Urteil des ArbG Wuppertal vom 19.11.2009

ArbG Wuppertal (richtlinie, auf lebenszeit, bag, urlaub, kläger, arbeitnehmer, geldwerte leistung, auf probe, bundesrepublik deutschland, ewg)

Arbeitsgericht Wuppertal, 7 Ca 2453/09
Datum:
19.11.2009
Gericht:
Arbeitsgericht Wuppertal
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 Ca 2453/09
Schlagworte:
Arbeitnehmerbegriff i.S.d Art. 7 EGRL 88/2003, Urlaubsabgeltung,
Krankheit, Dienstordnungsangestellter
Normen:
Art. 234 EGV, EGRL 88/2003, § 7 Abs. 4 BurlG, § 351 RVO, Art. VIII 2.
BesVNG, § 101 BG NW, § 8 EUV NW
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Artikel 234 EGV folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Umfasst der Begriff des
Arbeitnehmers im Sinne des Artikel 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie
2003/88/EG (= Artikel 7 der Richtlinie 93/104/EG) (Juris: EGRL 88/2003
und EGRL 104/93) auch einen Dienstordnungsangestellten einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts, deren auf Grund
bundesgesetzlicher Ermächtigung (§ 351 RVO) erlassenes autonomes
Satzungsrecht für die Urlaubsansprüche des
Dienstordnungsangestellten auf die für Beamte geltenden Vorschriften
(hier: § 101 Landesbeamtengesetz NW i.V.m. der Verordnung über den
Erholungsurlaub der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen und
Richter im Lande Nordrhein Westfalen) verweist?
Tenor:
Das Verfahren wird ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof wird
gemäß Artikel 234 EGV folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Umfasst der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des Artikel 7 Abs. 1 und
2 der Richtlinie 2003/88/EG (= Artikel 7 der Richtlinie 93/104/EG) (Juris:
EGRL 88/2003 und EGRL 104/93) auch einen
Dienstordnungsangestellten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts,
deren auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung (§ 351 RVO)
erlassenes autonomes Satzungsrecht für die Urlaubsansprüche des
Dienstordnungsangestellten auf die für Beamte geltenden Vorschriften
(hier: § 101 Landesbeamtengesetz NW i.V.m. der Verordnung über den
Erholungsurlaub der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen und
Richter im Lande Nordrhein Westfalen) verweist?
G r ü n d e :
1
I.
2
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche.
3
Der am 28.03.1949 geborene Kläger war vom 01.04.1966 bis 31.03.2009 bei der
Beklagten beschäftigt. Der Anstellungsvertrag vom 30. März 1966 hat unter anderem
folgenden Inhalt:
4
§ 1
5
Art des Anstellungsverhältnisses
6
Herr E. wird der Dienstordnung für die Angestellten der B. unterstellt und in den
Vorbereitungsdienst übernommen (§§ 8 bis 10 der Dienstordnung).
7
§ 3
8
Dienstbezeichnung
9
Herr E. führt die Dienstbezeichnung „Verwaltungsanwärter“.
10
§ 5
11
Anlage
12
Die Dienstordnung ist diesem Vertrag als Anlage beigefügt.
13
Der siebte Nachtrag zum Dienstvertrag vom 31.03.1976 sieht unter Anderem folgende
Regelungen vor:
14
§ 1
15
Art des Anstellungsverhältnisses
16
Herr E. wird in ein Anstellungsverhältnis auf Lebenszeit (planmäßiges
Anstellungsverhältnis) übernommen (§§ 18 bis 22 der Dienstordnung); ihm wird
eine Planstelle eines Verwaltungsoberinspektors übertragen.
17
§ 3
18
Dienstbezeichnung
19
Herr E. führt die Dienstbezeichnung „Verwaltungsoberinspektor“.
20
§ 4
21
Besoldung
22
Die Besoldung erfolgt nach der Besoldungsgruppe A 10 BBO.
23
Das Besoldungsdienstalter wird auf den 01. März 1970 festgesetzt.
24
Der Kläger, der in der Zeit vom 24.04.2006 bis zum Ausscheiden am 31.03.2009
weitestgehend arbeitsunfähig erkrankt war, begehrt von der Beklagten
Urlaubsabgeltung für 11 Urlaubstage aus dem Jahr 2006 sowie für 28 Urlaubstage aus
dem Jahr 2007. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass dem Kläger der Urlaub
für die Kalenderjahre 2008 und 2009 in natura gewährt wurde. Der Kläger hatte sich
insoweit “gesund schreiben“ lassen und die Beklagte hatte ausdrücklich erklärt, den
Urlaub für die Kalenderjahre 2008 und 2009 zu gewähren, da ihrer Auffassung nach die
Urlaubsansprüche für die Kalenderjahre 2006 und 2007 verfallen waren.
25
Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom
20.01.2009 (C-350/06 - Schultz-Hoff, NZA 2009, 135 = NJW 2009, 495) ist der Kläger
der Auffassung, dass ihm die Urlaubstage, die er bis zur Beendigung des
Anstellungsverhältnisses auf Grund seiner Erkrankung nicht nehmen konnte, von der
Beklagten abzugelten seien.
26
Der Kläger beantragt,
27
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.705,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2009 zu zahlen.
28
Die Beklagte beantragt,
29
die Klage abzuweisen.
30
Sie ist der Auffassung, dass bei einem Dienstordnungsangestellten, dessen
Rechtsverhältnis sich im Wesentlichen nach den für Beamte geltenden
Rechtsvorschriften richtet, ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht gegeben sei.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
32
II.
33
1. Rechtlicher Rahmen
34
a) Gemeinschaftsrecht
35
Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003
über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie):
36
Artikel 1 Gegenstand und Anwendungsbereich
37
(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz
bei der Arbeitszeitgestaltung.
38
[...]
39
(3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder
öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG
40
Artikel 7 Jahresurlaub
41
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen damit jeder Arbeitnehmer
einen bezahlten Mindestjahresurlaub von 4 Wochen nach Maßgabe der Bedingungen
für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen
Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen
sind.
42
(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.
43
Artikel 17 regelt, unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten von verschiedenen
Bestimmungen der Richtlinie abweichen dürfen. Für Artikel 7 ist keine
Abweichungsmöglichkeit vorgesehen.
44
Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von
Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der
Arbeitnehmer bei der Arbeit:
45
Artikel 2 Anwendungsbereich
46
(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen
Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische,
verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und
Freizeittätigkeiten usw.)
47
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter
spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, zum Beispiel bei den Streitkräften oder
der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den
Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.
48
In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser
Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der
Arbeitnehmer gewährleistet ist.
49
b) Nationales Gesetzesrecht
50
Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer - Bundesurlaubsgesetz (BurlG) vom 08.01.1963
(BGBl. I, S. 2) i.d.F. vom 07.05.2002 (BGBl. I, S. 1529):
51
§ 1 Urlaubsanspruch
52
Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten
Erholungsurlaub.
53
§ 3 Dauer des Urlaubs
54
(1) Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage.
55
§ 7 Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs
56
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des
Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung dringende
betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen
Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen.
57
[...]
58
(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine
Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende
betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden
Kalenderjahres gewährt und genommen werden. [...]
59
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise
nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
60
Reichsversicherungsordnung (RVO) v. 19.7.1911, zuletzt geändert durch G. v.
17.3.2009 (BGBl. I, S. 550):
61
§ 349 Besetzung der Stellen
62
Bei den Krankenkassen werden die aus Mitteln der Kassen bezahlten Stellen der
Beamten und derjenigen Angestellten, für welche die Dienstordnung (§ 351) gilt, mit 2/3
Mehrheit durch den Vorstand besetzt.
63
§ 351 Dienstordnung
64
(1) Für die von den Krankenkassen besoldeten Angestellten, die nicht nach Landesrecht
staatliche oder gemeindliche Beamte sind, wird eine Dienstordnung aufgestellt.
65
(2) Für Angestellte die nur auf Probe, zu vorübergehender Dienstleistung oder zur
Vorbereitung beschäftigt werden oder die das Amt ohne Entgelt nebenher ausüben, gilt
die Dienstordnung nur, soweit sie es ausdrücklich vorsieht.
66
§ 352 Inhalt der Dienstordnung
67
Die Dienstordnung regelt die Rechts- und die allgemeinen Dienstverhältnisse der
Angestellten, insbesondere den Nachweis ihrer fachlichen Befähigung, ihre Zahl, die Art
der Anstellung, die Kündigung oder Entlassung und die Folgen der Nichterfüllung von
Pflichten. Hierbei dürfen keine weitergehenden Rechtsnachteile vorgesehen werden,
als sie das Disziplinarrecht für Beamte zulässt.
68
§ 353 Besoldungsplan
69
(1) Die Dienstordnung enthält einen Besoldungsplan. Dabei regelt sie:
70
1.Wieweit bei unverschuldeter Arbeitsbehinderung das Gehalt fortgezahlt wird,
71
2.In welchen Fristen Dienstalterszulagen gewährt werden.
72
3.Unter welchen Bedingungen Anstellung auf Lebenszeit oder nach Landesrecht
73
unwiderruflich erfolgt und Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge gewährt
werden.
(2) Sie regelt ferner, unter welchen Voraussetzungen Beförderung stattfindet.
74
§ 354 Anstellung, Kündigung und Entlassung von DO-Angestellten
75
(1) Wer der Dienstordnung unterstehen soll, wird durch schriftlichen Vertrag angestellt.
76
§ 358 Dienstordnungsangestellte
77
Verträge mit Angestellten, die der Dienstordnung unterstehen sollen (§ 349, 354 Abs. 1),
dürfen ab dem 01. Januar 1993 nicht mehr abgeschlossen werden, es sei denn, der
Angestellte unterstand am 31. Dezember 1992 bereits einer Dienstordnung.
78
Zweites Gesetz zur Vereinheitlichung und Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund
und Ländern (2. BesVNG) vom 23.5.1975 (BGBl. I S. 1173):
79
Art. VIII
80
§ 1
81
(1) Bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der
Sozialversicherung haben bei Aufstellung ihrer Dienstordnungen nach den §§ 351 bis
357, § 413 Abs. 2, § 414b Reichsversicherungsordnung, §§ 144 bis 147 des Siebten
Buches Sozialgesetzbuch, § 52 Abs. 2 und § 56 Abs. 3 des Gesetzes über die
Alterssicherung der Landwirte, § 58 des Zweiten Gesetzes über die
Krankenversicherung der Landwirte für die dienstordnungsmäßig Angestellten
82
1.den Rahmen des Bundesbesoldungsgesetzes, insbesondere das für die
Bundesbeamten geltende Besoldungs- und Stellengefüge, einzuhalten,
83
2.alle weiteren Geld- und geldwerten Leistungen sowie die Versorgung im
Rahmen und nach den Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden
Bestimmungen zu regeln
84
§ 2
85
(1) Für landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der
Sozialversicherung gelten
86
1.§ 1 Abs. 1 mit der Maßgabe, dass an die Stelle des für Bundesbeamte geltenden
Rechts das für Landesbeamte geltende Recht tritt, sowie [...]
87
Beamtengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen - Landesbeamtengesetz (LBG) v.
1.5.1981 (GV.NRW S. 234), zuletzt geändert durch G. v. 18.11.2008 (GV.NRW S. 706):
88
§ 101
89
Dem Beamten steht jährlich ein Erholungsurlaub unter Fortgewährung der Leistung des
Dienstherrn zu. Die Landesregierung regelt durch Rechtsverordnung Einzelheiten der
90
Urlaubsgewährung; sie regelt insbesondere:
1.die Dauer des nach dem Lebensalter zu bemessenen Erholungsurlaubs,
91
2.die Erteilung des Urlaubs (Gewährleistung des Dienstbetriebes, Teilung und
Übertragung, Widerruf und Verlegung),
92
3.die Gewährung von Zusatzurlaub.
93
c) Rechtsverordnungen:
94
Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamtinnen und Beamten und Richterinnen
und Richter im Lande Nordrhein Westfalen (Erholungsurlaubsverordnung - EUV) in der
Fassung vom 14.09.1993:
95
§ 8
96
Der Erholungsurlaub soll im Laufe des Urlaubsjahres nach Möglichkeit voll ausgenutzt
werden. Der Urlaub ist auf Wunsch geteilt zu gewähren; jedoch ist im Allgemeinen die
Teilung in mehr als zwei Abschnitte zu vermeiden.
97
Urlaub der nicht innerhalb von neun Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres in
Anspruch genommen worden ist, verfällt. Im Falle des § 5 Abs. 3 Satz 1, erster
Alternative ... (Beginn oder Ende des Beamtenverhältnisses im Laufe des
Urlaubsjahres)... verfällt der Urlaub erst am Ende des folgenden Jahres.
98
d) Satzungsrecht
99
Dienstordnung für die Dienstordnungsangestellten der AOK Rheinland/Hamburg - Die
Gesundheitskasse vom 24.6.2006:
100
§ 2 Übergangsregelungen
101
[...]
102
Für Angestellte, die am 30.06.2006 der Dienstordnung der AOK Rheinland
unterstanden, gelten die bisherigen Regelungen der Dienstordnung der AOK Rheinland
(Anlage 2).
103
§ 3 Ablösung
104
Diese Dienstordnung gilt solange fort, bis sie durch eine neue Dienstordnung abgelöst
wird.
105
Dienstordnung für die Angestellten der AOK Rheinland vom 01.01.1999:
106
§ 20 Anpassung an beamtenrechtliche Vorschriften
107
(1) Soweit nicht durch besondere gesetzliche Vorschriften oder in dieser Dienstordnung
etwas anderes bestimmt ist, gelten für die Angestellten und für die
Versorgungsempfänger entsprechend oder sinngemäß die jeweiligen Vorschriften über
108
Landesbeamte über:
[...]
109
f) Urlaub
110
3. Die Vorlagefrage:
111
Folgende Erwägungen haben das Gericht veranlasst, dem Europäischen Gerichtshof
die im Beschlusstenor bezeichnete Frage vorzulegen.
112
Für das Gericht war entscheidungserheblich, ob der Kläger als
Dienstordnungsangestellter dem Schutzbereich des Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG
unterfällt, da nur in diesem Fall dem Kläger ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung -
zumindest in Höhe des in Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG enthaltenen
Mindesturlaubs - zusteht.
113
a)Nach Auffassung der Kammer ergibt sich ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht
aus § 7 Abs. 4 BUrlG, da das BUrlG auf das Rechtsverhältnis des
Dienstordnungsangestellten keine Anwendung findet. Das BUrlG wird durch die
Regelungen in § 20 der Dienstordnung in Verbindung mit § 101 LBG NRW in
Verbindung mit § 8 der Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamtinnen und
Beamten und Richterinnen und Richter des Landes Nordrhein Westfalen (EUV)
verdrängt.
114
Bei der Dienstordnung handelt es sich um von der Beklagten auf Grund gesetzlicher
Ermächtigung nach den Bestimmungen der RVO erlassenes autonomes Satzungsrecht
(ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BAG Urteil vom 20.2.2008, 10 AZR 440/07, ZTR
2008, 323; BAG Urteil vom 17.12.1987, 6 AZR 747/85, NZA 1988, 801 = AP Nr. 65 zu §
611 BGB Dienstordnungs-Angestellte; BAG Urteil vom 05.03.1980, 4 AZR 245/78,
BAGE 33, 34 = AP Nr. 50 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte; BAG Urteil vom
25.04.1979, 4 AZR 791/77, BAGE 31, 381 = AP Nr. 49 zu § 611 BGB Dienstordnungs-
Angestellte).
115
Nach § 351 RVO wird für die von den Krankenkassen besoldeten Angestellten eine
Dienstordnung aufgestellt, die nach § 353 Abs. 1 RVO einen Besoldungsplan enthält.
Das Bundesarbeitsgericht entnimmt diesen Vorschriften, dass
Dienstordnungsangestellte besoldet werden und daher wie Beamte vergütet werden
(vgl. BAG Urteil vom 20.2.2008, 10 AZR 440/07, ZTR 2008, 323; BAG Urteil vom
15.11.2001, 6 AZR 382/00, NZA 2002, 447 = AP Nr. 74 zu § 611 BGB Dienstordnungs-
Angestellte). Dies entspricht dem Grundsatz, dass Dienstordnungsangestellte, die bei
Sozialversicherungsträgern grundsätzlich Tätigkeiten verrichten, die bei allgemeinen
staatlichen Behörden in der Regel Beamten übertragen sind, hinsichtlich der materiellen
Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse einen Status einnehmen sollen, der weitgehend
dem der Beamten entspricht (vgl. BAG Urteil vom 25.04.1979, 4 AZR 791/77, a.a.O.).
116
Auch die Bestimmungen in Artikel VIII des Zweiten Gesetzes zur Vereinheitlichung und
Neuregelung des Besoldungsrechts in Bund und Ländern (2. BesVNG) setzen die
Geltung des Alimentationsprinzips für Dienstordnungsangestellte voraus. Nach Artikel
VIII § 1 Abs. 1 des 2. BesVNG haben bundesunmittelbare Körperschaften des
öffentlichen Rechts im Bereich der Sozialversicherung bei der Aufstellung ihrer
117
Dienstordnungen den Rahmen des Bundesbesoldungsgesetzes, insbesondere das für
die Bundesbeamten geltende Besoldungs- und Stellengefüge einzuhalten und alle
weiteren Geld- und geldwertleistungen sowie die Versorgung im Rahmen und nach den
Grundsätzen der für die Bundesbeamten geltenden Bestimmungen zu regeln. Für
landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der
Sozialversicherung wie die Beklagte gilt dies gemäß Artikel VIII § 2 Abs. 1 Nr. 1 des 2.
BesVNG mit der Maßgabe, dass an die Stelle des für Bundesbeamte geltenden Rechts
das für Landesbeamte geltende Recht tritt. Der Zweck dieser Regelung besteht nach der
Gesetzesbegründung darin, das Besoldungs- und Versorgungsrecht in allen Bereichen
des öffentlichen Dienstes zu vereinheitlichen und dabei möglichst alle Bediensteten zu
erfassen, die Hoheitsbefugnisse ausüben, für die Beamtenrecht maßgeblich ist und für
die bundeseinheitliche Maßstäbe gefunden werden können (BT-Drucks. 7/1906, Seite
75, 130). Danach sollen die Geld- und geldwerten Leistungen von Beamten und
Dienstordnungsangestellten gleich und nicht ungleich sein. Nach der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts ist es aus diesem Grund nicht zulässig,
Dienstordnungsangestellten Leistungen zu gewähren, die nach beamtenrechtlichen
Bestimmungen für Beamte nicht vorgesehen sind (vgl. BAG Urteil vom 20.2.2008, 10
AZR 440/07, ZTR 2008, 323; BAG Urteil vom 17.12.1987, 6 AZR 747/85, NZA 1988,
801 = AP Nr. 65 zu § 611 BGB Dienstordnungsangestellte; BAG Urteil vom 12.08.1981,
4 AZR 918/78, BAGE 36, 52 = AP Nr. 51 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte;
BAG Urteil vom 05.03.1980, 4 AZR 245/78, BAGE 33, 34 = AP Nr. 50 zu § 611 BGB
Dienstordnungs-Angestellte). Dies muss auch für Urlaubsabgeltungsansprüche gelten,
da auch diese eine geldwerte Leistung begründen (so BAG Urteil vom 25.4.1979, 4 AZR
791/77, BAGE 31, 381 = AP Nr. 49 zu § 611 BGB Dienstordnungs-Angestellte). Aus der
gesetzlichen Systematik ergibt sich daher, dass für Dienstordnungsangestellte
Regelungen zum Urlaub nicht durch das BUrlG sondern über die bundesgesetzliche
Ermächtigung in § 351 RVO nach beamtenrechtlichen Vorschriften zu erfolgen haben.
Die Erholungsurlaubsverordnung für Beamtinnen und Beamte sowie Richterinnen und
Richter im Land Nordrhein-Westfahlen sieht jedoch für Landesbeamte keinen Anspruch
auf Urlaubsabgeltung vor.
118
b)Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung könnte sich für den Kläger daher allenfalls
unmittelbar aus Artikel 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88/EG ergeben, wenn der
dortige Begriff des Arbeitnehmers auch einen Dienstordnungsangestellten erfasst.
119
aa)Der Kläger kann sich unmittelbar auf Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG als
Anspruchsgrundlage berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts können sich Einzelne gegenüber dem
Staat, insbesondere in dessen Eigenschaft als Arbeitgeber, wie auch gegenüber
Organisationen oder Einrichtungen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen
oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die
nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten, immer
dann auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen, wenn sich diese als inhaltlich
unbedingt und hinreichend genau darstellen (vgl. EuGH Urteil vom 15.04.2008, C-
268/06 - Impekt, NZA 2008, 581, Rn. 57 des Urteils; EuGH Urteil vom 26.05.2005, C-
297/03 - Sozialhilfeverband Ruhrbach, Slg. 2005 I 4305, Rn. 27 des Urteils; BAG Urteil
vom 09.04.2008, 4 AZR 104/07, AP Nr. 43 zu § 1 TVG; BAG Urteil vom 16.6.2005, 6
AZR 108/01, BAGE 113, 115).
120
Die Beklagte ist als Versicherungsträger eine unter staatlicher Aufsicht stehende
121
rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 29 Abs. 1, § 90 Abs. 2a SGB IV, §
143 Abs. 1 SGB VI) und kann sich als öffentlicher Arbeitgeber der von der
Bundesrepublik übernommenen Verpflichtung, die Richtlinie durchzuführen, nicht
entziehen. Artikel 7 der Richtlinie 2003/88/EG erfüllt auch alle Voraussetzungen, um
unmittelbare Wirkung zu entfalten und ist insbesondere inhaltlich unbedingt und
hinreichend genau (vgl. LAG Düsseldorf Urteil vom 02.02.2009, 12 Sa 486/06, NZA-RR
2009, 242).
bb)Aus Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 EG ergibt sich auch ein Anspruch auf
Abgeltung des Urlaubsanspruchs in finanzieller Form, wenn der Urlaub bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsunfähigkeit nicht mehr genommen werden kann.
Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 20.1.2009 (Az.: C 350/06 - Schultz-
Hoff, NZA 2009, 135 = NJW 2009, 495) entschieden und explizit ausgeführt, dass dann,
wenn das Arbeitsverhältnis endet und es nicht mehr möglich ist, tatsächlich bezahlten
Jahresurlaub zu nehmen, Artikel 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG vorsieht, dass der
Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat, um zu verhindern, dass ihm
wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller
Form, verwehrt wird (vgl. Rn. 56 des Urteils).
122
cc)Entscheidungserheblich ist daher, ob der Kläger als Dienstordnungsangestellter
Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG ist.
123
Gemäß Artikel 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG gilt diese für alle privaten oder
öffentlichen Tätigkeitsbereiche i.S.d. Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG. Auch Art. 2
Abs. 1 der Richtlinie 89/391/EWG bestimmt zunächst, dass diese auf alle öffentlichen
und privaten Tätigkeitsbereiche Anwendung findet, wobei gemäß Art. 2 Abs. 2 der
Richtlinie 89/391/EWG diese ausnahmsweise keine Anwendung findet, soweit dem
Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, zum Beispiel
bei den Streitkräften oder der Polizei [...] zwingend entgegenstehen. Aufgrund dieser
Ausnahmevorschrift wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass auch Beamte dem
Anwendungsbereich der Richtlinie unterfallen (vgl. OVG NRW Urteil vom 07.05.2009, 1
A 2652/07, ZBR 2009, 352, zitiert nach Juris, VG Gelsenkirchen, Beschluss vom
04.08.2009, 1 L 667/09 zitiert nach juris, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom
21.09.2009, 6 B 1236/09, zitiert nach juris). Derartige einschränkende Normen wären
nicht erforderlich, wenn die Richtlinien von vorneherein für öffentlich-rechtliche
Dienstverhältnisse keine Geltung beanspruchten.
124
Diese Auslegung erscheint jedoch nicht zwingend und könnte zu den
verfassungsrechtlichen Besonderheiten in der Bundesrepublik Deutschland in
Widerspruch stehen. Dem bundesdeutschen Beamtenrecht ist ein Austauschverhältnis
zwischen Dienstleistung einerseits und Vergütung andererseits nämlich fremd. Ein
Beamter wird nicht für seine Dienstleistung entlohnt, sondern seinem Amt angemessen
alimentiert. Es handelt sich nicht um ein Vertragsverhältnis, welches den Austausch von
Leistungen zum Inhalt hat. Zweck des Erholungsurlaubs ist es, dem Beamten die
Auffrischung und Erhaltung seiner Arbeitskraft zu ermöglichen. Dieser Zweck würde bei
einer Abgeltung in Geld nicht erreicht. Aus diesen Erwägungen wird trotz der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Schultz-Hoff (Urteil vom
20.1.2009, C-350/06, NZA 2009, 135 = NJW 2009, 495) von den Instanzgerichten ein
Anspruch auf Urlaubsabgeltung zum Teil verneint (vgl. VG Hannover, Urteil vom
15.10.2009, 13 A 2003/09, zitiert nach juris; VG Koblenz, Urteil vom 21.7.2009, 6 K
1253/08.Ko, zitiert nach juris).
125
Nach Auffassung der Kammer ist die Frage, ob ein Beamter - oder ein nach
beamtenrechtlichen Vorschriften zu behandelnder Dienstordnungsangestellter -
Arbeitnehmer i.S.d. Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG ist, durch den Europäischen
Gerichtshof nicht hinreichend geklärt. Zwar hat der Europäische Gerichtshof mit
Beschluss vom 14.07.2005 (C 52/04 - Personalrat der Feuerwehr Hamburg/Leiter der
Feuerwehr Hamburg, NZA 2005, 921) bei einem Feuerwehrbeamten die Richtlinie
89/391/EWG für anwendbar erklärt. Der Entscheidung lag jedoch die Problematik
zugrunde, ob die spezifischen Tätigkeiten des Feuerwehrdienstes im Sinne des Artikels
2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391/EWG der Anwendung der Richtlinie zwingend
entgegenstehen. Vorliegend geht es indes um die Frage, ob die bundesdeutschen
Besonderheiten des Berufsbeamtentums und damit die Art des Rechtsverhältnisses die
Anwendung der Richtlinie ausschließen.
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Dr. Elz
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Richter am Arbeitsgericht
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