Urteil des BAG vom 28.07.2020

Duldung von Überstunden - Mitbestimmung des Betriebsrats

Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 28. Juli 2020
Erster Senat
- 1 ABR 18/19 -
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR18.19.0
I. Arbeitsgericht München
Beschluss vom 29. Juni 2018
- 36 BV 217/17 -
II. Landesarbeitsgericht München
Beschluss vom 21. März 2019
- 4 TaBV 57/18 -
Entscheidungsstichworte:
Duldung von Überstunden - Mitbestimmung des Betriebsrats
Leitsatz:
Eine - das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3
BetrVG verletzende - Duldung von Überstunden liegt vor, wenn hinrei-
chende Anhaltspunkte für das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch
den Arbeitgeber bestehen, um seine Untätigkeit als Hinnahme werten zu
können.
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR18.19.0
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BUNDESARBEITSGERICHT
1 ABR 18/19
4 TaBV 57/18
Landesarbeitsgericht
München
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
28. Juli 2020
BESCHLUSS
Metze, Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
In dem Beschlussverfahren mit den Beteiligten
1.
Antragsteller und Beschwerdeführer,
2.
Rechtsbeschwerdeführerin,
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
28. Juli 2020 durch die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts Schmidt,
die Richterinnen am Bundesarbeitsgericht K. Schmidt und Dr. Ahrendt sowie
die ehrenamtliche Richterin Schwitzer und den ehrenamtlichen Richter
Prof. Dr. Rose für Recht erkannt:
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom
21. März 2019 - 4 TaBV 57/18 - aufgehoben.
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1 ABR 18/19
ECLI:DE:BAG:2020:280720.B.1ABR18.19.0
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Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss
des Arbeitsgerichts München vom 29. Juni 2018 - 36 BV
217/17 - wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A.
Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch.
Die Arbeitgeberin erbringt logistische Dienstleistungen. Mit dem in ihrem
Betrieb gewählten Betriebsrat hat sie die
„Betriebsvereinbarung Arbeitszeiten“
(BV ArbZ) geschlossen
Diese lautet auszugsweise:
IV.
Schichtarbeit
1.
Anwendungsbereich
Die nachfolgenden Regelungen gelten für alle Mitar-
beiter der Betriebsteile Warehouse und Product
2.
Arbeitszeit/Schichtmodelle
Die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit (derzeit
40 Stunden) kann in den Betriebsteilen Warehouse
(ohne Bereich MHS) und PMC wie in den Schicht-
modellen jeweils festgelegt verteilt werden.
2.1
Schichtmodelle des Betriebsteils Warehouse
(ohne Bereich MHS)
a)
Die Schichtmodelle des Betriebsteils Warehouse
Anlage 3
ser Betriebsvereinbarung.
2.2
Schichtmodelle des Betriebsteils PMC
a)
Die Schichtmodelle des Betriebsteils PMC ergeben
Anlage 4
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4.
Überstunden
4.1
Definition von Überstunden
Überstunden sind die Arbeitsstunden, die ein Vollzeit-Mitar-
beiter auf Anordnung von A über die in der Schichteintei-
lung festgelegte Zeit hinaus arbeitet.
4.2
Überstundenregelung
a)
Flex-Überstunden
Aus betriebsbedingten Gründen, insbesondere bei
Auftragsspitzen kann A von den Mitarbeitern freiwil-
lig zu leistende Flex-Überstunden anordnen.
Der Betriebsrat stimmt vorab zu, dass jeder Lager-
Mitarbeiter in jedem Quartal bis zu 20 Flex-Über-
stunden leisten kann …
A informiert Mitarbeiter und Betriebsrat in Textform
spätestens zwei Wochen zuvor darüber, dass vo-
raussichtlich Flex-Überstunden anfallen werden.
…“
In der den Betriebsteil Warehouse (einschließlich Outbound) betreffen-
den Anlage 3 zur BV ArbZ sind für die Früh-, Tag-, Spät- und Nachtschicht der
jeweilige Schichtbeginn und das jeweilige Schichtende sowie die Lage von je-
weils drei Pausen festgelegt. Entsprechendes gilt für die den Betriebsteil PMC
betreffende Anlage 4 zur BV ArbZ und die dort geregelte Früh-, Spät- und Nacht-
schicht. Die tägliche Arbeitszeit in den Schichtmodellen beträgt acht Stunden.
In der Zeit von März bis Mai 2017 wies das elektronische Zeiterfassungs-
system für zwei im Betriebsteil PMC in der Frühschicht eingesetzte Arbeitnehmer
wiederholt Zeiten von arbeitstäglich mehr als acht Stunden aus. Der Betriebsrat
beanstandete dies als Überstundenleistung und forderte die Arbeitgeberin unter
Fristsetzung bis 12. Juni 2017 auf, den Sachverhalt zu klären und Gegenmaß-
nahmen zu ergreifen. Die Arbeitgeberin teilte dem Betriebsrat - nach erbetener
Fristverlängerung - in einer E-Mail vom 28. Juni 2017 mit, die zwei Arbeitnehmer
seien bei der Erfassung ihrer Arbeitszeiten technisch versehentlich einem nicht
für sie geltenden Arbeitszeitmodell (Gleitzeit- statt Schichtmodell) zugeordnet
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worden; man habe den Fehler behoben und die beiden Mitarbeiter auf die Ein-
haltung der für sie nach der BV ArbZ geltenden Arbeitszeiten hingewiesen. Am
17. Oktober und 12. Dezember 2017 fanden Betriebsversammlungen statt; an
beiden Tagen arbeitete ein als Teamleader tätiger Arbeitnehmer im Bereich Out-
bound jeweils länger als acht Stunden.
Auf der Grundlage eines am 1. Juni 2017 gefassten Beschlusses hat der
Betriebsrat Ende Juni 2017 das vorliegende Verfahren eingeleitet und - soweit
für die Rechtsbeschwerde noch von Belang - einen auf die Verletzung seines
Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gestützten Unterlassungs-
anspruch geltend gemacht. Die Arbeitgeberin habe wiederholt die Ableistung
nicht mitbestimmter Überstunden geduldet.
Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Inte-
resse - beantragt,
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, von Mit-
arbeitern der Abteilungen PMC und Outbound die Ableis-
tung von Überstunden zu dulden oder entgegenzunehmen,
ohne dass hierüber eine Einigung mit ihm herbeigeführt
worden wäre oder die fehlende Einigung mit ihm durch eine
Entscheidung der Einigungsstelle ersetzt worden wäre oder
ein Notfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesar-
beitsgerichts oder eine Abwehrmaßnahme im Arbeitskampf
vorliegt;
der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen
diese Verpflichtung jeweils ein Ordnungsgeld, dessen Höhe
in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Sie hat die Auf-
fassung vertreten, das Begehren sei bereits unzulässig. Der Betriebsrat verfolge
sein Rechtsschutzziel missbräuchlich. Jedenfalls sei der Unterlassungsantrag
unbegründet. Im Hinblick auf die Anlassfälle könne nicht von einer Duldung von
Überstunden unter Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats
ausgegangen werden.
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Das Arbeitsgericht hat die - bei ihm auch noch auf die Durchführung der
BV ArbZ gestützten - Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dem
ordnungsgeldbewehrten Unterlassungsantrag auf die - darauf beschränkt einge-
legte - Beschwerde des Betriebsrats stattgegeben. Hiergegen richtet sich die
Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin, mit der sie die vollumfängliche Wiederher-
stellung des arbeitsgerichtlichen Beschlusses begehrt.
B.
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hat Erfolg. Das Landesarbeits-
gericht hat dem Begehren zu Unrecht entsprochen. Der zulässige Unterlassungs-
antrag ist unbegründet. Der nach seinem Inhalt nur für den Fall des Obsiegens
mit dem Unterlassungsantrag erhobene Antrag auf Androhung eines Ordnungs-
gelds fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.
I.
Der Unterlassungsantrag ist zulässig.
1.
Er bedarf allerdings der Auslegung. Ausgehend von dem gebotenen an-
lassfallbezogenen Antragsverständnis
geht es dem Betriebsrat um die Verpflichtung der Arbeitgeberin,
die Duldung nicht mitbestimmter zeitlicher Überschreitungen der täglichen
Schichtzeiten nach Ziff. IV Nr. 2.1 Buchst. a und Nr. 2.2 Buchst. a BV ArbZ iVm.
deren Anlage 3 bzw. Anlage 4 zu unterlassen. Die anlassfallbildenden Konstella-
tionen sind keine, die den bereits mitbestimmt festgelegten Regularien nach
Ziff. IV Nr. 4.2 BV ArbZ unterfallen. Es handelt sich nicht um Überstunden iSv.
Ziff. IV Nr. 4.1 BV
ArbZ, denn diese setzen die „Anordnung von A“ voraus. Eine
solche hat der Betriebsrat nicht behauptet, sondern - im Gegenteil - sich auf die
„Hinnahme“ von Arbeitsleistungen, die über die in der Schichteinteilung festge-
legten werktäglichen Zeiten hinausgehen, berufen. Die Herausnahme von notfall-
oder arbeitskampfbedingten Sachverhalten ist eine unnötige
, wenngleich unschädliche Be-
schreibung der erstrebten Unterlassungsverpflichtung.
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2.
Mit diesem Inhalt ist der Antrag zulässig.
a)
Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dem steht nicht
entgegen, dass der Antrag auf die Unterlassung einer Duldung von Überstunden
gerichtet ist. Eine Unterlassungsverpflichtung ist nicht notwendig darauf
beschränkt, bestimmte Handlungen des Unterlassungsverpflichteten zu untersa-
gen
. Das streitbefangene Unterlassen der Duldung richtet sich darauf,
die Arbeitgeberin anzuhalten, mögliche und zumutbare Maßnahmen zu ergreifen,
um zu verhindern, dass sich anlassfallgleiche Überschreitungen der Schichtzei-
ten wiederholen. Eine nähere Konkretisierung dieser Maßnahmen kann und
muss im Erkenntnisverfahren nicht verlangt werden
.
b)
Für den Antrag besteht das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Dieses
ergibt sich bei Leistungsanträgen regelmäßig bereits aus dem behaupteten An-
spruch. Nur ausnahmsweise können besondere Umstände das Verlangen als
nicht schutzwürdig erscheinen lassen. Solche Umstände sind - entgegen der An-
sicht der Rechtsbeschwerde - nicht gegeben.
Sie liegen weder in der „vorfristi-
gen“ Beschlussfassung des Betriebsrats über die Verfahrenseinleitung noch in
dem seitens der Arbeitgeberin dem Betriebsrat zugeschriebenen inadäquaten Ti-
tulierungsinteresse. Die Arbeitgeberin verkennt, dass der - ohnehin nicht pro-
zess-, sondern materiell-rechtliche - Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
nach § 2 Abs. 1 BetrVG den Unterlassungsansprüchen des Betriebsrats aus § 87
Abs. 1 und § 23 Abs. 3 BetrVG nur in besonders schwerwiegenden und eng be-
grenzten Ausnahmefällen entgegenstehen kann
.
II.
Der Antrag ist unbegründet. Dem Betriebsrat steht ein allgemeiner Un-
terlassungsanspruch aus § 87 Abs. 1 BetrVG nicht zu. Es fehlt es an einem be-
triebsverfassungswidrigen Verhalten der Arbeitgeberin, das auch der Unterlas-
sungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG voraussetzt.
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1.
Zwar ist nicht nur die Anordnung, sondern ebenso die Duldung von Ar-
beitnehmern geleisteter Überstunden nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestim-
mungspflichtig, wenn ein kollektiver Tatbestand vorliegt
. Auch schließt die vorübergehende Ände-
rung der betriebsüblichen Arbeitszeit einzelner Arbeitnehmer einen kollektiven
Tatbestand nicht grundsätzlich aus, denn sie betrifft die kollektiven Interessen
der Belegschaft des Betriebs. Des Weiteren liegt eine vorübergehende Ver-
längerung der betriebsüblichen Arbeitszeit iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG vor,
wenn das für einen bestimmten Wochentag regulär festgelegte Arbeitszeitvolu-
men überschritten wird
. Entsprechend steht dem Betriebsrat bei Nichtbeachtung seines
Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein allgemeiner Unterlas-
sungsanspruch und - wenn darin ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen
seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten liegt - ein Unterlassungsanspruch
nach § 23 Abs. 3 BetrVG zu.
2.
Die Anlassfälle tragen allerdings nicht die Annahme einer Duldung von
Überstunden durch die Arbeitgeberin.
a)
Ebenso wie die Anordnung von Überstunden ist deren Duldung ein tat-
sächliches Verhalten des Arbeitgebers. Es ist durch Unterlassen von gebotenem
Gegenhandeln gekennzeichnet. Hiervon kann regelmäßig ausgegangen werden,
wenn der Arbeitgeber in Kenntnis der Überstundenleistungen durch Arbeitneh-
mer untätig bleibt und diese über einen längeren Zeitraum hinnimmt. Entspre-
chend ist der Duldungstatbestand beispielsweise erfüllt, wenn Monat für Monat
eine Vielzahl von Arbeitnehmern immer wieder in erheblichem Maße Überarbeit
leistet und
der Arbeitgeber diese Stunden „entgegennimmt und bezahlt“
oder es die
betrieblich-organisatorischen Gründe bedingen, dass Arbeitnehmer häufig über
das mitbestimmt festgelegte Schichtende hinaus arbeiten
und diese Mehrarbeit
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„angenommen und vergütet“ wird
.
b)
Auf eine Duldung kann nur unter Berücksichtigung aller Einzelfallum-
stände geschlossen werden. In aller Regel ist ihr ein zeitlicher Moment immanent.
Einzelne oder besonderen einmaligen Umständen geschuldete Überschreitun-
gen der betriebsüblichen Arbeitszeit sprechen für sich gesehen nicht dafür, dass
der Arbeitgeber diese hinnimmt. Die positive Kenntnis des Arbeitgebers von
Überstundenleistungen durch Arbeitnehmer ohne Ergreifen von Gegenmaßnah-
men deutet regelmäßig auf deren Duldung hin
.
Andererseits ist sie - ebenso wie die Vergütung der Überstunden - keine zwin-
gende Voraussetzung für die Annahme einer Duldung von Überstunden im be-
triebsverfassungsrechtlichen Sinn. Auch Überschreitungen der betriebsüblichen
Arbeitszeit, die nicht vergütet werden oder die der Arbeitgeber nicht billigt oder
ignoriert oder - trotz entsprechender Möglichkeit - nicht zur Kenntnis nimmt, un-
terfallen dem Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Insgesamt
lässt sich auf eine Duldung von Überstunden nur unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls schließen. Es muss hinreichende Anhaltspunkte für
das Fehlen gebotener Gegenmaßnahmen durch den Arbeitgeber geben, um des-
sen Untätigkeit als ein Hinnehmen werten zu können.
c)
Gemessen daran hat das Landesarbeitsgericht die Anlassfälle rechtsfeh-
lerhaft als eine Duldung von Überstunden durch die Arbeitgeberin gewertet.
Diese bieten hierfür keine hinreichenden Anhaltspunkte.
aa)
Soweit es um die Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit durch die
beiden Arbeitnehmer im Betriebsteil PMC im Zeitraum von März bis Mai 2017
geht, fällt auf, dass - auch nach dem eigenen Vorbringen des Betriebsrats - nicht
nur die in der BV ArbZ für diese Mitarbeiter geltenden Schichtendzeiten, sondern
ebenso die Schichtanfangszeiten (maßgebend war nach Ziff. IV Nr. 2.2 Buchst. a
BV ArbZ iVm. deren Anlage 4 eine festgelegte Frühschicht von 08:15 Uhr bis
16:45 Uhr) sowie die Pausenzeiten (auch dazu enthält Anlage 4 zur BV ArbZ
konkrete Maßgaben) nicht beachtet worden sind. Die Arbeitnehmer haben die
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Schicht zum Teil später und zum Teil früher begonnen,
ein „Kommen“ und „Ge-
hen“ außerhalb festgelegter Pausenzeiten gebucht und das Schichtende teil-
weise um Minuten, teilweise aber auch um Stunden überschritten, wobei ein Ar-
beitnehmer dennoch sein monatliches Stundensoll nicht erreichte. Das spricht
gegen die Annahme, dass die Arbeitgeberin eine Ableistung von Überstunden
hingenommen hat. Auch hat sie Überstunden weder bezahlt - gemessen am mo-
natlichen Arbeitsumfang waren nach den eingereichten Unterlagen bei einem
Arbeitnehmer sogar
„Minusstunden“ zu verzeichnen - noch bestehen Anhalts-
punkte, dass das Überschreiten der täglichen Schichtdauer organisatorisch oder
durch das Arbeitspensum bedingt war. Der Annahme einer Duldung steht außer-
dem entgegen, dass es - was sich aus den vom Betriebsrat nicht substantiiert in
Abrede gestellten Einlassungen der Arbeitgeberin ergibt - zu einer technischen
Verwechslung der für die beiden Arbeitnehmer maßgeblichen Arbeitszeiterfas-
sung gekommen ist (Gleit- statt Schichtzeit). Die Arbeitgeberin hat damit allen-
falls das Arbeiten der Arbeitnehmer in einem für diese nicht geltenden Arbeits-
zeitsystem - nach ihrer Behauptung unbemerkt - hingenommen und keine Über-
stunden geduldet. Das könnte ggf. einen Durchführungsanspruch des Betriebs-
rats bezogen auf die Einhaltung der Regelungen der BV ArbZ begründen, nicht
aber einen Unterlassungsanspruch wegen der Nichtbeachtung seines Mitbestim-
mungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Hinzu kommt, dass die Arbeitgebe-
rin auf die entsprechende Beanstandung des Betriebsrats - wenngleich nicht un-
verzüglich, aber jedenfalls zeitnah - die Arbeitszeiterfassung korrigiert und beide
Arbeitnehmer auf das für sie geltende Schichtsystem hingewiesen hat. Auch das
hat der Betriebsrat nicht in Abrede gestellt. Für ein Hinnehmen der Überstunden
ohne Gegenmaßnahmen fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten.
bb)
Ebenso liegt dem - nach Einleitung des Verfahrens aufgetretenen - ein-
zigen weiteren Anlassfall im Bereich Outbound keine Duldung von Überstunden
durch die Arbeitgeberin zugrunde. Die Umstände, die das Überschreiten des
werktäglichen Arbeitszeitrahmens des betroffenen Arbeitnehmers bedingt ha-
ben, mögen zwar betrieblich-organisatorischer Art sein. Es fehlt aber an einer
gewissen Permanenz und Redundanz, um auf das Unterlassen gebotener Ge-
genmaßnahmen durch die Arbeitgeberin schließen zu können, was seinerseits
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eine Würdigung ihres Nichthandelns als eine Hinnahme von Überstunden recht-
fertigen könnte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es bei der Arbeitgeberin im
Zusammenhang mit Betriebsversammlungen regelhaft oder systematisch oder
auch nur häufiger zu Mehr- oder Überarbeit von Arbeitnehmern kommt.
3.
Im Übrigen bestünden auch Zweifel an der - für den allgemeinen Unter-
lassungsanspruch wegen der Nichtbeachtung von Mitbestimmungsrechten des
Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG erforderlichen - Wiederholungsgefahr.
a)
Verletzt der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach
§ 87 Abs. 1 BetrVG, entspricht es dem negatorischen Rechtsschutz zur Siche-
rung des Mitbestimmungsrechts, den Arbeitgeber auf Unterlassung der nicht mit-
bestimmten Maßnahme als Verletzungshandlung in Anspruch zu nehmen. Dabei
zielt der Unterlassungsanspruch auf die Unterbindung künftiger Verletzungs-
handlungen. Die Verletzungshandlung in der Vergangenheit indiziert die für
den allgemeinen Unterlassungsanspruch notwendige Wiederholungsgefahr
. In den Fällen der
Unterlassung einer Duldung umfasst die Unterlassungsverpflichtung allerdings
die Pflicht zur Vornahme von Handlungen zur Beseitigung des Duldungszu-
stands, weil dem Unterlassungsgebot allein dadurch entsprochen werden kann
. Hat der
Unterlassungsverpflichtete Maßnahmen zur Beseitigung des Störungszustands
ergriffen, ist eine Gefahr künftiger Beeinträchtigungen durch das Hinnehmen ei-
nes gleichartigen Störungszustands nicht ohne Weiteres zu befürchten. Auch
vermag der Anspruchsinhaber mit einem gerichtlichen Ausspruch nichts Weiter-
gehendes mehr zu erreichen, wenn eine Duldung durch Gegenhandeln beendet
oder abgestellt ist.
b)
Hiervon ausgehend spräche jedenfalls der unstreitig gebliebene Vortrag
der Arbeitgeberin, sie habe die beiden Arbeitnehmer im Betriebsteil PMC nach
der entsprechenden Intervention durch den Betriebsrat über das für sie geltende
Arbeitszeitregime belehrt sowie für diese das technisch zutreffende - und den
Regelungen der BV ArbZ adäquate - Zeiterfassungssystem hinterlegt und damit
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eine Fortsetzung der entsprechenden Überschreitungen deren täglicher Schicht-
zeiten unterbunden, gegen eine wiederholte, anlassfallgleiche Hinnahme der Er-
bringung nicht mitbestimmter Überstunden durch die Arbeitgeberin.
Schmidt
Ahrendt
K. Schmidt
H. Schwitzer
Rose