Urteil des ArbG Wuppertal vom 02.12.2008

ArbG Wuppertal: juristische person, feststellungsklage, stundenlohn, arbeitsbedingungen, abmahnung, arbeitsgericht, gehalt, mehrarbeit, vergütung, lohnerhöhung

Arbeitsgericht Wuppertal, 7 Ca 1687/08
Datum:
02.12.2008
Gericht:
Arbeitsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Ca 1687/08
Schlagworte:
betriebliches Bündnis für Arbeit; Gleichbehandlungsgrundsatz;
Kopplungsgeschäft
Normen:
§ 77 Abs. 3 BetrVG; Gleichbehandlungsgrundsatz
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Eine Betriebsvereinbarung, die neben der Verlängerung der
Arbeitszeit um wöchentlich 2,5 Stunden "gleichzeitig eine
Grundlohnerhöhung" eines festen Monatslohns vorsieht, ist insgesamt
wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam (sog.
"unwirksames betriebliches Bündnis für Arbeit"). 2. Die unwirksame
Vereinbarung der Grundlohnerhöhung kann im Regelfall nicht in eine
einzelvertragliche Regelung umgedeutet werden, da es an einem
hypothetischen Bindungswillen des Arbeitgebers fehlt (im Anschluß an:
BAG, Urteil v. 05.03.1997, 4 AZR 532/95, AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG
1972 Tarifvorbehalt). 3. Ein Anspruch auf die Grundlohnerhöhung ergibt
sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn der Arbeitgeber lediglich den
Arbeitnehmern den erhöhten Monatslohn zahlt, die die Erhöhung der
Wochenarbeitszeit stillschweigend akzeptiert haben, da sich hierdurch
für diese Arbeitnehmer ein effektiv geringerer Stundenlohn ergeben hat.
Hierin liegt ein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung
rechtfertigt.
Tenor:
1.Es wird festgestellt, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der
Kläger zu 2) bis zu 6) 37,5 Stunden beträgt und Arbeitszeit, die diese
regelmäßige Arbeitszeit überschreitet, dem Arbeitszeitkonto der Kläger
zu 2) bis zu 6) gutgeschrieben wird bzw. ab der 80. Stunde als
Mehrarbeit vergütet werden muss.
2.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) 362,84 EUR (i.W.
dreihundertzweiundsechzig Euro, Cent wie nebenstehend) brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.08.2008 zu zahlen.
3.Die Beklagte wird verurteilt,
a)dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 2) 96,3 Stunden gutzuschreiben
b)dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 3) 90,5 Stunden gutzuschreiben
c)dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 4) 92 Stunden gutzuschreiben
d)dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 5) 92,75 Stunden gutzuschreiben
e)dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 6) 94,5 Stunden gutzuschreiben.
4.Im Übrigen wird die Klage des Kläger zu 1) abgewiesen.
5.Auf die Hilfswiderklage wird festgestellt, dass den Klägern zu 2) bis 6)
ab dem 01.09.2008 nur ein Anspruch auf Lohnzahlungen abzüglich der
am 01.01.2005 erfolgten Erhöhung des Grundlohns um 1% und
abzüglich der am 01.01.2007 erfolgten Erhöhung des Grundlohns von
2% (Grundlohn + 1%) zusteht.
6.Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2) bis zu 6) jeweils
zu 6% und die Beklagte zu 70%.
7.Die Berufung für den Kläger zu 1) wird zugelassen.
8.Streitwert: 40.388,83 €.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Höhe der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit sowie
über die Höhe des Stundenlohns der einzelnen Kläger.
2
Die Kläger sind seit dem 10.07.2000 (Kläger zu 1.), 01.07.2000 (Kläger zu 2.),
01.12.2000 (Kläger zu 3.), 20.03.2000 (Kläger zu 4.), 17.01.2000 (Kläger zu 5.) und
01.11.1999 (Kläger zu 6.) im Betrieb der Beklagten beschäftigt. Die Arbeitsverträge der
Kläger - die noch mit der Rechtsvorgängerin LuK Automobiltechnik GmbH & Co. KG
abgeschlossen worden sind - enthalten in Ziffer 3) folgende Regelung:
3
Vergütung
4
Der Mitarbeiter erhält einen monatlich nachzahlbaren Bruttomonatslohn auf der
Basis von 163,13 Stunden in Höhe von: [...].
5
Ferner enthält der Arbeitsvertrag unter Ziffer 18 (sonstige Vereinbarungen
Schlussbestimmungen) folgende Regelung:
6
Im Übrigen gelten die gesetzlichen Bestimmungen sowie die jeweils gültigen
Tarifverträge der metallverarbeitenden Industrie NRW oder entsprechende
Betriebsvereinbarungen.
7
Am 11.12.2003 schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem bei ihr
bestehenden Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung (Blatt 24 ff. der Akte) die unter
anderem in § 6 folgende Regelung enthält:
8
Erhöhung der Wochenarbeitszeit
9
Erhöhung der Wochenarbeitszeit
9
Die Wochenarbeitszeit wird für alle Angestellten und Gewerblichen ohne
Lohnausgleich um 2,5 Stunden erhöht.
10
Gleichzeitig wird eine Grundlohnerhöhung vereinbart. Zum 1.1.2005 wird der
Grundlohn aller ArbeitnehmerInnen um 1% erhöht, wenn Ende 2004 erkennbar ist,
dass 2005 ein RWC von > 0,18 erreicht wird.
11
Das gleiche gilt für das Jahr 2006. Ist Ende 2005 abzusehen, dass 2006
12
-ein RWC von > 0,20 erreicht wird, erhöht sich der Grundlohn/ -gehalt aller
ArbeitnehmerInnen zum 1.1.06 um 1%
13
-ein RWC von > 0,225 erreicht wird, erhöht sich der Grundlohn/ -gehalt aller
ArbeitnehmerInnen zum 1.1.06 um 2%
14
-ein RWC von > 0,25 erreicht wird, erhöht sich der Grundlohn/ -gehalt aller
ArbeitnehmerInnen zum 1.1.06 um 3%
15
Wenn es aufgrund der RWC-Entwicklung nicht möglich war, den Grundlohn/ -
gehalt 2006 für alle um 3% zu erhöhen, dann erfolgt der Ausgleich durch eine
entsprechende Erhöhung zum 1.1.2007, unabhängig vom RWC
16
Der Grundlohn der Kläger wurde entsprechend der Regelung in der
Betriebsvereinbarung zum 01.01.2005 um 1 Prozent erhöht und zum 01.01.2007 um 2
Prozent erhöht.
17
Mit außergerichtlichem Schreiben vom 31.03.2008 - der Beklagten vorab per Fax
zugegangen - machte der Prozessbevollmächtigte der Kläger gegenüber der Beklagten
die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3
BetrVG geltend und forderte die Beklagte auf, für die noch nicht verfallenen Monate ab
Dezember 2007 Korrekturabrechnungen zu erstellen, in denen eine regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Wochenstunden zu Grunde gelegt wird und die
darüber hinausgehenden Stunden dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden sollen.
18
Unter dem 20.05.2008 erhielt der Kläger zu 6) eine Abmahnung, in der ihm vorgeworfen
wurde, entgegen dem bei der Beklagten vorhandenen Merkblatt “Was tun bei
Arbeitsverhinderung“ im Rahmen einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit nicht bereits am
Freitag, dem 02.05.2008 bis spätestens 14 Uhr dem Vorgesetzten mitgeteilt zu haben,
ob er am kommenden Montag wieder arbeite und auch am Freitag dem 09.05.2008 eine
derartige Mitteilung nicht getätigt zu haben. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung
wird auf Blatt 39 der Akte Bezug genommen.
19
Der Kläger zu 1) ist per 30.06.2008 bei der Beklagten ausgeschieden. Zu diesem
Zeitpunkt wies sein Arbeitszeitskonto ausgehend von der seitens der Beklagten zu
Grunde gelegten 40-Stundenwoche 36,27 Minusstunden auf.
20
Mit ihrer am 03.06.2008 eingegangenen Klage begehren die Kläger die Feststellung,
dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden beträgt sowie die
Gutschrift der nicht auf das Arbeitszeitkonto gebuchten Stunden. Insofern wird auf die
Berechnung aus dem klägerischen Schriftsatz vom 07.11.2008 - die zwischen den
21
Parteien unstreitig ist - Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
22
1.festzustellen, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Kläger zu 2)
bis zu 6) 37,5 Stunden beträgt und Arbeitszeit, die diese regelmäßige Arbeitszeit
überschreitet, dem Arbeitszeitkonto der Kläger gutgeschrieben wird bzw. ab der
80 Stunde als Mehrarbeit vergütet werden muss.
23
2.die Beklagte zu verurteilen,
24
a.an den Kläger zu 1) 373,71 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5-
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2008 zu zahlen.
25
b.dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 2) 96,3 Stunden gutzuschreiben.
26
c.dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 3) 90,5 Stunden gutzuschreiben.
27
d.dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 4) 92 Stunden gutzuschreiben.
28
e.dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 5) 92,75 Stunden gutzuschreiben.
29
f.dem Arbeitszeitkonto des Klägers zu 5) 94,5 Stunden gutzuschreiben.
30
Die Beklagte beantragt,
31
die Klage abzuweisen.
32
Sie beantragt hilfswiderklagend,
33
festzustellen, dass den Klägern zu 2) bis zu 6) ab dem 01.09.2008 jeweils nur
noch ein Anspruch auf Lohnzahlungen abzüglich der am 01.01.2005 erfolgten
Erhöhung des Grundlohns um 1 Prozent und abzüglich der am 01.01.2007
erfolgten Erhöhung des Grundlohns von 2 Prozent (Grundlohn + 1 Prozent)
zusteht.
34
Die Kläger zu 2) bis 6) beantragen,
35
die Hilfswiderklage abzuweisen.
36
Sie hält die Regelung in der Betriebsvereinbarung für wirksam. Zudem hätten die Kläger
das Recht, die Unwirksamkeit dieser Regelung geltend zu machen, nach einem
Zeitablauf von fast 4 ½ Jahren verwirkt. Die Ansprüche seien jedenfalls verfallen. Mit
dem außergerichtlichen Geltendmachungsschreiben vom 31.03.2008 sei die Beklagte
noch nicht einmal über die ungefähre Höhe der gegen sie geltend gemachten
Forderungen unterrichtet worden. Es hätte einer Konkretisierung bedurft, um die
Ausschlussfrist zu wahren, da selbst die ungefähre Höhe für die Beklagte selbst schwer
zu ermitteln sei. Die Ansprüche für den Monat Dezember 2007 seien bereits deshalb
verfallen, weil Ansprüche auf Zuschläge für Mehrarbeit gemäß § 9 Ziffer 2 a des
Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie NRW binnen zwei Monaten ab
Erhalt der Abrechnung geltend zu machen seien.
37
Hilfsweise macht die Beklagte geltend, dass auf die Hilfswiderklage festzustellen sei,
dass - sollte die Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG
unwirksam sein - dies zwingend auch zur Folge haben müsse, dass die
zwischenzeitlich als Gegenleistung gewährten Lohnerhöhungen von 3 Prozent entfallen
seien. Aus § 6 der Betriebsvereinbarung folge zwanglos, dass die Gegenleistung für die
Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 2,5 Stunden die danach erfolgten
Lohnerhöhungen zum 01.01.2005 und 01.01.2007 waren. Die Kläger könnten nicht
verlangen, dass die Wochenarbeitszeit um 2,5 Stunden reduziert werde, es aber
gleichzeitig bei den zwischenzeitlich erlangten Lohnerhöhungen verbleibt.
38
Den vom Kläger zu 6) in der Klageschrift vom 30.05.2008 gestellten Antrag zu 4),
wonach die Beklagte verurteilt werden sollte, die Abmahnung vom 20.06.2008 aus der
Personalakte des Klägers zu 6) zu entfernen, haben die Parteien in der mündlichen
Verhandlung vom 18.11.2008 übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die
Beklagte die Abmahnung mittlerweile aus der Personalakte des Klägers zu 6) entfernt
hat.
39
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
40
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
41
I.
42
Der von den Klägern zu 2) bis 6) gestellte Feststellungsantrag hat Erfolg.
43
1.
44
Der Antrag ist zulässig und weist insbesondere das gemäß § 256 ZPO erforderliche
Feststellungsinteresse auf, da von der Beklagten bestritten wird, dass die regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit lediglich 37,5 Stunden beträgt. Der Antrag ist auch hinreichend
bestimmt.
45
2.
46
Der Feststellungsantrag ist auch begründet.
47
Die Kläger zu 2) bis zu 6) haben sowohl nach ihren Arbeitsverträgen als auch nach dem
in Bezug genommenen Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und
Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalens eine
regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden. Die Betriebsvereinbarung vom
11.12.2003 ist wegen Verstoßes gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG
unwirksam. Hiernach können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen die
durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden nicht Gegenstand
einer Betriebsvereinbarung sein. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gehört zu
den sonstigen Arbeitsbedingungen die bei der Beklagten üblicherweise durch den
Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metall- und
Elektroindustrie NRWs, auf den die einzelnen Arbeitsverträge auch alle Bezug nehmen,
geregelt. Für den Anwendungsbereich des § 77 Abs. 3 BetrVG kommt es noch nicht
einmal auf die Tarifbindung des Arbeitgebers an, sondern es ist ausreichend, dass der
48
Betrieb im betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages liegt. Es
handelt sich bei der Betriebsvereinbarung um ein klassisches gegen § 77 Abs. 3 BetrVG
verstoßenes “betriebliches Bündnis für Arbeit“.
Soweit im Feststellungstenor ausgeführt wird, dass die über die regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden hinaus gehende Arbeitszeit dem
Arbeitszeitkonto gutzuschreiben ist und ab der achtzigsten Mehrarbeitsstunde
auszuzahlen ist, entspricht dies den vertraglichen Regelungen der Parteien.
49
Das Recht zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung ist auch
nicht verwirkt. Ein Anspruch verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf
eines längeren Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim
Verpflichteten ein Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in
Anspruch genommen (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des
Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart
überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG,
Urteil vom 22.07.2004, 8 AZR 350/03).
50
Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass nach 4 ½ Jahren hier das
Zeitmoment erfüllt ist, so fehlt es jedenfalls am Vorliegen eines Umstandsmomentes.
Hierbei indiziert das Vorliegen des Zeitmomentes nicht das sogenannte
Umstandsmoment, sondern es bedarf darüber hinausgehender besonderer Umstände
für die berechtigte Erwartung des Schuldners, dass er nicht mehr in Anspruch
genommen wird. Hierbei ist ein reines “Nichtstun“ nicht ausreichend (vgl. LAG
Düsseldorf vom 15.11.2006, 7 (18) Sa 243/06, zitiert nach juris).
51
52
II.
53
Der vom Kläger zu 1) geltend gemachte Zahlungsanspruch ist überwiegend begründet.
54
1.
55
Da die vom Kläger zu 1) in der Zeit von Dezember 2007 bis Juni 2008 über die
regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 hinaus geleisteten Stunden dem
Arbeitszeitkonto hätten gutgeschrieben werden müssen, ergibt sich bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses am 30.06.2008 nicht ein Stand von 36,27 Minusstunden sondern
von 16,73 Plusstunden.
56
2.
57
Diese Stunden sind von der Beklagten jedoch nicht mit einem Stundenlohn von 17,87 €
sondern lediglich mit einem Stundenlohn von 17,35 € zu vergüten. Dies ergibt sich
daraus, dass der Kläger die in § 6 der Betriebsvereinbarung vom 11.12.2003 vereinbarte
Lohnerhöhung von 1 Prozent zum 01.01.2005 sowie um 2 Prozent zum 01.01.2007 nicht
für sich in Anspruch nehmen kann. Diese Regelung ist ebenso wie die Erhöhung der
Wochenarbeitszeit wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Es handelt
sich um eine Entgeltreglung die üblicherweise im Tarifvertrag (hier Lohnabkommen und
Gehaltsabkommen der Metall- und Elektroindustrie NRW) geregelt wird. Entgegen der
Ansicht des Klägers zu 1) kommt es auch nicht auf die Frage einer etwaigen
58
Teilunwirksamkeit oder Gesamtunwirksamkeit an, da beide Teile der
Betriebsvereinbarung - sowohl die Erhöhung der Wochenarbeitszeit als auch die
Lohnerhöhung - gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann eine unwirksame
Betriebsvereinbarung im Regelfall auch nicht in eine einzelvertragliche Regelung
umgedeutet werden, da es insoweit an einem hypothetischen Bindungswillen des
Arbeitgebers fehlt (vgl. BAG vom 05.03.1997, 4 AZR 532/95, AP-Nr. 10 zu § 77 BetrVG
1972 Tarifvorbehalt; Anwaltskommentar Arbeitsrecht/Welsau, § 77 BetrVG,
Randnummer 35).
59
Einen Anspruch auf einen Stundenlohn von 17,87 € brutto ergibt sich für den Kläger zu
1) auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungs-grundsatz. Der
arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine
Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage
befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleich zu behandeln.
Dabei verbietet er nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer
innerhalb der Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (vgl. BAG vom
31.08.2005, 5 AZR 517/04, AP-Nr. 288 zu § 613 a BGB). Im vorliegenden Fall
rechtfertigt der Ausgleich von Vergütungsnachteilen der Gruppe der Mitarbeiter, die
einer Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zustimmen, eine
Ungleichbehandlung bei der Vergütungserhöhung (vgl. LAG Schleswig Holstein vom
23.01.2008, 6 Sa 151/07, zitiert nach Juris). Nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG vom 14.03.2007, 5 AZR 420/06, zitiert nach Juris) kann
ein sachlicher Grund für eine Differenzierung in der Anpassung unterschiedlicher
Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft einerseits und der durch § 613a Abs. 1 Satz
2 BGB begünstigten Arbeitnehmer andererseits liegen. Auch wenn es im vorliegenden
Fall nicht um die Angleichung von Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft
einerseits und einer übernommenen Belegschaft andererseits geht, lässt sich der die
Angleichung rechtfertigende Gedanke, dass unterschiedliche Arbeitsbedingungen im
Betrieb zu Problemen führen und die Zusammenarbeit erschweren können, übertragen.
Die Nivellierung von als Unrecht empfundenen Besserstellungen beugt Neid und
Missgunst innerhalb der Belegschaft vor. Ungleiche Arbeitsbedingungen, insbesondere
im Entgeltbereich, demotivieren dagegen die schlechter gestellten Mitarbeiter und üben
auf den Arbeitgeber einen Rechtfertigungsdruck aus. Die Herstellung von
Entgeltgerechtigkeit kann daher durchaus ein sachlicher Grund für eine
Ungleichbehandlung sein (vgl. LAG Schleswig Holstein, aaO). Ein Arbeitnehmer mit
einem Grundlohn wie dem des Klägers (ursprünglich 17,35 €), der sich mit einer
Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich
einverstanden erklärt, erhält nur noch einen effektiven Stundenlohn von 16,27 €. Er steht
somit schlechter da als die Arbeitnehmer, die sich auf die Unwirksamkeit der
Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG berufen und lediglich 37,5 Stunden in
der Woche arbeiten müssen.
60
Die Auslegung des § 6 der Betriebsvereinbarung ergibt auch, dass die Bereitschaft, die
wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich zu erhöhen und die
seitens der Beklagten gewährte Lohnerhöhung in untrennbarem Zusammenhang
stehen. Dies ergibt sich bereits durch die Formulierung “Gleichzeitig“. Auch die
Formulierung, dass die Wochenarbeitszeit “ohne Lohnausgleich“ erhöht wird, spricht
nicht gegen eine derartige Auslegung. In Anbetracht der Tatsache, dass durch die
Lohnerhöhungen die Höhe des Stundenlohns nur teilweise kompensiert wird mag der
61
Kläger zu 1) einmal darlegen, wie ansonsten der erste Absatz des § 6 der
Betriebsvereinbarung hätte formuliert werden sollen (etwa: „verbunden mit einem
teilweisen Lohnausgleich?“) Es würde auch einer nicht hinnehmbaren „Rosinentheorie“
entsprechen, wenn sich der Kläger zu 1) hinsichtlich der Erhöhung der
Wochenarbeitszeit auf die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 3
BetrVG berufen könnte, die positiven Teile dieser unwirksamen Betriebsvereinbarung
jedoch für sich in Anspruch nehmen könnte.
3.
62
Entgegen der von der Kammer noch in der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2008
geäußerten Auffassung sind die Ansprüche des Klägers nicht - auch nicht teilweise -
wegen Nichteinhaltens der tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Die Ansprüche für
die Monate Dezember 2007 bis März 2008 wurden durch Telefaxschreiben des
Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 1) vom 31.03.2008 rechtzeitig geltend
gemacht. Es kommt auch nicht auf § 9 Ziffer 2a des Manteltarifvertrages für die Metall-
und Elektroindustrie NRW an, da die dortige Regelung nur Zuschläge für Mehrarbeit
erfasst, nicht jedoch die Mehrarbeitsvergütung als solche.
63
Die weitergehenden Ansprüche ab dem Monat April 2008 hat der Kläger zu 1) durch
den am 03.06.2008 bei Gericht eingegangenen Feststellungsantrag rechtzeitig geltend
gemacht. Zwar können Ansprüche grundsätzlich nicht vor ihrem Entstehen schriftlich
geltend gemacht werden (vgl. insoweit BAG vom 09.03.2005, 5 AZR 385/02, EzA Nr.
177 zu § 4 TVG Ausschlussfristen). Dies gilt jedoch nicht wenn bei einer einstufigen
Ausschlussfrist die Geltendmachung durch Erhebung einer Feststellungsklage erfolgt.
Das Bundesarbeitsgericht lässt zur Wahrung einer einstufigen Ausschlussfrist
beziehungsweise der ersten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist die Einreichung
der Kündigungsschutzklage für alle Ansprüche ausreichen, deren Bestand vom
Ergebnis des Kündigungsschutzprozesses abhängt (vgl. BAG vom 25.02.1978, DB
1978, 1350). Ebenso lässt das Bundesarbeitsgericht eine zulässige Feststellungsklage
zur Geltendmachung ausreichen, wenn diese geeignet ist, den gesamten von den
Parteien unterschiedlich beurteilten Streitstoff zu klären (vgl. BAG vom 29.06.1989, DB
1989, 2628). Ausgehend von diesen Grundsätzen bedurfte es nach Einreichung der
Feststellungsklage keiner erneuten Geltendmachung des Klägers zu 1). Der Beklagten
musste durch Erhebung der Feststellungsklage klar sein, dass der Kläger zu 1) auch für
die weiteren folgenden Monate eine Vergütung auf Basis einer regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden verlangt.
64
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist die Geltendmachung auch inhaltlich
hinreichend bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfordert
eine wirksame Geltendmachung danach, dass der Anspruch nach Grund und Höhe
hinreichend deutlich bezeichnet wird. Neben der Beschreibung des Anspruchs erfordert
die Geltendmachung, dass ungefähr seine Höhe mitgeteilt wird (vgl. BAG vom
08.02.1972, DB 1972, 978). Da es dem Kläger zu 1) um die Vergütung von 2,5 Stunden
pro Woche geht, war die Höhe der Forderung für die Beklagte leicht zu berechnen.
65
III.
66
Die Kläger zu 2) bis zu 5) haben einen Anspruch auf Gutschreibung von Arbeitstunden
auf ihren Arbeitszeitkonten in der im Tenor umschriebenen Höhe.
67
Wegen der Begründung wird insoweit auf die Ausführungen unter II. verwiesen.
68
IV.
69
Die Hilfswiderklage ist zulässig und begründet.
70
1.
71
Die Widerklage ist als Feststellungsklage zulässig und weist insbesondere das gemäß
§ 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse auf, da die Geltung des geringeren
Stundenlohns seitens der Kläger bestritten wird.
72
Die Hilfswiderklage ist auch begründet. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II.
verwiesen.
73
V.
74
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache war die Berufung für den Kläger zu
1) gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG gesondert zuzulassen.
75
VI.
76
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 a, 92 Abs. 1 ZPO. Den
Rechtsmittelstreitwert hat das Gericht gemäß §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 3 GKG im
Urteil festgesetzt. Im Einzelnen gilt folgendes:
77
Das Gericht geht von einem Gerichtsgebührenstreitwert von 43.483,91 € aus. Nachdem
die Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 18.11.2008 erklärt
haben, dass der Stundenlohn bei sämtlichen Klägern ungefähr gleich liege und wie
beim Kläger zu 1) ca. 17,87 € betrage und zum Zwecke der Streitwertfestsetzung hierauf
zurückgegriffen werden könne, hat das Gericht für den Feststellungsantrag der Kläger
zu 2) bis 5) einen Betrag von 27.855,76 € zu Grunde gelegt (4,33 x 2,5 Stunden x 17,87
€ x 36 Monate = 6.963,94 €; abzüglich eines 20 prozentigen Abschlags, da es sich
vorliegend um eine Feststellungsklage handelt = 5.571,15 € x 5 Kläger = 27.855,76 €).
78
Die Leistungsanträge der Kläger zu 2) bis zu 6) waren demgegenüber nicht
Streitwerterhöhend zu berücksichtigen (vgl. § 42 Abs. 5 Satz 1 zweiter Halbsatz GKG).
Für die Hilfswiderklage war ein Streitwert von 12.159,36 € zu Grunde zu legen (17,87 € -
17,35 € = 0,52 € x 37,5 x 4,33 = 84,44 € x 36 Monate = 3.039,84 €, abzüglich 20 % =
2.431,87 € x 5 Kläger = 12.159,36 €. Hinzu kommt der Zahlungsantrag des Klägers zu 1)
mit 373,71 € sowie ein Betrag von 3.095,08 € (17,87 € x 40 x 4,33) für den
übereinstimmend für erledigt erklärten Abmahnungsrechtsstreit. Hieraus ergibt sich der
Gerichtsgebührenstreitwert von 43.483,91 €.
79
Hiervon ausgehend haben die Kläger zu 2) bis zu 6) jeweils einen Anteil der Kosten von
6 % zu tragen (Streitwert in Höhe von 2.431,87 €), da sie jeweils hinsichtlich der
Hilfswiderklage unterlegen waren. Im Übrigen hat die Beklagte die Kosten des
Rechtsstreites zu tragen, was 70 % entspricht. Hinsichtlich des Feststellungsantrags
folgt die Kostentragungspflicht der Beklagten daraus, dass sie unterlegen war,
hinsichtlich der Abmahnung folgt sie aus § 91a ZPO. Der Kläger zu 1) hat keine Kosten
des Rechtsstreites zu tragen, da seine Kostentragungspflicht (Streitwert: 10,87 €) gemäß
80
§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu vernachlässigen war.
Den Rechtsmittelstreitwert hat das Gericht auf 40.388,83 € festgesetzt (43.483,91 € -
3.095,08 €).
81
Der Gerichtsgebührenstreitwert wird auf 43.483,91 € festgesetzt.
82
Rechtsmittelbelehrung
83
Gegen dieses Urteil kann von jeder Partei
84
B e r u f u n g
85
eingelegt werden.
86
Die Berufung muss
87
innerhalb einer N o t f r i s t * von einem Monat
88
beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax:
0211 7770 2199 eingegangen sein.
89
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.
90
Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser
Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit
vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
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Dr. Elz
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Richter am Arbeitsgericht
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