Urteil des BAG vom 29.09.2020

Betriebsrat - Einblick in Bruttoentgeltlisten - monatliche Einsicht

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 29. September 2020
Erster Senat
- 1 ABR 23/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:290920.B.1ABR23.19.0
I. Arbeitsgericht
Kiel
Beschluss vom 15. Februar 2018
- 5 BV 45 c/17 -
II. Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
Beschluss vom 23. Mai 2019
- 5 TaBV 9/18 -
Entscheidungsstichworte:
Betriebsrat - Einblick in Bruttoentgeltlisten - monatliche Einsicht
ECLI:DE:BAG:2020:290920.B.1ABR23.19.0
- 2 -
BUNDESARBEITSGERICHT
1 ABR 23/19
5 TaBV 9/18
Landesarbeitsgericht
Schleswig-Holstein
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
29. September 2020
BESCHLUSS
Metze, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragsteller und Rechtsbeschwerdeführer,
2.
Beschwerdeführerin,
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
29. September 2020 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht K. Schmidt und Dr. Ahrendt sowie den
ehrenamtlichen Richter Hayen und die ehrenamtliche Richterin Dr. Schimmer für
Recht erkannt:
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1 ABR 23/19
ECLI:DE:BAG:2020:290920.B.1ABR23.19.0
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Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Be-
schluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom
23. Mai 2019 - 5 TaBV 9/18 - wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über eine monatliche Einblicknahme des Be-
triebsrats in Bruttoentgeltlisten.
Der antragstellende, siebenköpfige Betriebsrat ist im Betrieb der Arbeit-
geberin an deren Sitz in E errichtet. Auf ein entsprechendes Verlangen nahm er
im Januar 2017 Einblick in eine Excel-Tabelle, in der für jeden Monat des Jahres
2016 für jeden namentlich benannten Arbeitnehmer ein Gesamtbruttoentgelt
nebst einer Jahressumme sowie einer Monatsdurchschnittssumme aufgelistet
war.
Im Juni 2017 forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, ihm erneut
Einblick in die aktuellen Bruttolohn- und -gehaltslisten zu gewähren. Auf Nach-
frage der Arbeitgeberin, inwieweit dies erforderlich sei, teilte er unter Verweis auf
seine Überwachungsaufgabe mit, er wolle im monatlichen Turnus Einsicht neh-
men.
Nachdem die Arbeitgeberin dem nicht nachkam, hat der Betriebsrat ein
Beschlussverfahren eingeleitet und in der Antragsschrift einen am 27. Juli 2017
gefassten Beschluss über die Verfahrenseinleitung angeführt. Er hat die Auffas-
sung vertreten, es müsse monatlich Einblick in die Bruttoentgeltlisten gewährt
werden, damit er die Einhaltung einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit und
die Gewährung von Zuschlägen für Mehrarbeit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen
sowie Nachtarbeit überwachen könne. Bei der Einsichtnahme in die Listen im
Januar 2017 hätten sich erhebliche Unterschiede beim Gesamtbruttoentgelt der
Arbeitnehmer gezeigt. Es sei nicht auszuschließen, dass die Arbeitgeberin unter
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Verletzung der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11
BetrVG Sonderzahlungen leiste.
Der Betriebsrat hat zuletzt - soweit für die Rechtsbeschwerde von Be-
deutung - beantragt,
der/dem Betriebsratsvorsitzenden, dessen bzw. deren
Stellvertreter/in oder einem anderen von ihm bestimmten
Mitglied monatlich Einsicht in die Bruttolohn- und -gehalts-
listen der Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Ange-
stellten hinsichtlich sämtlicher Entgeltbestandteile - aufge-
schlüsselt nach der monatlichen Grundvergütung, der Leis-
tungszulage und der übertariflichen Zulage sowie Einmal-
zahlungen, wie bspw. Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Prä-
mien, Boni oder Gratifikationen sowie Überstundenzu-
schläge - zu gewähren.
Die Arbeitgeberin, welche dem Betriebsrat während des Verfahrens im
Mai und August 2019 Einsicht in Bruttolohn- und -gehaltslisten mit der verlangten
Aufschlüsselung gewährte, hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. In dem von der Arbeit-
geberin angestrengten Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht dem
Betriebsrat aufgegeben, den Beschluss vom 27. Juli 2017 betreffend die Einlei-
tung des vorliegenden Beschlussverfahrens zur Gerichtsakte zu reichen. Nach-
dem der Betriebsrat Protokollauszüge seiner Sitzungen mit Beschlussfassung
vom 27. Juli 2017 sowie vom 14. März 2019 - dort mit vorsorglich erneuter Be-
schlussfassung - vorgelegt hatte, hat es den Antrag abgewiesen. Mit seiner
Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstin-
stanzlichen Entscheidung.
B.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsge-
richt hat den Antrag im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Betriebsrat kann kei-
nen Einblick in die Bruttolohn- und -gehaltslisten im monatlichen Turnus bean-
spruchen.
I.
Der Antrag ist - nach gebotener Auslegung - zulässig.
1.
Sein Wortlaut deutet zwar darauf hin, dass der Betriebsrat neben dem
monatlichen Einblick in die Bruttoentgeltlisten eine besondere Aufschlüsselung
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der Daten dieser Listen - als eigenständiges Rechtsschutzziel - beansprucht.
Auch waren vor Einleitung des Verfahrens zwischen den Beteiligten die inhaltli-
chen (Mindest-)Angaben der Bruttoentgeltlisten, in welche Einsicht verlangt wird,
durchaus umstritten. Nach der im Mai und August 2019 von der Arbeitgeberin
gewährten Einblicknahme bestanden insoweit allerdings keine Differenzen mehr.
Entsprechend hat das Landesarbeitsgericht den Antrag dahingehend verstan-
den, dass es dem Betriebsrat allein noch darum geht, die Bruttoentgeltlisten
jeden Monat einzusehen. Gegen dieses Antragsverständnis hat sich der Be-
triebsrat nicht gewandt. Im Übrigen verlangt er - anders als die Arbeitgeberin
meint - einen Einblick nicht kumulativ für alle im Antrag benannten Personen. Die
Antragsfassung trägt vielmehr ersichtlich der ständigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts Rechnung, wonach das Einblicksrecht in die Bruttolohn-
und -gehaltslisten nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG in kleineren Betrie-
ben - anstelle des dort fehlenden Betriebsausschusses - der die laufenden Ge-
schäfte führende Betriebsratsvorsitzende bzw. dessen Stellvertreter oder ein an-
deres beauftragtes Betriebsratsmitglied, dem nicht die Führung der laufenden
Geschäfte übertragen sein muss, hat
.
2.
In diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253
Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
3.
Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
a)
Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die
Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat
- ebenso wie die Beauftragung des für ihn auftretenden Rechtsanwalts - eines
Beschlusses des Betriebsrats bedarf. Ist dies unterblieben oder fehlerhaft erfolgt,
ist der für den Betriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen
. Allerdings hat das Landesarbeitsge-
richt verkannt, dass der Betriebsrat die Tatsachen, aus denen das Zustandekom-
men des (ordnungsgemäßen) Beschlusses folgt, nur auf entsprechendes Be-
streiten des Arbeitgebers vorzutragen hat
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. Für die Prüfung, ob der Verfahrenseinleitung ein ordnungsgemä-
ßer Beschluss des Betriebsrats zugrunde liegt, besteht kein Anlass, wenn der
Betriebsrat - wie vorliegend - eine Beschlussfassung behauptet und der Arbeit-
geber dies nicht in Abrede stellt.
b)
Weiter ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass
der Betriebsrat eine bereits erfolgte Einleitung eines Beschlussverfahrens durch
nachträgliche - bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung mögliche - Be-
schlussfassung genehmigen kann
. Seine Wertung, der Betriebsrat habe die Zulässigkeit des Antrags erst
nachträglich mit seinem Beschluss vom 14. März 2019 bewirkt, ist hingegen nicht
frei von Rechtsfehlern.
aa)
Der Beschluss über ein bei Gericht anzustrengendes Beschlussverfah-
ren muss dem dort zur Entscheidung gestellten Verfahrensgegenstand inhaltlich
entsprechen. Er muss jedoch mit einer (beabsichtigten) Antragstellung nicht völ-
lig übereinstimmen oder gar mit dieser wortlautidentisch sein. Vielmehr ist es
ausreichend, wenn der Gegenstand, über den in dem Beschlussverfahren eine
Klärung herbeigeführt werden soll, und das angestrebte Ergebnis erkennbar sind
. Auf den Umfang der Streitfrage, zu deren Klärung eine Verfahrenseinlei-
tung inhaltlich beschlossen ist, kann auch unter Berücksichtigung der Umstände
der Beschlussfassung geschlossen werden.
bb)
Nach diesen Grundsätzen trägt bereits der Beschluss des Betriebsrats
vom 27. Juli 2017 die Verfahrenseinleitung mit dem angebrachten Verfahrensge-
genstand. Die gegenteilige Wertung des Landesarbeitsgerichts vernachlässigt
Inhalt und Kontext der hierauf bezogenen Beschlussfassung. Der Betriebsrat
hatte nach seiner von der Arbeitgeberin abgelehnten Forderung einer monatli-
chen Einsichtnahm
e in die Bruttoentgeltlisten „einstimmig beschlossen, ein Be-
schlussverfahren zur Einsichtnahme einzuleiten“. Näheres musste er nicht befin-
den. Der gefasste Beschluss erstreckt sich auf jeglichen Verfahrensgegenstand
zum Einblick in Bruttoentgeltlisten und erfasst damit auch die Modalitäten der
Einsichtnahme.
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II.
Der Antrag ist unbegründet. Der streitbefangene Anspruch folgt nicht aus
§ 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG.
1.
Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen je-
derzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Ver-
fügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach
§ 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne
und -gehälter Einblick zu nehmen. Das Recht besteht nur, wenn es zur Durch-
führung von Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist
. Beruft sich der Betriebsrat auf eine
Überwachungsaufgabe, ist ein solcher Aufgabenbezug in der Regel deshalb ge-
geben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen
hat, dass ua. die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Betriebsvereinbarungen
durchgeführt werden; ein besonderes Überwachungsbedürfnis muss er nicht dar-
legen. Verweist der Betriebsrat auf die Prüfung der Wahrnehmung eines Mitbe-
stimmungsrechts, wofür es der Einsicht in die Bruttoentgeltlisten bedarf, kann
auch das ausreichend sein
.
2.
§ 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG verlangt eine auf das konkrete Ein-
sichtsverlangen bezogene, spezifische Prüfung der Erforderlichkeit für die vom
Betriebsrat geltend gemachten Aufgaben. So besteht etwa kein (mit der Überwa-
chungsaufgabe des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und einem möglichen Mitbestim-
mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG begründeter) Anspruch, wenn es
einem örtlichen Betriebsrat um den betriebsübergreifenden Einblick in unterneh-
mensweite Bruttoentgeltlisten geht
oder sich die bei einer auf die Durchführung der zugunsten der
Arbeitnehmer geltenden Gesetze bezogene Überwachungsaufgabe nicht auf die
Einhaltung von Ge- oder Verboten bezieht
.
3.
Hiervon ausgehend ist nicht ersichtlich, inwieweit die vom Betriebsrat
vorgebrachten Aufgaben die verlangte regelmäßige monatliche Einsichtnahme
bedingen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
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a)
Der Betriebsrat hat darauf verwiesen, die Einhaltung einer im Betrieb gel-
tenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit, in welcher Zuschläge für Mehrar-
beit, Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie für Nachtarbeit geregelt sind, über-
prüfen zu wollen. Zwar gehört es zu den Aufgaben eines Betriebsrats, die Durch-
führung einer Betriebsvereinbarung zu überwachen
. Damit ist aber keine Notwendigkeit einer monatlichen Ein-
sichtnahme in die Listen dargetan, zumal der Betriebsrat eine regelmäßig monat-
lich anfallende Mehr- oder Nachtarbeit nicht einmal behauptet. Eine solche Erfor-
derlichkeit kann auch nicht mittels Verweis der Rechtsbeschwerde auf andere
Rechtsquellen, die hinsichtlich bestimmter Daten eine regelmäßige Unterrichtung
des Betriebs- oder Personalrats oder des Wirtschaftsausschusses rechtfertigen,
oder durch die Argumentation, das Verlangen einer Einblicknahme könne „jeder-
zeit“ angebracht werden, ersetzt werden.
b)
Soweit sich der Betriebsrat auf die bei seiner Einblicknahme im Januar
2017 festgestellten erheblichen Differenzen der Gesamtbruttoentgelte - und die
daraus abgeleitete Vermutung, die Arbeitgeberin habe unter Verletzung des Mit-
bestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 oder Nr. 11 BetrVG Sonderzahlun-
gen geleistet - beruft, ist gleichfalls nicht ersichtlich, warum es künftig monatlich
wiederkehrender Einsichtnahmen bedarf. Nach der gewährten Einsichtnahme
und auf der Grundlage der Vermutung des Betriebsrats ist die Reklamation eines
Mitbestimmungsrechts möglich; es erschließt sich nicht, für welchen (weiteren)
Erkenntniswert der turnusmäßig-monatliche Einblick in die Bruttoentgeltlisten un-
erlässlich sein soll.
Schmidt
Ahrendt
K. Schmidt
Hayen
Dr. Ronny Schimmer
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