bezeichneten Listen über die Bruttoent-
gelte, allerdings in Papierform. Die so verstandene Bedingung der Abweisung
des Hauptantrags tritt nicht ein.
III.
Mit dem zur Entscheidung anfallenden äußerst hilfsweise angebrachten
Antrag erstrebt der Betriebsrat keine dauerhafte, sondern eine zweckgebundene
zeitweilige Listenüberlassung. Ein entsprechender Anspruch - gleich aus wel-
chem Rechtsgrund - scheitert schon daran, dass der Betriebsrat auch dieses Ver-
langen auf Listen mit vergangenheitsbezogenen Daten bezieht. Es ist nichts da-
für ersichtlich - und wird vom Betriebsrat auch nicht behauptet -, dass diese Da-
ten einen gegenwärtigen Bezug zu betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben
oder entgelttransparenzgesetzlichen Auskunftsverpflichtungen haben.
Schmidt
Ahrendt
K. Schmidt
Hayen
Dr. Ronny Schimmer
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