Urteil des BAG vom 08.05.2014

Entscheidung nach Lage der Akten - Beweisvereitelung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 8.5.2014, 2 AZR 75/13
Entscheidung nach Lage der Akten - Beweisvereitelung
Leitsätze
Ein Urteil nach Lage der Akten iSv. § 251a ZPO darf auch dann ergehen, wenn die frühere
Verhandlung bei dem Landesarbeitsgericht vor der Zurückverweisung der Sache durch das
Bundesarbeitsgericht stattgefunden hat.
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2012 - 7
Sa 603/12 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Revision, an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten
Kündigung.
2 Der 1969 geborene, ledige Kläger war seit 1985 bei der Beklagten und deren
Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er wurde zuletzt als Kundendiensttechniker im
Außendienst eingesetzt. Zu dienstlichen Zwecken stand ihm ein Dienstfahrzeug zur
Verfügung. Vor Urlaubsantritt oder bei Arbeitsunfähigkeit hatte er den Fahrzeugschlüssel
und das Fahrtenbuch im Betrieb abzugeben. Weil er dieser Weisung anlässlich einer
Arbeitsunfähigkeit und eines Urlaubs in der Zeit vom 19. November 2002 bis zum
25. Februar 2003 nicht nachgekommen war, mahnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten
ihn ab und kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien im Februar 2003 außerordentlich,
hilfsweise ordentlich. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hatte Erfolg.
3 Vor Antritt eines Urlaubs im Oktober 2008 hatte der Kläger den Schlüssel des
Dienstfahrzeugs und das Fahrtenbuch erneut nicht im Betrieb hinterlegt. Mit Schreiben
vom 29. Januar 2009 ermahnte ihn die Beklagte nochmals, die Anweisungen einzuhalten.
Gleichzeitig kündigte sie an, weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, wenn bis
zum 15. Februar 2009 keine Besserung erkennbar sei und er die Anweisungen weiterhin
missachte. Am selben Abend nahm er die Kfz-Utensilien nach einer Spätschicht erneut mit
nach Hause.
4 Ab dem 9. Februar 2009 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Ausweislich
einer Aufstellung der Krankenkasse war er im Zeitraum vom 9. Februar 2009 bis zum
7. März 2009 aufgrund einer Gastritis sowie vom 9. bis 17. März 2009 an einer „sonstigen
depressiven Episode“ erkrankt. Ab dem 17. März 2009 behandelte ihn ein Facharzt für
Psychiatrie, der ihm ebenfalls eine „sonstige depressive Episode“ bescheinigte. In einem
Attest seiner Hausärztin vom 1. Oktober 2010 heißt es, bei dem Kläger beständen seit
Jahren „massive Beschwerden vom Magen sowie von der Psyche her“. Insbesondere in
der Zeit vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 habe er unter Magenschmerzen,
Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und Vermeidungshaltungen gelitten.
Während seiner Erkrankung gab der Kläger erneut weder die Fahrzeugutensilien heraus
noch teilte er der Beklagten mit, wo sie sich befänden und wie eine Herausgabe
sichergestellt werden könne.
5 Mit Schreiben vom 16. und 18. Februar 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab. Mit
Schreiben vom 2. März 2009 hörte sie den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das
Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach dem.
Mit Schreiben vom 9. März 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich
zum 31. Oktober 2009.
6 Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt.
Er hat behauptet, in der Zeit vom 9. Februar bis 7. März 2009 habe er sich in einer akuten
depressiven Episode befunden, die durch völlige Antriebsschwäche gekennzeichnet
gewesen sei. Aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung sei er nicht in der Lage
gewesen, wie von ihm verlangt zu handeln. Zudem lägen keine schwerwiegenden
Pflichtverstöße vor. Wahrer Hintergrund der Kündigung sei seine schwere Erkrankung, die
zu häufigen Fehlzeiten führe.
7 Der Kläger hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom
9. März 2009 nicht mit Ablauf des 31. Oktober 2009 aufgelöst worden ist.
8 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, der Kläger habe
bewusst und beharrlich gegen ihm erteilte Weisungen verstoßen. Er sei offensichtlich nicht
bereit, berechtigten Forderungen nachzukommen. Eine Beschäftigung im Innendienst sei
nicht möglich, weil er unter Vorlage eines betriebsärztlichen Attests die Beschäftigung im
Außendienst verlangt habe. Zudem sei ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Innendienst
nicht vorhanden. Für eine Erkrankung, die ein schuldhaftes Verhalten des Klägers
ausschließe, lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor.
9 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie
abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hat der Senat die Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts mit Urteil vom 3. November 2011 (- 2 AZR 748/10 -) aufgehoben
und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht
zurückverwiesen. Die Pflichtverletzung des Klägers könne eine ordentliche Kündigung
nicht rechtfertigen, wenn dieser aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen
sei, sein Verhalten bewusst zu steuern. Dem entsprechenden Vortrag des Klägers sei das
Landesarbeitsgericht nicht nachgegangen.
10 Die Beklagte hat sich daraufhin zum Beweis für eine Steuerungsfähigkeit des Klägers auf
das Zeugnis der ihn behandelnden Ärzte berufen. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2012 hat
der Kläger drei auf den 12. Juni 2012 datierte, gleichlautende Erklärungen des Inhalts zur
Gerichtsakte gereicht, dass er die betreffenden Ärzte „von der ärztlichen Schweigepflicht
[entbinde und sich] damit einverstanden [erkläre], dass alle erforderlichen Auskünfte erteilt
werden, die im Zusammenhang mit [seiner] Erkrankung stehen und dass von allen
Berichten, Auskünften und Gutachten [seinem Prozessbevollmächtigten] Abschriften zur
Verfügung gestellt werden“.
11 Mit Beschluss vom 20. August 2012 bestimmte das Landesarbeitsgericht Termin zur
mündlichen Verhandlung und Durchführung einer Beweisaufnahme. Mit Schriftsatz vom
26. September 2012 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers „ausdrücklich“ darum,
ärztliche Atteste und Krankenunterlagen der behandelnden Ärzte, die bei Gericht
eingereicht würden, nicht an die Beklagte und deren anwaltliche Vertretung zu versenden.
12 Am 4. Oktober 2012 teilte das Landesarbeitsgericht mit, eine Schweigepflichtentbindung,
die den Prozessgegner ausspare, sei „nicht möglich“. Es setzte dem Kläger eine Frist bis
zum 19. Oktober 2012, um die ihn behandelnden Ärzte auch gegenüber der Beklagten von
der Schweigepflicht zu entbinden. Mit Schriftsatz vom selben Tag erklärte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers, die Beklagte habe keinen Anspruch auf Kenntnis der
höchstpersönlichen Krankheitsmerkmale. Möglicherweise komme „eine Vorgehensweise
derart in Betracht, dass für die Zeit der Beweisaufnahme nur der anwaltliche
Prozessvertreter der Beklagten, … [nicht dagegen] der Vertreter der Arbeitgeberin“
anwesend sei.
13 Mit Beschluss vom 25. Oktober 2012 wies das Landesarbeitsgericht den Kläger unter
nochmaliger Fristsetzung darauf hin, dass eine Beweisaufnahme unter Ausschluss der
beklagten Partei prozessual unzulässig sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte
daraufhin mit, eine Rücksprache mit diesem sei bislang nicht möglich gewesen. „Ohne
Verzicht auf die höchstpersönlichen Grundrechte des Klägers“ erkläre er aber, dass „die
bereits vom Kläger abgegebene Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht
uneingeschränkt gelten“ solle.
14 Mit Beschluss vom 13. November 2012 wies das Landesarbeitsgericht darauf hin, dass die
Entbindung eines Arztes von der Schweigepflicht eine höchstpersönliche Entscheidung
der Partei sei. Sie sei von der erteilten Prozessvollmacht nicht gedeckt. Der Kläger erhalte
bis zum 16. November 2012 erneut Gelegenheit, eine uneingeschränkte Erklärung über
die Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zur Akte zu reichen.
15 Mit Schriftsatz vom 15. November 2012 bat der Prozessbevollmächtigte des Klägers
darum, die als Zeugen geladenen Ärzte nicht abzuladen, und kündigte an, der Kläger
werde im Termin zur mündlichen Verhandlung eine Erklärung über ihre Entbindung von
der Schweigepflicht zu Protokoll geben. Dafür mache er sich persönlich „stark“.
16 Bei der mündlichen Verhandlung am 21. November 2012 war der Kläger nicht anwesend.
Mit E-Mail vom selben Tag hatte er mitgeteilt, er sei arbeitsunfähig erkrankt. Sein
Prozessbevollmächtigter wiederum erschien aufgrund einer Verkehrsstörung verspätet
zum Termin. Er hatte vorab telefonisch um Vernehmung der Zeugen gebeten. Der Kläger
wünsche dies ausdrücklich. Im Besitz einer schriftlichen Erklärung des Klägers, mit der
dieser die Zeugen von ihrer Schweigepflicht entbinde, sei er nicht. Davon setzte die
Kammervorsitzende die Zeugen und die Beklagte in Kenntnis. Die Zeugen erklärten, sie
sagten nur bei Vorliegen einer schriftlichen Entbindungserklärung aus. Das Gericht entließ
die Zeugen daraufhin noch vor dem Eintreffen des Klägervertreters. Nachdem dieser
erschienen war, teilte er mit, er habe am Tag zuvor mit dem Kläger telefoniert; dieser habe
ihm gegenüber erklärt, dass die Schweigepflichtentbindung vom 12. Juni 2012
uneingeschränkt gelten solle.
17 Der Klägervertreter hat keinen Antrag gestellt. Die Beklagte hat beantragt, nach Lage der
Akten zu entscheiden und die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
abzuweisen. Das Landesarbeitsgericht beschloss, nach Lage der Akten zu entscheiden,
und beraumte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 19. Dezember 2012 an.
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 reichte der Kläger eine ärztliche Bescheinigung
zur Akte, derzufolge er vom 20. bis 23. November 2012 arbeitsunfähig erkrankt und
außerstande gewesen sei, am Termin zur mündlichen Verhandlung teilzunehmen.
18 Nach Beratung am 18. Dezember 2012 hat das Landesarbeitsgericht die Klage mit Urteil
vom 19. Dezember 2012 „auf die mündliche Verhandlung vom 21.11.2012“ abgewiesen.
Mit der Revision begehrt der Kläger, das Urteil des Arbeitsgerichts wiederherzustellen.
Entscheidungsgründe
19 Die Revision ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das
Landesarbeitsgericht die Klage nicht abweisen. Die Sache war erneut an das
Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht
abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch immer nicht festgestellt.
20 I. Das Landesarbeitsgericht durfte nach Lage der Akten entscheiden.
21 1. Gemäß § 331a Satz 2, § 251a Abs. 2 ZPO darf beim Ausbleiben einer Partei im Termin
ein Urteil nach Lage der Akten ergehen, wenn in einem früheren Termin mündlich
verhandelt worden ist. Es darf frühestens zwei Wochen später verkündet werden. Das
Gericht hat der nicht erschienenen Partei den Verkündungstermin formlos mitzuteilen. Es
bestimmt einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung, wenn die Partei dies
spätestens am siebenten Tag vor dem zur Verkündung bestimmten Termin beantragt und
glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden ausgeblieben ist und die Verlegung des
Termins nicht rechtzeitig beantragen konnte.
22 2. Eine Verhandlung „in einem früheren Termin“ ist auch eine solche, die bei dem
Landesarbeitsgericht vor einer Zurückverweisung der Sache durch das
Bundesarbeitsgericht stattgefunden hat.
23 a) Durch die Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
das Berufungsgericht wird das Verfahren in der Lage wieder eröffnet, in der es sich
befunden hat, als die Verhandlung vor dem Erlass des aufgehobenen Urteils geschlossen
wurde (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe, RGZ 149, 157). Das
Verfahren vor und nach der Zurückverweisung bildet eine Einheit (MüKoZPO/Gehrlein
4. Aufl. § 251a Rn. 16; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 251a Rn. 3). Etwas anderes gilt nur
dann, wenn das Revisionsgericht nicht allein das Berufungsurteil, sondern nach § 562
Abs. 2 ZPO zugleich das diesem zugrunde liegende Verfahren aufgehoben hat.
24 b) Dem steht nicht entgegen, dass es nach der Zurückverweisung zu einem Wechsel der
zuständigen Richter kommen kann. Das Erfordernis einer früheren mündlichen
Verhandlung soll gewährleisten, dass die Parteien ihre Standpunkte zumindest einmal
mündlich vortragen können (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - zu 1 der Gründe,
RGZ 149, 157). Diesem Zweck ist auch dann Rechnung getragen, wenn die erkennende
Kammer bei der mündlichen Verhandlung personell anders besetzt war oder die
Verhandlung vor einer anderen Kammer stattgefunden hat (RG 1. November 1935 - VI
453/34 - aaO). § 309 ZPO ist insoweit nicht anwendbar. Die frühere Verhandlung ist
lediglich Voraussetzung für das Urteil nach Lage der Akten, sie liegt diesem jedoch nicht
iSv. § 309 ZPO zugrunde (RG 1. November 1935 - VI 453/34 - aaO; MüKoZPO/Gehrlein
4. Aufl. § 251a Rn. 17).
25 c) Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine mündliche Verhandlung nach der
Zurückverweisung auch nicht deshalb Voraussetzung für eine Entscheidung nach Lage
der Akten, weil die Parteien die Möglichkeit haben müssen, neue Tatsachen vorzutragen.
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert nicht stets eine mündliche
Verhandlung. Ihm ist auch dann Genüge getan, wenn die betreffende Partei Gelegenheit
hatte, sich zu der Rechtssache schriftlich zu äußern.
26 3. Das Landesarbeitsgericht musste keinen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung
anberaumen. Es kann dahinstehen, ob das in § 251a Abs. 2 Satz 4 ZPO vorgesehene
Recht, die Anberaumung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung zu
beantragen, nur einer Partei zusteht, die dem Termin ohne ihr Verschulden gänzlich
ferngeblieben ist (so Stein/Jonas/Roth 22. Aufl. § 251a Rn. 19; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl.
§ 251a Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Gerken 4. Aufl. § 251a ZPO Rn. 24; Musielak/Stadler
ZPO 11. Aufl. § 251a Rn. 4), oder auch einer Partei, die zwar erschienen ist, aber nicht
verhandelt hat (so MüKoZPO/Gehrlein 4. Aufl. § 251a Rn. 27, 29). Der Kläger hat nicht
geltend gemacht, er habe ohne sein Verschulden nicht verhandelt. Zwar konnte er selbst
aus gesundheitlichen Gründen nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen. Dies führte
jedoch nicht dazu, dass auch sein im Termin anwesender Prozessbevollmächtigter nicht
in der Lage gewesen wäre zu verhandeln. Gründe dafür, dass eine Verhandlung in seiner
persönlichen Abwesenheit nicht möglich gewesen sei, hat der Kläger nicht vorgetragen.
27 4. Ein Verfahrensfehler folgt nicht daraus, dass das Landesarbeitsgericht den Parteien den
Beratungstermin nicht mitgeteilt hatte. § 251a Abs. 2 Satz 3 ZPO sieht nur die Mitteilung
des Verkündungstermins vor. Spätestens ab dem sechsten Tag vor dem
Verkündungstermin müssen die Parteien jederzeit mit einer, ggf. mehreren Beratungen der
Kammer rechnen. Inwiefern dem Kläger, wie er meint, „zu dieser Beratung“ Gelegenheit
zur Stellungnahme hätte eingeräumt werden müssen, ist nicht ersichtlich. Seinem
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs war dadurch Genüge getan, dass das
Landesarbeitsgericht sämtliche bis zu seiner Beratung eingegangenen Schriftsätze der
Parteien zur Kenntnis genommen und gewürdigt hat.
28 5. Das angefochtene Urteil ist - anders als der Kläger meint - nicht deshalb
verfahrensfehlerhaft, weil es ausweislich seines Rubrums „auf die mündliche Verhandlung
vom 21.11.2012“ ergangen ist. Zwar ist die Entscheidung nicht auf eine mündliche
Verhandlung hin, sondern nach Lage der Akten am 21. November 2012 ergangen. In der
falschen Angabe liegt jedoch keine Verletzung einer Rechtsnorm iSv. § 73 ArbGG. Der
Fehler unterliegt als offenbare Unrichtigkeit nur der Berichtigung gemäß § 319 ZPO.
29 II. Das Landesarbeitsgericht hat auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen zu
Unrecht angenommen, der Kläger habe im Frühjahr 2009 seine arbeitsvertraglichen
Pflichten in vorwerfbarer Weise verletzt. Es durfte den Vortrag der Beklagten, der Kläger
sei nicht außerstande gewesen, sein vertragswidriges Verhalten zu steuern, nicht ohne
Vernehmung der Zeugen für wahr erachten.
30 1. Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast
auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das kündigungsrelevante
Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. BAG
3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23; 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - zu II 2 b bb der
Gründe, BAGE 70, 262). Beruft sich der Arbeitnehmer insoweit auf eine Erkrankung und
legt er substantiiert dar, woran er erkrankt war und weshalb er aus diesem Grunde nicht
nur arbeitsunfähig war, sondern auch bestimmte Nebenpflichten nicht ordnungsgemäß
erfüllen konnte, kann sich der Arbeitgeber zum Beweis dafür, dass die Behauptungen des
Arbeitnehmers nicht zutreffen, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen. Aufgrund
seiner prozessualen Mitwirkungspflicht obliegt es dem Kläger, diese von ihrer
Schweigepflicht zu entbinden (zur prozessualen Mitwirkungspflicht des Arbeitnehmers bei
der krankheitsbedingten Kündigung vgl. BAG 10. November 2005 - 2 AZR 44/05 - zu
B I 2 a der Gründe).
31 2. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts
der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier
Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht
wahr zu erachten sei. Das Gericht hat dabei auch die prozessualen und vorprozessualen
Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter zu
würdigen. Weigert sich ein Prozessbeteiligter, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu
entbinden, und macht er der beweispflichtigen Gegenpartei die Beweisführung unmöglich,
kann das als Beweisvereitelung im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen
sein. Dabei führt eine solche Beweisvereitelung - anders als mangelndes Bestreiten nach
§ 138 Abs. 3 ZPO - nicht ohne Weiteres dazu, dass der Vortrag der beweisbelasteten
Partei als zugestanden gilt. Vielmehr kommen Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr
der Beweislast in Betracht, wenn dem Beweispflichtigen die volle Beweislast billigerweise
nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 19. Februar 1997 - 5 AZR 747/93 - zu B II 3 der
Gründe, BAGE 85, 140; BGH 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07 - Rn. 23). Welche
beweisrechtlichen Konsequenzen angemessen sind, ist unter Würdigung sämtlicher
Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BGH 23. Oktober 2008 - VII ZR 64/07 - aaO).
32 3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Kläger habe die
Beweisführung der Beklagten vereitelt, weil er die ihn behandelnden Ärzte nicht in
ausreichender Weise von der Schweigepflicht entbunden habe.
33 a) Die Entbindung von der Schweigepflicht kann dem Zeugen, der Gegenpartei oder dem
Gericht gegenüber erklärt werden. Da es sich bei den Daten, die der Schweigepflicht
unterliegen, um geheim zu haltende Angelegenheiten höchstpersönlicher Art handelt,
muss in jedem Fall sichergestellt sein, dass die Entbindung von dem Rechtsträger selbst
stammt. Das schließt nicht aus, dass die Erklärung nach außen durch einen
Prozessbevollmächtigten erfolgen oder schon in der Benennung einer der in § 383 Abs. 1
Nr. 6 ZPO bezeichneten Personen als Zeuge zu sehen sein kann. In Zweifelsfällen hat
das Gericht zu klären, ob die Erklärung von der Partei selbst getragen wird oder ohne
entsprechendes Einverständnis abgegeben worden ist (BAG 12. Januar 1995 - 2 AZR
366/94 - zu 2 c der Gründe).
34 b) Der Kläger hatte die von der Beklagten benannten Zeugen wirksam von ihrer ärztlichen
Schweigepflicht entbunden.
35 aa) Mit drei gleichlautenden, von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 12. Juni
2012 hatte er erklärt, er entbinde die betreffenden Ärzte von ihrer Schweigepflicht. Er sei
damit einverstanden, dass alle erforderlichen Auskünfte erteilt würden, die im
Zusammenhang mit seiner Erkrankung ständen.
36 bb) Die mit Schriftsatz vom 26. September 2012 nachträglich erklärte Beschränkung dieser
Entbindung hat der Kläger entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht
aufrechterhalten.
37 (1) Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger nach Eingang des Schriftsatzes zu Recht
darauf hingewiesen, dass eine Entbindung von der Schweigepflicht, die dem Arzt eine
Aussage nur in Abwesenheit der gegnerischen Partei gestattet, der prozessualen
Mitwirkungspflicht nicht genügt. Die Entbindung von der Schweigepflicht nach § 385
Abs. 2 ZPO soll die Erhebung des Zeugenbeweises durch Vernehmung einer gemäß
§ 383 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 6 ZPO an sich zur Zeugnisverweigerung berechtigten Person
ermöglichen. Gestattet ein Prozessbeteiligter dem ihn behandelnden Arzt die Aussage nur
in Abwesenheit der gegnerischen Partei, ist das Gericht gehindert, den Arzt als Zeugen zu
vernehmen. Andernfalls verstieße es gegen das Gebot der Parteiöffentlichkeit der
Beweisaufnahme in § 357 Abs. 1 ZPO und verletzte damit den Anspruch der nicht
anwesenden Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
38 (2) Nach diesem Hinweis hat der Kläger an der Beschränkung seiner Entbindung nicht
festgehalten.
39 (a) Zwar vermochte das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 12. November 2012,
die Entbindung von der Schweigepflicht solle uneingeschränkt gelten, die zuvor erklärte
Beschränkung nicht aufzuheben. Angesichts der Bemerkung des
Prozessbevollmächtigten, er habe bislang keine Gelegenheit gehabt, mit dem Kläger
persönlich Rücksprache zu halten, war nicht sichergestellt, dass der Erklärung eine
Gestattung des Klägers als des Rechtsinhabers zugrunde lag.
40 (b) Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. November 2012 hat der anreisende
Prozessbevollmächtigte jedoch auf telefonische Nachfrage mitgeteilt, er habe zwar keine
schriftliche Erklärung des Klägers über die Entbindung der anwesenden Zeugen von ihrer
Schweigepflicht bei sich, der Kläger habe ihm gegenüber aber ausdrücklich die
Zeugenvernehmung gewünscht. Das war nicht anders zu verstehen, als dass der Kläger
eine Beweisaufnahme auch in Gegenwart eines Vertreters der Beklagten gestatte. Dies
hat der Klägervertreter nach seinem Erscheinen im Termin unter Verweis auf ein mit dem
Kläger am Vortag geführtes Telefonat klargestellt. Anhaltspunkte für die Annahme, die
Erklärung sei gleichwohl nicht vom höchstpersönlichen Willen des Klägers getragen,
bestanden nicht. Dies gilt umso mehr, als das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil
ausgeführt hat, der Kläger sei in den Tagen vor der mündlichen Verhandlung „zweifellos
dazu in der Lage [gewesen], sachgerechte Erklärungen abzugeben“. Entgegen der
Annahme des Landesarbeitsgerichts war es für die Wirksamkeit der Erklärung nicht
erforderlich, dass sie schriftlich erfolgt wäre. Selbst eine in der Benennung von Zeugen
liegende konkludente Erklärung kann ausreichen (vgl. Musielak/Huber ZPO 11. Aufl.
§ 385 Rn. 8).
41 c) Das Landesarbeitsgericht durfte nicht deshalb von der Beweisaufnahme absehen, weil
die der prozessualen Mitwirkungspflicht schließlich genügende Entbindungserklärung erst
nach Ablauf der seitens des Gerichts nach § 356 ZPO bis zum 16. November 2012
gesetzten Frist einging. Durch die Vernehmung der im Termin anwesenden Zeugen wäre
das Verfahren nicht verzögert worden.
42 d) Selbst wenn dem Landesarbeitsgericht zugute zu halten sein sollte, dass es letzte
Zweifel am Willen des Klägers, die Ärzte von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, als nicht
ausgeräumt betrachten durfte, so durfte es angesichts des Ablaufs der Geschehnisse doch
nicht annehmen, der Kläger wolle den der Beklagten obliegenden Beweis seiner
Steuerungsfähigkeit tatsächlich vereiteln. Sein Ziel war es ersichtlich nicht, der Beklagten
die Beweisführung unmöglich zu machen. Es ging ihm lediglich darum, ihren Mitarbeitern -
nicht auch ihrem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht - sensible höchstpersönliche
Daten vorzuenthalten. Dies ist grundsätzlich von § 385 Abs. 2, § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO
gedeckt. Wenn der Kläger deshalb - und sei es ungeschickt und auf rechtlich nicht
mögliche Weise - die Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht möglichst eng zu
gestalten suchte, liegt darin nicht die Absicht der Beweisvereitelung.
43 III. Der Senat kann den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden. Der relevante
Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO). Es bedarf der
Vernehmung der von der Beklagten als Zeugen benannten Ärzte.
44 1. Die Beklagte ist der ihr obliegenden Darlegungslast nachgekommen. Sie hat unter
Verweis auf dessen Verhalten in der Vergangenheit, den häufigen Wechsel der Ärzte und
deren Diagnosen die vom Kläger behauptete Steuerungsunfähigkeit in Abrede gestellt
und zum Beweis für die Richtigkeit ihres Vortrags die behandelnden Ärzte als Zeugen
benannt. Eine weitergehende Darlegung war von ihr nicht zu verlangen. Der
Beweisgegenstand betrifft Geschehensabläufe aus der Sphäre des Klägers.
45 2. Das Landesarbeitsgericht wird die bislang unterbliebene Beweisaufnahme
nachzuholen haben. Der Kläger hat die zu vernehmenden Ärzte ordnungsgemäß von ihrer
Schweigepflicht entbunden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht
hat er überdies persönlich bekräftigt, er sei damit einverstanden, dass die Zeugen auch in
Gegenwart eines weiteren Vertreters der Beklagten vernommen würden.
Kreft
Berger
Rinck
Krichel
Pitsch